Die Zeit - 12.03.2020

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(^21) 12. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12 GESCHICHTE
Vor 50 Jahren
litt Westafrika
unter einer
schweren Dürre
Fotos (Ausschnitte): picture-alliance/dpa
Der verletzliche Kontinent
Für Afrika sind die Folgen der Erderwärmung kein bloßes Zukunftsszenario mehr.
Der Klimawandel hat hier bereits Spuren hinterlassen VON ANDREAS ECKERT
E
s ist eine Plage von biblischem
Ausmaß: Abermillionen Heu­
schrecken fressen seit Beginn die­
ses Jahres ganze Landstriche im
Osten Afrikas kahl. Die Vereinten
Nationen warnen vor einer Hun­
gersnot. Es wäre nicht die erste, die
den afrikanischen Kontinent in den vergangenen
Jahrzehnten heimgesucht hat.
Heimgesucht? Biblisches Ausmaß? Die Meta­
phern sind schnell zur Hand. Doch das Geschehen
ist kein Schicksal und kein Verhängnis. Es ist höchst­
wahrscheinlich menschengemacht. Ex trem wet ter­
lagen wie Zyklone haben infolge der Erderwärmung
im Osten Afrikas ideale Brutbedingungen für
Heuschrecken geschaffen. Der Kontinent gilt heute
vielen Beobachtern als erster großer Schauplatz der
Klimakatastrophe, und auch schon bei ver gan genen
Hungersnöten, vermuten Wissenschaftler, spielten
vom Menschen verursachte klimatische Verände­
rungen eine Rolle. Die Historiker zwingt dies,
gängige Deutungen und überkommene Afrikabilder
infrage zu stellen. Es eröffnet ihnen aber auch neue
Perspektiven – denn die jüngere afrika nische
Geschichte führt beispielhaft vor Augen, welch
dramatische soziale und politische Folgen klima­
tische Einschnitte haben können.
»Die Tiere starben – die Ziegen, die Rinder, die
Kamele – und dann die Menschen, zuerst die Al­
ten, dann die Kranken und die Kinder. Dann sind
wir weitergezogen.« Dies berichtete ein Dorf­
bewohner in Mali Anfang 1973 einem deutschen
Reporter. In der Sahelzone im westlichen Afrika
hatte es damals seit nahezu fünf Jahren nicht mehr
geregnet. Ganze Ernten fielen aus, Bauern began­
nen ihr Saatgut zu essen, verließen ihre Dörfer,
irrten umher. »Oh Gott, der Du die Ozeane mit
Wasser fülltest, mach unser Land wieder fruchtbar.
Melke Regen vom Himmel für die leidenden Mus­
lime«, flehten Prediger in den Dürregebieten. Fo­
tos in der westlichen Presse zeigten ausgemergelte
Menschen, staub trockene Böden und Rinderkada­
ver, über deren Knochen sich das Fell spannte. Die
Herrschenden in den betroffenen Ländern spielten
die Situation herunter. »Ich kann mich an Konfe­
renzen erinnern, auf denen uns die Vertreter der
Regierung fragten, von welcher Dürre wir über­
haupt sprechen«, erinnert sich Adolf Wenzel vom
katholischen Hilfswerk Misereor.
Als es endlich wieder regnete, waren 100.000
Menschen an den Folgen der Dürre gestorben.
Zehntausende waren in die Städte gezogen, wo sie
sich in Slums ansiedelten, ohne große Aussicht auf
Arbeit, angewiesen auf Almosen und Hilfsgüter. Die
Einwohnerzahl der mauretanischen Hauptstadt
Nouak chott wuchs binnen weniger Jahre von
30.000 auf mehr als 100.000 an. Die meisten Neu­
ankömmlinge waren Nomaden und kamen in einem
Flüchtlingscamp vor den Toren der Stadt unter. Ihre
angestammte Lebensgrundlage, ihr Vieh, war ihnen
genommen: In den Sahelländern verendeten wäh­
rend der Dürre mindestens 30 Millionen Tiere.
