Süddeutsche Zeitung - 13.03.2020

(Elle) #1

T


reffpunkt ist der Starbucks am
Oktogon, einem Platz mitten in
Budapest, nahe der Oper. Ganz
hinten steht ein junger Mann auf
und hebt die Hand. Auf dem Foto
trug er ein violettes Tüllröckchen zu Weste
und Hose und war geschminkt, was zu sei-
nem schwarzen, kurzen Bart einen aparten
Kontrast ergab. In seinem Blick lag etwas
Herausforderndes, als wolle er sagen, ja,
das bin ich, hast du damit ein Problem?
Das fehlt jetzt. In echt sieht er unauffälli-
ger aus. Ein zierlicher, ernster, junger
Mann in Jeans und dunklem Pullover, der
die Mode mitmacht, auch im Rauminne-
ren die Mütze aufzubehalten.
„Joci“, stellt er sich vor. Sein Hände-
druck ist vorsichtig. Mit ihm am Tisch sitzt
ein großer, schlanker Mann, etwas älter. Er
trägt seine Haare raspelkurz, hat einen silb-
rigen Dreitagebart, was ihm etwas elegant
Lässiges verleiht. „Das ist Erik, mein
Freund“, sagt Joci Márton, der Joszef
heißt, aber Joci genannt werden möchte.
Er hoffe, es störe nicht, dass er dabei sei.
Die beiden hätten sich in letzter Zeit nicht
viel gesehen, deshalb sei er mitgekommen.
Weil es im Raum zugig ist, schlägt Joci Már-
ton vor, woanders hinzugehen. Er kenne
einen ruhigen Ort in der Nähe.
Im Café Flow, einem hellen Raum mit ho-
hen Decken, trinken junge Menschen Kaf-
fee mit Hafermilch und lesen in ihren Han-
dys. Es läuft leise Soulmusik. Seit ein paar
Jahren lebt Joci Márton nicht mehr in Buda-
pest, aber er ist oft hier. In den vergange-
nen Wochen und Monaten hat er eine Foto-
ausstellung in der Stadt organisiert. Ende
nächster Woche wird sie in einem kleinen
Kulturcenter eröffnet. Gezeigt werden Fo-
tos von Menschen, die sich der LGBTQ-Be-
wegung zugehörig fühlen, die also lesbisch
sind oder schwul oder transgender oder
sonst etwas neben der Heteronormativi-
tät. Auch das Foto von Márton mit dem vio-
letten Tüllrock ist dabei.


