Die Zeit - 12.03.2020

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Fulani seien geflohen, einer jedoch habe sich im Straßen-


graben versteckt gehalten, den hätten sie nun gejagt. Er sei
quer über die Felder geflohen, im Zickzack, und wäre wohl


entkommen, hätte ihn Moses mit seinem Jeep nicht verfolgt.
»Ich habe ihn umgefahren!«, sagt er. Dann seien die Männer


der Miliz über den Fulani hergefallen. »Wäre ich nicht gewe-
sen, hätten sie ihn getötet.« Father Moses ist hart geworden


über die Jahre in Bare. »Als Privatperson sage ich, die Fulani
müssen wir mit Gewalt bekämpfen. Sie verstehen nur diese


Sprache. Aber als Mann der Kirche muss ich natürlich sagen:
Lasst uns mit ein an der reden, lasst uns verhandeln.«


Jetzt liegt der Gefangene draußen in der Nacht, vor dem
Pfarrhaus, wo nach den Kämpfen der letzten Monate ein


Armeeposten aus zwölf Mann eingerichtet wurde. »Schaut
ihn euch an!«, sagt der Priester und geht zu dem Gefange-


nen. Ein Junge nur, noch kein Mann. Im Dunkeln liegt
er hingestreckt auf dem Boden, Hände und Füße gefes-


selt. Der Pfarrer leuchtet ihm mit einer Taschenlampe ins
verdreckte Gesicht. »Ziemlich zugerichtet haben die ihn.«


Erst hätten ihn die Dörfler verprügelt, dann die Soldaten.
»Ihr müsst den freilassen«, sagt Moses zu den Militärs. »Die


Fulani werden sonst kommen und ihn holen.« Der Junge
bittet um Wasser, ein Soldat gibt es ihm.


Der Frieden in Bare ist in den vergangenen Jahren ganz all-
mählich erodiert. Lange hatten die Bauern in Koexistenz


mit den Fulani gelebt. Die Herdenbesitzer verkauften ihre
Milch, die Bauern ihre Ernte. Manche zahlten den Fulani


sogar Geld, damit sie nach der Ernte auf ihren Feldern wei-
deten, des Dungs wegen. Sie wussten: Wo Kühe weideten,


fiel später die Ernte besser aus.
2014 dann der erste Tote. Angeblich ein Bauer. Auf den


Feldern bei Wurdyanka kam es immer öfter zu Streit über
Weiderechte. Oft weigerten sich die Fulani, Kompensatio-


nen für kahl gefressene Felder zu zahlen – so die Version
der Bauern. Die sagen, sie hätten sich mit dem Abschlach-


ten von Kühen gerächt. 2016 wurden fast alle Dörfer ent-
lang des Flusses Opfer von Fulani-Überfällen. »Sie wollen


die ganze Region islamisieren«, glaubt Father Moses. Eine
Befürchtung, die viele Christen teilen.


Im Juni 2018 wurde Daso zum ersten Mal zerstört. Drei
Tage dauerte das Morden mit Macheten und Schrotflinten.


25 Bauern starben, 75 wurden verletzt. Wie viele Fulani
ums Leben kamen, ist unbekannt. Father Moses war der


Einzige, den die Fulani weiter duldeten. Alle anderen
flohen. Bis zum Winter schien sich die Situation so weit


beruhigt zu haben, dass Moses die Geflohenen von Daso
aufforderte, in ihr Dorf zurückzukehren. Doch hatte er die


Lage verkannt. Kurz darauf griffen die Fulani erneut an.
Wieder brannte es. Seither setzt sich der Kleinkrieg fort.


