Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.03.2020

(sharon) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik FREITAG,6.MÄRZ 2020·NR.56·SEITE 7


D


er Brief kamüberraschend:
Nordkore as Machthaber Kim
Jong-un hat den Landsleuten
im SüdenineinemSchreiben
an Südkoreas PräsidentMoon Jae-inim
Kampfgegen das Coronavirus Covid-
seinMitgefühl und seine bestenWünsche
für die Gesundheit ausgesprochen. Das
teiltedas Präsidialamt in Seoul amDon-
nersta gmit.Dabei hatte Nordkorea die
Avancender südkoreanischenRegierung
um eineZusammenarbeit seitMonaten
ins Leerelaufe nlassen .ErstamDiens tag
hatte Kims Schwesterdie Regierung in Se-
oul in scharfenWortenbeschimpft, dabei
aberMoon ausdrücklich ausgenommen.
Kim soll in demBrie fvom Mitt woch sei-
ne Sorge über die Gesundheitvon Moon
ausgedrückt und sich frustriertgezeigtha-
ben,dasserimMoment nicht viel tunkön-
ne, um zu helfen, erklärte Südkorea. Die
Wortwahl belegt den AnspruchKims auf
die patriarchalischeFührerschaftüber die
gesamte Nation. Er hat sichnachAngaben
Seouls in dem Briefferner „offen“ zur
Lageumdie koreanische Halbinselgeäu-
ßert. Das Präsidialamt schwieg sichüber
den Inhalt des politischenTeils des Schrei-
bensaus. Der Dialogzwischen Amerika
undNordkoreaist ebenso wie interkoreani-
sche Gesprächeins Stockengeraten.
Südkoreaist mit mehr als 6000 Corona-
Infizierten nachChinader größteKrisen-
herdder Epidemie.Nordkoreameldete of-
fiziell bislangkeinen Infektionsfall. Ange-
sichts der engenWirtschaftsbeziehungen
mit China halten esFachleuteaber für un-
wahrscheinlich, dass es nochkeine Er-
krankten in demLand gibt. Moon hatte
de mNord en er st am Wochenende eineZu-
sammenarbeitinder Gesundheitsvorsor-
ge und im Kampfgegen ansteck ende
Krankheiten angeboten,ohne eine Ant-
wort zu erhalten. Er schickte Kim alsRe-
plikauf sein Schreiben einenDankesbrief.

BeobachterinSeoulreagiertenüber-
rascht auf denBrief Kims. MancheKom-
mentatoren spekulierten, das sder nordko-
reanische Machthaber einevorsichtig eAn-
näherung an den Süden suche, vielleicht
um künftig Hilfefür ein eBekämpfung des
VirusimNorden zu erhalten. „DieLageist
sehr verwirrend“, sagteGoMyong-Hyun
vomAsan-Institut in Seoul,weil die Bot-
schaf tvon Kim und dieseiner Schwester
zugeschriebene BotschaftimTonfall so un-
terschiedlich seien. Eskönne sein,dass
Kimdie Beziehungen zu Südkorea wieder
aufwärmen wolle,weilNordkorea sich
vomamerikanischen PräsidentenDonald
TrumpauchnacheinemWahlsiegkeine
weiter eGesprächsbereitschaftmehr er-
warte, sagteGo.
Dem Brief an Moonwaren jedochwe-
nigfreundlicheWorteinRichtung Südko-
reavorausgegangen. Erst am Dienstaghat-
te die Schwesterdes Machthabers, Kim
Yo-jong, demPräsidialamt in Seouleine
„inkohärenteund idiotische Artzuden-
ken“ vorgeworfen. Siereagiertedamit auf
Kritik des Südens an dem jüngstennordko-
reanischenWaffentes t. Die „inkohärenten

