Die Zeit - 12.03.2020

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30 WIRTSCHAFT 12. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12


Die unsichtbare Frau


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ZEIT-GRAFIK/Quellen:
Bürotemperaturen: Kingma/van Marken Lichtenbelt, Nature Climate Change 5/2015
Schutzkleidung: WES, WISE, TUC, IMechE, 2016
Spracherkennung: Rachael Tatman, »Google’s speech recognition has a gender bias«
Sicherheitsgurte: Bose/Segui-Gomez/Crandall, American Journal of Public Health, Dez. 2011
Werkzeuge: Green Heron Tools
Klaviertastatur: Boyle/Boyle/Booker, 12th Australasian Piano Pedagogy Conference Proceedings
Militärdienst: UK Ministry of Defence, 2014
Familie: UN Women, »Progress of the World’s Women 2015-2016«
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Von der Bürotemperatur bis zum Crashtest: Männer sind der Maßstab, an dem sich viele Regeln orientieren.
So werden Frauen benachteiligt – manchmal mit gefährlichen Folgen VON DOREEN BORSUTZKI (GRAFIK) UND RUTH EISENREICH
D
er Mann ist der Standard, die
Frau das Andere, das Abwei-
chende: Diese Ansicht mag
heute kaum jemand mehr aus-
drücklich vertreten, aber sie hat
die Welt geprägt, in der wir leben. Denn viele
der Dinge und Regeln, die uns umgeben, basie-
ren vor allem auf Daten und Erfahrungen von
Männern. Medikamente, die nur an Männern
getestet wurden; Smartphones, die die meisten
Männer gut halten können, viele Frauen aber
nicht; Gesundheits-Apps, die alle möglichen
Körperwerte überwachen können, nicht aber
den Zyklus – das sind Beispiele für die Aus-
richtung am Mann als Maß aller Dinge.
In ihrem Buch Unsichtbare Frauen analysiert
die britische Journalistin Caroline Criado-
Perez anhand von unzähligen solcher Beispie-
le, »wie eine von Daten beherrschte Welt die
Hälfte der Bevölkerung ignoriert«. Eine Aus-
wahl der von ihr zusammengetragenen Er-
kenntnisse stellen wir auf dieser Seite vor. Es
geht dabei nicht nur um einige skurrile und
eher harmlose Fälle von Benachteiligung, son-
dern auch um eine Diskriminierung, die fatale
Folgen haben kann. So werden etwa für Crash-
tests standardmäßig Puppen verwendet, die
sich an den Maßen und dem Körperbau eines
durchschnittlichen Mannes um das Jahr 1970
herum orientieren. Der standardisierte Crash-
test-Dummy ist 1,75 Meter groß und 78 Kilo
schwer. Für manche Tests wird zusätzlich ein
kleinerer Dummy verwendet, aber meist nur
auf dem Beifahrersitz. Womöglich ist das eine
Erklärung dafür, dass Frauen bei Unfällen
häufiger Verletzungen erleiden als Männer.
Bürotemperatur
Die Standardtemperatur in US-
amerikanischen Büros ist für Frauen
um knapp drei Grad zu kalt, weil die
Formel dafür auf dem Stoffwechsel
eines 40-jährigen, 70 Kilo wiegenden
Mannes beruht und den
Energie bedarf von Frauen um bis zu
35 Prozent unterschätzt.
Schutzkleidung
In einer Umfrage von 2016 unter
3086 Frauen in Großbritannien, die
bei der Arbeit Schutzkleidung tragen,
sagten nur 29 Prozent, ihre Kleidung
sei für Frauen entworfen.
Im Energiesektor gaben nur zehn
Prozent an, ihre Schutzkleidung sei
an Frauen angepasst.
41 Prozent der befragten Frauen
sagten, ihre Hosen passten ihnen
nicht.
Bei Overalls waren es 35 Prozent.
Elf Prozent der Frauen gaben an, ihre
Schutzkleidung behindere sie
»signifikant« bei der Arbeit.
Spracherkennung
Googles Spracherkennung
identifiziert 60 Prozent der von
Männern gesprochenen Worte
richtig, aber nur 47 Prozent der von
Frauen gesprochenen, ergab eine
Studie im Jahr 2016.
Klaviertastatur
Passt die Tastatur eines Klaviers zu
Frauenhänden? 78 Prozent der
Pianistinnen litten schon einmal an
einer Überlastung der Hände – aber
nur 47 Prozent der männlichen Pia-
nisten.
Sicherheitsgurte
Angegurtete Frauen haben bei Auto-
unfällen ein um 47 Prozent höheres
Risiko, schwer verletzt zu werden, als
angegurtete Männer.
Das Risiko einer leichten Verletzung
liegt sogar 71 Prozent höher. Vergli-
chen wurde jeweils das Risiko bei glei-
chem Alter, gleicher Größe, gleichem
Gewicht und vergleichbarem Unfall.
Militärdienst
Die Gefahr, dass eine Soldatin im
britischen Militär eine Übermüdungs-
fraktur der Hüfte oder des Beckens
erleidet, ist zehnmal so hoch wie bei
einem männlichen Soldaten.
Werk z eu ge
86 Prozent von 272 befragten US-
Landwirtinnen gaben 2015 in einer
Umfrage eines Herstellers von
Werkzeug für Frauen an, Schwierig-
keiten mit mindestens einem ihrer
Geräte zu haben.
40 Prozent erklärten, sie hätten sich
bei der Arbeit eine
Verletzung oder eine chronische
Krankheit zugezogen, die sie bei ihrer
Arbeit behindere. Ist das Werkzeug
also nicht für Frauen geeignet? Leider
fehlen Vergleichszahlen für Männer.
Familie
In der EU geben 25 Prozent der
Frauen, aber nur drei Prozent der
Männer familiäre Verpflichtungen als
Grund dafür an, dass sie keiner
Erwerbsarbeit nachgehen.
Caroline Criado-Perez ist Autorin und
Rundfunkjournalistin. Ihr Buch
»Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten
beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung
ignoriert« erschien dieses Jahr im btb Verlag;
496 S., 15,– €

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