Die Zeit - 12.03.2020

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Lebens gefährte sie da hineinbugsiert? Die
Wahrheit ist, dass Herr Markwort ...
ZEIT: ... einst Chefredakteur und Heraus­
geber des Focus und heute Alterspräsident
des Bayerischen Landtags ...
Riekel: ... überhaupt nicht wollte, dass ich
zur Bunten gehe, weil er sagte, da sind wir
beide von einem Verlag abhängig. Das ist
schlecht.
ZEIT: Als Bunte-Chefin haben Sie sich zu­
allererst eines großen Egos entledigt: Sie
warfen Michael Grae ter raus, den einfluss­
reichen Gesellschaftsjournalisten, der Hel­
mut Dietl in den Achtzigerjahren zu der
Filmfigur Baby Schimmerlos in seiner
Kultserie Kir Royal inspirierte.
Riekel: Als ich seine Chefin wurde, sagte
er zu mir: »Sie wissen, ich arbeite unter
keiner Frau. Aber ich habe eine Lösung:
Meine Kolumne ist quasi eine Extrazeitung
in der Bunten, und natürlich können Sie
die lesen, aber da wird nichts redigiert. Da
trage ich allein die Verantwortung.« Ich
habe ihm gesagt: »Nein, das geht leider
wirklich nicht. Nach dem Pressegesetz
bin ich verantwortlich. Ich werde Ihre
Kolumne redigieren, und ich werde auch
sagen, ob ich das so haben will oder
nicht.« Das hat er nicht akzeptiert. Bis zu­
letzt hat er geglaubt, dass man den großen
Michael Grae ter, den ich tatsächlich gerne
behalten hätte, nicht entlassen kann. Er
musste gehen.
ZEIT: Als Bunte-Chefin haben Sie rund
1000 Titel verantwortet. Welches war Ihr
erfolgreichster?
Riekel: Einer der meistverkauften Titel
war der über den Tod von Hannelore
Kohl. Das hat unsere Leserinnen erschüt­
tert. Titel mit Frauen, deren Leben sich
auf eine besondere Weise verändert hat,
sind immer gut gelaufen. Prinzessin Caro­
line war ein Dauerbrenner. Ein Rie sen­
erfolg war auch, als die Bunte herausge­
funden hat, dass Fürst Albert – da war er
noch Prinz Albert – ein uneheliches Kind
hat. Das hat er ja anfangs verleugnet, und
wir und die französische Presse haben ihn
gezwungen, es zuzugeben. Und natürlich
Gerhard Schröder und Joschka Fischer,
jeder fünf Mal verheiratet. Wunderbare
Auflagen!
ZEIT: Sie haben Angela Merkel zwölfmal
interviewt. Sie haben Bill Clinton und
Barack Obama getroffen. Und jetzt sind
Sie Vorsitzende des FDP­Ortsverbands
Bogenhausen. Ist das ein Neuanfang oder
ein Abstieg?
Riekel: Die Kommunalpolitik hat mei­
nem Leben eine neue Richtung gegeben.
Wenn ich hier mit meinen kleinen Flyern
von Haustür zu Haustür ziehe, und je­
mand macht das Fenster auf und ruft:
»Ich will keine Werbung haben!«, dann
sage ich: »Das ist keine Werbung, das ist
politische Meinungsbildung. Interessieren
Sie sich denn gar nicht für Politik?« Der
FDP­Ortsverband Bogenhausen hat knapp
130 Mitglieder, was im Vergleich mit an­
deren Ortsgruppen viel ist. Wenn ich die
Mitglieder einlade, kommen vielleicht
16 Personen. Da möchtest du dein Leben
wegwerfen. Dann sagen aber die anderen:
Was? 16 sind gekommen? Was für ein Er­
folg! Mein Editorial in der Bunten haben
jede Woche ungefähr drei Millionen ge­
lesen. Ich muss jetzt in völlig anderen
Dimen sionen denken. Mein neues Leben
macht mir aber sehr viel Spaß, denn es ist
sehr viel direkter.
ZEIT: Sie könnten auch für den Bundes­
tag kandidieren. Warum ausgerechnet
Kommunalpolitik?
Riekel: Ich habe mein ganzes berufliches
Leben in München verbracht und liebe
diese Stadt. Und: Ich bin ein pragmati­
scher Mensch, ich mache gern etwas, mit


