Süddeutsche Zeitung - 13.03.2020

(Elle) #1
Deutschland 2078

Österreich 302

Schweiz 652

Liechtenstein 1

Frankreich 2284

Andorra 1

Großbritannien 459

Island 85

Färöer 2

Norwegen 702

Schweden 500

Finnland 59

Russland 28

Estland 16

Lettland 10

Litauen 3

Weißrussland 12

Polen 49

Dänemark 617

Niederlande 503

Belgien 314

Luxemburg 19

Irland 43

Spanien 2277

Portugal 59

San Marino 69

Malta 6

Italien12 462

Vatikan 1

Monaco 1

Slowenien 89

Ungarn 13

Slowakei 16

Ukraine 1

Republik Moldau 3

Bulgarien 7

Rumänien 49

Bosnien-
Herzegowina 11

Kroatien 19

Serbien 19

Albanien 15

Nordmazedonien 7

Griechenland 99

Türkei 1

Georgien 24

Algerien 24 Tunesien^6 Zypern^6

Gibraltar 1

Marokko 6

Tschechien 94

Land mit mindestens einem Erkrankten


genaue Fallzahl


Das Ausmaß der Pandemie


Quelle: Johns Hopkins University;
Stand: 12. März 2020, 14.30 Uhr

Die Position der Kreise richtet sich nur nach der geografischen Lage
des jeweiligen Landes und gibt nicht die exakten Orte von Ausbrüchen
der Epidemie an.

Brüssel –AmMittwochnachmittag wand-
te sich Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen an die Italiener. „Ihr seid in
eurem Kampf gegen das Virus nicht allei-
ne“, sagte sie in einem kurzen Video, das
auf Twitter verbreitet wurde. Sie beobach-
te die italienischen Maßnahmen mit tie-
fem Respekt und Bewunderung. Dass die
Deutsche diese Botschaft überhaupt auf-
zeichnete, dürfte jedoch nicht nur Re-
spekt und Bewunderung geschuldet sein.
Sondern auch der Tatsache, dass sie zuvor
harsch kritisiert worden war, weil sie auf
die Situation bis dahin vor allem aus dem
wirtschaftlichen Blickwinkel reagiert hat-
te: „Wir werden alle uns zur Verfügung ste-
henden Mittel nutzen, damit die europäi-
sche Wirtschaft diesem Sturm wider-
steht“, sagte sie am Dienstagabend nach
der Videokonferenz mit den Staats- und
Regierungschefs.
Was die Kommunikation angeht, war
die Sturmwarnung zumindest unglück-
lich, aber sie spiegelt die Rechtslage wi-
der: Bei der Bekämpfung des Coronavirus
hat die Kommission vor allem da Spielräu-
me, wo es ums Geld geht. Gesundheitspoli-
tik dagegen ist Ländersache, das ist in der
Europäischen Union nicht anders als in
der Bundesrepublik. Die EU-Kommission
kann auf diesem Gebiet nicht viel mehr
tun, als koordinieren: beim Informations-
austausch helfen, etwa über die Europäi-
sche Gesundheitsbehörde ECDC, oder For-
schungsgelder frei machen. Bei der Video-
konferenz mit den Staats- und Regierungs-
chefs wurde noch vereinbart, dass die Be-
hörde ermittelt, welche Vorräte und Pro-
duktionskapazitäten es für medizinische
Ausrüstung in Europa gibt. Für alles, was
über solche Unterstützung hinausgeht, ist
nicht die EU zuständig. Im Zweifel müssen
sich die Mitgliedstaaten abstimmen und
auf gemeinsame Schritte einigen.
Das passiert aber zu wenig, findet der
CDU-Europaabgeordnete Peter Liese:

„Wenn in Polen Schulen geschlossen wer-
den, dann sollten wir das in Deutschland
zumindest in Gebieten mit hohen Corona-
Fallzahlen auch tun“, sagt der gesundheits-
politische Sprecher der Christdemokraten
im EU-Parlament. „Die Mitgliedstaaten
müssen noch viel enger zusammenarbei-
ten, auch oder gerade weil die EU rechtlich
zu wenig Kompetenzen auf dem Gebiet des
Gesundheitsschutzes hat.“
Das Flickwerk bei den Maßnahmen är-
gert viele auch deswegen, weil sich Infizier-
te im Schengenraum nach wie vor weitge-
hend ungehindert bewegen können. Offizi-
ell hat bislang lediglich Österreich der
Kommission angezeigt, die Schengenre-
geln wegen des Virus außer Kraft zu setzen
und die Einreise aus Italien zu beschrän-
ken. Andere Länder haben aber ebenfalls
begonnen, wieder Grenzkontrollen einzu-
führen – etwa Tschechien an den Grenzen
zu Deutschland und Österreich.