Niemand weiß, wie die Spirale der Gewalt zu stoppen ist.
In der Nacht ruft der Pfarrer den Fulani-Führer in Wur-


dyanka an, den Ardo. Ardos sind die traditionellen Ober-
häupter der Fulani. Diesem Ardo untersteht auch Gagau. Er


streitet jede Verantwortung für den Zwischenfall ab. Wenig
später erscheint auf dem Pfarrhof eine kleine Delegation,


um den zusammengeschlagenen Jungen mitzunehmen. »Es
gibt nur einen Weg, das Problem zu lösen«, sagt einer der
Fulani-Gesandten: »Entweder wir besiegen euch, oder ihr
besiegt uns. Sonst wird es nie Frieden geben.« Gegen den
Protest der Dorfmilizionäre geben die Soldaten den Jungen
frei. Sie wollen keinen Ärger mit den Fulani. Es gibt keine
Gerichtsverhandlung, obwohl das Gericht nur ein paar Kilo-
meter entfernt in der nächsten Stadt ist. Schuld wird nicht
öffentlich mit Zeugen abgewogen. Beide Seiten haben keine
Chance, ihre Vorwürfe und Verteidigungen einzubringen.
So folgt Monat für Monat Rache auf Rache. So legt sich
Schuld auf Schuld.
Am nächsten Tag ist der Unmut in Bare groß. Allein durch
die Überfälle auf die Zugangsstraße sind in den letzten Mo-
naten fünf Dorfbewohner ums Leben gekommen. »Jetzt
hat man einen Verbrecher gefangen, und man lässt ihn lau-
fen«, schimpft Alice Charles Leku, eine von Charles Lekus
drei Witwen. Sie sitzen vor den Hütten ihrer Verwandten,
bei denen sie seit ihrer Vertreibung aus Daso wohnen. Die
Frauen, 54, 39 und 33 Jahre alt, tragen bunte Kopftücher
und Shirts aus europäischen Altkleidersammlungen. Charles
Leku war einer der Dorfältesten, Vorsitzender der PDP, der
People’s Democratic Party, bis vor Kurzem die Regierungs-
partei Nigerias. Leku und Pfarrer Moses waren diejenigen,
die das Dorf bei Konflikten sandte, um mit den Fulani zu
verhandeln. Auch am Morgen des 29. August 2018 hatten
sie beide um Aussöhnung mit den Fulani gerungen. Nur
Stunden später war Charles Leku tot.

Dorcas Charles Leku, 39, sagt:
»An diesem Tag besuchten wir zum ersten Mal wieder
unsere Felder. Seit dem Überfall im Juni 2018 hatten wir
uns nicht getraut, dorthin zu gehen. Mein Mann begleitete
mich, wir hatten noch unseren Sohn Donald dabei. Der war
vier Monate alt. Wir gingen von Bare zu Fuß nach Daso. Da
haben wir früher gewohnt. Im Westen von Daso liegt mein
Reisfeld. Als wir ankamen, sahen wir, dass der Reis schon
ziemlich hoch stand. Da hörten wir Schüsse. Sechs Männer
rannten auf uns zu. ›Lauf!‹, rief Charles zu mir, und ich lief.
Auch Charles begann zu laufen, aber er rutschte aus. Dann
hatten sie ihn. Sie sagten zu mir: ›Wir werden dir nichts
tun. Wir wollen nur deinen Mann.‹ Ich habe noch gesehen,
wie sie begannen, mit Macheten auf ihn einzuschlagen. Er
schrie. Er schrie den Namen seines Sohnes Donald. Dann
rannte ich weg. Ich habe nicht gesehen, wie sie ihm den
Kopf abgeschlagen haben. Aber als unsere Männer ihn ins
Dorf brachten, fehlte Charles’ Kopf.«

Fast jede Familie in Bare hat Angehörige verloren. Fast
jeder Haushalt hat Vertriebene aus Daso aufgenommen.
Die meisten Hütten sind völlig überfüllt und ähneln Not-
lagern. Sogar halb eingefallene Zimmer sind bewohnt.
Die drei Witwen hatten zu Lebzeiten ihres Mannes zu
den wohlhabenderen Familien im Ort gehört. Ihr Mann
beschäftigte drei Lohnarbeiter auf seinen Feldern. Es war

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