interview: annett scheffel
A
ls Zwanzigjährige zog Ulrike Ot-
tinger Anfang der Sechziger nach Pa-
ris – eine Stadt, in der sie sich fortan
mit immer „weiter und weiter, größer und
größer“ werdenden Augen bewegte. Nun
blickt die deutsche Avantgarde-Regisseu-
rin, die gerade für ihr Lebenswerk mit der
Berlinale-Kamera ausgezeichnet wurde,
auf ihre Pariser Jahre zurück. In ihrem neu-
en Film „Paris Calligrammes“ flaniert sie
als Erzählerin durch ihre Erinnerungen –
an Orte, Menschen, Kunst, Gedankenwel-
ten und politische Umbrüche – wie damals
durch die Straßen von Saint-Germain.
SZ: Wie schwer war es, die beiden Ulrike
Ottingers zusammenzubringen: die sehr
junge Frau in Paris, an die Sie sich erin-
nern, und die erfahrene Künstlerin, als
die Sie auf dieses Leben zurückblicken?
Ulrike Ottinger: Nun ja, man erinnert sich
natürlich an sehr viel. Aber dieses Erin-
nern in eine filmische Form zu bringen ist
sehr viel schwieriger. Man muss sehr ge-
nau überlegen und prüfen, welche Erinne-
rungen man verwendet und welche man
rauslässt. Ich glaube, deshalb war es der
herausforderndste Film, den ich in mei-
nem ganzen Leben gemacht habe.
Was war das für eine junge Frau, an die Sie
sich erinnern? War sie unbekümmert
oder ernsthaft?
Ich war sehr ernsthaft. Und melancholisch,
auf diese bestimmte Weise, die oft bei jun-
gen Menschen vorkommt: nach außen hin
ist man fertig, aber fühlt, dass man es von
innen noch nicht ist und dass man noch
viel lernen muss. Ich habe sehr viel nachge-
dacht und war manchmal auch sehr allein.
Natürlich bin ich auch oft ausgegangen
und habe in den vielen Jazzclubs getanzt –
vielleicht um die Einsamkeit fortzuschüt-
teln. Vor allem habe ich mir das alles aber
mit großen Augen angeguckt: diese Stadt
mit all ihren Künstlern. Und ich hatte ja
viel vor, wollte selbst Künstlerin werden.
Sie haben damals in Paris ja noch nicht
selbst gedreht. Wie haben Sie Bilder für Er-
innerungen gefunden?
Ich bin zum Drehen nach Paris zurückge-
kehrt, um Orte aufzusuchen, die für mich
persönlich von Bedeutung waren. Aber Pa-
ris hat sich verändert, und einige dieser Or-
te hatten ihren Charme eingebüßt und er-
wiesen sich als visuell nicht sehr attraktiv.
Deren Bedeutung hätte man selbst mit den
interessantesten Bildausschnitten nicht
mehr wiedergeben können. Also musste
ich mir andere Lösungen einfallen lassen.
Sie mussten in die Archive und viele histo-
rische Aufnahmen ausgraben ...
Ja, das Recherchieren war die Hauptarbeit.
Ich habe in verschiedenen Pariser Archi-
ven sicher 500 Filme gesichtet, um Bilder
zu finden, die die Atmosphäre der Zeit wie-
dergeben: Spielfilme, Dokumentationen,
Nachrichtensendungen, Interviews, frühe
Fernsehaufnahmen. Ich hatte einen gan-
zen Berg von möglichem Material. Es war
schwierig, das alles zu sortieren.
Warum wollten Sie die Geschichte Ihrer
Pariser Jahre gerade jetzt erzählen?
Ich habe über die Jahre oft Freunden von
dieser Zeit erzählt. Und alle sagten mir im-
mer: „Das vermittelt ein so starkes Gefühl
für die Zeit. Du musst einen Film darüber
machen!“ Ich weiß nicht, warum ich so lan-
ge gewartet habe, aber plötzlich hatte ich
das Gefühl, es wäre an der Zeit. Weil be-
stimmte gesellschaftspolitische Themen
und Debatten von damals gegenwärtig wie-
der so virulent sind. Unsere heutigen De-
batten über Terrorismus, Kolonialerbe
und Flüchtende haben mich an die Fragen
erinnert, die damals in Frankreich im Zuge
des Algerienkrieges verhandelt wurden.
