Die Zeit - 12.03.2020

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Patricia Riekel, 70, mit ihrem Hund Emil

»Macht verändert


Männer mehr als


Frauen«


Patricia Riekel war 20 Jahre lang Chefredakteurin der »Bunten«.


Jetzt will sie für die FDP in den Münchner Stadtrat. Ein Gespräch über


den Boulevard, #MeToo und die Einsamkeit am Infostand


Fotos (S. 72 u. S. 73): Markus Burke für DIE ZEIT

Für das Gespräch hat Patricia Riekel in
ihr Haus in München-Bogenhausen
ge laden. Sie führt in die Bibliothek, wo
wir gemeinsam mit zwei von Riekels
Katzen und ihrem Hund Emil auf tiefen
Ledersesseln Platz nehmen. Ringsum
Regale bis zur Decke, vollgestellt mit
Büchern, Bildbänden und persönlichen
Andenken. Eine Haushälterin serviert
Rooibos-Vanille-Tee. Auf dem Tisch
liegen Flyer, mit denen Riekel in diesen
Wochen Haustürwahlkampf macht.
»Starke Frauen für Bogenhausen« steht
darauf. Bei den Kommunal wahlen
will die lang jährige »Bunte«-Chefin für
die FDP in den Münchner Stadtrat
einziehen. Bevor das Interview beginnt,
noch schnell ein Gang ins Gästebad.
Neben der Toilette hängt ein Plakat mit
der Aufschrift: »Never forget your first
revolution«.


DIE ZEIT: Frau Riekel, was war Ihre erste
Revolution?
Patricia Riekel: Ach, da gab es einige! Ich
bin ja Jahrgang 49 und voll in der Flower-
Power-Zeit aufgewachsen. Mit 20 habe
ich entschieden, nie wieder einen Büsten-
halter zu tragen. Der stand für mich für
ein veraltetes Sittenbild. Ich zog ihn aus,
was in meinem Fall schon auch eine Pro-
vokation war, und dachte, das ist die
absolute Freiheit. Das kann man sich
heute gar nicht mehr vorstellen, wie man
in den Sechzigerjahren als Mädchen noch
in Kleidervorschriften gefesselt war. Ich
musste bei der Hausschneiderin wahn-
sinnig darum kämpfen, dass ein Rock
oberhalb des Knies enden durfte. So wie
die Mädchen heute rumlaufen, wären wir
damals verhaftet worden, oder man hätte
uns in die Besserungsanstalt geschickt.
ZEIT: Sie waren fast 20 Jahre lang Chef-
redakteurin der Bunten und damit so lan-
ge im Amt wie keiner Ihrer männlichen
Vorgänger. Ihr Nachfolger ist nun wieder
ein Mann. In der Politik läuft es gerade
ähnlich: Um den CDU-Vorsitz bewerben
sich lauter Männer, keine einzige Frau. Ist
die Zeit der Frauen schon wieder vorbei?
Riekel: Das glaube ich nicht. Die jungen
Frauen werden heute ein bisschen anders
erzogen, als wir erzogen worden sind. In
meiner Generation war es wahnsinnig
wichtig, unabhängig zu sein, zu zeigen,
was man kann. Dafür haben viele Frauen
einen hohen Preis bezahlt und zum Bei-
