Süddeutsche Zeitung - 13.03.2020

(Elle) #1
von hanno charisius, christian
endtund patrick illinger

N


icht nur Menschen, auch Zahlen
kommen manchmal zu plötzlicher,
überraschender Bekanntheit. Im
Falle der Corona-Epidemie verhält es sich
so mit der Zahl siebzig: So viel Prozent der
Bevölkerung könnten sich früher oder spä-
ter mit dem Coronavirus infizieren, sagte
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mitt-
woch in der Bundespressekonferenz – so-
lange keine Impfungen existieren und kei-
ne Therapien. Von den Lippen der Kanzle-
rin schaffte es die Zahl in die Schlagzeilen
der Zeitungen und die Hauptnachrichten
des Fernsehens.
Dabei wird die Zahl bereits seit Wochen
von Wissenschaftlern genannt. Sie ergibt
sich aus biologischen Mechanismen und
ein bisschen Mathematik. Das Virus infi-
ziert so lange Menschen, bis kaum mehr je-
mand erreichbar ist, der noch nicht infi-
ziert wurde. Mathematische Modelle zei-
gen, dass die Neuansteckungen deutlich
abnehmen, und am Ende gut zwei Drittel
der Bevölkerung eine Sars-CoV-2-Infekti-
on durchgemacht haben. Hundert Prozent
werden nicht erreicht, weil die Wahrschein-
lichkeit, dass Überträger auf Nicht-Infizier-
te treffen, zusehends kleiner wird, auch
weil ein Großteil der Bevölkerung nach
überstandener Infektion immun ist.
Zurzeit haben Immunologen gute Grün-
de für die Annahme, dass man sich nur ein-
mal mit dem Erreger infizieren kann und
danach immun ist. Sobald sich das mensch-
liche Immunsystem einmal mit einem Er-
reger auseinandergesetzt hat, kann es ihn
auch in Zukunft in Schach halten.
Das Gedächtnis des Immunsystems
hält meist ein Menschenleben lang. Ein Er-
reger kann diese Abwehr nur umgehen,
wenn er sich so stark verändert, dass ihn
das Immunsystem nicht mehr erkennt. In-
fluenza- und einfache Schnupfenviren
sind so wandlungsfähig. Das neue Corona-
virus hingegen scheint sich weniger zu ver-
ändern. Allerdings ist es ein neuer Erreger,
den die Menschheit und somit die humane
Immunabwehr noch nie erlebt hat. Die
jährlich im Winter wiederkehrenden Influ-
enzaviren ähneln sich hingegen oft, sodass
das Immunsystem die Eindringlinge
schneller erkennen und bekämpfen kann.


Trifft das ein, was Epidemiologen und
die Kanzlerin derzeit vorhersehen, würde
das Virus allein in Deutschland um die
58Millionen Menschen befallen. Rechnet
man, so wie es die Zahlen aus China nahe le-
gen, mit knapp einem Sechstel schwerer
Verläufe, müssten 8,7 Millionen Menschen
im Krankenhaus behandelt werden. Zwi-
schen 300000 und 1,8 Millionen Men-
schen könnten letztlich an Covid-19 ster-
ben. Nicht eingerechnet sind all jene Pati-
enten mit anderen Erkrankungen, die we-
gen des überlasteten Gesundheitssystems
nicht behandelt werden können.
Ob nun am Ende die erschreckende Zahl
von 70 Prozent Infizierten exakt erreicht
wird, lässt sich nicht vorhersagen. Was das
neue Coronavirus betrifft, sind noch viele
Forschungsfragen offen. Es kann also sein,
dass Sars-CoV-2 nur 40 oder 50 Prozent


der Bevölkerung erreicht, vielleicht aber
auch mehr.
Achselzuckender Fatalismus wäre aber
die falsche Reaktion. Wichtiger als die Pro-
zentzahl ist dasWann. Entscheidend ist,
die Ausbreitung zu verzögern und die Er-
krankungen über einen möglichst großen
Zeitraum zu verteilen. Nur so lassen sich
die gesundheitlichen Folgen für die Infi-
zierten, aber auch für die Wirtschaft und
das gesellschaftliche Leben einigermaßen
beschränken. Darauf zielen derzeit auch
die Bemühungen von Regierung und Be-
hörden ab.

