Süddeutsche Zeitung - 13.03.2020

(Elle) #1
Frankfurt– Johann-Albrecht Haupt ist,
zumindest in dieser Angelegenheit, ein pe-
nibler Mensch. Jedes Jahr durchforstet der
Rechtsanwalt für den Bürgerrechtsverein
„Humanistische Union“ die Haushaltsplä-
ne und -entwürfe der Bundesländer, um
herauszufinden, welche Staatsleistungen
diese an die evangelische und katholische
Kirche einplanen. Als er dies vor zwölf Jah-
ren anfing, waren es noch 400 Millionen
Euro. In den Ansätzen für 2020 kommt er
mittlerweile auf insgesamt 569,5 Millio-
nen Euro: 332,4 Millionen für die evangeli-
schen Landeskirchen, 237,1 Millionen für
die katholischen Bistümer; Bayern zahlt
mehr als 130 Millionen, das Saarland keine
700 000, Hamburg und Bremen nichts. So
bunt kann Föderalismus sein. „Eine schö-
ne Summe für die Kirchen jedenfalls,“ sagt
Rechtsanwalt Haupt.
Das Geld fließt seit mehr als hundert
Jahren in dieser Weise, überwiegend als
Ausgleich für die Enteignung von Kirchen-
gütern nach dem Reichsdeputationshaupt-
schluss von 1803. Seit mehr als hundert
Jahren steht jedoch auch in der Weimarer
Reichsverfassung wie im Grundgesetz,
dass diese Staatsleistungen abzulösen sei-
en. Nur wie, das steht da nicht, und pas-

siert ist seit 1919 auch nichts. Der wichtigs-
te Grund dafür findet sich auch in Albert
Haupts penibler Rechnung: Selbst im Re-
kordjahr 2020 werden pro Bundesbürger
und Jahr im Schnitt keine sieben Euro an-
fallen. Zu klein ist der Posten im Haushalt,
als dass bisher die Landesregierungen gro-
ße Lust gehabt hätten, Ärger mit den Kir-
chen zu riskieren, denen das Geld rechtlich
zusteht. Für die Humanistische Union, die

für die strikte Trennung von Staat und Kir-
che eintritt, ist das ein unhaltbarer Zu-
stand. Sie fordert leit Langem das sofortige
und entschädigungslose Ende der Zahlun-
gen. „Die Kirchen haben inzwischen viel
mehr gezahlt bekommen, als ihnen da-
mals genommen wurde“, sagt Haupt.
Nun kann es passieren, dass tatsächlich
bald Johann-Albrecht Haupts Rechenar-
beit überflüssig wird – wenn auch nicht
ganz so, wie er es wünscht. An diesem Frei-
tag wollen vor der Bundespressekonferenz
in Berlin FDP, Linke und Grüne einen ge-

