Die Zeit - 12.03.2020

(backadmin) #1
Mordlüstern streift der Spieler durch aufwen-
dig programmierte Welten. Virtuelles Blut
spritzt. Pixelwesen taumeln. So oder so ähn-
lich ist es bei fast jedem Computerspiel aus
dem Genre »Action Adventure«. Wer die
richtige Strategie hat und schnell reagiert,
kann sich aus jeder noch so misslichen Lage
an jedem noch so entlegenen Ort befreien
und am Ende: siegen!
Zu den besonders erfolgreichen PC-Spie-
len gehört die vom französischen Unterneh-
men Ubisoft entwickelte Serie Assassin’s
Creed. Seit der ersten Folge ist der Hersteller
dafür bekannt, bei der Erschaffung der Spiel-
welten auf historische Korrektheit zu achten.
Die Pixelpaläste und -kathedralen sind so
detailliert, dass im vergangenen Jahr Diskus-
sionen im Netz darüber geführt wurden, ob
Ubisoft nicht bei der Rekonstruktion der
vom Feuer zerstörten Kathedrale Notre-Dame
behilflich sein könne, schließlich besitze nie-
mand perfektere 3-D-Grafiken des Gottes-
hauses. Seit Jahren finden junge Historiker
und Archäologen in der Gaming-Industrie
ein Berufsfeld.
Bei so viel Liebe zum Detail: Warum
muss man in diesen Spielen immer irgend-
welche Pixelwesen abmurksen und kann
nicht einfach durch die virtuelle Welt spazie-
ren? Vermutlich weil ein solches allein auf
Neugier und Müßiggang statt auf Eroberung
ausgelegtes Konzept kommerziell nicht er-
folgreich wäre. Doch seit Kurzem ist genau
das trotzdem möglich: Im »Discovery Tour«-
Modus kann man ohne Gemetzel durch die
Spiel-Welten streifen. Die faktengesättigten
Wissensspaziergänge waren zunächst nur als
Zugabe für Assassin’s Creed-Fans gedacht.

Mittlerweile kann man die Touren auch
separat kaufen.
Also ab auf den Peloponnes. Avatar aus-
wählen: Kassandra. Ort der ersten Tour:
Sparta. Guide begrüßen: Leonidas. Dass Kas-
sandra in der griechischen Mythologie die
Tochter des Priamos und Leonidas der wohl
berühmteste König Spartas war, wird sich so
manchem vielleicht erst während der Ent-
deckungstour erschließen. Nach ein paar
holprigen Schritten hat man die Tas ten kom-
bi na tion zur Fortbewegung raus und läuft mit
Kassandra eine goldene Linie entlang.
Auf dem Weg durch Sparta lernt der Spie-
ler häppchenweise das Wichtigste über das
strenge Erziehungssystem Spartas und den
Alltag der paides (Jungen ab sieben Jahren),
der paidiskoi (Jugendliche ab etwa 14 Jahren)
und der hebontes (junge Männer ab 20 Jah-
ren). Das Prinzip des goldenen Weges mit der
Stimme aus dem Off würde schnell etwas
langweilig, tauchten nicht zusätzliche Klick-
flächen auf. Wer sie vergrößert, sieht Fotos
und liest Texte zu Artefakten aus berühmten
Museen. Hat man alle Winkel abgeklappert,
tritt Leonidas wieder vor und fragt, ob man
Lust habe, ein paar Fragen zu beantworten.
Plötzlich wird aus der Videospiel-Zweitver-
wertung ein digitales Trivial Pursuit.
Mit den Entdeckungstouren widerlegt
Ubisoft all jene, die dachten, Computerspiele
seien bloß kulturloses Gemetzel. 29 Regionen
mit je fünf verschiedenen Themengebieten
erwarten den Spaziergänger in der virtuellen
Welt: Architektur, Alltag, Kriege, Mythologie
und Philosophie. Auf nach Olympia! Oder
lieber nach Argos? Dort führt kein Geringerer
als Herodot. LOUISA REICHSTETTER

Durch Sparta


ohne Gemetzel


Die Macht der Maschinen


Herodot führt virtuell durch das antike Griechenland

TECHNIK


Auf dem Wasser treibende Barrieren sollen den Abfall in das Maul des »Interceptor« lenken

Illustration: Max Guther für DIE ZEIT; Screenshot: Ubisoft


Ve r s c h l u c k t


Schwimmende Müllsammler sollen die Meere von Plastik befreien.