Im besten Fall gelingt es durch richtige
Maßnahmen, die Coronawelle zwischen-
zeitlich so weit abklingen zu lassen, dass es
nur noch einzelne Ausbrüche gibt, die sich
ähnlich eingrenzen lassen wie der erste
Ausbruch in Deutschland Ende Januar in
der Nähe von München. Gelänge das, wür-
de es sehr lange dauern, bis die 60, 70 oder
gar 80 Prozent der Bevölkerung erreicht
wären, die eine Infektion durchleiden. Die
Zahl der akut Erkrankten ließe sich in
einem solchen Szenario zu jedem Zeit-
punkt unterhalb jener Schwelle halten,
von der an das Gesundheitssystem überfor-
dert wäre.
Bleibt die Ausbreitung der Viren dage-
gen ungehemmt, würde die Zahl der Infi-
zierten innerhalb weniger Wochen expo-
nentiell wachsen, die Kapazitäten des Ge-
sundheitssystems sprengen und die Gesell-
schaft überfordern. Auf die Form der Anste-
ckungskurve wirken verschiedene Kräfte:
zum einen das menschliche Verhalten. Ob
sich die Mehrheit an die Hygieneregeln
hält, belebte Plätze meidet, sich in Quaran-
täne begibt, sobald man sich infiziert ha-
ben könnte, ob Schulen, Universitäten, Un-
ternehmen mit Verdachtsfällen geschlos-
sen werden. All das entscheidet über die
Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus.
Gleichzeitig könnte sich der Erreger verän-
dern und durch genetische Mutationen
harmloser oder gefährlicher werden. Aller-
dings weist seit dem ersten Auftreten in
Wuhan bisher nichts darauf hin.
Nur ein Impfstoff könnte an der Gesamt-
zahl der im Verlauf der Pandemie infizier-
ten Menschen etwas ändern. Auf diesen
wird die Menschheit allerdings noch min-
destens bis Ende des Jahres warten müs-
sen, realistischer bis Mitte nächsten Jah-
res. Und falls sich das Vakzin als sicher und
zuverlässig erweist, werden die ersten Do-
sen an Ärzte und Pflegekräfte verteilt, um
die Gesundheitsversorgung zu sichern.
Setzt sich dagegen die exponentielle Ver-
breitung des Virus im jetzigen Tempo fort,
mit einer Verdopplung der Fallzahlen alle
vier bis sieben Tage, wäre die Belastungs-
grenze des deutschen Gesundheitssys-
tems wahrscheinlich spätestens im Mai er-
reicht. Dann dürfte es mehrere Millionen
Infizierte geben, von denen etwa jeder fünf-
te bis sechste so schwer erkrankt, dass er
in einem Krankenhaus behandelt werden
muss.
Mindestens hunderttausend Betten ste-
hen in den deutschen Krankenhäusern
dauerhaft zur Verfügung, weitere ließen
sich durch das Aufschieben von Operatio-
nen und anderer Behandlungen verfügbar

machen. Zum knappen Gut könnten als
Erstes die Beatmungsgeräte werden, die
bei schweren Verläufen von Covid-19 oft ge-
braucht werden. Von diesen Maschinen
gibt es eine für jedes Bett auf den Intensiv-
stationen, insgesamt etwa 28 000 in
Deutschland. In vielen Kliniken in Nordita-
lien übersteigt die Zahl der beatmungsbe-
dürftigen Patienten inzwischen die der ver-
fügbaren Geräte.