Behauptungen“ Seouls hätten „das Miss-
trauen, denHassund dieVerachtung für
den Süden nurverstärkt“,sagtesie gemäß
der nordkoreanischenNachrichtenagen-
tur KCNA.
UndiplomatischeSprache dieserArt ist
für Nordkoreanicht ungewöhnlich. Bemer-
kenswertwar di eBeschimpfung aus ei-
nem anderen Grund: Eswardas er steMal
überhaupt,dassKim Yo-jongsich über die
Staatsmedien äußerte. Die Schwesterund
VertrauteKims warbisher das freundliche
Gesichtdes Regimesund verkörperte die
Annäherungsoffertegegenüber dem Sü-
denseitJanuar 2018. SiewarTeil der nord-
koreanischen Delegation bei den Olympi-
schenWinterspielenimSüden und spielte
eine wichtigeRolle beim ersten Treffen
Kims und Moons.Trotz ihrer harschen Kri-
tikan Seoul schien KimYo-jong am Diens-
tagdie Türfür eineWiederannäherung
nicht ganz schließen zuwollen. Es sei er-
freulich, dassdie südkoreanische Kritikan
PjöngjangsWaffentes tnicht vonPräsident
Moon direktgekommen sei, sagtesie.
Über Kim Jong-uns Brief an Moon Jae-
in be richtete nNordkoreasStaatsmedien
am Donnerstag zunächstnicht .Wenn sie

diesnochtun, könntePjöngjang die
schwierigeLageimSüden nutzen, um die
mutmaßliche Wirksamkeit der eigenen
Maßnahmengegendas neuartigeCorona-
virus zu unterstreichen. Als erstes Land
weltweit hatteNordkorea Ende Januar sei-
ne Grenzenvollständig geschlossen. Alle
Flug-,Zug- undStraßenverbindungen ins
Ausland wurdengekappt. AlleAusländer
in Nordkorea wurdenfür einenMonat un-
terQuarantänegestellt.Inden kommen-
den Tagensolleslediglicheinen Flugnach
Wladiwostokfür ausreisewilligeAuslän-
der geben.
Die Einschränkungen werden derart
strikt du rchgesetzt, dassdie Bundesregie-
rung entschieden hat, die deutsche Bot-
schaf tinPjöngjang bis aufweiteres zu
schließen. Trotzder erheblichenwirt-
schaftlichen Einbußenwirdauch dieAb-
riegelung der Grenze zu Chinaoffenbar so
streng eingehalten, dassselbstder Schmug-
gelunterbundenwird. GovomAsan-Insti-
tut wies indesdarauf hin, dassder Preis für
Reis in Nordkorea laut Berichtengesun-
kensei. Er sieht dasals Indiz, dassder Wa-
renaustauschmit China nichtganz zum
Stillstandgekommen sei.

Mit einem eineStunde und 48 Minuten
langen Online-Film hat der JournalistJu-
rijDud vollbracht,woranrussische Ge-
sundheitsfunktionäre, die Weltgesund-
heitsorganisation und dieVereintenNa-
tionen bishergescheitertsind: Er hat das
Problem, dasRuss land mit HIV und Aids
hat, auf dieTagesordnunggesetzt .Das
Ausmaß istsogar nachoffiziellenZahlen
dramatisch. Dud, ein jugendlichwirken-
der Schlaksmit schnittigerFrisur,nennt
zu Beginn seinesFilms die Zahlen: Mehr
als eine Million Menschen sind inRuss-
land mit dem HI-Virusinfiziert; 37 000
Russen starben im Jahr 2018 an Aids,
durchschnittlichhundertamTag. Doch
über das Problem, sagt Dud,wolle man
im Land nichtreden oder schäme sich.
Das will er ändern, und vielleichtgelingt
es ihm, ersteReaktionen lassen hoffen.
Aber die Gegenseite–auchdas wirdim
Film deutlich–iststark und mächtig.
Am 11.Februar veröffentlichteDud
„HIV–Die Epidemie, über die nichtge-
sprochen wird“ aufYoutube; bisher istder
Film dortmehr als 16 Millionen Mal auf-
gerufenworden. Allein das istein Er folg.
Der 1986 als Sohn eines sowjetischen Mi-
litär sinPotsdamgeborene Dudvermag
es wiekaum ein anderer,jungeRussen an-
zusprech en: Erkommt aus dem Sportjour-
nalismus ,wirkt einUnterhaltungssendun-
genmit, interviewt seit drei Jahren für ei-
nen eigenenYoutube-Kanal Musiker,Ath-
leten, Journalisten, Politiker.Dud wirkt
ehrlic hinteressiert, nahbar und unvorein-
genommen, erfrischend normal imUnter-
schied zumgelenkten Kreml-Fernsehen
einerseits und zu kämpferisch-bitteren
Oppositionellen andererseits. Dabeiwagt
er sic himmerweiter auf politischesTer-
rain vor: 2019veröffentlichteDud zwei
Youtube-Dokumentationen zu brisanten
Themen, im April „Kolyma–Heimat un-
serer Angst“ überStalins Terror und den
GULag, im September „Beslan. Erinnere
dich“ über die Geiselnahme in einer Schu-
le im Nord kaukasus 2004.
In beidenFilmenverzichtet Dud auf
die sonstigenWerbeauftritte, hinterfragt
offizielle Versionen, informiert; beide
sind bisher jeweils mehr als 19 Millionen
Mal aufgerufenworden. Warumersich
jetzt heikler Themen in abendfüllendem
Format annimmt, wurde klar,als ihn der
russische Ableger einer Männerzeit-
schrif t2019 (schon zum dritten Mal) zum
„Menschen des Jahres“kürte: „Wenn in
Russland beim nächst en Mal einfach ePas-
santen mit Schlagstöcken verdroschen
werden“, sagteDud in seinen Dankeswor-