meinsamen Entwurf für ein Grundsätzege-
setz vorstellen, in dessen Rahmen die Bun-
desländer innerhalb von fünf Jahren Geset-
ze zur Ablösung der Staatsleistungen be-
schließen sollen. Allerdings soll dies nicht
ohne eine Entschädigung gehen, wie es die
Humanistische Union fordert und was vie-
le Juristen für verfassungswidrig halten,
sondern mit einer abschließenden Einmal-
zahlung. In dem Entwurf, der derSüddeut-
schen Zeitungvorliegt, heißt es: „Bei der Be-
rechnung dieses Wertes ist das 18,6-Fache
der jährlich zu leistenden Zahlungen im
Jahr 2020 zugrunde zu legen. Bisher geleis-
tete Zahlungen werden bei der Ablösung
nicht berücksichtigt.“ Für Haupt ein
Grund zum Ärger: „Der Faktor 18,6 ist will-
kürlich – und bedeutet, dass der Staat
noch einmal 10,6 Milliarden Euro zahlt.“
Allerdings hat der Gesetzentwurf, den
maßgeblich Stefan Ruppert formuliert
hat, der religionspolitische Sprecher der
FDP, einen entscheidenden Vorteil: Er
könnte tatsächlich zum Gesetz werden.
Denn offenbar findet der Entwurf der drei
Oppositionsparteien zumindest grundsätz-
lich auch in der SPD und den Unionspartei-
en Zustimmung – selbst wenn es, was auch
einmal in der Debatte gewesen sein soll,
nun keinen gemeinsamen Antrag aller
fünf Fraktionen gibt.
Vor allem aber hat bei den Kirchen ein
Umdenken eingesetzt. Auch dort sieht
man die Leistungen, die keine fünf Prozent
der Einnahmen ausmachen, mittlerweile
kritisch. Kirchenvertreter geraten regelmä-
ßig in Not, wenn sie erklären sollen, war-
um zum Beispiel die Gehälter der Bischöfe
und Domkapitel über die Staatsleistungen
finanziert werden. So tritt zum Beispiel
Irmgard Schwätzer, Präses der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), für eine Ablösung ein, allerdings, so
betont sie, nicht zum Nulltarif. Und auf der
Homepage der katholischen Bischofskon-
ferenz heißt es, man werde sich einer Lö-
sung „nicht verschließen, wenn und soweit
diese ausgewogen ist“.
Aktuelle Stellungnahmen wollten am
Donnerstag weder die EKD noch die Bi-
schofskonferenz abgeben – man warte die
Vorstellung des Entwurfs ab. Vieles spricht
dafür, dass die Kommentare durchaus po-
sitiv sein werden. matthias drobinski

von markus balser
und jens schneider

Berlin– Am Wochenende wurde noch aus-
gelassenüber rechte Parolen gefeixt, als
sich der rechtsnationale Flügel in Schnell-
roda in Sachsen-Anhalt traf. Der Saal war
geschmückt mit preußischen Fahnen. Das
Publikum johlte, als der Landtagsabgeord-
nete Hans-Thomas Tillschneider abschät-
zig über Migranten sprach und den „Flü-
gel“ als die „Preußen in der AfD“ bezeich-
nete. Das Treffen unter Ausschluss der Öf-
fentlichkeit demonstrierte die zunehmen-
de Stärke der Strömung in der AfD, die nun
vom Verfassungsschutz als „erwiesen
rechtsextremistisch“ eingestuft wurde.
Am Donnerstagvormittag nahm sich
Verfassungsschutz-Präsident Thomas Hal-
denwang viel Zeit, um in Berlin zu erklä-
ren, warum er im wachsenden Einfluss des
rechtsnationalen Netzwerks „Flügel“ in
der AfD eine ernste Gefahr für die Gesell-
schaft sieht. „Wir wissen aus der deut-
schen Geschichte, dass der Rechtsextre-
mismus nicht nur Menschenleben, son-
dern auch eine Demokratie zerstört hat“,
sagte Haldenwang. „Wir sehen heute in al-
ler Klarheit, dass Rechtsextremisten Men-
schen ermorden und unsere freiheitlich de-
mokratische Grundordnung attackieren.“
Rechtsextremismus und Rechtsterroris-

mus seien die größte Gefahr für die Demo-
kratie in Deutschland. Aus Sicht des In-
landsgeheimdienstes sei es wichtig, rassis-
tische Agitation, Hass und Hetze auch
durch Parteien zu benennen, die im Parla-
ment vertreten seien. Höcke warne etwa
vor der kulturellen Kernschmelze, so Hal-
denwang. Den Islam bezeichne er als Besat-
zungsmacht, dem man den Zugang nach
Europa und Deutschland verwehren müs-
se. „Die Gewaltverbrechen von Kassel, Hal-
le, Hanau sind die blutenden Wunden in ei-
ner historischen Spur des Rechtsextremis-
mus, der in letzten 30 Jahren mehr als 200
Tote gefordert hat“, sagte Haldenwang.