Zum Beispiel wie berechtigt das ist, unbe-
teiligte Menschen in die Luft zu jagen, um
bestimmte Ziele zu erreichen? Fragen, die
im Deutschen Herbst dann auch in
Deutschland aufkamen. Ich fand es interes-
sant, den Blick von damals mit dem von
heute zu vergleichen.
Gleichzeitig ist „Paris Calligrammes“
ein sehr persönlicher Film. Würden
Sie sagen, es ist eine Autobiografie?
Eine Autobiografie nach meiner Art. Ich
bin nicht der Typ Mensch, der gern sein In-
nerstes nach außen kehrt. Ich habe nach ei-
ner ästhetischen Form gesucht für meine
Erzählung dieser Zeit der geistigen, gesell-
schaftlichen und politischen Umbrüche,
die für mich sehr prägend war. In diesem
Sinne ist der Film auch eine Selbstanalyse
- eine künstlerische Spurensuche. Nicht
umsonst tauchen im Film immer wieder Zi-
tate aus meinen späteren Filmen auf, die in
Verbindung mit Eindrücken und Entde-
ckungen aus meiner Pariser Zeit stehen.
Dazu zählt auch die sehr intensive franzö-
sische Kolonialgeschichte, mit der Sie sich
damals auseinandersetzten.
Ja, die Diskussionen über den Algerien-
krieg schärften unsere Sicht auf das koloni-
ale Erbe des Landes, über das gerne ge-
schwiegen wurde, das aber in der Architek-
tur der Stadt überall sichtbar war, vom Mu-
sée nationale de l’histoire de l’immigration
bis zum Parc Colonial, in dem ich oft spazie-
ren ging. Besonders gerne war ich auch im
Musée Gustave Moreau. Seine symbolisti-
schen Gemälde aus der Zeit des Fin de Siè-
cle inspirierten mich später zu den Kulis-
sen meiner Kolonialoper „Dorian Gray im
Spiegel der Boulevardpresse“.
Apropos spazieren gehen: Damit – oder
genauer: mit dem Flanieren – haben Sie ei-
nen großen Teil dieser Jahre verbracht.
Bei Walter Benjamin heißt es: „Den Typus
des Flaneurs schuf Paris.“ Haben Sie es
auch erst dort gelernt?
Ich glaube, eine gute Beobachterin bin ich
schon vorher gewesen. Ich habe Dinge
schon als Kind immer sehr genau an-
geguckt. Aber es stimmt schon, in Paris
konnte ich überhaupt nicht mehr aufhö-
ren, durch die Straßen zu gehen, Tag und
Nacht. Und ich habe alles aufgesogen. Was
mir wichtig ist, in meinem Film zu zeigen:
Ich will von meinen Erinnerungen erzäh-
len, wobei Realität und in der Fantasie
Konstruiertes oft schwer zu trennen sind.
Es geht nicht um ein naturalistisches Ab-
bild, das ich mir von der Stadt gemacht ha-
be, sondern eher um ein imaginiertes Pa-
ris, in dem sich alles überlagert.
Ausgangspunkt für Ihre Erkundungstou-
ren war die kleine Buchhandlung „Librai-
rie Calligrammes“ des Exilanten Fritz
Picard, nach der Ihr Film benannt ist. Dort
traf sich die Intellektuellen- und Künstler-
szene. Muss man sich das als utopischen
Ort vorstellen?
Für mich auf jeden Fall. Ich habe dort viele
Geistesgrößen kennengelernt. Leute wie
Picard und seine Frau, Ruth Fabian, den
Dadaisten Raoul Hausmann, Max Ernst,
Hans Arp oder den Schriftsteller Walter
Mehring. Auch Tristan Tzara und Ethnolo-
gen aus der Sorbonne haben dort gelesen.