ten, „wenn der nächste WaggonStaats-
geld geklaut und der nächste St apel Altpa-
pier in eineWahlurnegestopftwird, bitte
icheuchsehr,darüber zureden und nicht
zu schweigen.“
In diesem Sinne klärtDud auchinsei-
nem neuenFilm auf. Berichtet über Stig-
ma und Diskriminierung,etwa,wie HIV-
infizierte Kinder in einemFerienlager ab-
gewiesen wurden. Dudverurteilt dessen
Mitarbeiter nicht, sondernerklärtdie Ab-
sagemit Unwissenheit, erläutert, dass
man mit HIV-Infiziertenaus derselben
Dose trinken, dieselbe Pizza essen und
Kleidertauschenkann, ohnesichanzuste-
cken. Undwiderlegt das–auch vonstaatli-
cher Seitegenährte–Vorurteil, vorallem
Drogenabhängige, Homosexuelle und
Prostituierte liefen Gefahr,sichzui nfizie-
ren. Tatsächlichsteckten sichmehr als
die Hälfe der 2018 neu Infizierten überhe-
terosexuelleKontakt ean.

Wenig staatlicheAufklärer
Duds Gesprächspartner klären darüber
auf, dassman mit denrichtigen Medika-
menten mittlerweile gesunde Kinder krie-
gen, altwerden und ein erfülltes Leben
habenkann. Letzteres zeigt Dud mit ei-
nem draufgängerischen Surferund Rock-
sänger Mittedreißi gaus Nowosibirsk,der
sichdas Virusals Rauschgiftsüchtiger ein-
fing, wie so viele, übergemeinsam benutz-
te Spritzen. Methadon als Ersatzopiat für
Heroin sowieNadel- und Spritzentausch-
prog ramme, die helfen, dieZahl derNeu-
ansteckungen zuverringern, sind inRuss-
land verboten, wasWadim Pokrowskijin

dem Film ausdrücklichbeklagt.Der Lei-
tereinesnationalenZentrums zurVorbeu-
gung und BekämpfungvonAids is teiner
der wenigenstaatlichenAufklärer inRuss-
land, die sonstkaum gehörtwerden.Po-
krowskijerklärtDuds Zuschauern, wie
man instaatlichenZentren als HIV-Infi-
zierterdie richtigenTablettenkostenlos
bekommenkann, um nicht an Aids zu er-
kranken. Er hebt aber hervor, dassdie
Mittelbisher nur ausreicht en, um die Hälf-
te der offiziell Infiziertenzuversor gen,
rund eine halbe Million Menschen; das ist
weit wegvon der Zielvorgabeder Aids-Or-
ganisation derVereintenNationen (UN-
Aids)vonneunzig Prozent.
In Russ land sind mittlerweile 1,2 Pro-
zent der Bevölkerung zwischen 15 und 49
Jahren mit HIV infiziert. Fachleute schät-
zen, dassdie Zahl der HIV-Infiziertenin
Russland noch höher als gut eine Million
sein und eher eineinhalb bis zwei Millio-
nen betragen dürfte(das Land hat offi-
ziell gut 146, ohne die besetzteukraini-
sche Krim 144 Millionen Einwohner).
Viele Russ en haben sichnochnicht tes-
tenlassen.„Wenn man in der Schule das
Wort ‚Präservativ‘ sagt, kriegt man sofort
ein Strafverfahren“, sagt Anton Kras-
sowskij, Leiter einer Hilfsorganisation na-
mens„Aids.Zentrum“, in DudsFilm. Ge-
rade Heranwachsende müssten aufge-
klärtwerden,weil sie ohnehin „experi-
mentieren“, da dürfe man sichnicht auf
bloße Hoffnungverlassen.
Aber seit Präsident Wladimir Putin die
Aufrechterhaltung „traditionellerWerte“
zur MissionRusslands erklärthat, is tder
Kampfgegen HIV und Aids aufRegie-

