Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
anforderungen für Banken gesenkt. Das
verbessert die Eigenkapitalrendite und
erlaubt börsennotierten Instituten, mehr
Dividende auszuschütten. Die Änderung
beflügelte alle Finanzaktien in Europa,
besonders die der Deutschen Bank, die
den größten Nachholbedarf hatte.
Unstrittig ist, dass Sewing den Konzern
fürs Erste befriedet hat, die Großaktionäre
stehen hinter ihm. Der umstrittene Auf-
sichtsratschef Paul Achleitner ist margina-
lisiert. »Die Aktionäre haben ihm klarge-
macht, dass er Sewing in Ruhe arbeiten
lassen soll. Dafür darf er bis Mandatsende
2022 im Amt bleiben«, sagt der Vertreter
eines einflussreichen Aktionärs.
Und seinen Vorstand hat Sewing mit
Gefolgsleuten besetzt. Der Kontrast zu
früheren Hahnenkämpfen ist gewaltig, in
der Bank wird bereits von »Buddy-At -
mosphäre« gesprochen. Doch zu viel Har-
monie macht nachlässig.

drahtigen 49-Jährigen. Der Stress des Am-
tes hat zwar unübersehbare Furchen in
seinem Gesicht hinterlassen. Doch seine
jungenhafte, kumpelige Art hat er sich
bewahrt. Zu Jahresbeginn verbreitete Se-
wing sogar gute Laune, etwas, was die
Beschäftigten von ihren Topleuten schon
nicht mehr kannten. Für Stimmung sorgte
der nach ewiger Talfahrt wieder steigende
Aktienkurs, auf den Sewing in jeder freien
Sekunde fast manisch starrt.
Bei den Gründen für den zwischenzeit-
lichen Höhenflug gehen die Einschätzun-
gen jedoch auseinander. Die Bank sieht
darin einen Beleg, dass ihre Strategie bei
Investoren verfängt. Die Kosten sinken,
die Eigenkapitalausstattung ist so gut wie
lange nicht. Mit der amerikanischen Capi-
tal Group ist ein namhafter Anteilseigner
eingestiegen.
Womöglich aber steckt schlicht die EU-
Kommission dahinter. Sie hat ihre Kapital -


So hat Sewing mit Michael Ilgner einen
Personalchef an Bord geholt, den er über-
schwänglich lobt. Als Chef der Deutschen
Sporthilfe war Ilgner zuletzt allerdings für
nur 40 Mitarbeiter zuständig – jetzt sind
es 88 000. Ob sich die selbstbewussten
Investmentbanker in London und New
York von dem früheren Wasserball-Natio-
nalspieler (Spitzname: »Bademeister«) di-
rigieren lassen, ist fraglich.
Privatkundenchef Manfred Knof bringt
als Ex-Allianz-Manager ebenfalls keine
Bankerfahrung mit, muss aber ein Mam-
mutprogramm stemmen: sparen, die Post-
bank integrieren, Sparkassen und Fintech-
Angreifer bekämpfen. Mitarbeiter klagen,
es gebe kein einziges Zukunftsprojekt,
mehr als sparen falle Knof nicht ein.
Auch Knof schwant, worauf er sich ein-
gelassen hat. Schon sein Plan, das Personal
in den Filialen regelmäßig per Videokon-
ferenz zu informieren und das Mitarbei-
termagazin zu digitalisieren, überfordert
die morsche IT der Bank. Der Karnevals-
party in der Postbank-Zentrale, Pflichtter-
min für Privatkundenchefs, blieb er fern.
Der größte Problemfall aber ist Ulrich
Meister, der in Knofs Privatkundentruppe
die IT verantwortet. Meister war in die Be-
rateraffäre der Bundeswehr verwickelt
und bei deren IT-Tochter BWI als Ge-
schäftsführer gefeuert worden (SPIEGEL
7/2020). Die fragwürdige Vergangenheit
ist inzwischen bis Frankfurt durchgedrun-
gen, Meister wird Ende März gehen.
Noch genießt Sewing Welpenschutz,
doch die harten Jahre kommen noch. Wei-
tere 4,5 Milliarden Euro muss der Konzern
von 2022 an dauerhaft sparen. Gelingen
soll das vor allem durch Einsparungen im
IT-Bereich. Anstatt sich wie bisher einen
Wildwuchs an Betriebssystemen zu leisten,
will die Bank allerlei Technik in die Cloud
verfrachten. Gerade erst war Sewing an
der US-Westküste, um bei Amazon, Goo-
gle und anderen Dienstleistern vorzuspre-
chen. Zudem soll die Mitarbeiterzahl von
88 000 auf 74 000 sinken. Das sorgt für
Unruhe in der Belegschaft, niemand weiß,
wo Stellen wegfallen; im Vorstand hoffen
sie, dass natürliche Fluktuation ausreiche.
Wachstum lockt, ausgerechnet, im In-
vestmentbanking. Voraussetzung ist, dass
die Deutsche Bank ausfallgefährdete Ver-
mögenswerte abbaut, die mit Eigenkapital
hinterlegt werden müssen. Das könnte
die Bank anderweitig einsetzen. Etwa, wie
ein Insider vorrechnet, für Hedging-Ge-
schäfte im Auftrag von Kunden, die Zins-
und Währungsrisiken absichern wollen.
Das birgt enor me Risiken, zumal in einer
Wirtschaftskrise.
Von alldem wird im Berliner Konzert-
haus eher nicht die Rede sein. Falls der Fest-
akt überhaupt stattfindet – und nicht dem
Coronavirus zum Opfer fällt. Tim Bartz

71

Sewings Kurs
Deutsche-Bank-Aktienkurs
seit seinem Amtsantritt,
in Euro

Quelle: Refinitiv Datastream

12

8

10

2019




    1. 2018
      11,36 €



      1. 2020
        7, 0 4 €






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DANIEL HOFER / LAIF
Bankchef Sewing: Noch unter Welpenschutz

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020

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