Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.03.2020

(sharon) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG,6.MÄRZ2020·NR.56·SEITE 17


Seite20SSeite24 eite

MehrereGutachterstellen


dem Bund ein


schle chtesKlimazeugnis aus.


Klaus Dittrichsollteman zuhören.


Der Chef der Münchner Messe hat


den IAA-Triumphvorausgesagt.


ProSieben Sat1kauftabermals ein


Internetunternehmen. DerUmbau


des Medienkonzernsgeht weiter.


DEUTSCHLAND UNTERZUGZWANGORAKELVONDER ISAR WEGVOM FERNSEHGESCHÄFT

F


ußball in Deutschland istein
Milliardengeschäft. Das riesige
Heer vonAnhängernsorgt da-
für,dassdie große Cash-Maschine auf
Hochtouren läuft. MillionenFans fül-
len Stadien,kaufen Eintrittskarten,
Trikots, Fernsehabonnements,Reisen
zu Auswärtsspielenund lösen mit ih-
rerLeidenschafteinen Marketing-
hype aus. Die Bundesligaist dadurch
zu einerveritablen Industriegewor-
den. Damit wirdimWettbewerb mit
anderen potenten Ligen aus England,
Spanien oder Italien die eigeneAttrak-
tivität undfinanzielle Zukunftgesi-
chert. Irrational erscheint,dassdiese
Logik ignoriertwirdvon einer kras-
senMinderheit in denStadien im nied-
rigeneinstelligen Prozentbereich, die
sichals Retter einer deutschen Fuß-
ballkulturgeriertund nichtvorHetze
und Gewalt zurückschreckt. Obwohl
dieserRand, der für sichnochheraus-
nimmt,für alle Fans zu sprechen,
selbstdas Geschäftmit demFußball
jedesWochenende mit befeuertund
natürlichSpitzendarbietungen von
den eigenen Mannschaftenverlangt.
In Wirklichkeitgeht es um Macht in
Stadien und Vereinen.Fragwürdige
Ultragruppen und Hooligans tragen
ihr Egorabiat zur Schau–unter dem
Deckmantel einer angeblichen Ju-
gendkultur. Als Zielscheibeihrer Atta-
cken haben sieFußballinvestoren wie
den SAP-Gründer Dietmar Hopp aus-
gewählt.Der hat mit seinemGeld ei-
nen Dorfklub, in dem er als Jungemal
selbstgekickt hat, bis in die Bundesli-
ga gebracht undsteckt zudemMillio-
nen in dieAusbildung jungerTalente.
Leutewie Hopp sollen für einen dunk-
len Fußballkapitalismusstehen,wäh-
rend selbsternannteFußballromanti-
kerzum Kampfgegen denKommerz
aufrufen.
Es is tnichts dagegen zu sagen,
wenn sichFans als selbstbewusste
Kunden gege nüber Klubs undVerbän-
den artikulieren. Sie dürfenkritisie-
ren, protestieren und anprangern.
Unddie überwiegende Mehrheit der
Anhängerscharen und organisierten
Fangruppen istfriedlich.Aber dieRa-
dikalen auf denRängen gehen anders
vor: Sie hetzen,randalieren, zünden
Feuerfackeln, drangsalieren andere
Zuschauer,greifen Polizistenan, zer-
stören Zugwaggons,überfallen gegne-
rische Anhänger,schlagen sichauf Au-
tobahnparkplätzen oder Bahnhöfen,
bedrohen sogar inUngnadegefallene
Spielerder eigenen Mannschaft.
Trotzhöherer InvestitionenvonLiga,
Verband undVereinen inFanprojekte
istdas Ge waltpotential über die Jahre
nahezukonstant geblieben, besagen
die Berichteder Polizei. Die Sicher-
heitsbehörden melden derzeit für die
drei höchstenSpielklassen rund
13 400 gewaltbereiteoder gewaltsu-
chende Personen.