Sie alle kamen in diesem winzigen Laden
zusammen. In einer Seitenstraße von
Saint-Germain; da gingen maximal fünf-
zig Leute rein. Ich habe dort so viele Gedan-
ken über brennende politische und künst-
lerische Probleme gehört. Für mich war
das damals wie eine Explosion der Gedan-
ken.
Wie sind Ihnen diese Intellektuellen be-
gegnet – als Mentoren? Auf Augenhöhe?
Beides. Sie haben mich ernst genommen
und mich mitreden lassen, wollten mir
aber auch viel beibringen. Für mich hat
sich das so angefühlt, als wenn ich plötz-
lich ganz viele Großmütter und Großväter
hätte, die sich sehr liebevoll um mich ge-
kümmert und mich erzogen haben. Sie dür-
fen sich das nicht so vorstellen wie heute:
Um all diese berühmten Schriftsteller und
Künstler herrschte damals noch nicht so
ein Hype, wie man es heute kennt. Viel-
mehr hatte alles eine schöne Selbstver-
ständlichkeit. Es war ein enger Kreis, in
dem viel diskutiert wurde. Und hinterher
ging man zusammen in die Kaffeehäuser.
Das war ein einfaches Leben, gänzlich un-
spektakulär – aber angefüllt mit so vielen
Gedanken. Es herrschte eine Gesprächskul-
tur, wie es sie heute nicht mehr gibt: präzi-
se und scharf, aber nie grob. Und ich war
richtig euphorisch, weil ich mitsprechen
konnte.
Gibt es solche Orte heute noch?
Darüber habe ich während der Arbeit am
Film auch viel nachgedacht. Ich glaube,
was heute oft fehlt, ist die persönliche Be-
gegnung. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass mich ein Skype-Gespräch jemals in ei-
ne solche Aufregung versetzt wie die Lesun-
gen und Gespräche damals. Das hat mir
ganze Welten eröffnet.
Ein zweiter wichtiger Anlaufpunkt wurde
später die Cinémathèque française. An
welche augenöffnenden Filmmomente er-
innern Sie sich?
An sehr viele! Ich bin dort ständig hinge-
rannt und habe alles angeschaut: die kom-
plette Filmgeschichte von Lumière über
die russischen Avantgardisten und den
deutschen Expressionismus bis zur Nou-
velle Vague. Am meisten haben mich Retro-
spektiven von einzelnen Regisseuren faszi-
niert, weil ich die künstlerische Entwick-
lung nachvollziehen konnte. Germaine Du-
lac habe ich geliebt. Erst dort, in der Ciné-
mathèque, kam ich zu der Überzeugung:
Ich muss Filme machen. Das Kino wurde
für mich zu einer Kunst, in der ich alles,
was mich interessierte, zusammenbringen
konnte: Historisches und Persönliches, Mu-
sik und Sprache, Poesie und Politik.
King Krule hat einen Goldzahn. Er steckt
prominent ganz vorn in seinem Mund. Hin-
ter dem Goldzahn wiederum steckt eine
spektakuläre Geschichte, sagt King Krule,
aber die erzählt er nicht. Nicht heute. Es ist
Anfang Februar, ein Pub in Südlondon, na-
he dem Sexby Garden. Der erstreckt sich
entlang der Peckham Rye, ein endloses tris-
tes Dreieck. An einer Bushaltestelle, die
groß mit „Out of order“- Schildern über-
klebt ist, warten zwei Briten auf einen Bus.
Archy Marshall hat darauf bestanden,
das Interview am lautesten Tisch der Her-
ne Tavern zu machen. Was gar nicht so
leicht ist, der Pub ist nämlich so gut wie
leer. Nur aus der Küche tönt Töpfegeklirr,
aus einem LautsprecherThe Smiths.Es
gibt einen einzigen Tisch, an dem sowohl
der Küchenlärm als auch Morrisseys Genu-
del sich vereinen. Der muss es sein. Klong-
klong – „This Chaaarming Man“ – kling-
klongklirr. Dazwischen nölt Marshall sei-
ne Antworten in bauchigem Akzent, ein
Brit-Pendant zum Kaugummi-Amerika-
nisch. Er liebe Unordnung, sagt er. Darum
findet er seine neuen Songs auch live bes-
ser, mit Band.
