Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.03.2020

(sharon) #1

SEITE 4·FREITAG,6.MÄRZ2020·NR.56 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Kämpfe in Köln


Die Amerikaner hatten schon am
Vortag gemeldet, ihre Einheiten sei-
en insStadtgebietvon Köln einge-
drungen. Der Wehrmachtbericht
spricht jetzt vonKämpfen in den
westlichenVororten der Metropole.
Die Alliiertensind hingegen nachei-
genen Angaben schon deutlichwei-
ter. Das linksrheinischeStadtgebiet
wirdbesetzt .Bis zurkompletten Be-
freiung der Stadt dauertesnoch
mehr als einen Monat.Die gesamte
Stadt is tallerdings schonvorder Er-
oberung eingewaltigesRuinenfeld.
Köln war, wegenseinergeographi-
schen Lageweit imWesten Deutsch-
landsundderwichtigenEisenbahn-
verbindungen schonrechtfrüh Ziel
großer alliierterBombenangriffege-
wesen. Beim Einmarschder Alliier-
tenhält sichnur nochein Bruchteil
der Einwohner in derStadt auf. Die
übrigen habenversucht, denKämp-
fendurch Flucht zu entgehen. In der
Region, so die Alliierten, sei die „Be-
seitigung der deutschen Rheinbrü-
ckenköpfe“ im Gange.


Frankreichspielt erst


einmal nicht mit


Die Großmächteladen zur Grün-
dungsversammlung derVereintenNa-
tionen nachSan Francisco. Als Einla-
dende tretendie VereinigtenStaaten,
die Sowjetunion, Großbritannien
und China auf.Frankreich, das einen
Anspruchauf Gleichbehandlunggel-
tend macht,weiger tsich, ebenfalls
als einladende Macht aufzutreten.
Als Begründung nennt die provisori-
sche französischeRegierung den Ein-
ladungstext.Der nimmt unter ande-
remBezug auf Beschlüsse zuAbstim-
mungsmodalitäten in denkünftigen
VereintenNationen. Diese Beschlüs-
se wareninJaltagetroffenworden.
Da warFrankreich bekanntermaßen
nicht dabei,weshalb sichParis den
Vereinbarungen nicht verpflicht et
fühlt.InBezug auf Deutschlandwar
berichtet worden, die „großen Drei“
hätten sichbei derKonferenz darauf
verständigt ,imRheinlandeineneige-
nen Staat zu errichten. Ähnliche Plä-
ne sind immer wieder auchinFrank-
reich diskutiertworden, weil das
Land nur auf dieseWeise vorAngrif-
fenaus Deutschland sicher sei.Trotz-
dem sagt der französische Minister-
präsident de Gaulle jetzt, es sei bes-
ser,wenn sichFrankreichindieser Si-
tuation seinekomplette Handlungs-
freiheit bewahre. Damitkönne es
nicht nur seine eigenen Interessen
wahren, sondernauchdie kleiner
Länder,„deren Wortführer Frank-
reich im Laufeder Geschichteimmer
gewesen sei“.Welche Länder erkon-
kret damit meint,sagtedeGaulle
nicht.


Verlustbilanz der


Royal AirForce


Im britischenUnterhaus wirdüber
den Haushalt desLuftfahrtministeri-
ums debattiert. A us diesem Anlass
werdenaktuelleZahlenüberVerlus-
te veröffentli cht. Laut offiziellenZah-
len verlor das Bomberkommando im
Jahre1942 noch4,1 Prozent seiner
Flugzeuge. DieseZahl ging in den ers-
ten zweiMonaten des Jahres 1945
auf 1,1 Prozent zurück. Fü rdas Ge-
samtjahr 1944 melden die amtlichen
StatistikerVerluste von1,7 Prozent
bei derRoyalAir Force. DieLuftwaf-
fe nimmt für sichinAnspruch, die Öl-
produktioninDeutschland praktisch
zum Erliegen gebracht zu haben.
Wenn die Jagdflugzeugproduktion in
Deutschland ungehinderthättewei-
terg ehenkönnen, hättesichdiesever-
dreifacht, heißt es.Auchdas habe
manaber verhindert.Allerdingsstell-
tendie Jäger bis Kriegsende eine
deutliche Gefahr für die alliierten
Bomber dar.IhreZahl und Einsatz-
möglichkeitenreduziertensichaller-
dingsstetig –unter anderemwegen
fehlendenTreibstoffs. pes.