Hinter den Zahlen steckten Täter und Un-
terstützer. Haldenwang erklärte: „Dies ist
eine Warnung an die Feinde der Demokra-
tie. Wir stehen zusammen und handeln.“
In der AfD hat der von Björn Höcke ge-
gründete „Flügel“ sich immer mehr zu ei-
nem Machtfaktor entwickelt. Höcke hat
zwar in der Bundespartei nie für ein führen-
des Amt kandidiert, aber gegen die Stim-
men der gut vernetzten Gruppierung kön-
nen gemäßigtere Kandidaten sich schwer

durchsetzen. Als Strippenzieher gilt der
Brandenburger Landesvorsitzende Andre-
as Kalbitz, den parteiinterne Gegner als
für noch einflussreicher halten als Höcke.
Die AfD hat juristsche Schritte gegen den
Verfassungsschutz angekündigt und be-
zeichnet die Entscheidung als „sachlich un-
begründet und rein politisch motiviert“, so
das Bundesvorstandsmitglied Kalbitz.
Für die Partei hat die Einstufung gravie-
rende Folgen. Schon bei einem Verdachts-
fall, der bisherigen Vorstufe, ist den Behör-
den der Einsatz von nachrichtendienstli-
chen Mitteln erlaubt. Mit der jetzt erfolg-
ten Einstufung als Beobachtungsobjekt
kann die nach Schätzungen rund 7000 An-
hänger starke Gruppe mit dem kompletten
Instrumentarium nachrichtendienstlicher
Mittel permanent durchleuchtet werden.
Dazu zählen die Observation und das An-
werben von Informanten. Wer als „Flü-
gel“-Anhänger im öffentlichen Dienst be-
schäftigt ist, „wird zukünftig ein Problem
mit seiner Dienststelle bekommen“, sagte
Haldenwang. Rechtsextremisten könnten
nicht als Beamte arbeiten. Es müsse aber
Einzelfallprüfungen geben. Im „Flügel“
sind nach internen Einschätzungen tragen-
de Kräfte beim Staat angestellt oder Beam-
te. Höcke selbst ist Geschichtslehrer.
Zuletzt war von Teilen der Parteispitze
zu hören, dass sie mittelfristig einen Exo-

dus von Beamten fürchten, falls der Verfas-
sungsschutz, wie jetzt geschehen, Teile der
AfD zum Beobachtungsfall erklärt. Einzel-
ne Fälle gab es wegen der Radikalisierung
der Partei bereits. So verließ im vergange-
nen Dezember der Polizist und Bundes-
tagsabgeordnete Lars Herrmann aus Sach-
sen die Partei und verwies darauf, dass der
stärker werdende „Flügel“ als verfassungs-
rechtlich problematisch gelte.
Dabei ist selbst in der Partei unklar, wer
zum „Flügel“ zählt. Die Gruppierung hat
keine öffentlich bekannten Strukturen, un-
klar ist, wie groß ihr Anteil unter den 89
Bundestagsabgeordneten der AfD ist. Ihre
Aktivisten in der Partei gelten aber als
straff organisiert. Für die Parteispitze ist
der „Flügel“ ein unumstrittener Machtfak-
tor. Der Ko-Vorsitzende der AfD, Tino Chru-
palla, stimmte sich vor seiner Wahl 2019
Jahr mit Höcke ab. Eine Minderheit in der
Führung würde Höcke gern aus der AfD
ausschließen. Ein erstes Ausschlussverfah-
ren scheiterte 2017. Zumeist scheuen Hö-
ckes Gegner Konflikte mit dessen Lager.
Außerhalb der AfD stieß die Verfas-
sungsschutz-Entscheidung auf breite Zu-
stimmung. So sagte der Präsident des Zen-
tralrats der Juden in Deutschland, Josef
Schuster: „Es ist höchste Zeit, diese extre-
mistische Gruppierung mit allen zur Verfü-
gung stehenden Mitteln zu beobachten.“

Der ewige Ablass


Kirchen erhalten Millionen vom Staat – wegen Enteignungen vor 217 Jahren. Ist damit bald Schluss?