„Ich mag, wie chaotisch das sein kann.
Ich muss mich auf fünf andere Leute verlas-
sen, darauf, dass sie es nicht vergeigen.
Manchmal vergeigen sie’s. Manchmal ver-
geige ich’s. Ich mag das. So nah am Chaos
zu sein, so nah am Trash. Ich mag es auch,
laut zu spielen. Soft spielen mag ich auch.“
2011 wurde er mit seiner ersten EP be-
rühmt, da war er 17. Er ist einer der weni-
gen, die es geschafft haben, die Gitarren-
musik der 2010er zu retten, erst mit Hip-
Hop- und Jazz-Elementen, auf dem neuen
Album „Man Alive!“ (Young Turks/Xl/Beg-
gars) mit Postpunk. Für die Art Musik, die
er macht – verspulter, introvertierter, expe-
rimenteller Indierock – ist er extrem erfolg-
reich. Extrem erfolgreich bedeutet, dass er
die Berliner Columbiahalle trotz Corona
ausverkauft. Extrem erfolgreich bedeutet
Millionen Streams. Bedeutet, dass Kanye
West mit ihm ins Studio wollte — und er
keine Lust hatte. Sagt er. Er hatte anderes
zu tun. King Krule liebt schreckliche Fil-
me, B-Movies. Low-Budget Spätausstrah-
lungen wie „Titanic 2“. „Der ist großartig.“,
sagt er. „Ich gucke mir eine Menge solcher
Filme an. Ich habe ein gutes Jahr damit ver-
bracht, auf einen Fernsehbildschirm zu
schauen.“ Er liest gerne, aber er ist vorsich-
tig, was er konsumiert. Weil Bücher ihn zu
sehr beeinflussen. „Manche Dinge inspirie-
ren einen, aber führen einen auch davon
weg, wo man eigentlich hin will. Das ist mir
bei einer Menge männlicher Autoren wie
Michel Houellebecq aufgefallen, die ich
nicht mochte, da ich den Eindruck hatte,
sein Werk bringt mich näher zu etwas, das
ich nicht will.. .“ Dazu, ein Arschloch zu
sein? „Ja.“ Er grinst. „Genau. Das haben Sie
jetzt gesagt. Nicht ich.“
Marshall will also kein Arschloch sein,
und damit seine zarte Musikerseele nicht
vom grobschlächtigen Männern wie Houel-
lebecq verformt wird, verwendet er seine
Freizeit lieber auf „Sharknado“ und „Tita-
nic 2“ – und die Gedichte von Anne Sexton.
Er ist im vergangenen Jahr Vater gewor-
den, mitten in den Aufnahmen seines neu-
en Albums. „Man Alive!“ ist wohltuend
rumpelig. Sein Groove ist rau, der Gitarren-
sound warm. Die Harmonien sind dabei
für den Indie-Kosmos unkonventionell,
aber trotzdem eingängig, oft wie halbwach
hingeklimpert.
Diese Stärken werden auf dem Album
zunächst von der Attitüde dieser Musik ver-
stellt, die nur in ganz wenigen Momenten
in den Hintergrund tritt. Krules Songs
schreien viel zu laut „Kunst“. Pop kann auf
scheinbar gegensätzliche Weise Bindun-
gen aufbauen. Über Distanzierung, indem
er eine artifizielle Welt schafft, in der sich
diejenigen, die sie verstehen, als freie Men-
schen begegnen können. Die Talking
Headshaben solche Musik gemacht oder
diePet Shop Boys, überhaupt viele Bands
der Achtziger und einige Pioniere der Sieb-
ziger, als man mit den Mustern der Rock-
musik brechen wollte.