Über solche Kontrollen entscheiden die
Länder selbst. Aufgabe der Kommission ist
es zu prüfen, ob die dafür vorgesehenen Re-
geln eingehalten werden. So dürfen dem
Schengener Grenzkodex zufolge solche
Maßnahmen im Normalfall höchstens
30 Tage andauern, wobei Verlängerungen
möglich sind. In der Vergangenheit – etwa
bei der Wiedereinführung der Binnenkon-
trollen im Zuge der Flüchtlingskrise – hat
die EU-Kommission bei Verstößen gegen
diese Regeln aber nicht sehr hart reagiert.
Eine wichtige Rolle übernimmt die Be-
hörde hingegen bei der Frage, wie die wirt-
schaftlichen Folgen der Epidemie zu be-
grenzen sind. Nach der Videokonferenz
mit den Staats- und Regierungschefs war
die schlagzeilenträchtigste Ankündigung

von der Leyens, einen 25 Milliarden Euro
schweren Hilfsfonds aufzusetzen. Die Zahl
führt allerdings ein wenig in die Irre: Kon-
kret geht es darum, dass Mitgliedstaaten
nicht genutzte Mittel aus den EU-Struktur-
fonds – also aus Töpfen zur Förderung ar-
mer Regionen – behalten können, anstatt
sie wie sonst üblich an die Behörde zurück-
zuzahlen. Es handelt sich um 7,5 Milliar-
den Euro.
Die Regierungen können dann bei der
Kommission die Unterstützung von Projek-
ten beantragen. Bei solchen Vorhaben müs-
sen die Staaten einen Eigenbeitrag leisten.
Und 7,5 Milliarden Euro Eigenbeitrag rei-
chen aus, um Projekte im Wert von 25 Milli-
arden Euro bewilligt zu bekommen.
Zudem versprach von der Leyen, dass
die Kommission den Stabilitätspakt und
Regeln zu Staatsbeihilfen flexibel anwen-
den werde. An diesem Freitag wird sie da-
zu Leitlinien präsentieren, bevor sich am
Montag die EU-Finanzminister treffen.
Möchten Regierungen Branchen oder Kon-
zerne mit Subventionen unterstützen,
müssen sie die Behörde um Erlaubnis fra-
gen. Die Kommission will sich nun bei Bei-
hilfe-Fällen wegen der Corona-Krise, etwa
bei Geld für darbende Hoteliers, flexibel
zeigen. Der Stabilitäts- und Wachstums-
pakt wiederum, das Regelwerk für solide
Haushaltsführung in den Euro-Staaten,
sieht ohnehin reichlich Spielräume vor. Fi-
nanzminister dürfen höhere Schulden ma-
chen, um auf unvorhergesehene Krisen
und auf Katastrophen zu reagieren.
Die Europäische Investitionsbank (EIB),
das Förderinstitut der EU, könnte eben-
falls dazu beitragen, die Konjunktur zu
stützen. Das Luxemburger Geldhaus, eine
der größten Banken der Welt, stellt günsti-
ge Kredite bereit. Am Donnerstag sollte
der Verwaltungsrat tagen, das Entschei-
dungsgremium. Doch die Sitzung wurde
wegen der Corona-Epidemie abgesagt.
karoline meta beisel, björn finke

Österreich
DasInnenministerium hat am Donners-
tag eine Urlaubssperre für alle 25000Poli-
zisten im Land verhängt, vorläufig bis En-
de April. Bei der Schließung der Schulen
wird mit Rücksicht auf die Betreuung der
Kinder schrittweise vorgegangen. Die für
Mai geplanten Abiturprüfungen werden
verschoben. Wer keine Betreuung hat, soll
dennoch in die Schule kommen können.
Diese Wahlmöglichkeit gilt auch in Kinder-
gärten. Die Regierung verspricht den El-
tern von Kindern bis zu 14 Jahren drei Wo-
chen Sonderurlaub. Kanzler Sebastian
Kurz rief auf, Kinder keinesfalls zu den
Großeltern zu bringen. pm

Frankreich
Präsident Emmanuel Macron besucht
Krankenhäuser und Notaufnahmen, zu-
dem steuerte er früh das Krisenmanage-
ment, indem er alle Atemschutzmasken
konfiszierte. Sie werden nur noch an Kran-
kenhäuser abgegeben. Mehr als 2000 In-
fektionsfälle gab es bis Donnerstag,
48Menschen sind gestorben. In Teilen
Korsikas, im Elsass und der Bretagne wur-
den Schulen und Kindergärten geschlos-
sen, landesweit Veranstaltungen mit
mehr als 1000 Teilnehmern abgesagt.
Wer im Altersheim lebt, darf keine Besu-
cher mehr empfangen. Am Mittwoch sag-
te Gesundheitsminister Olivier Veran in ei-
ner TV-Debatte, Frankreich stehe „kein
Zustand wie in Italien bevor“, der Leiter ei-
nes Pariser Zentrums für Infektionskrank-
heiten, Éric Caumes, widersprach.nap

Polen
Laut Gesundheitsminister Łukasz Szu-
mowski sind mehr als 1200 Polen in Qua-
rantäne und würden von der Polizei kon-
trolliert. Eltern sollten ihre Kinder nicht
vor die Tür lassen, die Menschen sollen
nicht zur Kirche gehen, sondern Messen
in Fernsehen und Radio verfolgen. Präsi-
dent Andrzej Duda sagte im Präsident-
schaftswahlkampf alle Großauftritte ab.
Die zur Regierungspartei gehörende Parla-
mentspräsidentin orakelte, womöglich
müsse man die für Mai geplante Wahl ver-
schieben. has

Tschechien und Slowakei
Die Regierungen Tschechiens und der Slo-
wakei haben den nationalen Notstand aus-
gerufen, in Tschechien für 30, in der Slo-
wakei für 14 Tage. Die Slowakei schließt al-
le Grenzen, einreisen dürfen nur noch
Menschen mit Wohnsitz im Land. In
Tschechien sind von diesem Freitag an
Veranstaltungen mit mehr als 30 Leuten
verboten. Nur elf von mehr als 50 Grenz-
übergängen nach Deutschland und Öster-
reich bleiben geöffnet. Deutschland gilt
aber noch nicht als verbotenes Land.vgr