Viele Experten und Journalisten sahen damals just
in der traditionellen Lebensweise der Betroffenen den
Grund für die katastrophale Lage. Damit standen sie
in der Tradition kolonialer Ideologien, die Afrikanern
unterstellten, nicht angemessen mit ihren Ressourcen
umgehen zu können. »Das Vordringen der Wüste«,
behauptete etwa der Experte der Vereinten Nationen
Henry A. Fos brooke 1973 auf einer Tagung in Lon­
don, »ist weitgehend eine Folge des Missmanage­
ments des Bodens durch den Menschen.« Und der
Londoner Geografie­Professor Dick Hodder sekun­
dierte, dass es »ohne die Menschen und die Herden
im Sahel kein Dürre­Problem« gäbe. Die Ursache der
Misere sei, dass die Hirten im Sahel ihre Herden vor
allem aus Pres tigegründen hielten. Hohes Ansehen
sei mit viel Vieh verbunden. »Fulbe­Sippen betrauern
den Tod einer Kuh wie den Tod eines Angehörigen.
Notwendige Güter erwerben die Nomaden im
Tausch. Den Brautpreis zahlen sie nach wie vor in
Vieh«, wusste der Spiegel zu berichten.
Dieses »archaische System«, in dem aufgrund von
Krankheiten Bevölkerung und Viehbestände kaum
wuchsen, sei infolge der in den Fünfzigerjahren ein­
setzenden Modernisierung an seine Grenzen geraten.
Impfkampagnen etwa gegen Pocken, die Immuni­
sierung der Herden gegen die Rinderpest und der
Bau von Brunnen hätten eine wahre Bevölkerungs­
explosion ausgelöst – ohne dass die Sahelbewohner
ihre Lebensweise geändert hätten. Sie hätten weder
neue Brunnen gebaut noch ihre Produkte Fleisch,
Häute und Wolle ordentlich vermarktet, noch die
immer größer werdenden Herden daran gehindert,
das Weideland abzugrasen. Mancherorts habe sich
die Sahara dadurch Jahr für Jahr kilometerweit voran­
gefressen. Viele Forscher glaubten, die Expansion
von Viehzucht und Ackerbau habe eine Spirale in
Gang gesetzt: Das Abholzen der natürlichen Vege­
tation habe zu weniger Regen geführt und dies
wiederum zu weniger Vegetation und so fort.
D
as beste Gegenmittel hätte dem­
nach der Import von westlichem
Know­how sein müssen, wie er seit
der späten Kolonialzeit immer wie­
der praktiziert wurde. Auf oft bra­
chiale Weise haben Landwirtschaftsexperten ver­
sucht, vermeintlich schädliche afrikanische Prakti­
ken durch wissenschaftlich fundierte Vorgehens­
weisen zu ersetzen. Dies aber provozierte häufiger
Streit und erzeugte Unsicherheit, als dass es Ver­
besserungen gebracht hätte. Inzwischen existiert
eine umfassende Forschung zur Umweltgeschichte
Afrikas, die zeigt, wie sorgsam sich Bauern und
Nomaden zu verschiedenen Zeiten an ökologische
Herausforderungen angepasst haben. Man muss
das lokale Wissen deshalb nicht romantisieren,
doch bis heute tun sich viele im Norden schwer,
überhaupt Respekt für die Fähigkeit afrikanischer
Gesellschaften aufzubringen, unter oft schwierigs­
ten Bedingungen ihr Überleben zu organisieren.
Die Nomaden des Sahel wurden mittlerweile
zumindest von einigen Klimaforschern rehabilitiert.
So kommen neuere Stu dien aus den USA zu dem
Schluss, dass in den Sechziger­ und Siebzigerjahren
vor allem die Kohleverfeuerung in Nordamerika und
Europa für die Dürre verantwortlich gewesen sei.
Die aus den Fabriken ausströmenden Aerosole
hätten die gesamte nördliche Hemisphäre abgekühlt
und dadurch die tropischen Regenlinien gen Süden
verschoben, sodass die Niederschläge die Sahel­
region nicht mehr erreichten. Im Rückblick er­
scheint die Dürre von vor 50 Jahren somit fast wie
ein Menetekel der durch Klimaveränderungen aus­
gelösten ökologischen Verwerfungen der Gegenwart.
Das Afrikabild hat sich seither wenig gewandelt.
