Harald Martenstein
Über Hamsterkäufe im Supermarkt und die Panik
vor Corona und Krokodilen
Harald Martenstein
ist Redakteur des »Tagesspiegels«
Im Supermarkt gab es, unter anderem, keine Nudeln und kein
Klopapier mehr, wegen der Hamsterkäufe. Offenbar besorgen sich
zahlreiche Menschen aus Angst vor dem Coronavirus massenhaft
Klopapier. Basteln die sich daraus vielleicht Mundschutzmasken?
Ein Freund sagte, dass manche versuchen, sich in das Klopapier
einzuwickeln, weil sie glauben, dies schütze. Ich habe stattdessen
Servietten gekauft.
Ich verstehe die Panik nicht, die manche ergriffen hat. Nach dem
Krieg gab es auch nicht immer Nudeln, aber eine kolossale Lebens-
freude. Die Corona-Infektion soll meistens einen harmlosen Verlauf
nehmen, wie eine Erkältung, das hat man doch tausendmal gelesen.
Klar, ein paar wenige sterben daran, womöglich sogar man selbst.
Irgendwie ist mir klar, dass ich sowieso irgendwann sterbe. Was die
Einzelheiten dieses Ereignisses betrifft, muss man sich halt über-
raschen lassen. Bis es so weit ist, versuche ich, gut zu leben. Dazu
gehört, nicht Unmengen von Klopapier nach Hause zu schleppen.
Ein weiterer Geheimtipp sind Filtertüten.
Interessant finde ich die Tatsache, dass 2018 in Deutschland 88
Menschen durch ärztliche Behandlungsfehler gestorben sind, laut
Bundesärztekammer. Wie schützt man sich am besten vor Ärzten?
Nicht hinzugehen, obwohl man krank ist, halte ich für keine gute
Option. Die meisten Arztbesuche verlaufen, ähnlich wie die meisten
Corona-Erkrankungen, zum Glück harmlos. Noch bedeutend grö-
ßer als das Risiko eines Arztbesuches ist allerdings die Todesgefahr,
die von Krankenhäusern ausgeht. Laut dem Deutschen Ärzteblatt
sterben pro Jahr in Deutschland zwischen 6000 und 15.000 Patien-
ten an Krankheiten, die sie sich in der Klinik eingefangen haben
und nichts mit dem Grund ihres Klinikaufenthalts zu tun hatten.
Man könnte also jährlich etwa 10.000 Menschen retten, indem man
in Deutschland sofort sämtliche Krankenhäuser schließt. Weltweit
wären es womöglich Millionen Gerettete. In ärmeren Ländern ha-
ben die Krankenhäuser oft niedrigere Hygienestandards als unsere.
Natürlich muss man auch bei den Krankenhäusern Schaden und
Nutzen abwägen, unterm Strich sind die vermutlich eher nützlich.
Wenn jetzt Leute massenhaft zu Ärzten und ins Krankenhaus ren-
nen, um sich auf Corona testen zu lassen, sterben also garantiert, die
Statistik beweist es, einige genau deshalb. Weil sie sich nämlich dort
etwas holen. Dabei hatten sie womöglich nicht mal Corona. Nach
dem Ende der Epidemie würde ich gern eine Statistik lesen: Sind
mehr an Corona gestorben oder mehr an den Krankenhausviren?
Das will man doch wissen. Eine immer wieder unterschätzte Gefahr
ist auch die Haushaltsarbeit. Beim Putzen, Saugen oder Lampen-
aufhängen sterben bei uns mehr Menschen als im Straßenverkehr,
nämlich an die 10.000 im Jahr. Staubsaugerkabel sind echte Killer.
Ich bin da zum Glück wenig gefährdet.
Dass die Panik als solche eine viel größere Gefahr sein kann als ihr
Anlass, beweist nichts besser als ein Vorfall, der sich 2010 im Kon-
go ereignete. Ein Passagier hatte im Handgepäck ein Krokodil an
Bord eines Flugzeugs geschmuggelt. Das Tier befreite sich aus seiner
Verpackung, war übellaunig und verhielt sich offenbar unfreundlich
zu seinen Mitreisenden. Diese flüchteten alle in Richtung Piloten-
kanzel und brachten so den Flieger zum Trudeln. Absturz, 20 Tote.
So viele Personen hätte das doch höchstens mittelgroße Krokodil
unmöglich fressen können. Aber ich gebe gern zu, dass auch ich
mich in diesem Fall unvernünftig verhalten hätte. Flugverbote für
Krokodile sind jedenfalls sinnvoll.
Zu hören unter http://www.zeit.de/audio
Illustration Martin Fengel
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