Die Zeit - 12.03.2020

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ihrem Fell. Die Fulani haben ein enges Verhältnis zu ihren


Tieren. Sie schlachten sie nur zu wichtigen Festen. Sie leben
von ihrer Milch, die sie verkaufen oder eintauschen. Sie ge-


ben ihren Rindern Namen, Gagau weiß von den Vorfahren
seiner Tiere die Namen bis in die dritte Generation. Für die


Fulani sind Tiere beseelt. Sie glauben daran, dass Dschins,
also Geistwesen, in ihnen wohnen.


In der Nacht hören wir Schüsse, nur wenige Hundert
Meter von Gagaus Lager entfernt. In Panik stieben die


Tiere seiner Herde aus ein an der. Die Menschenräuber
aus der Schlucht, welche die Herde heute passierte, sind


Gagaus Tross offenbar gefolgt. Die Schießerei ist bald
vorüber. Dann ist es wieder still, zu hören ist nur noch das


Quaken der Frösche im Fluss.
Am nächsten Morgen erfährt Gagau, was in der Nacht


geschah. Andere Fulani-Gruppen, die mit ihren Herden auf
der gleichen Route nach Süden unterwegs sind und in der


Nähe kampiert haben, berichten es ihm. Kidnapper hätten
einen der Ihren entführt, der zuvor mehrere Kühe verkauft


und viel Bargeld bei sich gehabt haben soll. Sie vermuten,
dass die Entführer ihn in die Berge verschleppt haben.


Der Tag, der fatal beginnt, droht schlimm zu enden. Vor
Gagau liegt die erste einer Reihe von kleineren Siedlungen,


die sie durchqueren müssen. Unschlüssig steht Gagau an


der Spitze seiner Herde, auf dem staubigen Pfad zum ersten
Dorf. Seine Jungen haben ihre Waffen durchgeladen. Als


sie letztes Jahr bei ihrer Rückwanderung in die Berge durch
diesen Weiler ziehen wollten, stellten sich ihnen am Ortsein-


gang eine Gruppe junger Bauernsöhne in den Weg. Sie seien
auf ihn zugelaufen und hätten Macheten gezogen, so erzählt


er. Gagau, in Angst, dass sie ihn töten wollten, schoss auf
einen von ihnen, sah, wie er zusammenbrach. Die anderen


Fulani schossen ebenfalls, verletzten zwei weitere Bauern-
jungen. Danach seien immer mehr Bauern aus dem Dorf


angerannt gekommen, sie hätten mit ihren Macheten auf
die Rinder eingehauen und sechs Kühe getötet. »Ich weiß


nicht, warum das Dorf uns angegriffen hat«, sagt Gagau.
Ganz knapp wurde damals eine Katastrophe verhindert.


Gagau hatte aus Rache für seine toten Kühe bereits eine
Gruppe Fulani-Kämpfer angeheuert und plante, das Dorf


zu überfallen. Aber der Dorfälteste sandte Vermittler aus und
bat Gagau zu Gesprächen, und schließlich willigte der ein.


Um der Rache zu entgehen, entschuldigte sich der Dorfchef
bei ihm, zeigte Gagau in der Arrestzelle des Polizeipostens


zwei der jungen Männer, die Gagau überfallen wollten, in
Handschellen und blutig zusammengeschlagen. Sie hätten


nicht im Auftrag der Dorfgemeinschaft gehandelt. Sie seien
drogenabhängig, schnüffelten Klebstoff, Gagau solle ihnen
verzeihen. So brachte er ihn zum Einlenken. Der Älteste bot
an, ihn finanziell zu entschädigen, doch Gagau sagt, er habe
abgelehnt. Seine Würde sei ihm wichtig, doch der Frieden
sei ihm wichtiger.
Die Herde läuft in das Dorf ein, die Fulani treiben die Tiere
zur Eile. Der Ort wirkt verlassen. In einigem Abstand zur
Straße hocken Männer vor geschlossenen Marktständen und
schauen finster auf den Tross. Rasch bringen die Nomaden
das Dorf hinter sich und treiben die Tiere durch zwei wei-
tere Dörfer. Die meisten Frauen und Kinder der Bauern, so
erfahren wir später, versteckten sich vor ihnen in den Feldern.
Ein großer kahler Gebirgsriegel trennt uns noch von der
Flussebene, in der das Ziel der Reise liegt, das muslimische
Dorf Wurdyanka, das aus einem ehemaligen Trockenzeit-
Camp der Nomaden entstand. 25 Kilometer davon ent-
fernt liegt Bare, das Dorf der christlichen Bauern, wo Father
Moses der Ankunft der vielen Fulani-Trecks entgegenbangt.
An den Gebirgshängen lässt Gagau das Nachtlager auf-
schlagen. Dann sitzen die sechs Männer, die sich mit ihren
Herden Gagau unterstellt haben, auf ausgedörrtem Boden
und beraten. »Auch auf der anderen Seite gibt es kein Gras«,

sagt einer, der ein Handy besitzt, fast jeder der wichtigeren
Männer hat eins. Ganz selten, meist nur auf den Spitzen
einzelner Hügel, gibt es Empfang. Ein Verwandter habe ihm
das heute erzählt, sagt er. Gagau behauptet nach wie vor das
Gegenteil, es gebe genug Gras, doch er kann die anderen
nicht überzeugen. Die Gruppe teilt sich. Die Mehrheit der
sieben Familien will über den Fluss hinaus, weiter in den re-
genreicheren Süden.
»Sie respektieren meine Autorität nicht«, klagt Gagau spä-
ter am Abend vor der Hütte seiner Familie. Vor fünf Jah-
ren haben ihn die Oberhäupter des Clans zum Anführer
gewählt. Gagaus Vater hatte davor diese Rolle inne und vor
ihm dessen Vater. »Die sollen jetzt jemand anderen wählen.
Ich lasse mich nicht demütigen.« Tatsächlich fällt die Bilanz
seiner bisherigen Amtszeit bescheiden aus. »Als hätte jemand
einen Fluch über mich verhängt«, klagt er. Im Jahr, in dem er
seinem Vater nachfolgte, eroberte Boko Haram die traditio-
nellen Weidegründe des Clans im Norden Nigerias, im Bun-
desstaat Borno. Über viele Jahrzehnte hinweg hatten sie die
Regenzeit dort verbracht. In der Trockenzeit wanderten sie,
wie jetzt, in die Nähe des Dorfes Wurdyanka. Alle Züge, die
Gagaus Clan unternimmt, gehen von Wurdyanka aus und
kehren wieder nach Wurdyanka zurück. Hier wohnen fast

Jedes Jahr wird es für die Fulani schwieriger, ihre Rinder zu


versorgen. Die Savanne wird wegen des Klimawandels trockener


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