Um diesenextremenKern gruppie-
rensichwiederum Sympathisanten.
Sie deckendie Täterinder Kurveund
schauen abfällig herunter auf die
Mehrzahl derer,die zunehmend alsFa-
milienpublikum dieStadien für einen
vergnüglichenNachmittag bevölkern.
Schlimm ist, dassTeile der Branche
aggressiveUltrag ruppengewähren
lassen,weil sie diese fürsStimmungs-
bild imStadion alsTeil des Kluble-
bens begreifen und Vereinsverant-
wortliche ihreeigene Position da-
durch gefestigt er sehen. In dieser un-
heilvollen Gemengelagewerden rück-
wärtsgewandte, kleinmütige, zutiefst
illiberale Einstellungengepflegt.

In einer ArtGartenzwerg-Mentali-
tätwirdder Fußball in Gut und Böse
eingeteilt.Bekämpftwirddas Engage-
ment privater Investoren, die für
schlechtes Geld und Kommerzste-
hen. Dagegen haben die selbstgerech-
tenBewahrer deutscher Fußballkul-
tur überhauptkein Problem damit,
dassvon unfähigen Klubfunktionären
in denAbgrund gerissene Traditions-
vereine immer wieder mitSteuerzah-
lergeld gerettet werd en. Ein kleiner
Kreis vonFußballmanagern, Beratern
und VereinsmeierninFührungsposi-
tionen lebt gutvondiesem fragwürdi-
genSystemund sichertsich so seine
Pfründe. Blockiertwirdeine weitere
Öffnung für Investoren –zur Freude
der rücksichtslosen Fanszene, die
jetzt so viele Schwierigkeiten bereitet.
Bislang musseine Fußballunterneh-
mung hierzulande nachder 50+1-Re-
gelmehrheitlichin Vereinsbesitz blei-
ben. Nicht mal eine Entscheidungs-
freiheit soll esgeben.
Belegedafür,dasseine Liberalisie-
rung in die fußballerische Apokalyp-
se führte,gibt es nicht.InEngland,
Mutterland einer toleranteren Fuß-
ballmarktwirtschaft, herrschtmehr
Vielfalt und eingrößerer sportlicher
Wettbewerb. In Spanienarbeiten die
Klubs hinter den dominanten Bran-
chenführernReal Madrid und FC Bar-
celona mit privaten Eignernwesent-
licheffektiver und international er-
folgreicher .Hätteder Red-Bull-Kon-
zernaufgrund einerAusnahmerege-
lung nicht in das LeipzigerTeam in ves-
tierenkönnen, dümpelteder Ostfuß-
ball bestimmt heute nochimfußballe-
rischen Niemandsland. Abschottung
und eineAbhängigkeit vonkruder,
bornierterFankulturwer den die Fuß-
ballbranche nicht weit führen und
ihreEntwicklung bremsen.

C


orona istnicht an allem
schuld. Schon seit längerem
gibt es in Deutschland Liefer-
engpässe für Arzneimittel, dochmit
dem Virusaus Asien hat das nichts zu
tun. Es stimmt, dassSchutzausrüstun-
genknapp sind und dassman sic hfra-
genmuss, wieso das deutsche Ge-
sundheitswesen sie nicht ausreichend
bevorratet hatund warumman vonei-
nigenwenigen Lieferanten abhängig
ist .Esstimmt auch, dasseszuwenige
Corona-Testsgibt.Esist abe rkein ein-
ziger Fall bekannt, in demwegender
Epidemie in Deutschland Medika-
menteknapp geworden wären. Ob
das mit dem indischen Exportverbot
nun anderswird, is tunklar,für Liefe-
rungen aus China jedenfalls hat sich
die Furchtnicht bestätigt,weshalb je-
der Alarmismus unangebracht ist.Es
kann durchaus sinnvoll sein, dieRa-
battverträgefür Medikamenteauf
den Prüfstand zustellen, die die Phar-
mabranche in Billiglohnländer treibt.
Auch dürfensichRalph Brinkhaus
und anderegernwünschen,Fabriken
zurückzuverlagern. Dann jedoch müs-
sen diePatienten und ihreVersiche-
rungen bereit sein, mehr Geld auf
den Apothekentischzulegen. Man
kann nichtgleichzeitig die Globalisie-
rung geißeln undvonihr profitieren.