Oder aber er stellt Unmittelbarkeit her.
Die kann eine schöne Illusion sein, ein
Rausch, in den man sich lustvoll stürzt, wie
die Drei-Minuten-Opern des Mainstream-
pop. Sie kann ernst und verschwörerisch
sein wie im Hip-Hop oder einst im Folk.
Aber auch dann ist sie kein in Sound geflos-
senes ungefiltertes Leben, sondern immer
gemacht, ein Artefakt. King Krule will ger-
ne beides gleichzeitig. Unmittelbarkeit
und die Distanz einer Kunstwelt. Sein Mit-
tel, beides zusammenzuhalten, ist der
Jazz. Das Problem mit Jazz im Pop ist aber,
dass er Gefahr läuft, eine Atmosphäre des
Aparten, der weichgespülten Hochkultur
zu verbreiten, zumindest, wenn er aus den
kulturellen Zusammenhängen gelöst
wird, aus denen er kommt.
Manchmal scheint King Krule deshalb
gegen das Geschmäcklerische seiner Mu-
sik anzugrölen. Dabei tänzelt seine Musik
ständig mit lässiger Arroganz herum, ohne
dabei zu einer Form zu finden – oder irrwit-
zig genug zu werden, um wirklich Formen
sprengen zu können. Live ist das tatsäch-
lich anders.
Bei seinem Auftritt in der Columbiahal-
le reißt die Band all das ein. Das Schlag-
zeug schreit nach Eskalation, die Musik
nimmt Anlauf und keilt aus, bricht immer
wieder aus den eigenen Strukturen aus. Es
ist zu eng zum Tanzen, aber das Publikum
besteht in der Ecke des Saales ohnehin
hauptsächlich aus Paaren, die sich die Paar-
therapie nicht mehr leisten können und ih-
ren Schmerz über King Krule transzendie-
ren. Der kleine Bruder des Indie, der den
Kummer der Welt auf sich nimmt. In „Ba-
by Blue“ klagt er, wie nur Männer klagen
können. Das Licht passend zum Song blau,
sein roter Schopf lila. juliane liebert
Die deutsche Ausgabe von Woody Allens
Autobiografie „Ganz nebenbei“ kann wie
geplant am 7. April erscheinen, wie der
Rowohlt Verlag am Donnerstag mitteilte.
Zuvor hatte der Verlag Hachette, der das
Buch in den USA herausbringen wollte, die
Veröffentlichung in Nordamerika abge-
sagt. Grund waren Proteste gegen Allen we-
gen Missbrauchsvorwürfen aus dem Jahr
1992, die dieser bestreitet. Da Rowohlt die
Rechte von einer Hachette-Tochterfirma
erworben hatte, musste zunächst geklärt
werden, ob das Buch in Deutschland wei-
terhin erscheinen kann. Da auch Rowohlt-
Autoren gegen die Biografie protestierten,
plant der Verlag laut seinem Chef Florian Il-
lies eine Auftaktveranstaltung in Berlin zu
diesem Thema. sz
Mit einem mehr als 600 Seiten umfassen-
den Verzeichnis wollen das Deutsche Zen-
trum Kulturgutverluste und die Stasi-Un-
terlagen-Behörde die Suche nach DDR-
Raubkunst erleichtern. Es soll am Freitag-
abend in der Leipziger Stasi-Gedenkstätte
„Runde Ecke“ vorgestellt werden. Es listet
rund 450 Dokumente und etwa 2000 Si-
gnaturen aus der Stasi-Unterlagen-Behör-
de auf, hinter denen sich Hinweise auf mög-
liche Kulturgutentziehungen durch die Be-
hörden der DDR verbergen können. Im Ver-
gleich zur NS-Zeit war der Umfang solcher
Entziehungen deutlich geringer. Die neue
Orientierungshilfe soll Entziehungen und
Transfers von Kunstobjekten in der DDR
nachvollziehbar machen. kna
„Es herrschte eine
Gesprächskultur, wie es sie
heute nicht mehr gibt.“
