Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.03.2020

(sharon) #1

Frankfurter Allgemeine Zeitung


Verlagsspezial


Industrie- und


Gewerbeimmobilien



  1. März 2020


F


ast wäre der Deal geplatzt: Union
Investment, Verwalter des Immo-
bilienportfolio s der deutschen
Volks- und Raiffeisenbanken,
verkaufte 2008 Gewerbeimmo-
bilien im Wert von rund 2,56
Milliarden Euro an die amerikanische
Investmentbank Morgan Stanley und die
IVG. Nur unter Anstrengungen gelang es,
alle notwenigen Papierdokumente für den
Verkauf innerhalb der geforderten sechs
Monate beizubringen – rechtzeitig vor
Beginn der Finanzkrise. Diesen Prozess
hatte seinerzeit Maurice Grassau bei einem
externen IT-Dienstleister mitbegleitet. In
ihm reifte die Idee, eine Softwarelösung
dafür zu entwickeln, die den Verkaufs-
prozess vom Papier befreit und digi talisiert.

Dokume nte mit KI-Hilfe managen

2012 gründete er in Berlin die Architrave
GmbH. Das Ziel: Die Produktivität des Doku-
menten- und Datenmanagement nachhaltig
zu steigern. Bei großen Immobilienunter-
nehmen summiert sich die Zahl der Doku-
mente aller Objekte im Jahr schnell auf
eine halbe Million. Während bei manueller
Bearbeitung jeweils zwölf fehlerträchtige
Einzelschrit te notwendig sind, reduziert sich
die Ablage bei Architrave dank des Einsatzes
von Künstlicher Intelligenz auf ein simples
drag & drop – ziehen und ablegen. Inzwi-
schen sind unter anderen Union Investment
und die Sparkassen-Tochter Deka Invest-
ments als Investoren eingestiege n.
Unternehmen wie Architrave sind Vor-
reit er in der Immobilienbranche. Ähnlich
wie die sogenannten Fintechs vor einigen
Jahren frischen Wind in die verkrustete

Banken- und Finanzszene brachten, treib en
heute Gründer von Proptech – a bgelei tet vom
Wort „Property“ – die Digitalisierung in der
Immobilienbranche voran.
Ob Arzt, Anwalt, Apotheker oder jede
andere Berufsgruppe, die sich als Alters-
vorsorge Immobilien zulegt, fast immer
sind alle Vorgänge rund um die Eigentums-
wohnung und die Hausverwaltung in einen
Leitzordner abgeheftet. Das betrifft regel-
mäßig wiederkehrende Geschäftsvorgänge
wie Mietzahlungen, Betriebskostenabrech-
nungen oder seltenere Vorgänge wie Moder-
nisierungen. War das Portal „vermietet.
de“ anfangs nur dazu gedacht, Immobilien-
besitzern einfache Vorgänge wie die Kont-
rolle von Mietzahlungen via Smartphone zu
erleic htern, bietet das von Jannes Fischer
2016 gegründete Berliner Start-up inzwi-
schen wesentlich mehr Funktionen: „Wir
ermöglichen nun auch die Mietersuche und
die Kommunikation mit den Mietbewerbern
auf unserem Portal. In den kommenden
Monaten werden wir zudem weitere neue
Funktionen einführen“, so Fischer.
Inzwischen hat die Plattform über
100 000 Nutzer mit mehr als 300 0 00
Einheiten. Investoren wie die Versicherung
Axa und die Deutsche Bank sind stra tegische
Investoren. „Die Immobilienbranche steht
noch am Anfang der digitalen Transforma-
tion und vermietet.de hat entsprechend viel
Potent ial“, beurteilt Markus Pertlwieser,
Mitglied des Vorstands und Digitalchef der
Deutschen Bank, die Zukunftsaussichten des
Investments.
Dabei lässt sich in der Immobilienwirt-
schaft heute fast alles digitalisieren. Das
Thema Aufzüge hat es Ludwig von Busse
und Hubertus von Schierstaedt angetan.