Niederlande
Die niederländische Regierung, die bisher
auffallend wenig Beschränkungen erließ,
ändert ihren Kurs. Alle Veranstaltungen
von mehr als 100 Menschen sollten abge-
sagt werden, erklärte Ministerpräsident
Mark Rutte am Donnerstag. Menschen mit
einschlägigen Symptomen sollten zu Hau-
se bleiben und sich beim Arzt melden. Alle
Bürger sollten möglichst von zu Hause ar-
beiten. Besuche bei älteren und kranken
Menschen seien zu vermeiden. Schulen,
Universitäten und andere Bildungseinrich-
tungen bleiben aber offen. All das gilt vor-
erst bis 31. März. kit

Spanien
Alle Minister sollten am Donnerstag auf
das Coronavirus getestet werden – zuvor
war Gleichstellungsministerin Irene Monte-
ro positiv getestet worden. Der stellvertre-
tende Ministerpräsident Pablo Iglesias be-
findet sich in Quarantäne. Die Zahl der To-
desopfer stieg von Mittwoch auf Donners-
tag von 47 auf 84. Schon am Dienstag
schlossen alle Kultur- und Bildungseinrich-
tungen der Region Madrid für zwei Wo-
chen. Dem folgen immer mehr Regionen.
Panikstimmung ist in Madrid indes nicht
zu spüren. tu

Großbritannien und Irland
Warum das Vereinigte Königreich und die
Republik Irland nicht auf Donald Trumps
Bannliste stehen, war zunächst unklar. An
der Ausbreitung des Coronavirus dürfte es
nicht liegen. Denn vor allem im Vereinigten
Königreich gibt es mehr Infizierte und Tote
als in vielen europäischen Staaten, die vom
US-Einreisestopp betroffen sind. Premier
Boris Johnson berief am Donnerstag eine
Notfallsitzung ein, um die Verbreitung des
Virus zu verlangsamen. am

Dänemark
Premierministerin Mette Frederiksen ver-
kündete in der Nacht zum Donnerstag dras-
tische Schritte: Alle Schulen und Unis schlie-
ßen von Montag an für zwei Wochen, eben-
so Büchereien, Kulturinstitute und Freizeit-
einrichtungen. Alle nicht lebenswichtigen
Operationen in Krankenhäusern sind aus-
gesetzt. „Der Alltag der Dänen wird so ver-
ändert auf eine Weise, wie wir sie seit dem
Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen ha-
ben“, schrieb die ZeitungPolitiken.Der
Grund für die Eile: Von Montag bis Mitt-
woch hatten sich die Fallzahlen in nur zwei
Tagen verzehnfacht – der schnellste An-
stieg in Europa.ttt

Wie ist die Lage in Italien?
Das Robert-Koch-Institut stuft medizi-
nisch inzwischen ganz Italien als Risikoge-
biet ein. Die italienische Regierung hat das
gesamte Land zur Sperrzone erklärt, die
Ausreise nach Deutschland sei aber weiter-
hin möglich, heißt es beim Auswärtigen
Amt. Das Amt rät inzwischen trotzdem von
nicht erforderlichen Reisen nach Italien
ab. Deutschen, die bereits im Land sind,
empfiehlt es, die Fortbewegung dort auf
das Notwendige zu beschränken – das ver-
langen die nationalen Maßnahmen ohne-
hin. Eine amtliche Reisewarnung gibt es
aber weiterhin nicht. Die Durchreise von
Touristen durch Österreich solle möglich
bleiben, sofern diese keinen Halt im Land
einlegten. Die ÖBB stellte aber alle Zugver-
bindungen nach Italien ein.

Welche Regionen in Europa gelten
zudem als Risikogebiet?
Das Robert-Koch-Institut stuft die ostfran-
zösischen Gebiete Elsass und Lothringen
als Coronavirus-Risikogebiet ein, ebenso
die Region Champagne-Ardenne, die eine
Grenze mit Belgien teilt. Die drei Gebiete
bilden zusammen die Region Grand Est.
Sie grenzt an Baden-Württemberg, an das
Saarland und an Rheinland-Pfalz.

In welchen Ländern ist die Einreise für
Deutsche erschwert oder untersagt?
Das Auswärtige Amt informiert auf seiner
Webseite zum Coronavirus und führt die
Einreiseformalitäten und eventuelle Be-
schränkungen auf. Aktuell rät es von Rei-
sen nach Iran ab. Israel hat von sich aus al-
le Touristen des Landes verwiesen. Die
USA haben ein Einreiseverbot für fast alle
Personen ausgesprochen, die sich in den

14 Tagen vor ihrer Ankunft im Schengen-
raum aufgehalten haben. Quarantäneauf-
lagen gelten auch in Russland, zunächst
nur für Moskau. Deutschen ist die Einreise
nach Jordanien, El Salvador, Kasachstan,
Bhutan, in die Mongolei, nach Saudi-Arabi-
en, Jamaika, Grenada sowie in die pazifi-
schen Inselstaaten Kiribati, Marshallin-
seln und Samoa verboten. Das Sultanat
Oman teilte mit, vorerst keine Touristenvi-
sa mehr auszustellen. Von Sonntag an dür-
fen keine Besucher mehr ins Land und kei-
ne Kreuzfahrtschiffe mehr in den Häfen
des Landes anlegen. Zuvor hatte Kuwait an-
gekündigt, von Freitag an vorerst alle kom-
merziellen Flüge auszusetzen.
Uganda, Malawi, Tschad, Nordmazedo-
nien fordern eine zweiwöchige Quarantä-
ne nach Einreise. Deutsche ohne Wohnsitz
in Slowenien müssen an der Grenze vorwei-
sen, dass sie nicht infiziert sind. Mit Qua-
rantäne muss man in Bosnien-Herzegowi-
na, China und auf Zypern rechnen. Die Slo-
wakei lässt nur Menschen mit Wohnsitz im
Land einreisen. Vietnam hebt die Visafrei-
heit für Deutsche auf. Nepal vergibt keine
Visa mehr bei der Ankunft. Indien erklärt
alle Visa von deutschen Staatsangehörigen
für ungültig, falls sie noch nicht eingereist
sind. In Thailand werden Reisende aus Ver-
breitungsgebieten kontrolliert und müs-
sen sich mit einer Kontrolle ihrer Bewegun-
gen einverstanden erklären. Polen führt an
der Grenze Hygienekontrollen ein.

