Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

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ie Deutschen haben gewisse Vorstellungen von der Welt,
mit denen man umgehen muss, wenn man aus dem Aus-
land berichtet. Vor vielen Jahren – ich war gerade Re-
porter in New York geworden – bat mich ein Kollege, einen
Text über ein Mädchen zu schreiben, das an einer seltenen
Sonnenallergie leide. Es wohnte in den Wäldern des Bundes-
staates New York. Ich fragte meinen Redakteur, wie er auf das
Mädchen gekommen sei. Er sagte, es leide an einer ähnlichen
Erkrankung wie Hannelore Kohl. Ich schrieb fünf Seiten über
ein amerikanisches Mädchen vom Land, das wie die Frau des
deutschen Altbundeskanzlers nicht an die Sonne durfte. Es war
ein früher Text aus Amerika. Zuvor hatte ich bereits eine Flei-
schersfrau von der Upper East Side porträtiert, die ursprüng-
lich aus Gelsenkirchen stammte; einen
deutschen Außen minister, der am
New-York-Marathon teilnahm; sowie
einen Sioux-Indianer aus North Dako -
ta, den ein Hamburger Redakteur kurz
vor Weihnachten 1999 im deutschen
Frühstücksfernsehen entdeckt hatte.
Unsere Vorstellungen vom Wilden
Westen haben Karl May und Hellmut
Lange als Trapper Bumppo geprägt.
Unser Englandbild malten Joachim
Fuchsberger sowie Horst Tappert,
der englische Postzugräuber und
Kommissare spielte, aber im richtigen
Leben bei der Waffen-SS war. Dass
sich viele an diese Männer nicht mehr
erinnern, heißt gar nichts. Sie sind da.
An Israel interessiert die Deutschen
gerade sehr der Trump-Friedensplan
für den Nahen Osten. Sie sprechen
»Deal of the Century« ironisch aus
und so, als betreffe es sie ganz persön -
lich. Manchmal denke ich, es gibt ei-
nen Absatz, in dem Trump vorschlägt:
Die Palästinenser werden alle nach
Mecklenburg geschickt, beziehungs-
weise ins Saarland. Sie können ihre
Olivenbäume mitbringen. Schafe auch.
Je länger man als Reporter im Ausland lebt, desto mehr
vergisst man die Vorstellungen seines Heimatlandes. Deswe-
gen sehe ich hin und wieder eine deutsche Talkshow. Perfekt
ist »Anne Will«. Bei der ist man nach fünf Minuten zu Hause,
schlecht gelaunt, besorgt und frierend. Wenn man unter die
Oberfläche will, muss man »Chez Krömer« im RBB schauen.
Der Gastgeber heißt Kurt Krömer, eine Berliner Kunstfigur,
die im Fernsehen rauchen und sagen darf, was sie will. In der
Sendung »Chez Krömer« findet man die Erwartungen, die
die Deutschen an sich als Weltbürger haben. Man spürt ihre
Sehnsucht, lustig, locker und mehrsprachig zu sein. Wer zu
Anne Will kommt, will wichtig tun, wer zu Kurt Krömer
kommt, will lustig sein. Den meisten Menschen in Deutsch-
land fällt es leichter, wichtig zu tun, als lustig zu sein.
Im vergangenen Jahr war Philipp Amthor von der CDU
bei Kurt Krömer. Ich glaube, er ist ein anständiger und fleißi-
ger junger Mann. Wirklich. Aber hier wollte er auch eine an-

dere Seite zeigen. Er fing an, Englisch zu reden, als sitze er
bei Jimmy Kimmel in Los Angeles und nicht bei Kurt Krömer,
der aus Neukölln kommt und seine Gäste mit dem Satz vor-
stellt: Da wollen wir mal gucken, watt die Katze uns heute
vor de Tür jeleecht hat, wa.
Amthor sagte: Come on. Er sagte: Impressive. Er sagte:
Well done.
Vielleicht wollte er uns vergessen lassen, dass er aus
Ueckermünde stammt, so wie deutsche Politiker uns einreden
wollen, sie seien jetzt bereit für höhere Aufgaben, indem sie
hier in Israel auftauchen.
Im vorigen Sommer war Annegret Kramp-Karrenbauer
da, im Dezember kam Robert Habeck, vergangenes Wochen-
ende erschien Armin Laschet. Offensichtlich gibt es eine alte
deutsche Politikerweisheit: Du willst Kanzler werden? Dann
ab nach Israel. Annegret Kramp-Karrenbauer empfing deut-
sche Journalisten zu einem Hintergrundgespräch in Jerusa-
lem. Dabei fiel mir auf, dass sie bei der Begrüßung nie dem-
jenigen in die Augen sah, dem sie gerade die Hand schüttelte,
sondern immer schon dem nächsten in der Reihe. Wie eine
Katze, die ihren Schwanz jagt. Als sie jemand fragte, warum
sie nicht auch Ramallah besuche – ebenfalls ein Ort, von
dem die deutsche Öffentlichkeit be-
sessen ist –, erfand sie schnell eine
zweite Reise, die sie bald unterneh-
men werde. Eine Reise ins Westjor-
danland. Das gehört zu den Sachen,
die sie jetzt nicht mehr machen muss.
Robert Habeck war auch zum ersten
Mal in Israel, wirkte aber entspannter,
so wie Kevin Kühnert lässig wirkte,
als er bei Kurt Krömer war. Beide ver-
suchten nicht, mit dem Gastgeber mit-
zuhalten.
Jetzt will Laschet Kanzler werden.
Er kam mit deutschen Journalisten
und Wirtschaftsvertretern, um ein
Nordrhein-Westfalen-Büro in Tel Aviv
zu eröffnen. Außerdem brachte er sein
Jugendjazzorchester mit, einen Enkel
von Konrad Adenauer und die Witwe
des Fußballtrainers Hennes Weiswei-
ler. Die Feier fand auf der Dachterras-
se der neuen Landesvertretung statt.
In der Ecke hatten sie eine Art Lounge
eingerichtet, mit Kissen in den NRW-
Landesfarben, wo man es sich gemüt-
lich machen sollte. Das erinnerte mich
an die Loungeecken im Hamburger
SPIEGEL-Hochhaus, die Architekten
für uns Journalisten eingerichtet haben, um kreativ entspannt
zusammensitzen zu können. Ich habe dort noch nie jemanden
sitzen sehen.
Laschet hielt eine Rede, die theoretisch auch Annegret
Kramp-Karrenbauer vor einem halben Jahr hätte halten kön-
nen oder Rudolf Scharping vor 25 Jahren. Weder die aktuelle
Krise in Israel kam vor noch die in Deutschland, nicht einmal
das Coronavirus. Sein Parteifreund Amthor versuchte witzig
zu sein, Laschet staatsmännisch. Er redete von Adenauers
Treffen mit Ben-Gurion 1960, von Borussia Mönchenglad-
bachs Gastspiel hier 1970 und von der blühenden Zusam-
menarbeit zwischen NRW und Israel. Sein Beispiel dafür
war der Arbeitsschutz. Da hätten die Israelis ja noch Nach-
holbedarf.
Besser kann man die deutsche Perspektive auf die Welt
eigentlich nicht zusammenfassen. Wir kümmern uns um den
Arbeitsschutz. Mit Laschet muss man rechnen.

Well done


LeitkulturAlexander Osang über die deutsche
Sehnsucht nach Weltbürgerschaft

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020

Reporter

ALEXANDER OSANG / DER SPIEGEL
Ministerpräsident Laschets Rednerpult in Tel Aviv
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