Keine große Sache, könnte man mei-
nen. Aber das ist es doch. Denn Joci Márton
ist Rom, wie alle anderen Porträtierten.
Und so erzählen die Bilder eine Geschichte,
die noch nicht erzählt wurde. Weil nie-
mand zugehört hätte. Und weil niemand
den Mut hatte, sie zu erzählen.
Die Roma – in Deutschland: Sinti und
Roma – sind die größte ethnische Minder-
heit Europas, und die am stärksten ausge-
grenzte. 2014 gab die Antidiskriminie-
rungsstelle des Bundes eine repräsentati-
ve Studie in Auftrag, es ging um die Einstel-
lungen der Bevölkerung gegenüber Sinti
und Roma. Das wenig überraschende Er-
gebnis: Sinti und Roma sind in Deutsch-
land die Gruppe mit den höchsten Ableh-
nungswerten. Jeder dritte will nicht neben
ihnen wohnen, knapp ein Viertel der Be-
fragten sprach sich für Abschiebung aus,
14 Prozent für eine „gesonderte Unterbrin-
gung“. Von einem beträchtlichen Teil der
deutschen Bevölkerung, zu diesem
Schluss kam die Studie, werden Sinti und
Roma nicht als gleichberechtigte Mitbürge-
rinnen und Mitbürger gesehen.
In Osteuropa, wo die meisten Roma le-
ben, würden ähnliche Studien wohl noch
krasser ausfallen. In Ungarn leben fast
zehn Millionen Menschen, davon sind zwi-
schen 200 000 und 800 000 Roma, genau-
ere Zahlen gibt es nicht. Hier wird von ganz
oben Politik gegen sie gemacht. Der jüngs-
te Skandal betrifft eine Grundschule in
dem nordungarischen Dorf Gyöngyöspa-
ta, in der Roma-Kinder wie in einem
Apartheid-System in von den weißen Un-
garn separierten Klassen unterrichtet wur-
den. Márton erzählt davon noch auf dem
kurzen Fußweg ins Café.
Schon 2012 wurde diesen Kindern und
ihren Familien für den erlittenen Bildungs-
schaden eine finanzielle Entschädigung
zugesprochen, umgerechnet 300000 Eu-
ro, für alle zusammen. Dagegen legten
Schule und Gemeinde Berufung ein, Jahre
vergingen. Im September 2019 erklärte ein
Gericht das Urteil für rechtskräftig. Doch
jetzt kündigte Präsident Viktor Orbán an,
dass der Staat das Geld nicht auszahlen
wird. „Er sagte, es sei nicht einzusehen,
dass eine ethnische Minderheit eine stattli-
che Summe bekommt, ohne dafür gearbei-
tet zu haben“, sagt Márton. „Das ist unge-
heuerlich. Eine neue Stufe. Ich meine,
noch haben wir eigentlich ein unabhängi-
ges Rechtssystem in Ungarn. Aber das
scheint nicht mehr zu gelten. Jedenfalls
nicht, wenn es gegen die Roma geht.“
Vielleicht stellt man sich Joci Márton
jetzt laut vor. Ein mutiger Aktivist in Sa-
chen Genderidentität und Roma, ein Strei-
ter für Gleichberechtigung an gleich zwei
Fronten. Und mutig ist er, aber er hat
nichts Kämpferisches. Jedenfalls nicht an
diesem Vormittag. Er ist eher leise. Ernst.
Beim Reden schweift sein Blick durch den
Raum, er guckt einen nicht an. Sein Eng-
lisch hat diesen sanft schaukelnden Ak-
zent, den Ungarn nie ganz loswerden. Sein
Sprachduktus ist akademisch geprägt:Dis-
kurs, intersektionaler Aktivismus, Selbstre-
präsentation, inklusiv, progressiv, Gender.
Man kann hören, dass er viele Dinge schon
sehr oft gesagt hat.
Einmal nimmt er einen Stift, malt zwei
sich überlappende Kreise. In den einen
schreibt er Roma. In den anderen LGTBQ+.
Das Pluszeichen hängt er immer an, damit
sich wirklich niemand außen vor fühlt. Die
Schnittmenge der Kreise schraffiert er
schwarz.


„Wir sind hier“, sagt er und deutet auf
das Schwarz. „Unsere Geschichte handelt
von vielem, das auch andere betrifft. Aus-
geschlossen sein. Fatshaming. Toxische
Maskulinität. Vorurteile. Benachteiligung.
Wir haben viel beizutragen zum großen
Ganzen.“

Joci Márton hat auffallend symmetri-
sche Gesichtszüge, dichte Augenbrauen
und riesige braune Augen mit langen
Wimpern. Er ist ein dunkler Typ, könnte
an Nationalität alles Mögliche sein. Touris-
ten sprechen ihn oft auf Englisch an, hal-
ten ihn für einen Amerikaner. Von Ungarn
wird er schon mal für einen Geflüchteten
gehalten. Oft seien es Kinder, die ihm hin-
terherrufen, er solle dahin zurückgehen,
wo er herkomme. Und einmal sei mitten in
Budapest ein Paar auf ihn zugekommen
und habe ihn angebrüllt: „You muslim
faggot (du muslimische Schwuchtel)!“ Dar-
auf habe er geantwortet: „Eines davon
stimmt.“ Er lächelt, scheint immer noch
ein wenig stolz zu sein auf seine Replik.
„Ich würde an dieser Stelle gerne etwas
ergänzen“, sagt sein Freund, der bisher
schweigend daneben saß. „Ich bin Italie-
ner. Schwul, aber das war nie ein Problem.
Ich bin das, was man einen weißen Mann
nennt. Ich hatte keine Ahnung, was
Rassismus bedeutet, bevor ich mit Joci
zusammenkam.“