Wer zahlt, wenn man wegen neuer Be-
stimmungen nicht reisen kann?
Bei Pauschalreisen ist der Veranstalter in
der Pflicht, er zahlt entweder den Preis zu-
rück oder bietet eine Umbuchung an. We-
gen der außergewöhnlichen Umstände be-

kommen Kunden aber keinen Schadener-
satz wegen entgangener Urlaubsfreuden.
Individualreisende hingegen haben selbst
Hotel oder Mietwagen gebucht und sind da-
her mit den jeweiligen nationalen Geset-
zen konfrontiert. Nach deutschem Recht,
das beispielsweise auch für deutsche Hotel-
portale gilt, müssen sie nichts bezahlen,
wenn sie Leistungen nicht nutzen können.
„Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn
die Unterkunft in einem Sperrgebiet liegt
und nicht erreichbar ist“, heißt es bei der
Verbraucherzentrale. Wenn ein Vertrag di-
rekt mit Vermietern im Ausland geschlos-
sen wurde, müssen Betroffene aber je nach
Stornobedingungen auf Kulanz hoffen.

Was, wenn man eine bereits geplante
Reise nicht mehr antreten möchte?
Für Pauschaltouristen gilt: Müssten sie zu
große Abstriche bei Programmpunkten
machen, gibt es Geld zurück. Fällt der Hö-
hepunkt einer Pauschalreise aus oder ist et-
wa eine Reise nicht wie geplant möglich,
weil Museen, Kirchen und Geschäfte ge-
schlossen sind, dürfen Kunden kostenlos
zurücktreten. Auch in anderen Fällen re-
agieren Anbieter zunehmen kulant und ge-
statten kurzfristige Absagen. Individualrei-
sende haben auch hier keine garantierten
Ansprüche.

Wer kommt für die Kosten auf, wenn
Urlauber festsitzen?
Wieder sind Pauschalurlauber besser abge-
sichert: Müssen sie während ihrer regulä-
ren Reisezeit in Quarantäne, können sie
diese als Mangel anführen und Geld zu-
rückerhalten. Allerdings müssen sie das
vor Ort dem Veranstalter mitteilen, der wie-
derum versuchen könnte, den Betrag von

den Behörden zurück zu holen, welche die
Quarantäne angeordnet hatten. Auch be-
steht eine Beistandspflicht des Veranstal-
ters, sagt der Reiserechtler Paul Degott:
Ein Pauschalreiseanbieter müsse etwa da-
für sorgen, dass Kunden mit anderen Rück-
flügen als geplant nach Hause kommen.

Was sollten Flugpassagiere wissen?
Bei gestrichenen Verbindungen bekom-
men die Passagiere ihr Geld zurück. Unter
Umständen haben Kunden nach der EU-
Fluggastrichtlinie Entschädigungsansprü-
che von 250 bis 600 Euro. Ob dies bei der
Vielzahl der abgesagten Flüge jedoch so
sein wird, ist umstritten.

Helfen Rücktrittsversicherungen?
Eine Reiserücktrittsversicherung zahlt
nicht, wenn der Kunde nur Angst vor der
Krankheit hat und nicht vor Urlaubsantritt
selbst erkrankt. Wer unterwegs Sympto-
me bekommt, bräuchte eine Reiseabbruch-
versicherung – diese empfiehlt sich eigent-
lich nur bei teuren Reisen. Eine Auslands-
krankenversicherung sollten aber selbst
Privatversicherte abschließen, da bei ih-
nen meist die Kosten für einen Rücktrans-
port nicht abgedeckt sind.

Was, wenn bei mir im Urlaub das
Virus nachgewiesen wird?
Laut Auswärtigem Amt entscheiden die Be-
hörden des jeweiligen Landes, welche Maß-
nahmen ergriffen werden, beispielsweise
Quarantäne. Mit einer Rückholung durch
den Reiseveranstalter oder die Bundesre-
gierung sei nicht zu rechnen. sz

 Ausführliche Informationen online
unter http://www.sz.de/reisen-und-corona

Rom – Jetzt ist Italien ganz dicht. Für fast
jeden Schritt aus dem Haus und jeden
Gang über die Piazza braucht es ein „Mo-
dulario Interno 314“, so heißt das Formu-
lar des Innenministeriums. Damit kann
man sich selbst die Dringlichkeit des Raus-
gehens zertifizieren. Auch für das Einkau-
fen von Lebensmitteln im Supermarkt,
für die Besorgung in der Apotheke, das
Geldabheben in der Bank muss man sich
vor der Polizei ausweisen – mit einer Un-
terschrift auf dem Formblatt, download-
bar von der Website des Ministeriums,
samt Siegel und geschwungener Schrift.