Vom zeitlichen Verlauf der Epidemie
hängt auch ab, wie hoch die Zahl der Todes-
opfer letztlich ausfällt. Der Begriff der Leta-
lität beschreibt den Anteil der Infizierten,
die durch das Virus sterben. Je nach Weltre-
gion und Studie liegt die Sterblichkeit der-
zeit zwischen einem halben Prozent und
fünf Prozent. Diese große Spanne hängt
einerseits damit zusammen, dass die Zahl
der Betroffenen nicht überall gleicherma-

ßen gut diagnostiziert wird. In Gegenden
mit wenigen Tests bleiben vor allem leich-
tere Krankheitsverläufe unerkannt; unter
den bekannten Fällen ist die Sterblichkeit
dann entsprechend höher. Andererseits
wird die Letalität aber auch dadurch be-
stimmt, wie gut das Gesundheitssystem
die Patienten versorgen kann. Deshalb ist
es so wichtig, den Anstieg der Neuinfektio-
nen nun schnell zu bremsen.

Es gibt 16 Bundesländer, aber am Tisch in
der bayerischen Landesvertretung saßen
am Donnerstag nur 15 Ministerpräsiden-
ten. Winfried Kretschmann, der Regie-
rungschef in Baden-Württemberg, musste
passen: Ein Landtagsabgeordneter seiner
Grünen-Fraktion hatte Kontakt zu einer
Person, die positiv auf das Coronavirus ge-
testet wurde. Wer in räumlicher Nähe mit
dem Abgeordneten war, soll nun Kontakte
vorsorglich vermeiden. Also schickte
Kretschmann seinen Staatskanzleichef
Florian Stegmann zur Konferenz der Minis-
terpräsidenten, die sich später auch noch
mit Kanzlerin Angela Merkel trafen.
So war das Thema quasi von Anfang an
gesetzt. Bayerns Regierungschef Markus
Söder, Vorsitzender und Gastgeber der Mi-
nisterpräsidentenkonferenz (MPK), nahm
nach der Sitzung der Länderchefs kein
Blatt vor den Mund: „Die Lage verschlech-
ter sich täglich.“ Viele Befürchtungen der
vergangenen Wochen hätten sich bestä-
tigt. Man wolle keine Panik schüren, aber
eines sei klar: „Wir dürfen Entwicklungen
nicht hinterherlaufen.“ Man müsse auch
aus internationalen Erfahrungen lernen,
so Söder. Niemand solle verunsichert wer-
den, aber es sei wichtig, deutlich zu ma-
chen, „wie ernst die Lage ist“.
Söder verwies auf drastische Maßnah-
men in Nachbarstaaten Deutschlands und
forderte, sich ernsthaft mit dem Thema
auseinanderzusetzen, „und zwar ernsthaf-
ter als bisher und klarer in der Entschei-
dung“. In den vergangenen Tagen hatten
die unterschiedlichen Entscheidungen zu
Großveranstaltungen wie zum Beispiel
Fußballspielen für Verwirrung und Verär-
gerung gesorgt. Es sei wichtig, über Maß-
nahmen und ihre Folgen nachzudenken,
aber es sei auch wichtig, gegenüber der Be-
völkerung „Führung und Klarheit zu zei-
gen“. Nur so könnten sich die Menschen
auch auf Veränderungen einstellen.
Das aber bedeutet nun mitnichten, dass
alle das Gleiche tun. Die Beurteilung der La-
ge sei zwischen den Ministerpräsidenten
„differenziert“, so Söder, was manche Un-
terschiede in den Einlassungen während
der Sitzung wohl eher diplomatisch um-
schreibt. Tatsache ist jedoch, dass sich die
Fallzahlen an Corona-Infektionen von
Land zu Land unterscheiden, wobei Grenz-
länder wie Nordrhein-Westfalen, Schles-
wig-Holstein, Baden-Württemberg und
Bayern höhere Quoten haben als zum Bei-
spiel Mecklenburg-Vorpommern. Teilneh-
mern zufolge bestimmte die Zahl der Fälle
auch die Sensibilisierung für das Thema
und die Bereitschaft zu drastischeren Maß-
nahmen. Entscheidungen wurden aber zu-
nächst noch keine getroffen.
Man wolle sich unter den Ländern bes-
ser koordinieren, trotzdem bleibe jeder
Landesregierung vorbehalten, „ihre Ent-
scheidung aufgrund ihrer Situation zu tref-
fen“, so Söder. Hamburgs Bürgermeister
Peter Tschentscher als Vertreter der von
der SPD regierten Länder, sagte, es gebe
unter anderem Unterschiede zwischen
Stadt- und Flächenländern, deshalb sei es
„durchaus denkbar, dass bei regional un-
terschiedlichen Lagen auch regional unter-
schiedliche Maßnahmen ergriffen wer-
den“. Man müsse die Situation aber jeden
Tag neu bewerten. Was heute noch nicht
nötig sei, könne schon nächste Woche er-
forderlich sein, so Tschentscher.
Als wichtigste Herausforderung nannte
Söder, Infektionsketten zu erkennen und
zu unterbrechen. Generelle Schulschlie-
ßungen werden in einigen Bundesländern
wahrscheinlicher, wobei man sich einig