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Erstmals seit mehreren Monatenwaram
Donnerstag dieRegierungsbank im Thü-
ringer Landtag wieder besetzt.Für Land-
tagspräsidentin BirgitKeller (Linke)war
das offenbar gewöhnungsbedürftig, hatte
sie docheine WortmeldungvonBildungs-
ministerHelmut Holter (Linke) überse-
hen. „Man hat sichfastandie regierungs-
lose Zeit gewöhnt“, sagtesie. Allerdings
müssen sichdie Thüringer so gut wiekei-
ne neuen Minister-Namen merken, da der
für eineÜbergangszeit bis April 2021ge-
wählteMinisterpräsident BodoRamelow
(Linke) sein Kabinett kaum verändert
hat.Die Ministerund Staatssekretäreder
rot-rot-grünenMinderheitsregierung wur-
den nochamAbend nachseinerWieder-
wahl berufen undvereidigt.Wie in den
vergangenen fünf Jahren bekam die Lin-
ke vier,die SPD drei und die Grünen zwei
Ministerien. Für die Linkebleiben Hel-
mut Holter (Bildung), HeikeWerner (Ar-
beit, Soziales, Gesundheit) und Benjamin

Hoff(Staatskanzlei) imKabinett. Letzte-
rerübernimmt zusätzlichdas Landwirt-
schafts- und Infrastrukturressort, das Bir-
git Keller bis zu ihrerWahl als Landtags-
präsidentingeführthatte. Die SPD führt
weiterhin die Ministerien fürFinanzen
(HeikeTaubert), Wirtschaf tund Wissen-
schaf t(WolfgangTiefensee)sowie Inne-
res(GeorgMaier),während die Grünen
die Ressorts für Umwelt und Energie
(Anja Siegesmund) und Justiz (Dirk
Adams) behalten.Adams, bisherFrakti-
onsvorsitzenderder Grünen,ist der einzi-
ge neue MinisterimKabinett, aus dem
der bisherigeAmtsinhaber DieterLauin-
gerausschied. Ihm sollteursprünglichdie
frühereschleswig-holsteinische Justizmi-
nisterinAnne Lütkes nachfolgen,worauf
die Thüringer Grünen nun angesichts des
Übergangskabinettsverzicht eten.
Aufdie Ressortverteilung und -beset-
zung hatten sichLinke, SPD und Grüne be-
reits vorder Ministerpräsidentenwahl am


  1. Februargeeinigt.Andersals damalsge-
    plant verzicht etedie Minderheitsregie-
    rung nun ebenso darauf, dieRessortzu-
    schnittezuändern, da es wie mit der CDU
    vereinbart2021 Neuwahlengeben soll. Bis
    dahinwollendie vie rParteien p rojektbezo-
    genkooperieren. Dazu unterzeichneten
    sie nochvor derWahl Ramelows am Mitt-
    woch ein „Protokoll“ über dasgegenseitige
    Verhalten imParlament für dieÜbergangs-
    zeit.Demnachbringen dieParteien Anträ-
    ge eigenständig ein,verpfl ichten sichaber,
    bis Ende 2020Kompromisse ausschließ-
    lichuntereinander und damit ohne die
    AfD zu suchen („Stabilitätsmechanis-
    mus“).WichtigstesProjekt istder Haus-
    halt für 2021, zudem soll es einkommuna-
    les In vestitionspaket,ein Moratorium über
    neue Windkraftanlagen im Wald und
    mehr Geld zurAufarbeitung des SED-Un-
    rechts geben. ImFebruarkommenden Jah-
    reswollen die vierParteien den Landtag
    auflösen, um im April neu zuwählen.