Alles andere, alles Unnötige, ist nicht
mehr erlaubt. Natürlich, mit dem Hund
darf man raus. Und ein bisschen joggen
und spazieren geht auch, jedoch nur ein-
zeln, nie in der Gruppe. Dem Innenminis-
terium wäre es allerdings lieber, wenn
auch darauf verzichtet würde.
Italiens Regierung unternimmt alles,
um möglichst viele davon abzuhalten, das
Haus zu verlassen. Sie hat auch die Bars,
Hotels und Restaurants, die Einkaufszen-
tren und die Friseurläden und alle ande-
ren nicht absolut unabdingbaren Geschäf-
te und Einrichtungen für zwei Wochen
schließen lassen, um gegen die Ausbrei-
tung des Virus zu kämpfen. Und wenn es
schon bei früheren Maßnahmen hieß, sie
seien beispiellos für Zeiten des Friedens,
so ist die jüngste Verordnung für das öf-
fentliche Leben nicht mehr weit weg von
einer totalen Ausgangssperre.
„Italien beweist gerade, dass es eine
große Nation ist“, sagte Premier Giuseppe
Conte in einer Ansprache. Man werde Itali-
en im Ausland künftig nicht mehr nur be-
wundern für seine Schönheit, sondern
auch als Modell sehen. „Heute müssen wir
Distanz zueinander halten, doch schon
morgen werden wir uns mit noch mehr
Wärme umarmen und noch schneller lau-
fen.“ Morgen war als Metapher auf die na-
he Zukunft gemeint. Es war das erste Mal
seit Beginn der Krise, dass Conte patrioti-
sches Pathos in seine Worte legte.
Die Metapher vom Fernsein und Umar-
men lief in Endlosschleife auf den Nach-
richtensendern, sie hat das Zeug zum his-
torischen Motto. Ziel war auch, eine Über-
zeugung zu festigen, die sich ohnehin gera-
de Bahn bricht in Italien: Man zählt zwar
mehr Infektions- und Todesfälle als ande-
re Länder Europas, reagiert aber schneller
und konsequenter. Und wird deshalb frü-
her wieder aus der Krise herausfinden,
während andere dann Schritt um Schritt
den Weg Italiens gehen müssen, Schlie-
ßung um Schließung, Dekret um Dekret.
Als Beleg dafür wird die Weltgesund-
heitsorganisation angeführt, die Italien
als gutes Beispiel nannte, und die Spitze
der EU. Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen richtete sich in einer Video-
botschaft an die Italiener, auf Italienisch
dann noch: „Siamo tutti italiani“, sagte
sie. Wir sind alles Italiener.
Doch bei aller Selbstmotivation: Nie-
mand wagt eine Prognose, wann der Peak
erreicht ist, wie lange es noch dauert, wie
viele Menschenleben das Virus noch for-
dern wird. Die ZeitungCorriere della Sera
hat Menschen interviewt, die ihre betag-
ten, oft bereits kranken und mit dem Vi-

rus infizierten Eltern und Großeltern ver-
loren haben, ohne sich verabschieden zu
können. Aus Furcht vor Ansteckungen
darf im manchen Krankenhäusern nie-
mand ans Sterbebett der Lieben. „Sie ster-
ben alleine“, titelt derCorriere. Und auch
das Trauern ist eingeschränkt: Bestattet
wird im kleinsten Kreis, Trauerfeiern sind
auf Zeiten verschoben, wenn man sich wie-
der umarmen darf.
Die Zustände in den norditalienischen
Krankenhäusern sollen dramatisch sein,
allein in der Lombardei liegen Hunderte
Erkrankte auf Intensivstationen. Die Sor-
ge ist groß, dass das System kollabieren
könnte. Bilder aus den Hospitälern gibt es
keine, nur Zeugnisse von Ärzten, die seit
Wochen im Dauereinsatz sind. Auch in
den sozialen Medien gibt es Berichte, man-
che sind verstörend, sie gingen viral. Pati-
enten würden nach ihrem Alter sortiert,
hieß es da: Die jüngeren würden behan-
delt, die älteren nicht. Doch ist das auch
wahr? Roberto Fumagalli, Oberarzt auf ei-
ner Intensivstation in Mailand, warnte
vorfake news: „Haltet euch an die glaub-
würdigen Informationen, verbreitet die
Botschaften nicht weiter!“
Besorgt um verlässliche Quellen ist
auch die Regierung. Auf der kurzen Liste
der Geschäfte, die trotz Totalblockade of-
fen sein dürfen, stehen auch die „Edicole“,
die Zeitungsstände. Information zählt al-
so auch – oder vielleicht: gerade – in Zei-
ten des Coronavirus zu den Grundbedürf-
nissen. Fürs Zeitungholen darf man raus,
mit dem „Modulario Interno 314“. Und die
Blätter erklären im Detail, was man noch

darf und was nicht mehr.La Repubblica
gibt Ratschläge, wie sich die lange Zeit da-
heim am besten bewältigen lässt – in
sechs Kategorien: Lektüren, Streaming-
dienste, Gesellschaftsspiele, Gymnastik,
Videospiele, Kochrezepte. In dieser Sekti-
on der Zeitung, am Donnerstag zum Bei-
spiel auf Seite 18, wird der Tonfall verspiel-
ter. Für die Moral, nach all dem Schweren.
Seit einigen Tagen mehren sich auch
spontane Ermunterungen auf Hausmau-
ern und Balkonen, in Form von Graffiti,
Spruchbändern, Kinderzeichnungen. Es
wird den Ärzten und Krankenpflegern ge-
dankt, die sich so aufopfern. Und dann
gibt es viele bunte Transparente für die Be-
ruhigung der Besorgten, zumeist mit dem-
selben Spruch: „Andrà tutto bene.“ Alles
wird gut. oliver meiler

