Die Zeit - 12.03.2020

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ausschließlich Fulani. In Wurdyanka lassen sich die Alten


des Clans nieder, wenn sie fürs Reisen zu schwach werden.
Gagau ist ratlos, wohin er zu Beginn der nächsten Regen-


zeit ziehen soll. Er ist schon in alle Himmelsrichtungen
gereist und begegnete überall nur Not. In seinem ersten


Jahr an der Spitze der Clan-Herde entschied sich Gagau für
den Süden, den Bundesstaat Taraba; es gebe dort viel Gras,


hatte er gehört. Doch gab es dort auch viele Bauern. Auf
dem Weg nach Taraba verhaftete ihn die Polizei, verprügelte


ihn und sperrte ihn ein, bis sein Vater Lösegeld zahlte. In
seinem zweiten Jahr zog er mit den Herden von 20 Fami-


lien nach Kamerun. Die Frauen und Kinder ließ er bei den
Alten in Wurdyanka. Nach nur einem Monat in Kamerun


entschieden sie sich zurückzukehren. Es gab dort viel Gras,
doch auch viele Kuhdiebe. Und die Fulani begannen unter


Durchfall zu leiden. Sie sind an Reis und Mais gewöhnt. In
Kamerun mussten sie Yamswurzeln essen, die vertrugen sie


nicht und wurden krank.
In seinem dritten Jahr trat er dann noch einmal die Reise


in den Norden an, nach Borno an. Er hatte gehört, der
Kampf gegen Boko Haram sei vorüber – das stimmte


nicht. Immer noch zogen Boko-Haram-Banden plündernd
durch das Buschland. Zweimal hin ter ein an der schon hat


Gagau die Herde zur Regenzeit in die abgelegene Krater-


landschaft der Song-Vulkane geführt, doch diesmal wird es
das letzte Mal sein, glaubt er. »Ich finde kaum noch einen


Weg. Sie pflanzen überall etwas an.«
Die Route, der Gagau folgt, wird seit Jahrzehnten von den


Fulani für Rinderzüge benutzt. In den Sechzigerjahren stell-
te die Regierung die Routen der Nomaden landesweit unter


Schutz und wies sie als »Migrationskorridore« aus. Hüft-
hohe Betonzapfen wurden als Markierungen gesetzt. Sie


stehen immer noch, doch wurden die meisten Korridore
mittlerweile in Felder umgewandelt. Niemand setze das


Gesetz durch, klagen die Fulani. Niemand wage die Bauern
zu vertreiben, zu groß sei der gesellschaftliche Druck.


Am nächsten Morgen trennt sich die Herde. Nur zwei
Familien halten Gagau die Treue und begleiten ihn weiter


nach Süden, wo hinter einem Gebirgspass Wurdyanka liegt,
dort wartet sein Vater auf ihn. »Komm nach Wurdyanka,


mein Sohn«, hat der ihm vor Tagen am Telefon gesagt. »Das
Gras steht grün auf den Feldern.«


Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, da kämpfen sie sich
zum Pass hinauf, Felsen, über die die Kühe schlittern, Bü-


sche mit fingerlangen Dornen, die Mensch und Vieh blu-
ten lassen. Sie peitschen den Kühen in die Augen. Manch-


mal, zum Glück selten, erblinden Tiere, erzählt Gagau.
Vier Kühe hat er letztes Jahr am Pass verloren. Sie stürzten
die Felsen hinunter und brachen sich die Beine. Und selbst
hier oben, wo es nur Steine gibt und wenig Erde, stoßen
sie auf bepflanztes Land. Vor sechs, sieben Jahren seien in
der Gegend zum ersten Mal künstliche Düngemittel auf-
getaucht, die den Bauern jetzt sogar auf magersten Böden
eine Ernte ermöglichten.
Als sie das Tal erreichen, in dem Wurdyanka liegt, erschöpft,
aber ohne ein einziges Tier verloren zu haben, mit den
schwächsten Kälbern auf ihren Schultern, sieht es Gagau so-
fort. Das Gras: »Es wird nicht reichen«, sagt er. Der Anführer
hat sich verkalkuliert. Die Familien, die weiterzogen, hatten
mit ihren Warnungen recht. Gagau plagen bald Kopfweh
und schmerzende Knie. Nur noch mit Ta blet ten ist er in der
Lage, weiterzulaufen. Das Gras im Tal ist von der Hitze ver-
brannt. Die Erde ist bedeckt von vertrockneten Halmen und
welkem Blattwerk. Durch die ausgedörrte Landschaft führt
Gagau die Herde weiter auf dem Weg nach Wurdyanka,
wo auf einem Hügel seine Eltern wohnen. Aber auch da ist
nicht mit mehr Gras zu rechnen. Vom Haus der Eltern aus
sieht man in der Ferne den Fluss, an dem Father Moses im
Dorf Bare die Ankunft der Fulani-Trecks erwartet.

»Ich habe Angst«, sagt Alhaji Gagau. Er weiß, die nächsten
Monate werden Elend und Not bringen.
Das größte Blutvergießen findet im Zentrum Nigerias
statt, dem Middle Belt. Die trockenen Savannen des Nor-
dens treffen hier auf die fruchtbaren Flusslandschaften
des Südens. Immer mehr Nomaden aus dem Norden ver-
suchen, der Trockenheit zu entkommen und so weit wie
möglich nach Süden zu ziehen. Der erste große Fluss, auf
den sie dabei treffen, ist der Hawal mit dem Dorf Bare am
Ufer. Im Kampf um das Wasser verläuft hier die Front. Auf
beiden Seiten herrscht Verzweiflung.
Drei Tage nachdem Gagau mit seiner Herde die Flussebene
erreicht hat, ist der Ort Bare wie unter Belagerung. Es ist
ein Freitag, und wie so oft an diesem Tag blockieren Fula-
ni mit ihren Kühen die Zugangsstraße. Father Moses sitzt
am frühen Abend im Esszimmer der Mission, vor sich die
vierte Flasche Tiger-Bier. Moses, ein muskulöser Mann mit
Oberlippenbart, ist nicht der typische Pfarrer. Vieles an dem
Priester erinnert an Don Camillo. Er lacht viel, trinkt robust,
liebt das offene Wort. »Ich warne die Bauern in jeder Pre-
digt: Verlasst freitags nicht das Dorf.« An diesem Tag wird
Markt abgehalten, und junge Fulani treiben außerhalb des
Ortes ihre Kühe auf die Straße, um Wegegeld zu erpressen.

In den letzten Jahren starben bei den Auseinandersetzungen


zwischen Nomaden und Bauern 17.0 0 0 Menschen


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