dem ich sofort etwas bewirken kann. Als
ich in die FDP eingetreten bin, wollte ich
erst mal in den Bezirksausschuss. Das ist
die unterste kommunale Ebene, dort geht
es wirklich darum, was die Bürger bewegt:
ein kaputter Straßenbelag, marode Park­
bänke, solche Sachen. Doch kaum war ich
in der FDP, wurde ich schon zur Ortsvor­
sitzenden von Bogenhausen gewählt. Das
ging blitzschnell.
ZEIT: Als Bunte-Chefin hegten Sie öffent­
lich Sympathien für Angela Merkel, Ursula
von der Leyen und Malu Dreyer, die alle
andere Parteien vertreten. Wieso die FDP?
Riekel: Natürlich hat es auch eine Rolle ge­
spielt, dass Herr Markwort für die FDP im
Landtag sitzt. Ich habe ihn im Wahlkampf
beobachtet und ihn auch zu den Info­
ständen begleitet, wo wir dann oft alleine
standen. Ich stehe manchmal auch allein
da. Mir hat aber schon immer der freiheit­
liche Grundgedanke der FDP gefallen.
ZEIT: Früher haben Sie mal gesagt: Wenn
Herr Markwort und ich in Rente sind,
machen wir eine Hauszeitung.
Riekel: Nein, das Kapitel Journalismus ist
für mich abgeschlossen. Jetzt schreibe ich
Bücher und arbeite an einer Fernsehserie
mit, in der es um starke Frauen geht, die
ein Geheimnis verbindet.
ZEIT: Ist Ihnen der Ausstieg aus der Chef­
redaktion der Bunten 2016 schwergefallen?
Riekel: Was glauben Sie denn! Der erste
Tag zu Hause war der schlimmste: Es war
so still, kein Telefon hat geläutet. Ich hatte
zwar etwas zu tun: Ich war ja noch Heraus­
geberin der Burda­Frauenzeitschriften und
habe einen Bildband über die Bunte ge­
macht. Aber in den ersten Wochen habe ich
mich überflüssig gefühlt. Ehrlich gesagt
habe ich zwei Jahre gebraucht, um über den
Montag hinwegzukommen. Der Montag,
das war der Tag, an dem wir die Bunte
druckfertig gemacht haben. Montags habe
ich mich immer wie Lassie gefühlt.
ZEIT: Lassie, die Colliehündin aus dem
Fernsehen?
Riekel: Ja, als Lassies Familie sie an den
reichen Herzog verkaufen musste, ist Las­
sie immer ausgebüxt, weil sie es gewohnt
war, jeden Nachmittag um vier Uhr vor
der Schule zu sitzen und den kleinen Joe
abzuholen. Ich habe jeden Montag dieses
Lassie­Gefühl gehabt, dass ich mich ir­
gendwie bereithalten müsste.
ZEIT: Was hat Ihnen am meisten gefehlt?
Riekel: Die Privilegien, die auf einmal weg
waren. Überall, wo ich hinkam, war ja
immer alles vorbereitet. Ein reservierter
Platz, ein Wagen, ein Hotel. Auf einmal
musste ich mit dem eigenen Auto den
Flughafen finden. Da war ich stolz, als ich
endlich geparkt hatte. Chur chill hat mal
gesagt: Politik ist ein blöder Job, but the
transportation is very well. So ist es. Ich
habe festgestellt, Prominenz ist eine Sucht.
Das hat gar nichts mit Geld zu tun, son­
dern mit Aufmerksamkeit. Was ist schö­
ner, als in einem Saal voller Menschen zu
stehen und einen Applaus zu spüren, der
dich umarmt? Ich wusste immer, dass die
Aufmerksamkeit, die mir als Chefredak­
teurin zuteilwurde, nichts mit meiner Per­
son, nur mit meinem Amt zu tun hat.
Trotzdem war es schwer, loszulassen.
ZEIT: Reden wir über Klatsch, der für Sie
soziale Kontrolle bedeutet. Haben Sie sich
eigentlich mal gefragt, was geschehen wür­
de, wenn Sie auspacken und all die Ge­
heimnisse über Prominente preisgeben,
die Sie über die Jahre gesammelt haben?
Riekel: Nein, denn das würde ich einfach
nicht tun. Wenn es etwas zu erzählen gab,
was man erzählen konnte, stand es in der
Bunten. Aber es gab viele Dinge, die man
eben nicht erzählen konnte, weil sie zu
intim waren. Die werden mit mir ins Grab