von alan cassidy

Washington –EineRede des Präsidenten
zur Nation aus dem Oval Office ist eine sel-
tene Angelegenheit. Sie dient dazu, die
Amerikaner zu beruhigen, die Botschaft
ist immer dieselbe: Egal, wie schwer die
Krise ist, die Führung des Landes liegt in
guten Händen. Es war auch die Botschaft,
die Donald Trump aussenden wollte, als er
sich am Mittwochabend an die Bevölke-
rung wandte, um über das Coronavirus zu
sprechen. Ausgelöst hat er das Gegenteil:
wachsende Angst, ob die USA dem Um-
gang mit der Bedrohung gewachsen sind.
Wenn man den Worten dieses Präsidenten
nicht einmal glauben kann, wenn er sie
mitten in einem Notstand von einem Tele-
prompter abliest, wann dann?


Es begann im Moment, als Trump an-
kündigte, Einreisen aus der EU für 30 Ta-
ge auszusetzen. Auch „Handel und Güter“
seien davon betroffen, sagte der Präsident
in die Kamera. Ein Importstopp für Euro-
pa: Konnte das wirklich stimmen? Noch
während Trump seine Ansprache fortsetz-
te, musste das Weiße Haus klarstellen:
Nein. Trump hatte sich, aus welchen Grün-
den auch immer, verredet. Dass alle rück-
kehrenden US-Bürger von der Einreise-
sperre ausgenommen sind, wurde eben-


falls erst später klar, und Trumps Mitarbei-
ter mussten noch gleich zwei weitere sei-
ner Aussagen korrigieren. Dazu gehörte je-
ne, wonach die US-Krankenversicherer
eingewilligt hätten, für Coronavirus-Be-
handlungen keine Zuzahlungen mehr zu
verlangen. Alles falsch.
Die Amerikaner beruhigen: Das geht an-
ders. Als die US-Börse am Donnerstag er-
öffnete, stürzten die Kurse in den Keller,
der Wall-Street-Handel wurde zum zwei-
ten Mal in dieser Woche unterbrochen.
Die Einreisesperre war der Kern von
Trumps Ansprache. Er sprach über das Co-
ronavirus so, wie er sonst über Einwande-


rer aus Zentralamerika spricht: als Bedro-
hung von außen. Es seien Reisende aus Eu-
ropa, die das „ausländische Virus“ einge-
schleppt hätten, sagte Trump. Er warf der
EU vor, bei der Virus-Bekämpfung versagt
zu haben. Europäische Diplomaten in Wa-
shington zeigten sich verstört, dass sie
von der US-Regierung keine Vorwarnung
zur Einreisesperre erhalten hatten. Belgi-
ens Botschafter fragte, warum das Verbot
für die Staaten des Schengen-Raums gel-
te, nicht aber für Großbritannien, das mit
460Fällen (590 am Donnerstag) mehr Er-
krankte hat als viele andere europäische
Länder. „Das Coronavirus ist eine globale
Krise“, teilten EU-Kommissionschefin Ur-
sula von der Leyen und EU-Ratspräsident
Charles Michel mit. „Sie erfordert Koope-
ration statt unilaterale Handlungen.“
Mindestens so sehr beschäftigt die Men-
schen in den USA aber, was Trump nicht
sagte. Das Virus hat sich längst im Land
ausgebreitet. Doch weil auch nach all den
Wochen kaum Tests zur Verfügung ste-
hen, gibt es keine verlässlichen Angaben
dazu, wie viele Amerikaner erkrankt sind.
Bisher wurden – bei 327 Millionen Einwoh-
nern – nur 6000 Tests gemacht.
Das führt zu Situationen wie in der
Hauptstadt Washington, in der es offiziell
nur fünf Infektionsfälle gibt. Bei einem
handelt es sich allerdings um den Pfarrer
einer anglikanischen Kirchengemeinde,
der – obschon infiziert – mehrere Gottes-
dienste mit Hunderten Gläubigen leitete
und die Kommunion erteilte. Schwer zu
glauben, dass er dabei niemanden ansteck-

te. Doch testen lassen kann sich an den
meisten Orten nur, wer schwere Sympto-
me aufweist und kürzlich in einem Hochri-
sikoland war. Das – und nicht die ausländi-
sche Herkunft des Virus – ist der wahre
Notstand in den USA.
Kein Wort dazu von Trump. Dabei stellt
sich die Frage nach den Tests auch bei
ihm: Am Donnerstag wurde bekannt, dass
der Pressesprecher des brasilianischen
Präsidenten Jair Bolsonaro positiv auf das
Virus getestet wurde – und das nur Tage,
nachdem er Teil einer Delegation war, die
Trump in den USA empfangen hatte. Statt
über Tests sprach der Präsident in seiner