K


atrinAlbsteiger will Oberbür-
germeisterinvon Neu-Ulmwer-
den. DieseNachrichtwirderst
einmal nicht vielevomHocker
reißen. Auch nichtinder CSU,Albsteigers
Partei. Das liegt nicht zuletzt daran, dass
sie unter ihrem MädchennamenPolesch-
ner bekannt wurde, besser:wie eineRake-
te in denweiß-blauen Himmel schoss.
2010 wardas. Albsteiger war26. In ihrer
bayerisch-schwäbischen Heimatwardie
gebürtigeUlmerin damals schon politisch
aktiv:imGemeinderat ihresWohnorts El-
chingen, im Kreistag vonNeu-Ulm. 2009
warsie sogar zur stellvertretendenVorsit-
zenden der JungenUnion Bayern gewählt
worden. Eswardie Zeit, als der CSU-Vor-
sitzende Horst Seehofer zusammen mitsei-
nem Generalsekretär Alexander Dobrindt
eine Parteireformins Werk setzenwollte.
Zentrales Anliegen: mehrFrauen in die
Parteigremien, und zwar mittels einer
Quot e.
An derSpitze der Quoten-Gegnerstand
die JungeUnion.Der Grund: eine Mi-
schungauspolitischer Überzeugung–„wi-
dersp richtdem Prinzip der freienWahl“ –
und dem Optimismus der Jugend, man
werdeesauchohne Leiter nachoben
schaf fen. Stefan Müller, seinerzeit Vorsit-
zender der JU Bayern,erkor seineStellver-
treterin aus, in die Schlachtgegendie Quo-
ten-Befürworter zu ziehen:Als jungeFrau
hattesiegewissermaßen einennatürli-
chen Schutzpanzer.Albst eiger ,Jahrgang
1983, bewies damals Mut und Standfestig-
keit:Obwohl sie in der CSU-Zentrale be-
schäftigtwar, also unter denwachsamen
AugenDobrindts ihrem Job alsReferentin
für Bildungund Forschung nachging, hat
sie sichnicht beirrenlassen undTruppen
hinter sichversammelt.
Es warallen Beteiligten klar,dassesauf
dem Parteitag in München zum Show-
downkommen würde.Aber gleich so hef-
tig undstundenlang? Albsteiger erzählt
beimTreffenineinem Neu-Ulmer Café,
dasssie damals imAuto auf demWegin
dieHalleimmer wiederihreRede durchge-
gangen sei. Sie sei sehr nervösgewesen.
Sie rede zwargerneund viel; das merkt
man auch.Aber lieber im kleineren Kreis.
Oder wenn sie die Zügel in der Hand hal-
te.Zum Beispiel,wenn sie, als Hobby, die
Bundesliga-Wettkämpfeder Turner des
TSVPfuhl moderiert.
Die Nervosität warnicht nötig–oder
sie hat sichvoll ausgezahlt, je nachdem.
Der Schlachtplan der JungenUnion ging
jedenfalls so gut auf, dassdie Parteifüh-
rung Mann und Maus ansRednerpult schi-

cken musste, um am Endegerade nochso
die Mehrheit der Delegiertenauf ihr eSei-
te zu bekommen.Vorallem Albsteigers
Rede schlugvoll ein.Voneinem Moment
aufden anderenwarsie einergrößeren Öf-
fentlichkeit bekannt.Auch i hr attraktives
Äußeres spieltedabei eineRolle, in aller
Ambivalenz. Sie hat davonprofitiert–und
musstegegen die darausresultierenden
Vorurteile kämpfen. Die „Bild“-Zeitung
schrieb über diegroßgewachseneFrau mit
den blonden Haaren: „Manche nennen sie
wegeneiner gewiss en Ähnlichkeit schon
die ,Paris Hilton der CSU‘.“ Mankann mit
Albsteiger heuteganz entspannt darüber
reden. Sie sagt:„Es gibtStudien,wonach
Leute, diegepflegt sind und ansprechend
aussehen, erfolgreicher sind im Leben.
Das istallseits bekannt.Ich habe dennoch
die Hoffnung, dassich nicht deswegenge-
wählt werdeoder tr otzdem–sondernweil
die Leuteglauben, dassich gut bin in dem,
wasich tue.“
Als Albsteiger nachihrer Rede vonder
Bühne abging, begegnetesie einem Mann,
derinMachtfragen schon viel erfahrener
warals sie, zu diesemZeitpunktaberauf
einemNebengleis derPartei daraufwarte-
te,bis andereZügezuspät kamen, ent-
gl eisten oder miteinanderkollidierten:
MarkusSöder.Der damaligeMinisterfür
Umwelt und Gesundheit sagtezuAlbstei-
ger:Das sei dannwohl ihr eBewerbungsre-
de für denVorsitz der JU Bayern gewesen.
Albsteiger mag das nochnicht in Gänze
bewusstgewesen sein–aber sowares. Sie
hattegezeigt, dasssie strategischeFähig-
keiten besaß und anderemitreißenkonn-
te.Dasssie im Streit über die Quote knapp
unterlag,gereichteihr ebenfallszum Vor-
teil: Es machtesympathischund entband