Doch die Technik hakt, und die Natur leidet VON DIRK ASENDORPF


D


ie Ozeane sind voller Plastik. Mehr
als hundert Millionen Tonnen sol-
len es sein, und jede Minute kommt
eine Lkw-Ladung hinzu. Vor sieben
Jahren gründete der Niederländer
Boyan Slat deshalb Ocean Cleanup. Die Stiftung
hat ein einziges Ziel: die Ozeane von 90 Prozent des
Plastiks zu befreien. Bis heute konnte er 50 Millio-
nen Euro dafür einsammeln.
Inzwischen belegt Ocean Cleanup vier Fabrik-
etagen beim Rotterdamer Hauptbahnhof. 90 Fest-
angestellte arbeiten hier. Der Stuhl des Gründers ist
meistens leer. Boyan Slat hält Vorträge rund um den
Globus, trifft sich mit Spendern und eröffnet Pro-
jekte. In Vancouver lässt Ocean Cleanup »Wilson«
bauen, ein 600 Meter langes Treibnetz, das Plastik
in der Nähe von Hawaii aus dem Nordpazifikwirbel
fischen soll. In Indonesien und Malaysia sind die
ersten beiden »Interceptors« in Betrieb, schwimmen-
de Fließbänder von der Größe eines überlangen Lkw,
die Plastik aus Flüssen fischen sollen. In Vietnam
wartet der dritte Interceptor auf die Zulassung.
Chris Warp ist dafür zuständig, den Überblick
über all diese Aktivitäten zu behalten. Bei einer Füh-
rung durch Interceptor Nummer vier, der bis zu
seiner Auslieferung in die Dominikanische Republik
als Ausstellungsstück im Rotterdamer Museumshafen
liegt, erklärt Warp, wie das Plastik mit schwimmen-
den Barrieren ins Maul des Müllschluckers getrieben
wird, wie der Abfall mit einem Förderband in Con-
tainer verfrachtet und mit Barkassen ans Ufer ge-
bracht werden soll. Dass sich der Interceptor mit
Solarstrom versorgt, 700.000 Euro gekostet hat und
die Serienproduktion deutlich billiger werden soll.

Nur auf eine Frage gibt Warp keine Antwort:
Wie viel Plastik Ocean Cleanup denn bisher ein-
gesammelt hat. Im Pazifik waren es nur einige
Dutzend Säcke, welche die Stiftung stolz präsen-
tierte. Denn der erste Wilson war schon nach drei
Monaten defekt. In Indonesien könnte der Inter-
ceptor täglich 1,8 Tonnen Abfall aus dem Wasser
holen, ein Drittel davon Plastik, der Rest vor allem
Wasserpflanzen. So berichtet es die Jakarta Post
unter Berufung auf eine Pressekonferenz von
Ocean Cleanup und dessen Sponsor Danone.
»Wir sind noch in der Testphase und sammeln Er-
fahrungen«, sagt Warp knapp.
Zwischen einem Viertel und der Hälfte des Plas-
tiks, das neu im Meer landet, gelangt über gerade
einmal zehn Flüsse dorthin – zwei davon in Afrika,
die anderen in Asien. Der Jangtsekiang spült jedes
Jahr mehr als 300.000 Tonnen Plastik ins Chinesische
Meer. Könnte ein Interceptor tatsächlich 50 Tonnen
Müll am Tag, ein Drittel davon Plastik, beseitigen,
würden gut 50 dieser Müllschlucker reichen, um den
größten Fluss Chinas zu säubern. Nach den ersten
Erfahrungen in Jakarta könnten aber hundertmal so
viele nötig sein. Tausend Flüsse will Ocean Cleanup
in den nächsten fünf Jahren mit schwimmenden
Müllschluckern ausstatten. Tatsächlich ist die Stif-
tung den selbst gesteckten Zielen aber sieben Jahre
nach ihrer Gründung kaum näher gekommen.
Viele Meeresschutzexperten wundert das nicht.
»Wenn Ocean Cleanup behauptet, die Ozeane
vom Plastik zu befreien, dann ist das unaufrichtig
und irreführend«, sagt zum Beispiel Eben Schwartz.
Er ist in der kalifornischen Küstenschutzbehörde
für das Thema Müll im Meer zuständig. Im besten

Fall könnten Wilson und Interceptor »einen sehr
kleinen Teil dessen beseitigen, was an der Ober-
fläche schwimmt«. Doch das mache nur wenige
Prozent der Gesamtmenge aus.
Kritik kommt auch von Meeresbiologen. »Die
Oberfläche der Meere und Flüsse ist ein sehr produk-
tiver Lebensraum, das reicht von Mikroorganismen
bis hin zu großen Tieren«, sagt Lars Gutow, der sich
am Bremerhavener Alfred Wegener Institut mit den
Lebewesen auf und direkt unter der Wasseroberfläche
beschäftigt. Sie treiben oft mit der Strömung und
finden sich deshalb besonders dort, wo sich auch der
Müll ansammelt. »Und wenn Sie das filtern, dann
lässt es sich überhaupt nicht vermeiden, dass man
auch große Mengen an Biomasse abschöpft, die
eigentlich in die Flüsse und das Meer gehört.«
Und so neu, wie sie im Internet beworben wer-
den, sind die Ideen von Ocean Cleanup zudem
nicht. Im Hafen von Baltimore ist schon seit sechs
Jahren ein dem Interceptor recht ähnlicher Plastik-
sammler im Einsatz, genannt Mr. Trash Wheel. Und
Hunderte Organisationen säubern weltweit Strände
und Klippen vom Müll. Das ist einfacher und wohl
auch effektiver als die Sammlung auf hoher See,
denn ein Großteil des ins Meer gespülten Plastiks
landet schon recht bald wieder an einer Küste.
Die Ozeanografin Kim Martini war 2014 die
erste Wissenschaftlerin, die sich mit einer ausführ-
lichen Kritik an Ocean Cleanup zu Wort gemeldet
hatte. Wichtiger als alle Versuche, Plastik aus dem
Wasser zu fischen, seien Abfallmanagement und
Gesetze, um zu verhindern, das es überhaupt hinein-
gelange, sagt sie heute. »Zugegeben, das ist nicht so
aufregend wie gigantische Technik. Dafür wirkt es.«

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