Rede lieber über ein Hilfspaket, das unter
anderem aus staatlichen Krediten für be-
troffene Unternehmen bestehen soll und
aus Steuerabzügen. Auch der Kongress ist
daran, ein Maßnahmenpaket zu schnü-
ren. Die Demokraten wollen die Priorität
auf Unterstützung für die Millionen Ameri-
kaner legen, die in ihren Jobs keine bezahl-
ten Krankheitstage haben. Viele von ihnen
erscheinen in der Regel auch krank zur Ar-
beit, weil sie es sich nicht leisten können,
zu Hause zu bleiben. Doch worauf sich bei-
de Parteien auch einigen – ob Trump dem
zustimmt, ist nicht klar.
Sicher ist dafür, dass der Ernst der Lage
inzwischen vielen Amerikanern bewusst
ist. Selbst wer sich nicht mit Politik be-
fasst, bekam mit, dass am Mittwoch alle
Basketballspiele der NBA ausgesetzt wur-
den. Fast gleichzeitig teilte Schauspieler
Tom Hanks mit, dass er und seine Frau
mit dem Coronavirus infiziert sind. In den
ganzen USA werden Konferenzen abge-

sagt, Universitäten haben geschlossen, die
Paraden zum irischen Nationalfeiertag St.
Patrick’s Day sind abgeblasen.
Selbst das US-Militär ist betroffen, stär-
ker, als das Washington recht sein kann.
Nach mehr als 25 Jahren wollten die USA
wieder üben, in kurzer Zeit Soldaten in Di-
visionsstärke nach Europa zu verlegen.
Ihr Ziel: Die Ostflanke der Nato. 20 000 Sol-
daten aus Amerika sollten an der groß an-
gelegten Übung „Defender Europe 2020“
teilnehmen. Etwa 5500 sind schon mit
Schiffen und Flugzeugen angekommen.
In Konvois bewegen sie sich Richtung Po-
len und ins Baltikum. Dort sind große Ma-
növer geplant. In der Nacht zu Donnerstag
gab das Kommando der US-Armee in Euro-
pa bekannt, dass die Zahl beteiligten Solda-
ten reduziert wird. In einer Mitteilung der
Bundeswehr hieß es mit Verweis auf das
US-Kommando, die Übung werde „einge-
froren“. Schiffe, die Europa angesteuert ha-
ben, werden wohl gar nicht in ihren Zielhä-
fen einlaufen. Vom Signal der Abschre-
ckung bleibt also nicht viel übrig.
Alles sehr real also. Und doch gibt es sie
weiterhin, die Stimmen, die das Coronavi-
rus in erster Linie für eine politische Waffe
halten, die Donald Trumps Gegner gegen
ihn ins Feld führen. Der konservative Ra-
dio-Talker Rush Limbaugh etwa verbrei-
tet solche Nachrichten täglich. Und am sel-
ben Abend, an dem Trump seine Anspra-
che hielt, wiederholte sein Lieblingsmode-
rator Moderator Sean Hannity beim rech-
ten TV-Sender Fox News, das Virus sei
nicht schlimmer als eine normale Grippe.
Hannity, Limbaugh und ähnliche Stim-
men haben im rechten Lager ein Millionen-
publikum.
Weil dieses Publikum mit der Anhän-
gerschaft Trumps überlappt, war die Rede
des Präsidenten also doch so etwas wie ein
Fortschritt. Doch eine kohärente Bot-
schaft aus dem Weißen Haus gibt es bis-
her nicht. Am Donnerstag, einen Tag nach-
dem Trump das Virus eine „schreckliche
Infektion“ nannte, die man nur gemein-
sam als Nation überwinden könne, wurde
Vizepräsident Mike Pence bei CNN ge-
fragt, ob er immer noch Hände schüttle.
Pence schien den Sinn der Frage nicht
ganz zu begreifen. Seine Antwort: Ja.

US-Präsident Trump spricht von einem „ausländischen Virus“ und beschuldigt Eu-
ropa.Dabei werden nun die eigenen Strukturprobleme sichtbar. FOTO: DOUG MILLS / AFP


Europäische Spitzenpolitiker wollen mit gutem Beispiel vorangehen,
sie konferieren in einer Videoschaltung miteinander, um Ansteckung
zu vermeiden.FOTO: STEPHANIE LECOCQ / AP

Die 25 Milliarden eines
Hilfsfonds sind eigentlich
nur 7,5 Milliarden

München –Indien gehört dazu, Öster-
reich und nun auch die USA: Als Reaktion
auf die Covid-19-Pandemie verweigern
oder erschweren immer mehr Staaten
Menschen aus anderen Ländern die Einrei-
se. Abschottung aber ist selbst bei großen
gesundheitlichen Notlagen ein heikles
Thema. Es verlangt, zwei Aspekte gegen-
einander abzuwägen: den Nutzen für die
Gesundheit einerseits und die ökonomi-
schen wie sozialen Risiken andererseits.
Beides ist derzeit nur schwer abzuschät-
zen. Denn die Radikalität, mit der das sozi-
ale Leben gerade in vielen Teilen der Welt
eingeschränkt wird, ist beispiellos. Erfah-
rungswerte aus den vergangenen Jahr-
zehnten gibt es nicht.
Grundsätzlich können Reisebeschrän-
kungen die Ausbreitung von Epidemien
verlangsamen. Das ist auch das Ergebnis
einer Simulation, die Wissenschaftler vor
Kurzem im FachblattScienceveröffent-
licht haben. Ihre Frage: Wie hat es sich aus-
gewirkt, dass die Einwohner von Wuhan
ihre Stadt nicht mehr verlassen durften?
Den Berechnungen nach verzögerten die
Maßnahmen die Ausbreitung der Epide-
mie im Rest Chinas lediglich um drei bis
fünf Tage, da das Virus dort ohnehin
schon zirkulierte. Größer war der Effekt
für andere Staaten. Dort wurden bis Mitte
Februar etwa 80 Prozent weniger Fälle ein-
geschleppt als man ohne dieses Vorgehen
erwarten würde. Das hat der Welt Zeit ver-
schafft, sich gegen die weitere Ausbrei-
tung von Sars-CoV-2 zu wappnen.
Dennoch gibt die Studie wenig Auf-
schluss über die langfristigen Effekte, ge-
schweige denn darüber, ob sich Grenz-
schließungen in Ländern wie den USA ähn-
lich auswirken. Paul Hunter, Mediziner


der britischen University of East Anglia
kommentiert: „Die Einführung eines inter-
nationalen Reiseverbots zu einer Zeit, in
der die USA eines der Länder mit den am
schnellsten steigenden Infektionsraten
sind, wird wenig bis gar nichts dazu beitra-
gen, das Ausmaß der Ansteckungen inner-
halb der USA zu verringern.“ Das Land hat
bislang mehr als 900 Fälle in knapp 40
Bundesstaaten gemeldet. Da es allerdings
in den vergangenen Wochen Probleme
mit den Labortests gab, dürfte die Zahl
deutlich höher sein.