Die beiden sind seit sechs Jahren ein
Paar. Erik, der in diesem Artikel nicht mit
seinem vollen Namen auftauchen möchte,
um sein Privatleben aus dem Internet zu
halten, arbeitet in Slowenien als Logistik-
Manager für eine italienische Firma. Am
Anfang habe er gar nicht fassen können,
wie seine Kollegen dort über Roma spra-
chen. Wie über Tiere, sagt er. „Es gibt so
viele Vorurteile gegenüber Roma, was Bil-
dung angeht und so weiter. Ja, es ist zutref-
fend, dass viele Roma nicht zur Schule ge-
hen, aber warum ist das so? Das wird nie
hinterfragt. Dabei gibt es systemische
Gründe dafür, dass die Situation für Roma
ist, wie sie ist.“ Er erzählt, dass Joci an ost-
europäischen Flughäfen oft mehrere Doku-
mente vorlegen muss, um sich auszuwei-
sen. Der Pass reiche nicht, es müsse noch
mindestens zusätzlich der Führerschein
sein. Einmal musste ein Experte kommen,
um die Echtheit seines ungarischen Passes
zu beglaubigen.
„Na ja, aber das ist ganz normales Racial
Profiling“, sagt Joci Márton. Er würde jetzt
gerne so langsam das Thema wechseln
und darauf zu sprechen kommen, warum
wir hier sind. „Tut mir leid, aber ich bin et-
was müde, was diese Sorte Gespräch an-
geht“, sagt er. „Immer wenn es um Roma
geht, geht es um Probleme. Die Leute müs-
sen immer Mitleid mit uns haben. Auch die
Bilder, die von Roma gezeigt werden, sind
immer dieselben: traurige Gesichter, ärmli-
che Kleidung, ein einziges Leid. Ja, es ist
wahr, dass wir Unterstützung brauchen
können, aber wir nehmen nicht nur, wir ge-
ben auch. Davon ist nie die Rede. Wir ha-
ben auch Freunde, Familie, die wir unter-

stützen. Ich will, dass man auch mal eine
positive Geschichte über uns erzählt.“ Und
da es sonst niemand macht, macht er es
jetzt eben selbst.
Es ist noch nicht lange her, dass in die-
sem Land zuletzt Menschen ermordet wur-
den, weil sie Roma waren. 2008, 2009 war
das. Aus der ultrarechten Jobbik-Partei,
(die inzwischen von Orbáns Regierungspar-
tei Fidesz rechts überholt wurde) war eine
Gruppe rechtsextremer militanter Nationa-
listen hervorgegangen, die sich Ungari-
sche Garde nannte und schwer bewaffnet
in Uniformen durch Dörfer marschierte, in
denen viele Roma lebten. Im Juli 2008 kam
es zu ersten Schüssen, im November gab es
das erste Todesopfer. In der Nacht zünde-
ten die Täter Häuser an, und wenn die Be-
wohner vor den Flammen nach draußen
flohen, schossen sie auf sie. Sechs Men-
schen starben, darunter ein vierjähriges
Mädchen. 55 weitere, fast alle Roma, wur-
den zum Teil schwer verletzt.
Kurz war die Aufregung groß, die Welt-
presse berichtete, in Ungarn machte sich
so etwas wie Betretenheit breit. Dann wur-
de die Sache schnellstmöglich zu den Ak-
ten gelegt, jedenfalls von offizieller Seite.
Kein Denkmal wurde errichtet, kein Jahres-
tag offiziell begangen. Es gab keine psycho-
logische Betreuung für die Opfer, beschei-
dene Entschädigungen wurden erst nach
Jahren ausbezahlt. Die Rolle des Geheim-
diensts, der Erkenntnisse über die Täter
nicht weitergegeben hatte, wurde nie un-
tersucht. Ebenso wenig, wer die Mörder be-
waffnet hatte. Vier Männer wurden zu Ge-
fängnisstrafen verurteilt, ihre Helfer sind
bis heute frei.

Joci Márton sucht in seinem Handy
nach den Fotos. Sie sind spektakulär
schön. Und sehr, sehr weit entfernt von de-
nen, die man von ungarischen Roma im
Kopf hat, wenn man sie nur aus den Nach-
richten kennt.
Auf einem Bild ist eine bildhübsche jun-
ge Frau zu sehen, die langen dunklen Haa-
re zu einer Seite gekämmt. Sie trägt eine
weiße ärmellose Tunika und hat elegant ei-
nen Baseballschläger geschultert. Sie steht
da wie eine römische Kaiserin, die jeden
Moment zuschlagen kann. Ein anderes Fo-
to zeigt einen zierlichen Mann mit langen
rötlichen Haaren, um die er Grace-Kelly-
haft ein geblümtes Seidentuch gewickelt
hat. Sein Oberkörper ist nackt, er hält ei-
nen Blumenstrauß und schaut, als überle-
ge er, ob er einem ein Geheimnis verraten
soll.