war, dass gerade für die Kinder von Perso-
nal im Gesundheitswesen auch eine Be-
treuung ermöglicht werden müsse, damit
es nicht in Krankenhäusern und Pflegehei-
men zu Ausfällen kommt, weil sich Ärzte
oder Pflegekräfte um den Nachwuchs küm-
mern müssen. Eine andere wichtige Aufga-
be sei der Schutz der älteren Bevölkerung.
Auch die Versorgung mit medizini-
schem Material müsse optimiert werden,
forderte Bayerns Ministerpräsident. Hier
wollten die Länder den Bund unterstützen.
Derzeit sei es so, „dass viele versuchen, auf
dem Markt zu kaufen, aber das Ergebnis
ist, dass am Ende möglicherweise keiner
was bekommt“, so Söder. Und nicht zuletzt
brauche die Wirtschaft mehr Hilfe: „Die
Rückmeldungen, die wir aus der Wirt-
schaft bekommen, sind ähnlich verhee-
rend wie im Gesundheitsbereich.“ Die gro-
ße Koalition im Bund habe dazu erste Be-
schlüsse gefasst, sagte Söder, der daran in
der Nacht zum vergangenen Montag als
CSU-Chef beteiligt war. Er sei aber über-
zeugt, „das wird nicht reichen, da muss
mehr erfolgen“. Man müsse „ähnlich vorge-
hen“, wie es in der Finanz- und Euro-Krise
der Fall gewesen sei, so Söder, ohne kon-
kret zu werden. nico fried

Nein, eine Schließung aller Schulen stehe
nicht zur Debatte, wurde Bundesbildungs-
ministerin Anja Karliczek (CDU) noch am
Donnerstagmorgen zitiert. Doch da hatte
die Dynamik der Corona-Epidemie sie
schon überholt. Die Kultusminister der
Länder würden bei ihrem Treffen am Don-
nerstag sehr wohl über generelle Schul-
schließungen diskutieren, kündigte die
Präsidentin der Kultusministerkonferenz
(KMK), Stefanie Hubig, im ZDF-Morgen-
magazin an. Allerdings war die rheinland-
pfälzische SPD-Ministerin zu diesem Zeit-
punkt noch der Auffassung, Schulen flä-
chendeckend zu schließen, sei nicht sinn-
voll. Wie schnell so ein Momenteindruck
Geschichte sein kann, lehrte sie dann das
Coronavirus. Durch seine rasche Ausbrei-
tung schafft es ständig neue Situationen.