rungsebene zugleichTeil des ideologi-
schenKulturkampfesmit demWesten ge-
worden. Kreml-Berater haben das Pro-
blem als „Elementdes Informationskriegs
gegenRussland“ abgetan, vielePolitiker
und dieRussische Orthodoxe Kircheplä-
dieren schlicht fürweniger Lasterhaftig-
keit, mehr Sittlichkeit. Weraufklärtund
sterile Spritzenverteilt,mussmit Strafver-
fahren etwa wegen„Propagandafür
Rauschgiftund Gay-Kultur“ rechnen.
Manche Aktivistengegen HIV und Aids
werden als „ausländischeAgenten“ drang-
saliert. UN-Aidsbeklagt ein „Fehlenvon
Maßnahmen“ gegenNeuansteckungen
undsieht Osteuropa undZentralasienvor
allemRusslandswegenals einzige Großre-
gion derWelt mitsteigenden HIV-Zahlen.

„UnwissenschaftlicherFeldzug“

Krassowskij, der selbstfür denStaatssen-
der RT Aufklärungsfilmeüber HIV und
Aids dreht, kritisiertinDuds Film, in der
überalterten,abgeschirmtenFührung des
Landes beschäftigeman sichlieber mit
Prog rammen zur Hebung der Geburtenra-
te oder bestenfallsgegen Krebs. Etliche
Mächtigeglaubten wirklich, Aids sei eine
Verschwörung des amerikanischen Ge-
heimdiensts CIA.Eine ungläubigeNach-
frag eDuds an dieserStelle is twomöglich
gespielt, zeigt aber,wie fremd die in der
FührungverbreiteteGeheimdienstmenta-
lität der Jugend ist. Krassowskijbeklagtei-
nen „unwissenschaftlichen Feldzug“ und
biete tan, jedem die überfülltenZentren
zu zeigen, in denenRussen um Medika-
menteanstünden:„Das istnicht die CIA!“
Im Film machen derAktivistund Dud
einenHIV-Test (mit entgegengesetzten Er-
gebnissen) undrufenalle auf, es ihnen
gleichzutun.Nach Veröffentlichung des
Films wurden HIV-Tests in Russland
knapp, Hilfszentrenberichtetenvon dop-
pelt bis dreimalsovielen Anfragen wie
sonst. DudsFilm wurde,vorallerdingswe-
nig Publikum, imUnterhaus gezeigt, es
gabdortaucheinen „RundenTisch“ zu
HIV.Abgeordnete,Funktionäre und sogar
Putins Sprecher lobtenDuds Film, dieZei-
tung „Kommersant“ berichtete,der Präsi-
dent habe schon Ende Dezember angeord-
net, dieReichweite der HIV-Therapie auf
neunzig Prozent der Infiziertenzuvergrö-
ßernund mehr Leutetesten zu lassen.
Man will es sichnicht leisten, das Thema
zu ignorieren, und gibt so dem Journalis-
tenrecht.Nicht zuletzt zeigt Duds Erfolg,
wie groß inRussland dieNachfrag enach
echten, ungefärbten Informationen ist.