Dann ist da ein Mann mit gestutztem
Vollbart und einer hochgetürmten Frisur
wie der von Barbara Eden in „Bezaubernde
Jeannie“. Oder die zwei kurzhaarigen Frau-
en, die mit Ohrschützern und Werkzeug in
einer Garage stehen und so glücklich la-
chen, dass es ansteckend wirkt.
Insgesamt sind es 15 Personen, sie alle
haben ihre Porträts selbst inszeniert.
Márton erzählt, dass es nicht leicht war, sie
zusammenzubekommen. Queere Roma zu
finden. Sie sind nicht organisiert, nicht ver-

netzt. Im Grunde gibt es sie gar nicht rich-
tig, oder noch nicht, jedenfalls nicht offizi-
ell. Von der ungarischen Mainstream-
LGBTQ-Bewegung bekam Márton keine
Unterstützung. Er wirkt enttäuscht dar-
über, nennt sie einen elitären Verein, in
dem viele außen vor blieben, Leute vom
Land, Arbeiter. Als schwuler Mann habe
man in Budapest groß und muskulös zu
sein. Da gäbe es wenig Vielfalt, für femini-
nere Männer etwa sei in dieser Gemein-
schaft kein Platz.
Zu seinem eigenen Foto gibt es eine Ge-
schichte: „Ich tanze in einem Rock meiner
Großmutter zu meiner Lieblingsmusik, , Ti-
nédzser L’amour‘ von Szandi. Ich bin noch
klein, vielleicht fünf Jahre, und es macht
mir Spaß, mich zu drehen und den Rock
fliegen zu lassen. Irgendwie habe ich es
wohl übertrieben, ich fiel hin und schlug
mit dem Kopf auf. Meine Eltern mussten
mit mir in die Notaufnahme, und obwohl
ich noch nicht viel verstand, verstand ich
doch so viel aus dem Gespräch zwischen
meinen Eltern und dem Arzt, dass ich kei-
nen Rock hätte tragen sollen. Dass ich ein
Junge sei und Jungen keinen Rock tragen.
Ich habe seitdem nie wieder einen Rock ge-
tragen. Es war nun mit Scham behaftet.“
Joci Márton kommt aus einer Arbeiterfa-
milie vom Land. Er wuchs in einer Wohn-
blocksiedlung in Bátonyterenye auf, einer
12000-Einwohner-Stadt im Nordosten Un-
garns. Im Sozialismus gab es dort Indus-
trie, danach verarmte die Gegend. Heute
liege sie in der Mitte von nirgends. Seine El-
tern leben noch da.