Es gibt Menschen, mit denen man gern
redet, weil sie so sachkundig, so enga-
giert, so klar und so konsequent sind;
weil sie eine Überzeugung haben, weil
sie zu ihr stehen, weil sie sich ereifern,
aber dabei fair bleiben – auch dann,
wenn sie gerade geharnischt sind. Diese
Menschen achten nicht darauf, ob es ih-
nen gerade nützt, zu ihrer Überzeugung
zu stehen. Burkhard Hirsch war ein sol-
cher Mensch. Er war ein FDP-Politiker,
der das Wort „liberal“ so mit Leben fül-
len konnte, dass man mit Respekt davor
stand, auch wenn man anderer Mei-
nung war. 71Jahre lang war er FDP-Mit-
glied. Er brachte das Kunststück fertig,
sich selber und seiner Partei treu zu blei-
ben – auch als er an seiner Partei schier
verzweifelte, weil sie die Grundrechte
und die Rechtsstaatlichkeit nicht so
hochhielt, wie er das tat und wie er es
sich von seiner Partei wünschte.
Er gehörte zu denen, von den man
sich immer wieder dachte: gut, dass sie
da sind. Das war auch und erst recht in
den Zeiten so, als Burkhard Hirsch kein
aktiver Politiker mehr war, als er kein
politisches Amt und kein Mandat mehr
hatte. Er machte weiter Politik, viel-
leicht noch wirkungsvoller als zuvor: Er
formulierte, meist zusammen mit sei-
nem Parteifreund Gerhart Baum, Kla-
gen für das Bundesverfassungsgericht


  • akribisch, klug und erfolgreich. So hat
    er den Großen Lauschangriff gestoppt,
    das Luftsicherheitsgesetz verhindert
    und die Vorratsdatenspeicherung torpe-
    diert. Hätte das höchste deutsche Ge-
    richt ein Verdienstkreuz für besonders
    verdienstvolle Klagen zu verleihen:
    Burkhard Hirsch wäre der erste Anwär-
    ter für diese Ehre.
    Er war ein linksliberaler Jurist, ein Po-
    litiker, der seinen gelernten Beruf, den
    des Rechtsanwalts, wörtlich nahm: An-
    walt des Rechts. Eigentlich war er ein
    Wirtschaftsjurist, einer der im Wettbe-
    werbsrecht zu Hause war. Aber er wur-
    de im Lauf der Jahrzehnte zu einem Ver-


teidiger – nicht zu einem Strafverteidi-
ger, sondern zu einem Verteidiger des
Rechtsstaats. Als solcher war er in den
Tiefen und Untiefen der Rechts- und In-
nenpolitik so zu Hause, dass man ihn in
der Nacht hätte aufwecken können, um
ihn zu kompliziertesten Dingen zu befra-
gen – er hätte präzise und luzide Aus-
kunft geben können. Es gab kaum ein
rechts- und innenpolitisches Thema,
bei dem er nicht sofort im Bilde gewe-
sen wäre. Es ging ihm um die Sache. Er
legte nicht unbedingt Wert darauf, lang
und breit zitiert zu werden. Er war auf
wunderbare Weise engagiert und unei-
tel zugleich. Er war einer der großen Al-
ten dieser Republik. Manche sagen da:
Urgestein. Bei ihm, dem alten unbeugsa-
men Herrn, passte und passt dieses
Wort.
Der Politiker Hirsch gehörte jahr-
zehntelang zum Ensemble der Bundes-
republik: Er war Ratsherr der Stadt Düs-
seldorf, FDP-Landesvorsitzender in