sinken. Diskretion ist die Grundvorausset­
zung auf dem journalistischen Boulevard.
ZEIT: Mit einigen Prominenten sind Sie
eng befreundet, zeitlebens etwa mit Karl
Lagerfeld. Wie frei ist man da noch in der
Berichterstattung?
Riekel: Überhaupt nicht. Das ist ja das
Problem. In der Sekunde, wo man einem
prominenten Menschen nahekommt, ist
das fast wie eine Maulsperre, eine Schreib­
blockade.
ZEIT: Kamen Sie als Journalistin in Ge­
wissenskonflikte?
Riekel: Natürlich. Ich habe ja viele promi­
nente Freundinnen, und wenn in deren
Leben etwas passierte, worüber alle ande­
ren geschrieben haben ...
ZEIT: ... musste die Bunte es auch tun?
Riekel: Ja, das war das Schwierige. Sagen
wir mal, die Prominente XY ist verheiratet
und der Mann betrügt sie, dann wird das
in der Konferenz besprochen, und dann
gucken mich alle an und sagen: Sie ken­
nen sie ja. Dann kannst du da anrufen
und sagen: »Hör mal, dein Problem ist
jetzt bekannt.« Und sie sagt: »Um Gottes
willen, nicht in der Bunten! Bitte nicht!«
Und dann sage ich: »Weißt du, wenn du es
nicht in der Bunten lesen willst, liest du es
vielleicht in der Bild-Zeitung. Und da
wird es so drinstehen, wie du es bestimmt
nicht haben willst. Also, wir können jetzt
über die Sache reden, und die Bunte wird
einen anständigen Artikel darüber ma­
chen.« Das wirkte meist. Es ist immer
besser, eine Geschichte zu kontrollieren,
als sie einfach laufen zu lassen.
ZEIT: Haben Sie Geschichten bewusst zu­
rückgehalten, um jemanden zu schützen?
Riekel: Ach ja, schon das eine oder andere
Mal. Dann steht die Loyalität der Profes­
sionalität gegenüber.
ZEIT: Und was siegt?
Riekel: Natürlich würde ich jetzt gern
antworten: die Professionalität. Aber so
einfach ist das nicht. Du kannst mit einem
einzigen Artikel ein Leben ruinieren. Ich
glaube, dass ich einen klaren moralischen
Kompass habe, was geht und was nicht.
Ich habe eher zu viel Mitgefühl für die­
sen Job.
ZEIT: Was meinen Sie damit?
Riekel: Es gab einen Schauspieler, dessen
Frau hat eine Alkoholfahrt hingelegt und
wurde von der Polizei festgenommen. Der
rief mich an und sagte: »Bitte, bitte, bring
das nicht. Gestern haben wir noch zusam­
mengesessen, du und ich, das war so ein
lustiger Abend. Bitte, bring das nicht.«
Wenn jemand diesen Knopf bei mir
drückt, dann werde ich schon manchmal
schwach.
ZEIT: Muss sich ein Politiker an höheren
moralischen Maßstäben messen lassen als
zum Beispiel ein Schauspieler?
Riekel: Ja, natürlich. Denn ein Politiker
wird ja gewählt, er ist für unsere Lebens­
umstände mitverantwortlich. Wenn ein
Politiker verheiratet ist und der CSU an­
gehört und ein uneheliches Kind hat ...
ZEIT: ... ist das schlimmer, als wenn Franz
Beckenbauer auf einer Weihnachtsfeier
ein Kind zeugt?
Riekel: Die Frage ist, wie beide damit
umgehen. Versuchen sie den Schmerz bei
der Geliebten gering zu halten? Überneh­
men sie Verantwortung für das Kind? Das
finde ich schon entscheidend, und da hat
auch die Öffentlichkeit das Recht, davon
zu erfahren.
ZEIT: Gibt es Geschichten, die Sie rück­
blickend so nicht mehr drucken würden?
Riekel: Natürlich.
ZEIT: Zum Beispiel?
Riekel: Da möchte ich Ihnen kein Beispiel
nennen. Da hängen zu viele Menschen
dran.