Wie haben sie sein Coming-out aufge-
nommen? „Ich werde das oft gefragt und
habe immer das Gefühl, dass ich dann das
Vorurteil bestätigen soll, dass die Roma-
Gemeinschaft homophob ist, damit sich
die Mehrheitsgesellschaft auf die Schulter
klopfen kann, wie offen sie sind und wie
gut sie alles machen.“ Er sagt das ohne Vor-
wurf. „Natürlich war es nicht ganz leicht.
Wir leben in einer heterosexuellen Gesell-
schaft, wie alle anderen auch, insofern ist
da schon ein kleiner Holperer in der Stra-
ße. Noch dazu auf dem Land, wo nicht aus
jedem Wohnzimmerfenster eine Regenbo-
genfahne hängt. Aber warum sollte ich ge-
gen meine Leute sprechen. Das ganze Land
ist homophob, warum so tun, als wäre das
ein spezifisches Roma-Problem.“
Márton hat in Budapest Romologie stu-
diert, also Geschichte und Kultur der Ro-
ma. Die deutsche Bezeichnung für dieses
Studienfach, Tsiganologie, lehnt er als ab-
wertend ab. Während des Studiums ging er
ehrenamtlich in Schulklassen, um über Ro-
ma aufzuklären, sich den Fragen zu stel-
len. Über Roma wird im ungarischen Unter-
richt nichts gelehrt. Mit seiner Ausstellung
will er vor allem queere Roma ansprechen.
Vielleicht sehe es jemand oder lese davon
und fühle sich nicht mehr so allein. Um
Selbstrepräsentanz geht es ihm, um Wür-
de. Er nennt Lizzo als Vorbild, den neuen
Superstar des US-Pop, eine übergewichti-
ge schwarze Frau, die in kein gängiges
Schönheitsideal passte, weshalb sie ihr ei-
genes schuf. „Anstatt ihren Körper zu ver-
stecken, zieht sie extra figurbetonte Klei-
dung an und feiert ihre Einzigartigkeit.
Jetzt gibt es vielleicht Mädchen, die dank
Lizzo keine Komplexe mehr haben. Das fin-
de ich großartig, diese positive Kraft.“
Gelegentlich veröffentlicht Joci Márton
Zeitungsartikel, meistens dann, wenn wie-
der ein Jahrestag der Mordserie ansteht.
Wenn die Roma nicht selbst darüber schrie-
ben und so die Erinnerung wachhielten,
tue es keiner, sagt er und reibt sich plötz-
lich die Augen. Erst das rechte Auge, dann
das linke, als sei ihm etwas hineingeflogen.
Er spricht dabei normal weiter.
„Für uns Roma werden diese Morde für
immer in die Erinnerungskultur einge-
schrieben sein. Niemand wird das verges-
sen können. Aber es hat eigentlich nieman-
den sonst groß gekümmert. In der Bevölke-
rung gab es einen bestürzenden Mangel an
Mitgefühl, da es ja nur uns passiert war,
nur den Roma.“ In einer Mail wird er sich
später dafür entschuldigen, geweint zu ha-
ben. Das Thema sei immer noch so schwer.
Die ungarische Ausgabe derEllehat be-
reits vorab über seine Ausstellung berich-
tet. Auf sieben Seiten waren die Fotos zu se-
hen, dreimal Umblättern, groß und in Far-
be. Eigentlich hat Joci Márton damit sein
Ziel erreicht. Jedenfalls ein Ziel: schöne Fo-
tos von schönen Roma in einem Hochglanz-
magazin. Eine neue Geschichte.
„Als Roma“, sagt Joci Márton, „weiß
man von Kindheit an, dass man zur Ziel-
scheibe werden wird. Man wird von seinen
Eltern darauf vorbereitet. Die kennen Dis-
kriminierung ja aus erster Hand. Sie geben
ihr Bestes, damit ihr Kind das nicht so
stark an sich heranlässt. Damit es nicht
glaubt, was es über sich hören wird: dass es
dreckig sei, faul sei, dass es stinke. Aller-
dings ist das Training nicht perfekt. Auch
wenn man weiß, was kommt, bleibt doch et-
was an einem hängen.“ Viele Roma hätten
die Klischees und Vorurteile über sie verin-
nerlicht und mit Selbsthass zu kämpfen.
Wer oft genug höre, dass er hässlich sei,
glaube das auch.
Nein, sagt Márton, er fände nicht, dass
er besonders nett aussehe.
An dieser Stelle schaltet sich sein
Freund ein. Er greift über den Tisch, zieht
das Aufnahmegerät zu sich, spricht direkt
ins Mikrofon: „Das sehe ich anders. Er ist
wunderschön.“

DEFGH Nr. 61, Freitag, 13. März 2020 (^) DIE SEITE DREI 3
Du mich auch
Joci Márton ist alles, was einem in Ungarn das Leben schwer macht.
Von einem, der sein Anderssein feiert
von johanna adorján
Schöne Fotos von schönen Roma: Das war Joci Mártons Ziel. Und er hat es geschafft – als Model für das ModemagazinElle. FOTO:ANDRÁS JÓKÚTI
Die Roma sollten 300 000 Euro
Entschädigung bekommen,
aber Orbán zahlte nicht mal die
Rechtsextreme jagten und
ermordeten Roma.
Bestraft wurden nur wenige
Als schwuler Mann müsse man in
Budapest groß und muskulös sein,
sagt Joci Márton, der zierlich ist
Sein Vorbild? Eine schwarze,
übergewichtige Frau, die ihren
Körper eben nicht versteckt

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