Angriffauf die Fußballinvestoren


VonMichaelAshelm

D


ie Ausbreitungdes Coronavirus
fachtdie Sorge vorLiefereng-
pässen bei Arzneimitteln neu
an. DerVorsitzende der CDU/
CSU-Fraktion im Bundestag,Ralph Brink-
haus,warnt einB erlin, man müsse aufpas-
sen, „dasswir nichtvoneiner Regionin
dieserWelt abhängig sind“. DieAussage
zieltauf Asien.Derzeitkomme es dortzu
Lieferengpässen beiGrundstoffen für Me-
dikamente.„Wir sollten dringend darüber
reden, dasswir uns breiter aufstellen.“ Es
müsse erwogenwerden, Medizinprodukte
wiederverstärkt in Europa herzustellen.
Zuvorhatteschon Gesundheitsminister
Jens Spahn(CDU)gemahnt:„Solltenwir
in diesemUmfang wirtschaftlichund in
unserenLiefer ketten voneinem einzigen
Land auf derWelt abhängig sein? Ichden-
ke,nein.“ Spahn bezog sichauchauf medi-
zinische Schutzausrüstungen.Weil Regie-
rungen, Krankenhäuser und Privatperso-
nen diese aufVorrat kauften und in China
die Produktion teilweis estillstehe,
„kommt es auchhier bei uns in Deutsch-

land zu Knappheiten“. Deshalb hat dieRe-
gierung eine Ausfuhrbeschränkung für
Schutzmaskenund -anzügeerlassen.
Tatsächlichstellen einigeHersteller
vonMedikamenten alsFolgeder Corona-
Epidemieihre Liefe rungen ein. So hat In-
dien, der führende HerstellervonNachah-
mermedikamenten, ausFurcht vorden
Folgen der Infektion die Ausfuhrvon 26
Stoffen und den aus ihnenproduzierten
Arzneien untersagt.Darunter istauchPa-
racetamol, eines der meistgenutzten
Schmerzmittel. Diegesamte Liste umfasst
rund einZehntel des indischen Pharmaex-
ports. Die Analysten vonOxfor dEcono-
micsmachendarauf aufmerksam, dass
schon jetzt Preissteigerungen zu spüren
seien. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) prüfe derzeit möglicheVersor-
gungsengpässe aufgrund der Entschei-
dungder Inder, erklärte deren Logistik-
Chef Paul Molinaro in Genf: „Noch is tdas
Ganze nicht sorest riktiv wie bei der Aus-
stattung für den persönlichen Schutz, aber
natürlichgibt es die Angst,dassdie Folge-
effektezueiner Unterversorgungmit die-
sen Medikamenten führenwerden.“
Die Kunden der Inder imWesten seien
in größter Sorge,sagteein führenderVer-
treter der indischen Pharma-Industrie.
„Ichbekomme jede MengeAnruf eaus Eu-
ropa, weil es sehr abhängigvonindischen
Rezeptenist und wirfast 26 Prozent des
europäischen Generikamarktskontrollie-
ren. Deshalb sind sie inPanik“, sagteDi-
nesh Das, derVorsitzende desRats für
die Förderung des Pharmaexports In-
diens (Pharmexcil) unter dem Dachdes
Handelsministeriums. DerVerbandwarn-
te,der Ausfuhrbannkönne denRufIn-
diens als„Apothekeder Welt“ schädigen.
Es würdengepackt eLieferungen imWert
vonrund 10 Millionen Dollar aufgehal-
ten, die in Häfen liegen.
DeutscheFachleuterieten indes dazu,
die Lagenicht zu dramatisieren. Esgebe