Diplomkaufmann von Busse kennt das
Business als Vertriebs- und Marketing-
manager für Neuanlagen und Aufzugs-
modernisierung beim Aufzugshersteller Otis
von der Pike auf. Sechs Jahre nach seiner

ersten beruflichen Station beschloss er, die
Digitalisierung der Aufzugs- und Rolltrep-
penbranche auf eigene Faust voranzutreiben
und gründete mit von Schierstaedt in Berlin
das Proptech-Start-up Simplifa: „Wir sind

eine Art Fuhrparkmanager für Aufzüge“,
umreißt von Busse das Geschäftsmodell. Für
die Immobilienunternehmer übernimmt er
das Monitoring der Aufzüge, gibt Empfeh-
lungen für eine lange Lebensdauer der Lifte
und koordiniert die Wartungsfirmen.
Das rechnet sich für den Betreib er der
Immobilien. Pro Aufzug und Monat zahlt
er 60 Euro.Durch dieNutzung vomSimplifa
werden zwischen 20 und 30 Prozent der
Kosten für den Betrieb und die Instand-
haltung eines Aufzuges gespart, und auch
die Bearbeitungszeiten verkürzen sich durch
die Digitalisierung und Automatisierung der
Prozesse um sieben Stunden pro Aufzug.
Simplifa steht noch am Anfang: Über 2000
Aufzüge betreut das Unternehmen, bei
insgesamt rund 700 0 00 Aufzugsanlagen
in Deutschland besteht noch genügend
Luft nach oben. „In zwei bis drei Jahren
wollen wir mit unserer digitalen Lösung der
führende neutrale Service- Provider rund um
Aufzüge sein“, so von Busse.

DigitaleAngebotefürHand werker

Ein weiteres Beispiel ist die vor sechs
Jahren in Berlin gegründete Einkaufs-
plattform Plattform Doozer. Sie kalkuliert
digi tal Angebote für Handwerksleistungen
und vermittelt den Wohnungsgesell-
schaften Handwerker für die Sanierung
von Wohnungen. Die Wohnung wird mit
ihren Räumen konfiguriert, automatisch
übernimmt das System die Kalkulation
des Angebotes mit Hilfe der in der Daten-
bank befindlichen Handwerksbetriebe,
dokumentiert den Baufortschritt und über-
nimmt die Abrechnung. „Das ist für beide
Seiten eine Win-win-Situation“, sagt Carsten

Petzold, einer der Gründer von Doozer.
„Aufgrund der Vielzahl von Wohnungs-
einheiten helfen wir Handwerkern mit
regelmäßigen Auftr ägen von solventen
Unternehmen. Sie sparen sich die Zeit für
Anfahrt, Aufmaß und Kalkul ation der Ange-
bote und werden einfach digi tal beauftragt.“
Doozer unterzieht die Handwerker einem
internen Bewertungssystem und checkt
deren Qualität und Termintreue. Mehr als
300 Millionen Euro Bauvolum en hat Doozer
bislang abgewickelt.

Gute Idee n aus dem Ausl and

Doch nicht jede gute Idee für die Branche
muss neu erfunden werden. Der frü here
NewYorker Bürger meisterMichaelBloomberg
machte sich 2015 für ein Start-up namens
WiredScore in seiner Heimatstadt stark.
WiredScore bewertet die digi tale Infra-
struktu r wie Internet- und Mobilfunk-
anschluss und die Konnektivität – die
Sicherheit bei Ausfällen des Internets – für
die Gewerbeimmobilien der Stadt und gibt
entsprechende Handlungsempfehlungen
an die Besitzer der Immobilien. „Wir haben
das Empire State Building auf seine Inter-
netfähigkeiten analysiert“, erinnert sich
Sebastia n Kohts, Deutschland-Statthalter
von WiredScore an den größten Coup seiner
amerikanischen Kollegen.
Mit diesem Konzept ging es erst nach
London und 2017 nach Berlin. Von der
Hauptstadt aus zertifiziert WiredScore in
Deutschland knapp 200Gebäude,darunter
dieUnternehmenszentrale derFrankfurter
Flughafengesellschaft Fraportund denNeubau
desfür ZalandogeplantenStream-Towers in
Berlin.