spiel – wie ich – auf Kinder verzichtet.
Die Frauen heute wollen nicht mehr um
jeden Preis, also um den Preis ihres Le-
bens, ihrer Identität, ihrer Träume, Kar-
riere machen. Da findet ein Umdenken
statt. Vor allem junge Frauen sagen: Das
ist es mir nicht wert. Als neulich für eine
Chefredakteursstelle speziell eine Frau ge-
sucht wurde, haben einige Kandidatin-
nen abgesagt mit der Begründung: Lieber
nicht, weil das irgendwie mit meinem
Lebensmodell kollidiert. Ich habe Kinder
oder Eltern, die ich pflegen muss. Und
ich habe auch noch mein Hobby. Ist das
ein Zeichen von Schwäche oder von Stär-
ke? Darüber muss man wirklich nach-
denken. Ich glaube, langfristig gesehen ist
es eine Stärke. Frauen gehen sorgsamer
mit ihrem Leben um.
ZEIT: Wir leben im Zeitalter von #Me-
Too: Wurden Sie in 50 Jahren Journalis-
mus jemals sexuell belästigt?
Riekel: Mein einzig wirklich schlimmes
Erlebnis war bei der Illustrierten Quick.
Damals war ich Anfang 20, und ein lei-
tender Redakteur bat mich in sein Büro.
Ich dachte, es gehe um einen Artikel, den
ich geschrieben hatte. Ich ging hinein in
sein Zimmer, und da stand er hinter der
Tür, entblößte sich vor mir und fragte:
»Wie findest du das?« Ich hatte nur einen
Gedanken: Oh Gott, was habe ich falsch
gemacht, dass ich in so eine Si tua tion
gerate? Ich bin stotternd rausgerannt.
Heute, mit meinem Wissen, mit meiner
Erfahrung, würde ich auf seine Frage ant-
worten: »Was meinen Sie? Ich sehe gar
nichts.« Damals aber war ich total ge-
schockt, dass mir das passiert ist.
ZEIT: Sie haben die Schuld bei sich ge-
sucht?
Riekel: Ja. Das ist ja das Problem, dass die
Frauen immer denken, sie hätten Schuld.
Schrecklich! Dieser Vorgesetzte hat mich
dann regelrecht verfolgt. Ich vertraute
mich Kollegen an, und die haben von da
an immer darauf geachtet, dass ich nicht
allein mit ihm war.
ZEIT: Wie erleben Sie die #MeToo-De-
batte, in der Frauen seit Monaten von
ähnlichen und schlimmeren Vorfällen be-
richten?
Riekel: Ich finde das alles grauenhaft, auch
wenn mich nichts davon überrascht. Und
es ist sehr wichtig, dass sich mit dieser
Debatte etwas ändert. Was ich nur ver-
misse, ist, dass auch mal die Seite der Män-
ner beleuchtet wird. Es wird mir zu wenig
darüber gesprochen, dass sich Frauen in
frag liche Situationen begeben, die sie dann
irgendwann nicht mehr steuern können.
ZEIT: Was meinen Sie damit?
Riekel: Wenn ein Filmproduzent, bei
dem ich als Schauspielerin vorspreche,
mir im Morgenrock die Tür öffnet, dann
weiß ich, worauf ich mich einlasse, oder?