Im Kampfgegen Corona:Südkoreanische Soldatenversprühen am MittwochinSeoul Desinfektionsmittel. FotoAFP

ErstSchelte ,dannbes te Wünsche


frs. MOSKAU.Im Januarkonnten Jour-
nalistenund der Antikorruptionsjäger
AleksejNawa lnyj derFamilie des neu-
en russischen Ministerpräsidenten Mi-
chail Mischustinverblüffenden Immobi-
lienreichtum zuordnen. Seitherrichten
sich viele Blicke auf einen alten Be-
kannten Mischustins: Der Geschäfts-
mann Alexander Udodowhat der
Schwesterdes Regierungschefs,Natali-
ja Stenina, laut den Berichten einige
der GrundstückeinbesterLagege-
schenkt undwaraneinem Moskauer
Wohnungserwerb durch zwei Söhne Mi-
schustins beteiligt. Mischustin, dervon
2010 bis Januar dieSteuerbehörde leite-
te,spieltemit UdodowEishockey. Un-
angenehm für ihn, dassder Geschäfts-
mann mit Mehrwertsteuererstattungs-
betrug zu Lastendes Staates inVerbin-
dung gebrachtword en is t.
Prom pt erschienen nun lobende Me-
dienberichteüber Udodow, „der dieva-
terländische Wirtschaf tentwickelt“,
wie dieZeitung „MoskowskijKomso-
moljez“ schrieb. Dazu erfuhr man
etwa ,dassUdodowimBestreben,Russ-
lands Lebensmittelproduktion vom
Westen unabhängig zu machen, die
Agrarholding „Pilzregenbogen“gegrün-
dethabe und imwestrussischenKurs-
ker-Gebiet„frische Champignons züch-
tet“. Nacheigenen Angaben istUdo-
dowzudem seit 2004 Eigentümer des
deutschen Logistikunternehmens VG
Cargo (das dazugegenüber dieserZei-
tung am Donnerstag zunächstkeine
Stellung nahm). „Mein Businesswird
jetzt ständig unter dieLupe genom-
men“, klagte der Geschäftsmann Ende
Februar in der kremltreuenZeitung „Is-
westija“ und erzähltevonErfolgen mit
Immobilien sowieals In vestitionsmana-
gereines Ölunternehmens.
Indesgaber vorallem bekannt, dass
er seit 2008 mit Mischustins Schwester
verheirat et sei undSteninatatsächlich
die besagten Grundstücke geschenkt
habe. Dasser„im Internet“ als „König
der Mehrwertsteuererstattung“ bezeich-
netwerde, verurteilteUdodowals
„Lüge“, die seit 2011 immer wieder auf-
komme; nie sei ein Ermittlungsverfah-
rengegen ihn eröffnetworden.Kurz
nachErscheinen des Interviews der „Is-
westija“ berichteteNawalnyj unter Be-
rufung auf Grundbuchauszügeüber
sechs NewYorkerWohnungen, die Udo-
dowEnde 2009 und Mitte2010 für ins-
gesamt 6,4 Millionen Dollar erworben
und 2018 verkaufthabe. Nawalnyj
machtedarauf aufmerksam, dassdiese
Apartments in demselben Haus in der
Pine Street in Manhattanwaren, in dem