Dem relativ unklaren Nutzen von Ein-
reisestopps stehen potenzielle Nebenwir-
kungen gegenüber. Das können Stigmati-
sierungen sein, sozialer Unfrieden, wirt-
schaftliche Einbußen oder auch Schwierig-
keiten, Hilfe in ein betroffenes Land zu
bringen. All diese Folgen können wieder-
um auf die Gesundheit der Menschen zu-
rückwirken und auch die Seuchenkontrol-
le erschweren. Gerade während einer glo-
balen Krise ist die Weltgemeinschaft auf
die Kooperationsbereitschaft der Länder
angewiesen. Sie müssen Entwicklungen –
auch negative, auch unangenehme – früh-
zeitig bekannt geben. Doch wenn Staaten
fürchten müssen, genau dafür mit Aus-
grenzung oder dem Abbruch von Reise-
und Handelsbeziehungen bestraft zu wer-
den, kann dies ihre die Bereitschaft zur Zu-
sammenarbeit unterminieren.
Daher sind auch die Internationalen Ge-
sundheitsvorschriften, das für alle WHO-

Mitgliedsstaaten geltende Regelwerk für
den Seuchennotfall, darauf angelegt, Rei-
se- und Handelsbeschränkungen nach
Möglichkeit zu vermeiden. Wenn Staaten
drastisch in die Reisefreiheit eingreifen,
müssen sie die WHO darüber informieren.
Bis Ende vergangener Woche hatten 45
Länder derartige Maßnahmen gemeldet;
sie hatten beispielsweise Einreisen ge-
stoppt, Flüge gestrichen oder Visa ver-
wehrt. Die meisten Länder begründeten
diese Schritte mit ihrer besonderen Ge-
fährdungslage oder den begrenzten Res-
sourcen im Umgang mit den Lungener-
krankungen. Die WHO selbst spricht sich
derzeit – anders als am Anfang der Epide-
mie – nicht mehr explizit gegen Reisebe-
schränkungen aus. Sie erklärt stattdes-
sen, dass die Maßnahmen in einem ver-
nünftigen Verhältnis zum Risiko stehen,
kurz andauern und regelmäßig auf ihre
Notwendigkeit überprüft werden sollten.
US-Präsident Donald Trump hatte den
Einreisestopp am selben Tag verkündet,
als die WHO die Ausbreitung des Virus als
Pandemie bezeichnete. Die neue Charakte-
risierung rechtfertigt Trumps Entschei-
dung allerdings nicht. Die WHO betonte,
dass sich mit der Umbenennung weder an
ihrer Risikoeinschätzung noch an ihrem
Vorgehen etwas ändere. Auch die Mit-
gliedsstaaten sollten ihre Strategien nicht
ändern. Das Robert-Koch-Institut erklär-
te am Donnerstag denn auch, die Pande-
mie-Erklärung habe in Deutschland keine
besonderen Maßnahmen zur Folge. „Es ist
kein Grund, jetzt mehr Sorgen oder Ängs-
te zu haben, aber es ist ein Grund, die Situa-
tion weiter wie bisher ernst zu nehmen“,
sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade.
berit uhlmann

Immer


drastischer


Ein Staat nach dem anderen verschärft
seine Maßnahmen gegen die Ausbreitung
des Virus. Ein Überblick der Lage

Reisen – was jetzt wichtig ist


Deutschewerden von immer mehr Ländern als Risiko eingestuft. Was passiert bei Stornierung oder Erkrankung im Ausland?


Hören Sie zu diesem Thema
auch den Podcast.
 sz.de/nachrichtenpodcast

Der taumelnde Präsident


Inder Krise zeigt sich, dass Donald Trump die Übersicht verliert. Die US-Gesellschaft ist da weiter


„Alles wird gut“: Ein Autofahrer an der
GrenzeItaliens zu Slowenien wird auf
Fieber kontrolliert. FOTO: AFP

Ein Importstopp für Europa?


Das Weiße Haus muss klarstellen,


dass Trump sich versprochen hat


Auch das US-Militär ist betroffen:
Eine geplante große Militärübung
in Europa wird vorerst gestoppt

Gerade während einer
globalen Krise ist die
Weltgemeinschaft gefragt

Heute müsse man Distanz halten,
morgen werde man sich wieder
mit Wärme umarmen, sagt Conte

Unglückliche


Sturmwarnung


Warum gibt es nicht mehr Koordination aus Brüssel?
Die EU-Kommission hat eigentlich nur
da Spielräume, wo es ums Geld geht

Ohne Beispiel


Noch nie ist das moderne soziale Leben so eingeschränkt worden: Was Abschottung bringt


Zum ersten Mal Pathos


ItaliensPremier beschwört nun die Größe der Nation


6/ 7 HF2 (^) POLITIK Freitag, 13. März 2020, Nr. 61 DEFGH
Corona Der Schwerpunkt der Krise hat sich in den Westen verlagert – nach Europa und in die USA

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