Abschied vomAktenordner


Noch ist die Immobilienbranche von viel Papierkram geprägt. Doch innovative Prop(erty)techs


verändern die Branche gerade massiv. Von Torsten Holler


Fast all es lässt sich digitalis iere n: Das Propt ech Si mplifa senkt die Kosten
für die Aufzugswartung deutlich.

FOTO ND3000/ISTOCK

Die Digitalisierung führt


nicht nur zu neuen


Geschäftsmodellen, sie hat


auch Einfluss darauf, wie


in Zukunft gearbeitet wird


und in welcher räumlichen


Umgebung.


VONOLAFDROSSERT

D


er Druck kommt aus dem Markt.
Waren es zu Beginn vor allem Start-
ups, die es aus Kostengründen
in Bürogemeinschaften zog, so
mieten heute auch große Unternehmen
zunehmend Flexible-Workspace-Flächen
an, um beispielsweise Projektgruppen eine
adäquate Arbeitsatmosphäre zu ermög-
lichen. Den Trend zum gemeinschaftlichen
Arbeiten gab es schon einmal in den 60er
und 70er Jahren, welcher in klassischen
Großraumbüros endete. Diese galten jedoch
schnell als Irrweg und wurden wieder
verworfen. Gründe hierfür waren, dass
sich Mitarbeiter fremdbestim mt und unter
ständiger Beobachtung fühlten. In der
Folge wurden wieder überwiegend kleinere
Büros mit bis zu vier Personen geplant und
verwirklicht. Heute gilt es, statt monotoner
Prozesserfüllunginabteilungsübergrei-
fenden Projekten gemeinsam den Erfolg des
Unternehmens zu sichern.

Unte rnehmen forde rn
verstärkt Fl exibili tät ein

Wie also eine offene, kreative Arbeitsumge-
bung schaffen, ohne die Fehler der Vergan-
genheit zu wiederholen? Google, Microsoft
und andere amerikanische Techkonzerne
machen es vor. Sie versuchen, den Mitar-
beitern das Büroleben so angenehm wie
möglich zu machen. Wo und wie gearbeitet
wird, kann frei gewählt werden. In der
Gruppe, an einem mobilen Arbeitsplatz oder
in einer ruhigen Zone. So kommt Bewegung
in die Organisation, und der Austausch wird
gefördert. Bausteine, die heute als Grundlage
für agiles Arbeiten gelten.
Flexibilität heißt also das Gebot der
Stunde. Unternehmen fordern sie immer
stärker von ihren Mitarbeitern ein. Es ist
daher logisch, dass auch moderne Büros
dieser Anforderung entsprechen müssen.
Die Vorstellun g, ein Arbeitsplatz bestehe
aus einem festzugewiesenen Schreibtisch
plus Computer, ist längst überholt. Auch