sichauchWohnungen befinden, die
laut der amerikanischen Justiz mit
Geld aus dem bekanntestenMehrwert-
steuerbetrug zu Lastendes russischen
Staates erworben wurden: Der Moskau-
er Wirtschaftsprüfer SergejMagnizkij
hatte2008 solche Machenschaftenmit
einem Schadenvonrund 230 Millionen
Dollar aufgedeckt.
Er wardaraufhin inUntersuchungs-
haftgenommenworden und dortimNo-
vember 2009qualvoll zu Tode geko m-
men. Nawalnyj bezeichnete den räumli-
chen und zeitlichenZusammenfall –
Udodow kaufte die er sten fünfWohnun-
genindem Haus nur dreiWochen,
nachdem der in den Magnizkij-Fallver-
wickelteKäufer dortinvestier thatte–
als „pikant“, wies aberkeine Verbin-
dung zwischen den beiden Russ en
nach. Udodowreagierte nicht auf eine
Anfrageder Zeitung„Wedomosti“, die
Nawa lnyjs Bericht zu denNewYorker
Immobilien bestätigte.
Dafürreagierte derrussischeStaat
auf die lästigen EnthüllungenNawal-
nyjs und dessen Stiftungzum Kampfge-
genKorruption (FBK). Am Dienstag be-
richtete Nawalnyj, sein privatesKonto
sowie privateKonten seinerFrau, der
beiden Kinderund seinerElter nseien
gesperrtworden, zudemKonten des
FBK-DirektorsIwanSchdanow, vondes-
sen Frau und Eltern. Das erfolgteoffen-
bar imRahmeneines obskuren Geldwä-
sche verfahrensgegenden FBK. Denn
die Privatkonten wurden lautNawalnyj
mit einem Sollbetrag vonumgerechnet
gut einer MillionEurobelastet, um sie
ins Minus zu ziehen und zu sperren.
Die entsprechende Summe, 75 Millio-
nen Rubel, wirdmeistim„ Fall FBK“ge-
nannt,der als eine der zahlreichen Maß-
nahmender Justiz erscheint, um die Ar-
beit der Störenfriede zu lähmen.Zuden
Maßnahmengehören auchhohe Bußgel-
der,nun auchwegen Verstößen gegen
diePflicht, FBK-Material alsVeröffentli-
chungen eines „ausländischen Agen-
ten“ zu deklarieren; als solcher giltNa-
walnyjs mit Spenden finanzierte Stif-
tung seit demvergangenen Oktober.
Nawa lnyj erklärte die Kontensperren
nun mit den neuen Berichten zu Udo-
dow, hielt aber aucheine Racheaktion
am Jahrestagder Veröffentlichungvon
Enthüllungenüber den (imVergleichzu
Mischustin nochgrößeren) Immobilien-
reichtu mDmitrij Medwedjewsfür mög-
lich, der bis Januar Ministerpräsident
war. Den Film dazu hatteNawalnyj auf
den Taggenau drei Jahrezuvor veröf-
fentlicht; in derFolgehattenZehntau-
sende inganz RusslandgegenKorrupti-
on pr otestiert.

Woranviele bishergesch eite rt sind


Der Youtuber Jurij DudklärtRussland über HIVauf /VonFriedrich Schmidt, Moskau


„HIV 2020“:Der russischeYoutuber Jurij Dud im neuestenVideo ScreenshotF.A.Z.

rüb./mic.ROM/PARIS. Am ersten Tag
der bis EndenächsterWocheverfüg ten
Schließung allerBildungseinrichtungen
im Land istinItalien am Donnerstag
eine heftigeDebatt eüberdie Sinnhaftig-
keit der Maßnahme entbrannt.InMe-
dienberichten hieß es unter Berufung
auf Regierungsquellen, dervomKabi-
nett berufene Expertenrat habesich
skeptischdazu geäußer t. Fürden Süden
des Landes,wodie Spitze der Anste-
ckungszahlenerstnocherwartetwird,
sei die Maßnahmewomöglichzukurz-
fristig angelegt,während sie inRegio-
nen mitgeographischbegrenztenAnste-
ckungsherden unnötig sei.
Familienministerin Elena Bonetti
stellteamDonnerstagfinanzielleUnter-
stützung für ElterninAussicht, diewe-
gender kurzfristigverkündetenSchul-
und Kindergartenschließungen nicht
zur Arbeitgehen konnten oder Babysit-
terengagieren mussten. Die Ministerin
wies darauf hin,dassGroßelternnicht
über Gebühr für die Betreuung ihrer En-
kelinAnspruchgenommenwerden soll-
ten, weil das Coronavirusvorallem für
älter eMenschen gefährlic hwerdenkön-
ne. ZumPaketvon Maßnahmen und
Empfehlungen, das Ministerpräsident
Giuseppe Conte am Mittwochabendun-
terzeichnete,gehör tauchdie Aufforde-
rung, dassMenschen, die älter als 75
Jahresind, nur zu unaufschiebbaren Er-
ledigungen ihreWohnungenverlassen
sollen.Außerdem wirdallen nahege-
legt,häufig die Hände zuwaschen, sich
nicht anNase, Mund undAugenzugrei-
fen, bei der Begrüßung auf den Hand-
schlag und zumal auf den üblichenWan-
genkus szuverzichten, Menschenan-
sammlungen zuvermeiden und in der
Öffentlichkeit mindestens einen Meter
Abstand voneinander zu halten.
In einerauf seinerFacebook-Seitever-
öffentlichtenVideoansprache an dieNa-
tion warb Conte umVertrauen in die
Notfallmaßnahmen der Regierung.
„Wir sitzen alle imgleichen Boot“, sagte
er und erinnerte daran, dassdie Nation
im Augenblic kder Notimmer zusam-
mengestanden habe:„Wir sind einstar-
kesLand. Ein Land, das nicht aufgibt.“
Contewies auf den Einsturzder Moran-
di-Brücke in Genuavom14. August
2018 mit 43Totenhin. Conterechtfertig-
te die Entscheidungzur Schulschlie-
ßung mit der Sorge vo reinemmögli-
chen Kollaps des Gesundheitssystems.