sie da von, dieFolgen der Entscheidung zu
tragen.Keiner würde nun sagenkönnen:
Es is tdeine Schuld, dassdie Frauen in der
CSU nicht nachoben kommen.
Manche ihrerWegbegleiter sagen, sie
sei in jenerZeit der Sonne zu nahegekom-
men. Jedenfalls habe sieetwasdie Boden-
haftungverloren. Daskönnteein Grund
gewesen sein,warumesnicht soweiter-
ging, nachdem sie imNovember 2011tat-
sächlichzur er sten Frau an der Spitze der
JungenUnion Bayern gewählt worden
war. Albsteiger sagt:„Vielleicht wurden
die Dingedamals ein bisschen zu schnell
zu groß. Vielleichtwäre es besser für mich
gewesen, die Quoten-Debattewärezwei
Jahrespätergekommen.Aber Politik ist
ebenkein ,Wünschdir was‘.“ Sie will
nicht mehr in derVergangenheit wühlen.
Glaubhaftvermittelt sie, dasssie ihren
Frieden damitgemacht habe, auchmit de-
nen, dievonihr enttäuschtwaren, die sie
bekämpfthaben –solange, bis siekein
zweites Mal als JU-Vorsitzende antrat.
Die Betroffenen sehen das im Großen
und Ganzengenauso.
EinesvonAlbsteiger sProblemenwar,
dasssie damals ihr Geld nicht in derPoli-
tik verdiente. DiePolitikwissenschaftle-
rin, die imNebenfachVolkswirtschaftsleh-
re studierthat, warbeim Energieunterneh-
men Eon in derUnternehmenskommuni-
kation beschäftigt, später dann bei den
StadtwerkenUlm/Neu-Ulm. Sokonntesie
keine wirklichen Synergien zwischen Be-
rufund Parteiarbeit herstellen. Alles,was
sie für diePolitik machte, jedeReise, jeder
Termin im hinterletzten ZipfelvonBay-
ern, kamobendrauf. DasPensumwardie
Hölle, nicht zu schaffen. Siekonntenicht
so firm in den Themen sein, wie viele es
vonihr er wartet hatten, auchlitt dieKon-

takt-und Präsenzpflege, auf die insbeson-
deredie Bezirksfürsten, die es in der JU
auchschon gibt,Wert legten.
Albsteiger warklar: Sie mussteProfipo-
litikerinwerden. 2013 fande nbinnen ei-
ner WocheWahlen imFreist aat und im
Bundstatt. Siewollteinden Landtag.
Dortwäresie mit ihren Themenschwer-
punkten, insbesondereder Bildung, gut
aufgehobengewesen. Außerdemwarsie
im Begriff,mit ihrem Mann, einem Leh-
rer, eine Familie zugründen.Aber,inih-
renWort en,„Politik isteben kein
,Wünsch-dir-was‘“. Denn auchHans
Reichhart, der später ihrNachfolger als
JU-Chef sowie bayerischer Bau- undVer-
kehrsminister werden sollte,wollteind en
Landtag, aucherüber die Bezirksliste.
Reichhartkommt aus Günzburg, das ist
der Nachbarstimmkreis, dortregiertder
CSU-Strippenzieher Alfred Sauter,der
sichfür ihnverwandte. Es bestanddie Ge-
fahr,dassReichhartund Albsteiger sichge-
genseitigStimmenwegnehmenwürden.