Nordrhein-Westfalen und dort Innenmi-
nister in der RAF-Zeit; er war rechts-
und innenpolitischer Sprecher seiner
Partei im Bundestag, er war Bundestags-
vizepräsident.
Bundesjustizminister oder Bundesin-
nenminister – das wären eigentlich die
Ämter gewesen, für die er wie geschaf-
fen war. Aber dafür war er seiner eige-
nen Partei zu eigen und zu kantig. So-
viel Rechtsstaatlichkeit war seinen Par-
teivorsitzenden suspekt. Als er am Ende
seiner politischen Karriere Bundestags-
vizepräsident wurde, war das eine klei-
ne Anerkennung und Entschädigung,
die ihm seine Partei dafür zukommen
ließ, dass sie ihn nicht in die ganz gro-
ßen Höhen der Politik hatte aufsteigen
lassen.
Politik heißt Kompromisse machen.
Auch Hirsch hat Kompromisse ge-
macht. Aber wenn es um den Kern der
Rechtsstaatlichkeit ging, war er stets
kompromisslos. Seine Partei hat das für
Starrköpfigkeit gehalten. Aber er konn-
te auch anders sein, als man es von ihm
erwartete: Als Innenminister von Nord-
rhein-Westfalen hat er einst den Radika-
lenerlass virtuos und kompromisslos
verteidigt. Dabei spielten wohl auch sei-
ne Erfahrungen mit dem DDR-Regime
eine Rolle: Hirsch hat 1948 in Halle sein
Abitur geschrieben, dann floh er in den
Westen. Für die PDS, für die Linken hat-
te er daher nie Sympathie.
Das Asylrecht war für ihn, das war ei-
ne seiner Lieblingsformulierungen,
„die Freiheitsstatue im Hafen der Ver-
fassung“. Davon hat er sich nicht abbrin-
gen lassen. Freiheit und Recht – das wa-
ren seine Vokabeln, seine Werte, sein Le-
bensinhalt. Am Mittwoch ist Burkhard
Hirsch in Düsseldorf gestorben, wenige
Monate nach seiner von ihm innig ge-
liebten Frau und seiner goldenen Hoch-
zeit. Er wäre im Mai neunzig Jahre alt ge-
worden. Er hat sich einen Platz verdient
in der Walhalla der Bundesrepublik.
heribert prantl

Zu radikal


Der rechtsnationale „Flügel“ der AfD ist nun offiziell ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz.
Diese Einstufung hat gravierende Folgen, etliche Anhänger müssen um ihren Beamtenstatus fürchten

Berlin –Es war Bundestagsvizepräsiden-
tin Petra Pau, welche die Debatte am Don-
nerstag um einen unerfreulichen Begriff
bereicherte. „Das alles ist rechtsextremisti-
scher Alltag“, sagte die Linken-Abgeordne-
te im Bundestag. Pau setzt sich in ihrem
Berliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf
seit Jahren gegen Rechtsextremismus und
Antisemitismus ein, seither lebt sie mit To-
desdrohungen und Personenschutz. Als
der Bundestag am Donnerstag ein Gesetz
gegen Rechtsextremismus und Hasskrimi-
nalität beriet, da listete Pau eine ganze Se-
rie rechtsextremistisch motivierter Gewalt-
taten auf, allein in den vergangenen zehn
Tagen. Sie reichten vom Terror in Hanau
über Angriffe auf Gedenkstätten und ei-
nen Brandanschlag auf eine Shishabar bis
zu Bombendrohungen gegen Moscheen
und Attacken auf Kommunalpolitiker.
Die Bundesregierung will die Anbah-
nung solcher Straftaten im Netz nun schär-
fer ahnden. Ihr Entwurf des Gesetzes „zur
Bekämpfung des Rechtsextremismus und
der Hasskriminalität“ wurde am Donners-
tag erstmals im Bundestag beraten. Er
sieht vor, Drohung mit Mord oder Verge-
waltigung im Netz mit bis zu drei Jahren
Haft zu bestrafen, bisher waren es zwei.
Auf Drohung mit sexueller Gewalt sollen
bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe stehen,
auf Einschüchterung von Kommunalpoliti-
kern bis zu fünf Jahre. Antisemitische Moti-
ve sollen sich strafverschärfend auswir-
ken. Zudem sollen Internetprovider ver-
pflichtet werden, volksverhetzende und
strafwürdige Inhalte der Polizei zu melden