zwar schon seit längerem Beschaffungs-
schwierigkeiten bei einzelnen Präpara-
ten, sagteein Sprecher des Bundesinsti-
tuts für Arzneimittel und Medizinproduk-
te.„Aber keine der bishergemeldetenLie-
ferengpässestehen im Zusammenhang
mit Corona.“ Das Institut hatetwadie
Lageinder chinesischen Provinz Hubei,
in welcher der Corona-HerdWuhan liegt,
gründlichuntersucht,weil dor tviele Phar-
mawerkeihren Betrieb gedrosselt oder
eingestellt haben. Dortwürden durchaus
Wirkstoffe für den deutschen Arzneimit-
telmarkt hergestellt.Für dieVersorgung
der Patienten in Deutschland seien diese
jedochnicht marktrelevant, da dieselben
Wirkstoffe auchananderen Ortenprodu-
ziertwürden oderweil noc hgrößere Wirk-
stoffkontingentezur Verfügungstünden.
Wasdie indischenAusfuhrbeschrän-
kungen angeht, soweiß das Institut seit
Dienstagvon der Bekanntmachung des
Handelsministeriums inNeu-Delhi. Man
habe umgehend die Pharmaindustrie auf-
gefordertzuprüfen, ob und wie viele
Wirkstoffe sie aus Indien beziehe.„Wir ar-
beiten mit Hochdruckdaran, aber die Er-
gebnissestehen nochaus“, sagteder Insti-
tutssprecher.
Der Bundesverband der Pharmazeuti-
schen Industrieteiltezuden Auswirkun-
gendes Coronavirus auf die Lieferketten
mit, dasssichPrognosen derzeitnicht seri-
ös treffenließen. Dennochsieht derVer-
band in dem Thema einigeBrisanz.
„Grundsätzlich zeigt sichdurch die Coro-
na-Krise nocheinmalverschärft,dassdie
VerlagerungvonProduktion nachAsien
die Lieferkettenanfälliger macht.Das gilt
für alleWirtschaftszweige, auchfür die
pharmazeutische Industrie“, sagteein
Sprecher.
Noch seien Europa und Deutschland be-
vorzugteStandorte.„Aber Überregulie-
rungen und wirtschaftliche Eingriffe, die
den Preisdruckgeradeimgenerischen Seg-

mentstarkerhöhen,zwingenUnterneh-
men dazu, ihreProduktion ins Ausland zu
verlager noder sichauf Importe zuverlas-
sen.“ DiePolitik müsse sichfragen lassen,
ob sie sichdie AbhängigkeitvomAusland
leistenwolle: „Damit Engpässe nicht zu
Versorgungsproblemen führen,wäre eine
Sicherung der europäischen Produktions-
stätten und eineRückverlagerungvonPro-
duktionsstufen nach Europa und Deutsch-
land wünschenswert.“ Der Sprecherge-
stand aber zu,dassdas zu Kostensteigerun-
genführenwerde: „Wer Produktion zu-
rückholenwill, mussbereit sein, mehr pro
Packung zu bezahlen.“
Vorder Entscheidungder Inder hatten
mehrereHersteller in Chinageschlossen
oder ihrenAusstoß verringer nmüssen.
China und Indiensind mit Blick auf die
pharmazeutische Industrie engvernetzt:
Rund 70 Prozent der Inhaltsstoffe,die In-
diens Generika-Herstellernutzen,stam-
men aus China.Auch durch die Einschrän-
kung der Arbeit dortkonnten indische Pro-
duzentenihren Ausstoß nicht mehrgaran-
tieren. Denn allein 13 der nun unterAus-
fuhrbanngestellten Stoffewerden in nor-
malenZeiten ausFabriken in derchinesi-
schenVirus-Provinz Hubeigeliefert. Aus
derSitzung der AußenhandelsbehördeIn-
diens, dieden Bannverord nete, wurde be-
richtet, die Pharmaindustrie habe ur-
sprünglicheine Liste von58Medikamen-
tenund Inhaltsstoffenerstellt, bei deren
Produktiondie Indervonchinesischen Lie-
ferungen abhängigseien.Aus ihr habe
man dann jene ausgewählt, die aus Hubei
stammten. Bis aufweiteres werden nun un-
teranderem die AntibiotikaTinidazole
und Erythromycin, das Hormon Progeste-
ronund dieVitamine B1, B6 und B
nicht mehrexportiert. Besonders betrof-
fenscheint Amerika, dessen Gesundheits-
wesen starkvon den indischen Lieferun-
genabhängt.(WeitereBerichte, Seiten 20,
24, 27, 29)