„Wir können zum jetzigen Zeitpunkt
nicht ausschließen, dass es zu weitreichen-
den Schulschließungen kommen kann“,
korrigierte sich Hubig am späten Nachmit-
tag, als die KMK ihr Plenum unterbrach,
um die Öffentlichkeit zu informieren. Zu
dieser Stunde war schon durchgedrungen,
dass Bayern und Baden-Württemberg am
heutigen Freitag über landesweite Schlie-
ßungen ihrer Schulen entscheiden wollen.
Weitere Länder könnten folgen, in Nord-


rhein-Westfalen etwa fordern Eltern- und
Lehrerorganisationen, den Unterricht ein-
zustellen – so wie es in etwa einem Drittel
der EU-Staaten bereits der Fall ist.
Die Lage hat sich gedreht. Bislang waren
bei den 43 000 Schulen in Deutschland nur
per Einzelfallentscheidung Tore verriegelt
worden, durch die Gesundheitsämter an
Ort und Stelle. Bis Montag summierte sich
die Zahl der Schulen, die so geschlossen

wurden, auf etwa 150. Aktuellere Übersich-
ten fehlen, doch seither sind weitere Schu-
len geschlossen worden, andere gaben Ent-
warnung und öffneten wieder. Dabei for-
dern Bildungs- und Gesundheitsexperten
angesichts der Ausbreitung des Coronavi-
rus längst das Gegenteil: eine bundesweit
einheitliche Regelung.
Ob es sie geben wird, ist noch ungewiss.
Die KMK betonte am Donnerstag die regio-

nal unterschiedlichen Gefährdungslagen.
Aber alle Länder seien sich darin einig,
„dass es vernünftig war und weiterhin ver-
nünftig sein wird, den Rat der Gesundheits-
experten, insbesondere des Robert-Koch-
Instituts, als Leitlinie für unsere Handeln
anzusehen“, sagte Hamburgs Bildungsse-
nator Ties Rabe, der in der KMK für die
SPD-regierten Länder spricht. Eins steht
immerhin schon fest: Solange es bei den
Einzelprüfungen der Gesundheitsämter
bleibt, wollen alle Länder Klassenfahrten
ins Ausland untersagen. Auch Ausflüge,

große Aufführungen und Sportfeste soll es
nicht geben. Schul- und Kitaschließungen
im größeren Stil will man mit Notfallbe-
treuungsmöglichkeiten abfedern, damit El-
tern, etwa Ärzte und Pflegekräfte, weiter
zur Arbeit gehen können.
Auch das Abitur war Thema. Müssen Ab-
iturprüfungen verspätet abgehalten wer-
den, wollen die Länder die Zulassungsver-
fahren der Hochschulen so staffeln, dass
Abiturienten trotzdem im Herbst ein Studi-
um aufnehmen können. Genau durch-
dacht ist das alles freilich noch nicht. „Man
muss sagen, dass wir bei vielen Fragen
noch am Anfang stehen“, sagte Rabe.
Auch die Universitäten und Fachhoch-
schulen wappnen sich für den Umgang mit

der Pandemie. Im Moment ist vielerorts
noch vorlesungsfreie Zeit, große Lehrver-
anstaltungen finden daher nicht statt. Ber-
lin, Bayern und Baden-Württemberg ha-
ben die Semesterferien der Fachhochschu-
len nun aber vorsorglich verlängert, der
Lehrbetrieb geht wie an den Universitäten
erst am 20. April los. Die Uni Mannheim,
wo schon seit Februar wieder Vorlesungen
liefen, unterbrach am Donnerstag auf Wei-
sung des Wissenschaftsministeriums den
Lehrbetrieb. Die Hochschulrektorenkonfe-
renz mahnte im Handelsblatt ein bundes-
weit einheitliches Vorgehen an.
Andere Unis denken über Alternativen
zur Präsenzlehre nach. Die Uni Kiel, wo der
Vorlesungsbetrieb Anfang April starten
soll, erwägt, große Veranstaltungen digital
abzuhalten. Die Technische Universität in
Berlin will sogar Prüfungen online abwi-
ckeln. „Wir bauen dabei auf die Ehrlichkeit
der Studierenden“, erklärt Hochschulpräsi-
dent Christian Thomsen. Natürlich gebe es
für die Uni keine absolute Sicherheit, dass
nicht Freunde oder Eltern die Klausuren
am Computer schrieben. „Aber auch bei
normalen Klausuren wird geschummelt.“
Zuvor hatte die Uni bereits Konferenzen
und Tagungen bis Juli abgesagt und Biblio-
theken und PC-Pools auf dem Campus ge-
schlossen – auf unbestimmte Zeit. Gut
1000 Studierende nutzen täglich die Biblio-
thek. Insgesamt sind an der Hochschule
35 000 Menschen eingeschrieben, drei Co-
rona-Infektionen wurden bislang bestä-
tigt. susanne klein, bernd kramer