A

mVorabend des politischen
Aschermittwochs in Passau
wurde Albsteiger also von
mächtigenLeuten in der CSU
bearbeitet, sie mögedochfür den Bundes-
tagkandidieren. Als JU-Vorsitzendemüs-
se sieimganzen Bayernland präsent
sein, nicht nur im Bereich der Bezirkslis-
te für die Landtagswahl. Sie fügtesich
schließlich, nolensvolens –und machte
sichsodiejenigen JU-Freunde zuFein-
den, diewegenihr auf der Liste für den
Bun destag nachhinten rückenmussten.
Damitwarihre Zukunftbesiegelt, zumin-
destinder JU.
In den Bundestagschafftesie es. Man
könnteauchsagen: Sieverschwand darin.

Jedenfalls dann,wenn man die vier Jahre
Berlin an den Erwartungen misst,die Alb-
steiger Jahrevorhergeweckthatte. 2017
kandidierte sie, inzwischen Mutter,noch
einmal–ohne Erfolg. Man hat nicht den
Eindruck, dasssie heute traurig darüber
istoder garMitleid heischt.Daist sie
schon anderserzogen worden. Vonihrem
Vater, einfaches Mitglied in der CSU,der
langeeine eigeneFirmafür Feuerschutz
hatte,vonihrer Mutter,die unter ande-
rembei Airbus als Sekretärin arbeitete.
Im Studium ergabsichfür Albsteiger die
Möglichkeit, ein SemesterinAustralien
zu verbringen. Das Problem: Sie hatte
Flugangst. Also hat sie eine Therapie da-
gegengemacht–und is tnachAdelaidege-
flogen. „Du darfstinder Politik echtkei-
ne Memme sein“, sagt sie. „Mangewinnt
häufig, es gibt viele schöne Momente,
aber dieFähigkeit,verlieren zukönnen,
auchmal einen Schritt zurückgehen,ge-
hörteben auchdazu.“ Sieglaubt auch
nicht, dassPolitik durch s trukt urelleVer-
änderungen zum Beispielfamilienfreund-
licher gemacht werden könnte. „Die
Wahrheit isteinfach:Politik istein hartes
Geschäft, das istviel Arbeit, und es gibt
viel zu besprechen. Das mussman ir gend-
wannmalmachen.“
Albsteiger hat nachdem Ausscheiden
aus dem Bundestag wieder bei den Stadt-
werken angefangen. So rücktesie wieder
näher an dieKommunalpolitik heran. Nä-
herauchanihreFamilie, den Mann und
diezweiTöchter.Indem Streit, derNeu-
Ulmdie vergangenen Jahrebeschäftigt
hat, obdie Stadt kreisfreiwerden solle,hat
sie sichcleverangest ellt. Siewar dafür,
ohne sichzuexponieren. Dassder „Nuxit“
am Veto der Staatsregierung scheiterte,
blieb deshalb nicht an ihr hängen, son-
dernamnochamtierendenCSU-Oberbür-
germeisterGerold Noerenberg, dernach
sechzehn JahrenimAmt nicht wieder zur
Wahl antritt. Dafürwill es nun Albsteiger
wissen, als aussichtsreicheKandidatin in
einer boomenden Stadt mit knapp
Einwohnern. Solltesie es schaffen, wird
ihreHaupt aufgabe sein, mit demenormen
Zuzug menschen- und umweltverträglich
fertig zu werden –und Neu-Ulm nicht zur
bloßenSchla fstadtvon Ulm odergarvon
Stuttgartwerden zu lassen.
Endst ationNeu-Ulm? Oder Sprung-
brett? Albsteiger sagt:„Sprungbrettist
wirklich das Allerletzte,woranich denke.
Ichfinde es einfach wahnsinnig schön,
dassich das, wasich liebe und manchmal
auchein bisschen hasse,genau da machen
kann, wo ichdaheim bin;ich kann zum
Mittagessen heimfahren, die Kinder in
den Kindergarten bringen undvondortab-
holen.“Aufdem jüngstenCSU-Parteitag,
als sichdie Delegierten wieder dieKöpfe
über dieFrauenquoteheißredeten, hat
Albs teiger sichzum Thema nicht zuWort
gemeldet. Siefielandersauf: indem sie,
unter stütztvon Söder,zur Schatzmeisterin
gewählt wurdeund somit in denengeren
Parteivor stand –für den eine 50-Prozent-
Frauenquote gilt. Bei ihrerKandidatur in
Neu-Ulm hat dieParteiführung angeblich
nicht dieFinger im Spielgehabt.Trotzdem
steht sie füretwas, wasüber Neu-Ulmhin-
ausreicht: für starke jungeFrauen in der
CSU,die am 15. MärzinStädtenwie Mün-
chen, Regensburg,Augsburgoder eben
Neu-Ulm um dieRathäuserkämpfen. Sie
sollenbeweisen,dassdie Partei tatsäch-
lichauf de mWeg in dieZukunft ist.