mittelständische Betriebe gehen immer
mehr dazu über, in Matrixorganisationen zu
arbeiten. Für Mieter entsprechender Büro-
objekteist es ausmehrere nGründen entschei-
dend,einen Handlungsspielraumbei der
Nutzungder Büroflächezuhaben.Flexible
Mietverträge ermöglichenes, aufVerände-
rungen desMarktes zu reagierenund entspre-
chendzuvergrößernoderzuverkleinern.
Dafürmüssen dieFlächen flexibelgestaltet
werden können,etwadurch mobileWände
oder versetzbareAbtrennungen.
Open Space gilt als Schlagwort in
puncto moderner Bürowelten. Dabei geht
das Konzept einen entscheidenden Schrit t
weiter als das klassische Großraumbüro.
Laut dem Industrieverband Büro und
Arbeitswelt ist Open Space keine eigenstän-
dige Raumform, sondern eine Kombination
verschiedener Büroformen. Dieser Ansatz
verbindet unterschiedliche Arbeits- und
Kommunikationszonen und ermöglicht den
Beschäftigten, sich jeweils für den Arbeits-
oder Aufenthaltsbereich zu entscheiden,
der das beste Umfeld für die aktuellen Tätig-
keiten darstellt. Dass New Work boomt,
belegt auch der Flexible Workspace Report
von Art-Invest. Spielte der Flächenumsatz
mit Flexible Workspace im Jahr 2008 in den
Top 7 mit unter 0,5 Prozent noch keine Rolle ,
machte er 2018 mit rund 268 000 Quadrat-
metern berei ts sieben Prozentdes gesamten
Büroflächenumsatzes in densiebenA-Städten
aus.
Die indi viduelle Gestaltung des Arbeits-
platzes ist ein wesentlicher Faktor von New
Work. Das Konzept wurde bereit s in den
1970er Jahren entwickelt und bezieht sich
insbesondere auf das Wohlbefinden der
Mitarbeiter. Neu kreierte Maßstäbe wie
der amerikanische Well Being Standard
vergeben anhand fester Bewertungskrite-
rien Punkte für die besten Büroflächen. Das
Einzelbüro hat dagegen als Statussymbol
erheblich an Relevanz verloren. Dies gilt
insbesondere für die jüngere Generation.
Nur e twa jedem Dritten ist ein Einzelbüro
sehr wichtig oder wichtig, bei den Jüngeren
unter 35 Jahren sind es mit 28 Prozent
sogar noch weniger. Das hat eine Umfrage
des Meinungsforschungsinstitut s Forsa im
Auftrag von HIH Real Estate ergeben. Die
Umfrage ergab weiterhin, dass die Mehr-
heit der Befragten sich vorstellen kann,
bei der Jobsuche eine Stelle mit einem
attraktiv ausgestatteten Arbeitsplatz einem
anderen Angebot mit besserer Bezahlung
vorzuziehen.
Mitarbeiter lege n laut der Studie
„Arbeitsplatz der Zukunft“ des Research-
Unternehmens IDG insbesondere Wert auf
die Faktoren Mobilität und Technologie,
flexible Arbeitsz eitmodelle, neue Formen

der Zusammenarbeit, eine veränderte
Unternehmenskultur und neue Konzepte der
Arbeitsumgebung, sprich New Work.

Moderne Anforder ungen
versus Bürobestand

Nur mit einem modernen Arbeitsplatz und
attraktiven Arbeitsbedingungen hat ein
Unternehmen des Mit telstands eine Chance
im „War for Talents“. Und die Zielgruppe ist
anspruchsvoll: Moderne IT-Infrastruktur,
Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie
Restaurants und eine gute Anbindung an
den öffentlichen Nahverkehr sind die am
häufigsten genannten Punkte der Nach-
wuchskräfte.Das bestätigten 89 Prozentder
Teilnehmerander IDG-Studie. DieAusgestal-
tung desArbeitsplatzesist also einentschei-
denderWettbewerbsfaktor,wennman
sich denFachkräftemangelinDeutschland
verdeutlicht.
Allerdings: Ein Großteil der deutschen
Bürogebäude stammt aus den 1980er und
1990er Jahren. Es sind also Bestandsobjekte
mit klassischer Raumaufteilung. Um dem
Bedarf an modernen Büroflächen gerecht zu
werden, sind Modernisierungsmaßnahmen
und Flächenaufwertungen für den Fortbe-
stand der Objekte notwendig. Ein Beispiel
für eine solche Maßnahme istdas Objekt
„AREA5.0“amDeelbögenkamp in Hamburg.
Das Ensemble aus dem Jahr 1993 wird bis
2021 in einen modernen Bürocampus umge-
baut. Offene und flexible Raumkonzepte
ersetzen die alte Verzimmerung. Sogenannte
Social Areas und unterschiedliche gastrono-
mische Konzepte laden zum Verweilen ein.
Ein modernes Mobilitätssystem mit E-Roller
und Carsharing erhöht die Attraktivität der
Arbeitsstätte. Und nicht nur das: Ein kosten-
freies W-Lan für das gesamte Areal stellt
künfti g sogar das Arbeiten auch außerhalb
der Bürozonen sicher.

Olaf Drossert ist Geschäftsführer
der Becken Estates GmbH.

NewWorkstelltWohlbefinden


derMitarbeiter in denMittelpunkt


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