Die Künstlerin Ulrike Ottinger, 77, blickt
zurück. FOTO: REALFICHTION / JELKA VON LANGEN
Kanye West wollte mit ihm ins
Studio – er hatte keine Lust
Soft spielen mag er auch
Ein Treffen mit dem britischen Indierock-Sänger und Songwriter King Krule und die Antwort auf die Frage, ob man eigentlich apart grölen kann
Woody Allens Buch
kann erscheinen
Die DDR und
ihre Raubkunst
An Smartphones hat sich in
den letzten 13 Jahren viel ver-
ändert, gleich geblieben ist
aber bei den meisten Geräten
die mit den Werkseinstellun-
gen voreingestellte Signatur für E-Mails:
„Gesendet von meinem ...“ iPhone, Sam-
sung Galaxy, je nachdem, welches Gerät
man sich gegönnt hat. Anfangs galt als An-
geber, wer diese Signatur nicht sofort elimi-
nierte, denn sie wirkte – obwohl die meis-
ten Nutzer wahrscheinlich nicht diese Ab-
sicht hatten –, als wollte der Absender un-
missverständlich klarmachen, dass er
oder sie nun stolzer Besitzer eines Smart-
phones sei. Und dass diese Mail deshalb
wahrscheinlich nicht am Schreibtisch, son-
dern auf dem Sofa getippt worden sei.
Oder gar von unterwegs, wie man das mit
einem Smartphone eben macht. Wer diese
Signatur verschickte, zeigte sich nicht nur
als Smartphone-Besitzer, sondern auch als
mobiler E-Mail-Schreiber, also mondäner
als viele andere.
Was die neuen Geräte auf eine solche Si-
gnatur kondensiert versprachen, wurde
aber schnell eine große Peinlichkeit. Denn
sehr bald war die offensive Mitteilung des
Besitzes eines Smartphones nicht mehr an-
geberisch, sondern einfach gar nicht mehr
mitteilungswürdig. Für die jüngere Gene-
ration sowieso, die bis heute als eine der
ersten Einrichtungshandlungen an neuen
Smartphones diese Signatur löscht oder –
um dem Individualisierungsdruck gerecht
zu werden – in „Gesendet aus einer Tele-
fonzelle“ oder „Gesendet von meiner Oli-
vetti Lettera 22“ änderte. Die ältere Genera-
tion steht dagegen ungerechtfertigt noch
immer unter dem Verdacht, womöglich
nicht zu wissen, wie sich die Signatur än-
dern lässt.
Gut, dass sich die Wahrnehmung der Si-
gnatur von angeberisch über peinlich
schon wieder geändert hat. Seit einiger
Zeit wird sie als eine Art Entschuldigung
für Tippfehler und den Einsatz von Emojis
auch in offiziellen Kontexten angesehen.
Mancher setzt die Signatur inzwischen so-
gar gezielt ein – als vorauseilende Ent-
schuldigung für etwaige Fehler. Damit hat
diese unveränderliche Signatur in ihrer
ganzen sprachlichen Schlichtheit viel-
leicht doch schon mehr Veränderungen
durchgemacht als die meisten anderen
Bestandteile eines Smartphones. freu
„In Paris konnte ich
nichtmehr aufhören,
durch die Straßen zu gehen.“
12 HF2 (^) FEUILLETON Freitag, 13. März 2020, Nr. 61 DEFGH
Ulrike Ottinger, Stammgast in der Cinémathèque française, inszeniert sich als Schwester der Marx Brothers, 1965 in Paris. FOTO: REALFICTION
Halbwach hingeklimpert: Archy Samuel
Marshall alias King Krule. FOTO: CH. PATMORE
PHRASENMÄHER
Gesendet von
„Eine Explosion der Gedanken“
Die Avantgarde-Regisseurin Ulrike Ottinger erinnert sich, wie sie Anfang der Sechzigerjahre im
intellektuellen Paris aufgenommen wurde – und beschwört diese Zeit in „Paris Calligrammes“