Am Donnerstagabend kündigteWirt-
schaftsministerRoberto Gualtierian,
dassdie Regierung für denKampfgegen
das Virusund dieWiederankurbelung
der Wirtschaf t7,5 Milliarden Eurobe-
reitstellen werde. DieZahl derVirus-To-
teninItalien stieg innerhalbvon 24
Stunden um 41 auf 148Fälle.
In Frankreichhat Präsident Emmanu-
el Macron am Donnerstag 30Wissen-
schaftler,Laborleiter und ÄrzteimEly-
sée-Palastempfangen, um sicheinen
Überblick über denForschungsstand an-
gesichts der Coronavirus-Epidemie zu
verschaffen. Frankreichwirbtfür eine
bessereinternationaleKooperation.Ma-
cron telefonierte mit dem amerikani-
schen PräsidentenDona ld Trump, da
die Vereinigten Staaten die G-7-Präsi-
dentschaftinnehaben. DiebeidenPräsi-
dentenverständigten sichdarauf, dass
die sieben führendenIndustrienationen
ihrewissenschaftlichen Erkenntnisse
zum Covid-19-Virusaustauschen, das
VorgehenzurEindämmungdes Virus
besser abstimmen und aucheine volks-
wirtschaftlicheAntwortausarbeiten.
MacronstimmtesichnachAngaben des
Elysée-Palastes auchmit dem britischen
PremierministerBoris Johnson ab.
Die französischeRegierung hat be-
schlossen, aufgrund der hohenNachfra-
ge nach Desinfektionsmitteln undHand-
gels Höchstpreisefestzusetzen. So sol-
len Händlerkünftig nicht mehr als zwei
Eurofür 50-ml-Behälter,drei Euro für
100-ml-Behältersowie fünf Eurofür
300-ml-Behälterverlangenkönnen. Das
entsprechende Dekretsoll an diesem
Freitag in Krafttrete n. Im Fall der Miss-
achtung drohen denEinzelhändlern
Geldbußen bis zu 7500 Euro.
In Frankreichsind inzwischen alleRe-
gionen betroffen. ImVergleichzuIta-
lien bleibt dieZahl dergetesteten Ver-
dachtsfälle jedochsehr niedrig. In
Frankreichwerden nachAngaben der
Gesundheitsbehörde täglichnur etwa
100Testsvorgenommen,während in Ita-
lien bis zu 3000Tests proTag stattfin-
den. WersichinFrankreichtesten las-
sen will, musssichersteinemaufwendi-
genPrüfungsverfahren mitFragebogen
un dmedizinischer Bewertung unterzie-
hen und auf einenPlatz in einem der
150 zu denTestsbefugten Krankenhäu-
ser warten. Beim ersten französischen
Opfer wurde auf dieseWeise er st nach
dessenTodein Test vorgenommen.

FragwürdigeFreundschaften


Die Verstric kungen desrussischenRegierungschefs


Kritik an Schulschließung


in Italien wegenEpidemie


Romsicher tFamilienfinanzielleUnterstützung


zu /Frankreichdroht Einzelhändlernmit Bußgeld


WarumKim Jong-un


demsüdkoreanischen


Präsidentenineinem


Brief sein Mitgefühl im


Kampfgegen das


Coronavir us au sspri cht.


VonFriederikeBöge,


Peking, undPatrick


Welter ,Tokio

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