Ich glaube, dass viele Frauen sich in Si-
tuationen begeben haben, wo sie gesagt
haben: Das ist jetzt ein Risiko, aber ich
beherrsche das schon. Ich finde, dass
Frauen auf Männer auch Rücksicht neh-
men müssen. Nicht dass wir einen Tscha-
dor anziehen müssen, aber wenn ich
mich provozierend kleide, muss ich damit
rechnen, dass ein Mann darauf reagiert.
Wenn mein Hund eine scharfe Hündin
sieht, kann ich ihn auch tausendmal ru-
fen, er hört dann nicht mehr.
ZEIT: Harvey Weinstein wurde von einem
New Yorker Gericht gerade schuldig ge-
sprochen. Sie stellen es dar, als sei er das
Opfer seiner Hormone.
Riekel: Nein, überhaupt nicht. Der
Mann muss sich natürlich beherrschen.
Aber die Frau sollte zumindest darüber
nachdenken, wie lange sie so ein Spiel
zwischen Mann und Frau steuern kann –
und ob sie vielleicht auch rechtzeitig Nein
sagen muss.
ZEIT: Ein Nein sollte zu jedem Zeitpunkt
gelten.
Riekel: Auf alle Fälle. Aber tut es das? Wie
weit kann ich einen Mann reizen und
dann von ihm verlangen, dass er einen
geistigen Coitus interruptus vollzieht?
ZEIT: Wenn Sie heute Herrn Weinstein
im Gefängnis interviewen könnten: Was
würden Sie ihn fragen?
Riekel: Ich würde ihn nach der Macht
fragen. Wurde er als Kind unterdrückt?
Und hat er sich deshalb, als er selbst
mächtig wurde, irgendwann für unan-
greifbar gehalten? Die Macht verändert
Menschen, vor allem Männer. Mächtige
Männer glauben, sinnbildlich gespro-
chen, dass sie über Wasser gehen können.
ZEIT: Macht verändert Männer mehr als
Frauen?
Riekel: Ja, ganz sicher. Ich war ja selbst
jahrzehntelang in einer – wenn man so
will – mächtigen Position. Seltsamerweise
werden Männer nie danach gefragt, wie
sie mit der Macht umgehen. Das werden
immer nur die Frauen gefragt. Ich wurde
immerzu gefragt: Wie ist das, so mächtig
zu sein?
ZEIT: Was haben Sie geantwortet?
Riekel: Als ich 1996 Chefredakteurin
der Bunten wurde, dachte ich, ich müss-
te wahnsinnig demokratisch sein. Ich
müsste das Gegenteil sein von einem
ziemlich dominanten Chef, wie mein
Vorgänger Franz Josef Wagner einer war.
Ich habe gedacht – eingebildet, wie ich
war –, die Redaktion würde mich als Er-
löserin begrüßen. Das war aber über-
haupt nicht so.
ZEIT: Ihre Redakteure wollten gar nicht
eingebunden werden?
Riekel: Am Anfang habe ich versucht, alle
zu verstehen, bis ich begriffen habe, dass
ein Team das gar nicht möchte. Das Team
möchte zwar gefragt werden und mitdis-
kutieren, aber am Ende muss einer die
Entscheidung treffen.
ZEIT: Fiel Ihnen das schwer?
Riekel: Das erste Jahr war tatsächlich
schwierig. Es waren um mich herum ja
nur Männer in Führungspositionen, und
die schienen mir alle 1,90 Meter groß zu
sein. Die standen alle wahnsinnig gern an
meinem Schreibtisch und guckten von
ganz weit oben herunter.
ZEIT: Als Sie die Bunte übernahmen, lag
das Blatt am Boden. Viele Prominente
fühlten sich von der Redaktion vorge-
führt und ließen sich nicht mehr inter-
viewen. Jeder Gag schien erlaubt, Haupt-
sache, er war gut.
Riekel: Ich habe eine ganz andere Bunte
gemacht als meine männlichen Vorgän-
ger. Viele Leute sagten: Ach, das ist jetzt
so emotional, so fraulich. Wo ist denn der
Sarkasmus? Aber als Journalistin war mir
Empathie immer wichtiger als Ironie.
Mit dieser Haltung kam auch sehr schnell
der große Erfolg. Die Auflage kletterte
auf Rekordhöhen. Und damit ist auch
meine Sicherheit gewachsen und mein
Durchsetzungsvermögen innerhalb der
Redaktion.
ZEIT: Zweifel begegneten Ihnen auch
von außen. Wenige Monate nach Amts-
antritt ist ein bösartiger Artikel über Sie
in der Süddeutschen Zeitung erschienen,
der Ihnen »null journalistisches Gespür,
null Bildung, null Charme« unterstellte.
Hat Sie das getroffen?
Riekel: Ja, damals gab es Artikel, die mich
sehr verletzt haben. Als ich etwa für Bunte
TV einmal Frau Merkel interviewte, die
mich für ihre Verhältnisse nah heranließ,
da schrieb ein Kollege, ich hätte eine un-
mögliche kastenähnliche Jacke getragen.
Über das Interview verlor er kein Wort.
Das hat mich sehr geärgert, mich aber
auch etwas für meine eigene Arbeit ge-
lehrt. Wir müssen mit den Menschen,
über die wir schreiben, respektvoll umge-
hen und wirklich immer daran denken:
Wie ist das für deren Partner, deren Kin-
der, deren Eltern?
ZEIT: Wird eine mächtige Frau härter
beurteilt als ein mächtiger Mann?
Riekel: Definitiv. Es geht viel mehr ins
Persönliche. Es schwingt immer die Frage
mit: Hat sie das alleine geschafft? Und:
Hat sie vielleicht mit jemandem geschla-
fen? Oder in meinem Fall: Hat ihr

70 12. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12

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