  • und verschlüsselte Passwörter an Straf-
    verfolgungsbehörden herauszugeben.
    Man werde die Demokratie „mit allen
    Mitteln des wehrhaften Rechtsstaates ver-
    teidigen“, kündigte der Parlamentarische
    Staatssekretär im Justizministerium,
    Christian Lange (SPD), an. Rednerinnen
    und Redner der Opposition begrüßten –
    bis auf die AfD – eine schärfere Gangart ge-
    gen rechte Hetze im Netz, signalisierten
    aber auch zusätzlichen Handlungsbedarf.
    Bundestagsvizepräsidentin Pau forder-
    te eine unabhängige Beobachtungsstelle
    für Rechtsextremismus, Rassismus und
    Antisemitismus. Präventionsprojekte, de-
    nen immer wieder Fördergelder gestri-
    chen würden, bräuchten endlich eine ver-
    lässliche gesetzliche Grundlage für ihre
    Arbeit, betonte auch die grüne Rechtspoliti-
    kerin Renate Künast – auch sie oft Ziel rech-
    ter Hasskriminalität. Strafrechtsverschär-
    fungen allein seien wenig hilfreich, so Kü-
    nast. Justizbehörden müssten besser aus-
    gestattet, Mitarbeiter fortgebildet werden.
    Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei
    (CDU) forderte mehr Zuspruch für den um-
    strittenen Gesetzentwurf, der Verfassungs-
    schützern Zugang zu Whatsapp-Gruppen
    geben soll. Aus der FDP kam Widerspruch.
    Man werde nicht zulassen, dass das Land
    nach den Anschlägen von Halle und Hanau
    „überrumpelt“ werde und „im Schnellver-
    fahren die Bürgerrechte eingeschränkt“
    würden. Der AfD-Abgeordnete Roman
    Reusch sprach sich dafür aus, durch eine
    erleichterte Auskunftssperre im Meldere-
    gister auch Richter und Soldaten besser zu
    schützen. constanze von bullion


Berlin– Im Zusammenhang mit der
gescheiterten Pkw-Maut kann der Un-
tersuchungsausschuss des Bundestags
nach FDP-Angaben nicht auf bestimm-
te Handydaten von Verkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU) zurückgreifen.
Die Handydaten des Ministers und
anderer Führungskräfte im Ministeri-
um für den Zeitraum vor Februar 2019
seien gelöscht worden, teilte der FDP-
Obmann im Ausschuss, Oliver Luksic,
am Donnerstag mit. Das habe das Minis-
terium in einer Sitzung des Ausschus-
ses mitgeteilt. Die „massive Dokumenta-
tionslücke“ behindere die Sachaufklä-
rung, so Luksic. Der Grünen-Obmann
im Untersuchungsausschuss, Stephan
Kühn, sagte: „Es entsteht der Eindruck,
dass das Verkehrsministerium hier
systematisch vorgegangen ist.“ dpa


Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke (Mitte) ist das Gesicht der parteiinternen Gruppe „Flügel“, die der Verfassungsschutz nun als rechtsextrem einstuft. Alexan-
der Gauland (links), der Chef der Bundestagsfraktion, und der Parteivorsitzende Jörg Meuthen sahen bisher keinen Grund, Abstand zu halten. FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA

Bundestagsvizepräsident a. D. Burk-
hard Hirsch (1930 – 2020). FOTO: IMAGO

Anwalt des Rechts


Der große Liberale Burkhard Hirsch ist tot


0 30 60 90 120 150

Thüringen

Schleswig-Holstein

Sachsen-Anhalt

Sachsen

Saarland

Rheinland-Pfalz

Nordrhein-Westfalen

Niedersachsen

Mecklenburg-Vorpommern

Hessen

Hamburg

Bremen

Brandenburg

Berlin

Bayern

Baden-Württemberg

7,8 3,
12,51,

13,20,

9,6 14,

0,1 0,

14,50,
20,7 6,

26,8 1,
30,3 6,

39,1 9,

38,6 15,

0 0
0 0

66,1 65,
25,5 76,

27,7 35,

Staatsleistungen der Länder
an die Kirchen 2020
in Millionen Euro

SZ-Grafik; Quelle: HU

332,

237,

Gesamt

evangelische
Kirche

katholische
Kirche

Karlsruhe– DasBundesverfassungs-
gericht hat einen Eilantrag von Berliner
Vermietern gegen den Mietendeckel in
der Hauptstadt abgelehnt. Berliner
Vermieter hatten versucht, die Verhän-
gung von Bußgeldern für zu hohe Mie-
ten zu stoppen. Zunächst sollte geklärt
werden, ob der Mietendeckel überhaupt
rechtmäßig ist. Die Nachteile aus der
vorläufigen Anwendung der Bußgeld-
vorschriften seien zwar von besonde-
rem Gewicht, sollte sich das Gesetz als
verfassungswidrig erweisen, hieß es in
dem am Donnerstag veröffentlichten
Beschluss des Gerichts: „Sie überwie-
gen aber nicht deutlich die Nachteile,
die entstehen würden, wenn die Buß-
geldvorschriften außer Kraft träten,
sich das Gesetz aber später doch als
verfassungsgemäß erweisen würde.“
Der Mietendeckel wird die Verfassungs-
richter dennoch weiter beschäftigen:
Am Donnerstagabend veröffentlichte
das Landgericht Berlin einen Beschluss.
Darin heißt es, die gesetzlichen Vor-
schriften des Mietendeckels seien ver-
fassungswidrig, weil dem Land Berlin
die Gesetzgebungskompetenz fehle.
Das Landgericht kündigte an, das Bun-
desverfassungsgericht über die Frage
entscheiden zu lassen. dpa, epd, sz


Bonn– Hilfsorganisationen fordern
angesichts der Lage von Geflüchteten
an der griechisch-türkischen Grenze
eine neue europäische Asylpolitik. Die
Reaktion der EU an der Grenze zwi-
schen Griechenland und der Türkei sei
„nicht akzeptabel“, erklärte der Präsi-
dent der evangelischen Diakonie, Ulrich
Lilie, am Donnerstag in Berlin: „Tränen-
gas, Push-backs und Internierungsla-
ger entsprechen weder unseren christli-
chen Werten noch den Prinzipien, die
sich Europa unter dem Eindruck der
Weltkriege des letzten Jahrhunderts
gegeben hat.“ An dem Aufruf beteilig-
ten sich mehr als 20 Verbände, darunter
das katholische Hilfswerk Caritas sowie
Amnesty International, Pro Asyl, die
Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische
Gesamtverband und Terre des Hom-
mes.kna


INLAND


8 HF2 POLITIK Freitag,13. März 2020, Nr. 61 DEFGH


Schärfere


Gangart


Opposition begrüßt Gesetz gegen
Hetze im Netz – nur die AfD nicht

Wer zum „Flügel“ gehört,
ist oft unklar. Seine Aktivisten
gelten aber als straff organisiert

Grüne, Linke und FDP fordern
ein baldiges Ende der Praxis –
und eine letzte Einmalzahlung

Mietendeckel bleibt in Kraft


Rüge für EU-Flüchtlingspolitik


Scheuers Handy gelöscht

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