1945


Eine vonSöders Hoffnungen:Katrin Albsteiger in einem CaféinNeu-Ulm FotoJan Roeder

Die 2017 inUngarn eingeführtenZulas-
sungsbeschränkungen für ausländische
Hochschulen, in derenFolgedie Central
EuropeanUniversity (CEU) des unga-
risch-amerikanischen MilliardärsGeorge
Soros ihren CampusvonBudapestnach
Wien verlegen musste, verstoßen nach
der unverbindlichen Einschätzung der Ge-
neralanwältinamEuropäischen Gerichts-
hof gegenUnionsrecht.Das Er fordernis,
dassausländische Hochschulen, die inUn-
garn tätig sein wollen, auchinihrem
Gründungsstaat einen Lehrbetrieb entfal-
tenmüssten, sei unvereinbar mit europäi-
schen Grundfreiheiten wie der Lehr-und
Niederlassungsfreiheit.Das zusätzliche
Erfordernis, dassder Gründungsstaat in
einemvölkerrechtlichenVertrag seineUn-
terstützung des auswärtigen Lehrbetriebs
zusichernmüsse, verstoße außerdemge-
gendas Rechtder Welthandelsorganisati-
on. Fürdie DurchsetzungvonLetzterem
sei zwar eigentlichdas WTO-Gericht zu-

ständig, dochinbegrenztemUmfang dür-
fe auch der Europäische Gerichtshof dar-
über entscheiden. Die CEU begrüßte am
Donnerstag die „eindeutigeStellungnah-
me“ der Generalanwältin.
Sie warals einzigevon insgesamt
sechs ausländischen Hochschulen in
Ungarn an den Kriteriengescheitert.
Nach Angaben derRegierung sollte da-
mit verhinder twerden, dassdie CEU ei-
nen unfairenWettbewerbsvorteil erlan-
ge,weil sie sowohl ungarische als auch
amerikanischeAbschlüsse anbiete,ob-
wohl sie nur inUngarn tätig sei. Die
Verdrängung der als Hortliberalen Den-
kens bekannten CEU fügtesichaller-
dings nahtlos in eineReihe vonMaß-
nahmen ein, deren erklärtesZiel es
war, den Einflussvon Soros inUngarn
zu schwächen. So hattedie rechtskon-
servativeRegierungvonMinisterpräsi-
dentViktorOrbán 2018 dasWirken aus-
ländischer Nichtregierungsorganisatio-
nen inUngarn deutlichbeschränkt;in
der Folgemusstedie vonSoros finan-
zierte Open Society Foundation, die
vormals gegenden migrationsfeindli-
chen Kurs Orbáns opponierthatte, ihre
Aktivitäten inUngarn einstellen. cvl.

NeuesaltesKabinett


In Erfurthat dieRegierung ihreArbeit aufgenommen /VonStefan Locke,Dresden


Gee rdeter Shootingstar


Gutachten


stimmtCEU zu


DIE LETZTEN
KRIEGSWOCHEN


  1. MÄRZ


Katrin Albsteiger galt als


große Hoffnungder


CSU–undverglühte


dann. Nunwill sie


Oberbürgermeisterin


vonNeu-Ul mwerden.


VonTimo Frasch,


Neu-Ulm


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