D


ie Arbeitszeit soll erfasstwer-
den, denn „jede Arbeitsstun-
de zählt“–soformuliertes
die Linkeund interpretiertdamit ein
Urteildes Europäischen Gerichts-
hofs. DieLuxemburgerhatten imver-
gangenen Jahr auf Klageeiner Ge-
werksc haft entschieden, dassArbeit-
geber die Arbeitszeitgenauer messen
müssen. Dabei beriefen sie sichnicht
nur auf diegeltende Arbeitszeitricht-
linie, sondernauchauf die EU-
Grundrechtecharta.Das is tkeinjuris-
tischer Zierrat, sondernbedeutet,
dasshier EU-Verfassungsrecht ein
Machtwortspricht.Damit istder
Spielraum für den Gesetzgeber eng.
So oder sokommt aufUnternehmen
alsoBürokratiezu,obihreAngestell-
tennun Tabellen ausfüllen oder die
Arbeit digital erfassen. Der Gesetzge-
ber solltesichkleinteiligeSchablo-
nen verkneifen, sie würden der Dyna-
mik heutigen Arbeitens nichtge-
recht. Aber wenn schon ein Logbuch
droht, könnteder Gesetzgeber an-
derswofür mehr Beinfreiheit sorgen:
Der Arbeit in der digitalenWirklich-
keit stehen Regeln wie die elfstündi-
ge,verpflichtendeRuhezeit imWege.
Das Arbeitsrecht denkt in Schichten
und Zeitblöcken, doch die digitale Ar-
beit vonheuteist ein Granulat.

Apotheke der Welt:Indien istder führende Hersteller vonNachahmrermedikamenten. FotoAFP

hw.BERLIN.Work-Life-Balance,Famili-
enzeit, Selbstverwirklichung –das sind die
Werteder jüngeren Generation,darüber
klagen praktischalle Branchen, zumal die
Demographie den Bewerbernindie Hän-
de spielt.Nun erhöht auchnochdas Ar-
beitsrecht den Druck: Denn bald müssen
Unternehmendie Arbeitszeitgenauer er-
fassen, so sieht es das EU-Rechtvor. Das
Ob steht fest,nur wie dasRecht verschärft
wird, hängt nunvonder Bundesregierung
ab –dochdie is tsichuneins.
Verantwortlich für dieUnruhe sind die
Wächter über das EU-Recht inLuxem-
burg: Der Europäische Gerichtshofgab
den Mitgliedstaatenimvergangenen Jahr
auf, dasssie dieUnternehmen zustrenge-
rerArbeitszeiterfassungverpflichten
müssten (Az.: C-55/18). Seither herrscht
große Nervosität, dieUnternehmenwen-
den sichsorgenvoll an ihreAnwälte. Am
Donnerstag drängt die Linksfraktionim
Bundestag mit einem Antrag die Bundes-
regierung zum Handeln. Sie soll die Ar-
beitgeberverpflichten, „Beginn, Endeund
Dauer dertäglichen Arbeitszeit sowie die
Dauer dergewährtenRuhepausen jeweils
am Tagder Arbeitsleistung aufzuzeich-
nen“. DasKabinettzögert: Bundesarbeits-
ministerHubertus Heil (SPD)kündigte

eine„behutsame“ Anpassungder Rechts-
lagean, das Hausverweistaber auchdar-
auf,dassder Gerichtshofkeine Fristge-
setzt habe. Auch Bundeswirtschaftsminis-
terPeter Altmaier (CDU) zögertund ver-
weistauf ein internes–aber durchgesicker-
tes–Rechtsgutachten. Darinkommendie
ArbeitsrechtlerVolker Rieblevonder Lud-
wig-Maximilians-Universität München
und StephanVielmeier, ein Fachanwalt
für Arbeitsrecht, zu dem Schluss, dass
eineAnpassun gder deutschenRechtslage
unumgänglichist.Die Regierungkönne
durchaus untätig bleiben,schreiben die Ju-
risten, aber dannwürden sie es den Ge-
richtenüberlassen, das neueRecht in die
alten Paragr aphen hineinzulesen.
„DerUmsetzungsbedarf aus der Ent-
scheidung istweiter hochumstritten”,
bremstdie Bundesvereinigung der Deut-
schen Arbeitgeberverbände (BDA),„Ar-
beitgeberbrauchen und Beschäftigtewol-
len flexible Arbeitszeiten.“ Keinesfalls
wolle man „zusätzliche, nicht zwingend
notwendigeAufzeichnungspflichten“ ein-
führen, stattdessen lieber:Flexibilität,
schließlich drängedie Digitalisierung,
dazupasse dochkein „Logbuchgedanke“.
Ähnlichformulierte es der CDU-nahe
Wirtschaftsrat:ObReformbedarfbestehe,