ZEIT: Die Fotos, die den damaligen
Verteidigungs minister Rudolf Scharping
planschend im Pool mit seiner Gräfin
Pilati zeigten?
Riekel: Bei Scharping bin ich mir keiner
Schuld bewusst, weil Rudolf Scharping,
den ich immer noch schätze, damals den
unbedingten Wunsch hatte, das Image des
Langweilers loszuwerden. Wir machten
ein schönes Sommerinterview mit ihm
auf Mallorca, und unser Reporter kam
mit diesen Bildern zurück, wie er die Grä­
fin aus dem Wasser hebt. So hatte man
Scharping noch nie gesehen. Wir haben
ihm die Titelseiten geschickt, auch die
Bilder hat er freigegeben. Er hat unter­
schätzt, dass seine politischen Feinde das
ausschlachten würden zu einem Zeit­
punkt, als die Bundeswehr vor einem Ein­
satz in Mazedonien stand. Das Timing
war für ihn ungünstig.
ZEIT: Der Boulevard ist rücksichtsloser
geworden als zu Ihrer Zeit, auch in der
Bunten. Würden Sie sich darin heute noch
zurechtfinden?
Riekel: Was mich am Boulevard besorgt,
ist die zunehmende Verrohung der Spra­
che. Wenn in Zeitungen Wörter wie »kotz­
übel« und »scheiße« stehen, ist der Journa­
lismus in Gefahr. Da müsste es mehr
Selbstkontrolle geben. Mich stört auch,
dass Menschen hochgejubelt werden, nur
weil sie in irgendeiner Reality­Show auf­
getreten sind. Das sind für mich keine Per­
sonen, die wirklich interessant sind.
ZEIT: Wen würden Sie in dieser Woche
auf den Bunte-Titel heben?
Riekel: Frau Merkel, weil ich gern be­
schreiben würde, wie es ist, wenn die gan­
ze Welt schreit: Tritt zurück!
ZEIT: Sie möchten wissen, wie sie das
aushält?
Riekel: Wie unterstützt sie ihr Mann, ihre
Familie? Wo ist jetzt ihr Gefühlszuhause?
Ich würde auch Frau Merz und Frau La­
schet mal vorstellen, weil man von denen
ganz wenig weiß, und ihre Männer müs­
sen die ja jetzt irgendwie herzeigen. Und
ich würde mich mit Melania Trump und
ihrer Körpersprache beschäftigen. Es sieht
manchmal so aus, als würde sie ihrem
Mann Donald ihre Hand und ihre Nähe
verweigern. Meghan hingegen würde ich
nicht machen, die langweilt die Leute.
ZEIT: Die Auflage der Bunten ist in den
vergangenen 20 Jahren um mehr als 40
Prozent gesunken. 2001, zum Höhepunkt
Ihrer Amtszeit, betrug die verkaufte Auflage
beinahe 760.000. Heute liegt sie nur noch
knapp über 400.000 Exemplaren. Sind Sie
froh, dass Sie rechtzeitig aufgehört haben?
Riekel: Nein. Ehrlich gesagt hätte ich die
Bunte bis zum Ende meiner Tage weiter­
machen können.
ZEIT: Sie gingen also nicht freiwillig?
Riekel: Es war zweifellos wichtig, dass
nach 20 Jahren jemand Neues kommt und
auch jemand Jüngeres. Leute, die solche
Positionen haben wie ich, die kleben ja an
ihrem Stuhl, und deswegen muss man sie
mit Gefühl raustragen.
ZEIT: Ist das in Ihrem Fall gelungen?
Riekel: Man hat mich gefühlvoll rausge­
tragen, ja. Aber in der Nachbetrachtung
war das sicher richtig. Es gibt zahlreiche
Untersuchungen, wonach das Leben ab 65
das Höchstmaß an Zufriedenheit be inhal­
tet. Und wenn Sie mich fragen: »Wann
war der glücklichste Moment Ihres Le­
bens?« – abgesehen von dem Moment, in
dem ich Herrn Markwort das erste Mal in
die Augen geblickt habe, lebe ich jetzt in
der glücklichsten Phase meines Lebens.
Ich freue mich jeden Tag.

Das Gespräch führten
Kerstin Bund und Stephan Lebert

»Meghan würde


ich nicht auf den


Titel heben,


die langweilt


die Leute«


Patricia Riekel

Karl Lagerfeld war ein Freund von ihr

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