Aus dem »Kontinent der Hoffnung«, als der Afrika
vielen nach der Dekolonisation in den Sechziger­
jahren galt, war in den Augen der Weltöffentlichkeit
seit dem Biafra­Krieg in Nigeria von 1967 bis 1970
ein krisengeschüttelter Weltteil geworden – ein
Terrain für Armutsexperten, abhängig von der Hilfe
aus dem reichen Norden.
Bis diese Hilfe kam, vergingen im Fall der
Sahel dürre mehrere Jahre. Eingesetzt hatte das Ex­
tremwetter 1968, doch erst einem Aufruf der
Welternährungsorganisation vom Mai 1973 folg­
ten verstärkt Spenden und Nahrungsmittelliefe­
rungen. Allein die USA verschifften 600.000 Ton­
nen Getreide nach Westafrika.
In den frühen Achtzigern betraf die Trockenheit
dann vor allem Äthiopien am östlichen Rand des
Sahel. Die nun anrollende Hilfswelle war um ein
Vielfaches größer als im Jahrzehnt zuvor.
In Äthiopien selbst zeigte sich unterdessen, welch
desaströse Auswirkungen es haben kann, wenn eine
existenzielle Umweltkrise politisch instrumentalisiert
oder geleugnet wird. So nutzte der kommunistische
Diktator Mengistu Haile Mariam die Notlage, um
Aufstände niederzuringen. Die Regierung versuch­
te, widerspenstige Untertanen zur Loyalität zu
zwingen, indem sie Lebensmittellieferungen blo­
ckierte. Millionen Zivilisten gerieten so zwischen
die Fronten von Regierung und Rebellen, die den
Krieg gleichermaßen rücksichtslos führten. Hundert­
tausende flohen in den benachbarten Sudan, wo sie
in improvisierten Flüchtlingslagern dahinsiechten.
Ironischerweise hatte ausgerechnet die Unfähig­
keit der Vorgängerregierung, mit den Folgen von
Dürre und Hunger umzugehen, dazu beigetragen,
Mengistu an die Macht zu bringen. 1973 waren mehr
als 200.000 Bauern in Äthiopien verhungert, doch
Kaiser Haile Selassie behandelte die Krise wie ein
bloßes Ärgernis. Zögernd mobilisierte die Regierung
interne Ressourcen und äußere Hilfe – und expor­
tierte weiterhin große Mengen an Agrar gütern. Die
Proteste gegen diese mörderische Misswirtschaft
führten schließlich mit zur Absetzung des Kaisers.
M
it der Skrupellosigkeit diktato­
rischer Regime allein lässt sich die
Verletzlichkeit afrikanischer Ge­
sellschaften indes nicht erklären.
Die offenkundigen ökologischen
Probleme auf dem Kontinent sind seit der Kolo­
nialzeit auch eng mit Interventionen von außen
verbunden. In den aktuellen Klimadebatten wird
dabei zu Recht die Landfrage hervorgehoben.
Denn nicht nur Dürren und Kriege, auch die
fortschreitende internationale Privatisierung von
Grund und Boden haben die Aus ein an der set zun­
gen um Acker­ und Weideland verschärft.
Seit den Fünfzigerjahren weisen Experten darauf
hin, dass sichere Besitzverhältnisse den Bauern An­
reize und Möglichkeiten verschaffen, besser zu wirt­
schaften. Eigener Grundbesitz bilde die Grundlage
für Kredite, um Dünger oder Gerätschaften zu
finanzieren, und er versetze erfolgreiche Bauern in
die Lage, ihre Farmen auszubauen. Seit geraumer
Zeit versucht die Weltbank, afrikanische Staaten zu
solchen Reformen zu bewegen. Trotzdem sind bisher
nur fünf bis zehn Prozent des Ackerlands südlich der
Sahara staatlich registriertes Eigentum von privaten
Besitzern. Die Unterschiede zwischen den einzelnen
Ländern sind enorm und reichen von 72 Prozent
registrierten Ackerlands in Südafrika bis zu zwei
Prozent in Tansania.