„Die Lage verschlechtert
sichtäglich“, sagt
Markus Söder(CSU). Der
bayerische Regierungs-
chef leitet derzeit die
Konferenz der Minister-
präsidenten. Die Bundes-
länder wechseln sich
jährlich im Vorsitz ab.
FOTO: SVEN HOPPE / DPA

Deutschland und das Coronavirus„DieSache ist wirklich sehr, sehr ernst“, sagte Bayerns Regierungschef Markus Söder


am Donnerstag und stimmte damit die Bürger auf weitere drastische Schritte ein. Zuvor hatte bereits Kanzlerin Merkel Wirbel ausgelöst


mit ihrer Aussage, 60 bis 70 Prozent der Menschen würden sich wohl mit dem Virus infizieren. Was folgt daraus?


2 HF2 (^) THEMA DES TAGES Freitag, 13. März 2020, Nr. 61 DEFGH
Klar
wie 16 Meinungen
Die Ministerpräsidenten suchen
eine gemeinsame Linie
Lieber später
als früher
Was es bedeutet, wenn sich mehr als zwei Drittel
der Bevölkerung mit dem Erreger anstecken
Unterrichtsausfall wegen Corona: Immer mehr Schulen – hier ein Gymnasium im
Kreis Heinsberg – werden aus Angst vor Ansteckung geschlossen. FOTO: GÜTTLER/DPA
Jetzt alle aufpassen
Was gestern noch ausgeschlossen schien, dürfte nun rasch Realität werden: Einzelne Bundesländer denken über flächendeckende Schulschließungen nach
Bis zu 8,7 Millionen Menschen
müssten im
Krankenhaus behandelt werden
Anhalten, Fenster runter, Mund auf: Im schwäbischen Nürtingen können sich Bürger in einer Art medizinischem Drive-
in auf eine Infektion testen lassen. FOTO: RONALD WITTEK / SHUTTERSTOCK
In Norditalien gibt
es nicht mehr genug
Beatmungsgeräte
Für die Koordination
der Abiturtermine gibt es
bereits Notfallpläne
In Berlin sollen Klausuren
jetzt am Computer
geschrieben werden – daheim
Zeit seit Ausbruch der Epidemie
Gesamtzahl der Infizierten
Verlauf ohne
Maßnahmen
Eine Verzögerung der Maßnahmen
von nur einemTag bedeutet
eine Vielzahl zusätzlicher Fä lle
Eine Verzögerung der Maßnahmen
von nur einem Tag bedeutet
eine Vielzahl zusätzlicher Fälle
Die Einschränkung
des öffentlichen Lebens führt
zumAbflachen der Kurve
Die Einschränkung
des öffentlichen Lebens führt
zum Abflachen der Kurve
Faktor Geschwindigkeit
Um die Ausbreitung des Virus zu bremsen,
müssen soziale Kontakte begrenzt werden.
Das betrifft Großveranstaltungen, aber auch Schulen,
Universitäten und öffentliche Verkehrsmittel.
+40%+40%+40%
Schematische Darstellung: Tomas Pueyo/SZ-Grafik

Free download pdf