Die Zeit - 12.03.2020

(backadmin) #1

genug Geld da, um die größeren Kinder zur Schule zu


schicken. Jetzt mussten sie sechs von zehn Kindern von
der Schule nehmen. Ihre Felder sind unbebaut, sie arbei-


ten als Tagelöhnerinnen: Eine verdient mit Wasserschlep-
pen etwas Geld, eine andere mit Bierbrauen, die Dritte auf


den Feldern anderer. Doch gibt es nicht jeden Tag Arbeit.
Viele in Bare leiden Hunger.


Begraben ist Charles Leku unter dem Blätterdach des
Heiligen Baumes von Bare. Darin, so glauben hier viele,


wohnt der Geist von Nkut, dem Schutzgott des Dorfs. Im
Schatten des Baums sitzt Martin Leku, der jüngere Bruder


von Charles, auf einer Matte. Er ist der Hohepriester des
Ortes und empfängt unter dem Baum Kranke und Ver-


zweifelte. »Ich frage mich, was sie mit dem Kopf meines
Bruders machen«, sagt er. Mit Jubel und Freudenschüssen,


so erzählten ihm Augenzeugen, hätten die Fulani auf den
Anblick des Kopfs reagiert. Mit dem Schädel eines der


wichtigsten Männer im Dorf, so der Aberglaube, befinde
sich der ganze Ort in ihrer Gewalt.


Seither bemüht sich der Hohepriester, das Haupt seines
Bruders zu finden. Er reiste zu einem Kollegen einige Dör-


fer weiter, der streute Kräuter in Wasser. Beide schauten
hinein, so erzählt er, und sahen den Kopf von Charles im


Wasser, das Gesicht nach oben, die Hände vieler Menschen
unter sich. »Da wussten wir, die Fulani haben ihn noch.«
Martin Leku ging auch zu einem anderen Zauberer, einem
Seher, spezialisiert auf die Auffindung von Vermissten. Der
Seher baute einen kleinen Spiegel aus Glas und vier hand-
geschnitzten Hölzern, wedelte darüber mit einem Kuh-
schwanz, dann schauten sie gemeinsam hinein.
Die ersten Minuten sahen sie nichts, dann erschien ihnen
der Kopf von Charles. Dieses Mal lag er auf einem Fels-
block, zu dessen Füßen viele Fulani saßen. Der Seher
konnte sogar die genaue Lage des Felsblocks beschreiben.
Martin Leku kehrte nach Bare zurück und bat sieben jun-
ge Männer, ihn zu begleiten, mit Gewehren und Pfeil und
Bogen. Doch als sie am nächsten Tag den Felsen erreichten,
war da kein Schädel. Vier Zauberer hat Leku mittlerweile
mit der Suche beauftragt und viel Geld ausgegeben.
»Das Land ist groß genug für die Fulani und für uns«,
sagt er, zu ihm pilgern immer noch mehr Menschen als zu
Father Moses. »Aber die Fulani wollen uns loswerden. Sie
wollen das ganze Land für sich.« Darin sind sich der Pfarrer
und der Zauberer in Bare einig.
In der Hauptstadt Abuja diskutiert die Elite des Landes
seit Jahren über Wege, dem Gemetzel ein Ende zu setzen.

Father Moses, der Pfarrer des Dorfs, versucht zu vermitteln,
doch es gelingt ihm immer seltener. Manchmal wird er selbst gewalttätig

34

Free download pdf