sei „höchstunsicher”, man dürfe gerade
kleine und mittlereUnternehmen nach
dem Datenschutznicht „mit der nächsten
Bürokratiekeule” drohen.
ZumZeitgeistpassen würde dierech t-
licherzwungene Arbeitszeiterfassung
durchaus: Wenn nämlichkünftiggenauer
gemessen wird, bedeutedas untermStrich
weniger Arbeit für den einzelnen Ange-
stellten, erklärtder Arbeitsrechtler Daniel
Hundvonder Wirtschaftskanzlei Beiten
Burkhardt. „Dasist ja auchdas Ziel vieler
Mitarbeiter heute,das sehen wir derzeit
überall, sobald eingewisses Einkommens-
niveau erreicht ist.“ Seinen Mandantenrät
er,sichmit den Begrifflichkeiten zu be-
schäftigen–Arbeitszeitist nämlichnicht
gleichArbeitszeit. Der Gesetzgeber möch-
te vorallem Burnout verhindern, das
heißt, diegemütliche Zugfahrtim ICEwer-
de zwar als„Arbeit“vergütet,sei aber,an-
dersals die Heimfahrtüber die Autobahn,
keineArbeitszeit imSinnedes Arbeitszeit-
gesetzes.ImI CE winkt die Erholung,auf
der Straßenochmehr Stress, lautet in
etwa der Gedanke. Dasselbe gilt für die
womöglichvom Arbeitgeber eingepreiste
und mitvergütete Kaffeepause.Künftig
werdealso sichtbarer,wenn der Außen-
dienstmitarbeiternach einemganzen Tag

bei Kunden ebennochdie Au tofahrtnach
Hause antritt, sagt Hund.Unternehmen
müssten ihm bei Erreichen der Höchst-
grenze zu einerÜbernachtung im Hotelra-
tenund diese auchbezahlen,wenn sie die
Regeln befolgenwollen –das Reizthema
der Unternehmen, die „Compliance“, be-
kommt also ein neuesKapitel.
Andersals Ing ridSchmidt,Präsidentin
desBundesarbeitsgerichts, sieht der An-
walt Hund dieWirtschaf tkeineswegs gut
vorbereitet.„Viele Unte rnehmen zeich-
nen zwar schon heuteArbeitszeitenauf,
abernicht jeneim Sinne des Arbeitszeitge-
setz es“, erklärtder Anwalt, „besonders
bei höhergestellten Mitarbeiterndrohen
Herausforderungen“. MankönnteMitar-
beiter häufiger mit öffentlichenVerkehrs-
mitteln reisen lassen, die nicht auf die Ar-
beitszeitdurchschlagen, rät Hund. Daslas-
se dasUnternehmen ja auchunter Um-
weltschutzaspektenglänzen–sofer ndie
Rechtslagesichnicht schon in Corona-Zei-
tenverschärft.Bei bestimmten Mitarbei-
tern gebe es für dieUnternehmen da aber
wenig Spielraum. „EinemProduktionsmit-
arbeiterwirdman nichtglaubhaft sagen
können,erkönne arbeiten,wann er möch-
te,damit für ihn nicht dieAufzeichnungs-
pflicht gilt.“

Gartenzwerg-Mentalität
rabiaterFangruppen und
vonManagernschadet
der Fußballbranche.

Corona gefährde tPharmalieferungen


Freizeit per Gesetz


Unternehmen müssen die Arbeitsstunden baldgenauervermessen/Dochdie Regierung spielt aufZeit


Medikamente wie


Paracetamolkönnten


knap pwerden. Sollten


siedeshalbkünftig


hierzulande produziert


werden?


VonChristian Geinitz,


Berlin, und Christoph


Hein, Singapur.


Arbeitszeit neu denken


VonHendrik Wieduwilt

Kein Alarmismus


VonChristianGeinitz
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