Die Zeit - 12.03.2020

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Händen. Sie grüßen nicht. Sie starren zur Herde herüber,


aufrecht, schweigend. Der kleinste Fehler, weiß Gagau,
kann zum Schlimmsten führen – »Lunguda!« brüllt er, als


wieder eine Gruppe hungriger Kühe in die Hirse ausbricht
und Lunguda nicht reagiert. Ein schlaksiger Kerl, Anfang


20, der Sohn eines Familienoberhaupts. »Ein guter Junge«,
sagt Gagau, »aber zu verträumt.«


Bauern und Nomaden bewohnen in Nigeria dasselbe Land,
haben dieselbe Nationalität und gehören doch unter-


schiedlichen Völkern an. Die meisten von ihnen betreiben
Ackerbau, die Nomaden aber gehören zu 90 Prozent einem


Volk an: den Fulani. Sie leben in der gesamten Sahelzone,
in Mauretanien im Westen wie im Sudan im Osten. In der


vorkolonialen Zeit herrschten sie über ein Reich, das gro-
ße Teile Nigerias umfasste und unterlegene Stämme ver-


sklavte. Ein Volk mit vielen Stämmen, das eine Sprache
spricht, die als eine der grammatikalisch komplexesten der


Welt gilt, Fulfulde, und eine Philosophie begründet hat,
das Pulaaku. Die meisten Fulani sind Muslime, auch das


unterscheidet sie von den Bauern, die mehrheitlich Chris-
ten sind, was die Versöhnung erschwert.


»Die Fulani-Nomaden sind eine Pest«, twittert ein ehema-
lige Minister, ein Christ, in diesen Tagen aus der Hauptstadt


Abuja. »Sie sind böse. Sie sind Ungeziefer. Sie sind verbre-
cherische Parasiten und mörderische Geisteskranke, die sich
vom Fleisch unseres Volkes ernähren.«
Der Gebirgspfad, dem Gagaus Herde folgt, führt nach ei-
nigen Kilometern durch eine Schlucht, Felswände zu bei-
den Seiten. Seine Ka lasch ni kow, die er bisher unter dem
Umhang versteckt hielt, trägt er nun offen. »Ich bin froh,
wenn wir hier durch sind«, sagt er. »Das ist kein guter Ort.«
Auch die anderen Fulani haben Gewehre geschultert, zu-
meist Schrotflinten, welche die lokalen Schmiede herstel-
len. In den Hängen hausen die »Menschenräuber«, wie die
Bewohner der Gegend sie nennen. Eine Gruppe von Ge-
setzlosen, die sich auf Entführungen spezialisiert haben. Seit
einem Jahr nutzten sie die Höhlen der Schlucht als Unter-
schlupf, klagt Gagau, von hier aus lauerten sie ihren Opfern
auf. Sie hätten es auf reichere Bauern und Viehbesitzer wie
ihn abgesehen, sie verschleppten sie für einige Wochen in
ihre Höhlen, schlügen sie, filmten die Quälereien mit ihren
Telefonen und erpressten Lösegelder. Gagau weiß von drei
Entführungen im letzten Monat, alle in dieser Schlucht. In
Nigeria floriert das Entführungsunwesen. 109 Kidnapper
hat die Polizei allein im Bundesstaat Adamawa, den Gagaus
Herde von Nord nach Süd quert, vergangenes Jahr verhaftet.
Das Land hat noch schwer an den Nachwirkungen des
Krieges gegen Boko Haram zu tragen. Scheinbar aus dem
Nichts war es den Islamisten 2014 gelungen, große Teile
des Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Staat
erwies sich damals als das, was er in den nördlichen Pro-
vinzen noch heute ist: eine Schimäre, eine hohle Form. In
ihr konnte Boko Haram sich fast ungehindert ausdehnen,
und nur mit massiver Hilfe aus dem Ausland gelang es,
die Terrorgruppe zu bezwingen. Zurück blieb eine verrohte
Gesellschaft, in größerer Armut als zuvor. In Angst, ent-
wurzelt, vertrieben, unter Kontrolle lokaler Milizen, die in
vielen Dörfern in Abwesenheit des Staates die Macht über-
nahmen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind
in Nigeria, freigesetzt durch die Kämpfe mit Boko Haram,
300 Millionen illegale Waffen im Umlauf.
Der Tritt der Kühe wird unsicher nach stundenlangem Lau-
fen über groben Schotter. Gagau zeigt auf das Fell, es wird
struppig, die Haarbüschel stehen aufrecht. »Die Tiere wer-
den müde«, sagt er zu Manu, dem 18-Jährigen, der heute
voller Stolz zum ersten Mal die Herde führt. Manu trägt auf
seinen Schultern ein Kälbchen, das vor Erschöpfung zittert.
Gegen Mittag erreichen sie den Fuß des Vulkangebirges, wo
sich die Schlucht zu einer Ebene weitet. Sie passieren die
Überreste eines Dorfes, das nach Kämpfen zwischen Fula-
ni und Bauern vor Jahren verlassen worden ist. »Ich weiß
nicht, was hier genau passiert ist«, sagt Gagau ausweichend.
Rasch lässt er die Herde weiterziehen. Dann, als er glaubt,
genügend Distanz zwischen sich und die »Menschendiebe«
im Berg gebracht zu haben, lässt er rasten. Ein abgeerntetes
großes Maisfeld, das am Rande eines Flusses liegt.
Sie bauen ihr Lager für die Nacht. Gagau und seine Frau
schnallen das Gepäck mit den Essensvorräten von den

Alhaji Gagaus Treck zieht durch den Osten Nigerias,
vom Regenzeitcamp zum Dorf Wurdyanka

NIGER TSCHAD

NIGERIA

BORNO

Abuja ADAMAWA

KAMERUN

Golf von Guinea

Bare

Wurdyanka Regenzeitcamp

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