Parallel ist eine andere Entwicklung zu beobach­
ten: das sogenannte Land­Grabbing – die teils ille­
gale Aneignung von Agrarland durch internationa­
le Akteure. Dahinter steckt das Bestreben von In­
vestoren aus China, Südkorea, Indien und vom
Persischen Golf, die Nahrungsversorgung ihrer
Regionen zu sichern. Zudem investieren Unterneh­
men in die großflächige Produktion von Biokraft­
stoffen. Afrikanische Regierungen auf der Suche
nach ausländischem Kapital zeigten sich ihrerseits
in der jüngeren Vergangenheit gerne bereit, große
Landflächen zu verkaufen. Die Einheimischen, hieß
es dann oft, nutzten das Land ohnehin nur unzurei­
chend. Die Regierung von Madagaskar ging so weit,
einen Gutteil der Inselfläche an eine südkoreanische
Firma zu veräußern. Die Transaktion löste Massen­
proteste aus und mündete 2009 in einem Putsch,
der den Präsidenten aus dem Amt fegte.
Kritiker fürchten, dass die fortschreitende Privati­
sierung zu unkontrollierbaren Konflikten führen und
die ländliche Armut eher vergrößern als eindämmen
wird. Wo Menschen auf der Suche nach Grund
und Boden migrieren, kam es in den vergangenen
Dekaden regelmäßig zu Spannungen zwischen »ein­
heimischen« und »fremden« Bauern, etwa an der
Elfenbeinküste, in Kamerun und in Kenia.
In westlichen Medien ist dann oft von »Stammes­
fehden« die Rede – als handelte es sich um archaische
Machtkämpfe. Dabei verbergen sich dahinter kom­
plexe ökonomische Konflikte und globale Prozesse.
So drängten etwa in den Achtziger­ und Neunziger­
jahren internationale Finanzorganisationen afrika­
nische Regierungen dazu, staatliche Arbeitsplätze in
den Städten abzubauen, um ihre Ausgaben zu
verringern. Zugleich wuchs die ländliche Bevölke­
rung, was schwere Aus ein an der set zun gen provozierte
zwischen arbeitslos gewordenen Städtern, die zum
Überleben auf Subsistenzproduktion in ihren Heimat­
regionen angewiesen waren, und besser situierten
Bauern, die für den Markt produzieren wollten.
Das nach wie vor verbreitete Bild vom ewig rück­
ständigen Elendskontinent lässt dabei gleich drei
Dinge aus dem Blick verschwinden: dass Afrika nicht
arm ist, sondern es bis heute seine Reichtümer sind,
die Begehrlichkeiten wecken und Verteilungs kämpfe
provozieren. Dass der »Westen« und andere aus­
ländische Mächte eher selten als Helfer und Problem­
löser auftreten, sondern viele Probleme durch ihre
Einflussnahme mit erzeugen und aufrechterhalten.
Und dass diese Interventionen den Kontinent mit­
unter noch anfälliger gemacht haben für die Folgen
des Klimawandels, den vor allem die reichen Indus­
trienationen zu verantworten haben.
Dürre, Kriege, aber auch unzureichende Mög­
lichkeiten, Geld mit ihren landwirtschaftlichen
Erzeugnissen zu verdienen, haben Millionen Men­
schen aus dem ländlichen Afrika dazu gebracht, in
die Städte zu ziehen (oder, sehr viel seltener, den
Weg nach Europa zu wagen). Die rapide wachsen­
den Metropolen Afrikas verschlingen wiederum
nicht unbeträchtliche Mengen potenziellen Agrar­
landes. Zugleich werden viele der von ausländischen
Konsortien erworbenen Flächen derzeit gar nicht
kultiviert, sondern dienen lediglich als Option für
die Zukunft.
Die aktuelle Heuschreckenplage in Ostafrika ist
die wohl schlimmste seit einem Vierteljahrhundert.
Die öffentliche Aufmerksamkeit hält sich in Gren­
zen. Vielleicht, weil die sich anbahnende Katastro­
phe mit zu vielen anderen Konflikten konkurriert,
die uns näher sind. Vielleicht aber auch, weil Afrikas
Krisen mehr mit der west lichen Welt zu tun haben,
als diese sich gemeinhin eingestehen will.
Andreas Eckert ist Professor für die Geschichte Afrikas
an der Humboldt­Universität zu Berlin
Derzeit fallen
Heuschrecken
über die Felder
Ostafrikas her
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