Handelsblatt - 13.03.2020

(backadmin) #1
Dana Heide, Sha Hua Peking

E


s ist fast wieder so wie
vor der Coronakrise: Im
Werk des deutschen Ma-
schinenbauers BHS Sont-
hofen in der nordostchi-
nesischen Stadt Tianjin laufen die Ge-
schäfte – wenn auch mit vielen ge-
sundheitlichen Vorsichtsmaßnah-
men. Zunächst hatten die Behörden
die erforderliche Genehmigung nicht
erteilt. Ende Februar kam dann die
Freigabe. Seitdem fährt Ronny Laux,
Geschäftsführer des Werks, nach und
nach den Betrieb wieder hoch. Ge-
startet habe er mit einer Anwesen-
heitsquote von 50 Prozent. „In der
zweiten Woche waren es 75 Prozent,
jetzt sind wir bei knapp 90 Prozent.“
Ganz China kehrt nach wochenlan-
ger freiwilliger und unfreiwilliger
Quarantäne wieder zur Normalität
zurück. Nach Schätzungen der japa-

nischen Bank Nomura hatten am
Sonntag, einem Geschäftstag in Chi-
na, drei Viertel aller wirtschaftlichen
Aktivitäten wieder den Betrieb aufge-
nommen. „China“, so teilte die natio-
nale Gesundheitskommission auf ei-
ner Pressekonferenz am Donnerstag
mit, „hat den Höhepunkt der Krise
überschritten.“
Bereits am Dienstag hatte der Be-
such des chinesischen Staats- und
Parteichefs Xi Jinping im Ausbruchs -
ort der Pandemie, Wuhan, signali-
siert, dass die chinesische Regierung
glaubt, die Krise unter Kontrolle ge-
bracht zu haben. Der chinesische Mi-
nisterpräsident Li Keqiang wiederum
sagte auf einer Kabinettssitzung am
Mittwoch, dass die für Mitte April bis
Mitte Mai angesetzte Messe „Kanton“,
auf der heimische Produzenten aus-
ländischen Käufern ihre Ware präsen-

tieren, stattfinden soll, um „den inter-
nationalen Handel zu stabilisieren“.
Sogar in der vom Coronavirus
schwer betroffenen Provinz Hubei
dürfen Fabriken, „die von erhebli-
cher Wichtigkeit in der Unterstüt-
zung der nationalen und globalen In-
dustriekette“ sind, ihren Betrieb wie-
der anfahren. Alle anderen Werke
müssen noch bis zum 20. März auf
weitere Ankündigungen warten.
300 Millionen Menschen, berichte-
te das chinesische Transportministe-
rium, seien seit dem chinesischen
Neujahrsfest wieder an ihren Arbeits-
platz zurückgekehrt. Auf den Straßen
fahren wieder mehr Autos, Busse
und Bahnen füllen sich wieder. Im
Vergleich zur Vorwoche fuhren 15
Millionen Menschen in China U-Bahn


  • das waren 46,5 Prozent mehr als
    noch in der Woche davor und ein


Viertel des Stands vor Ausbruch der
Pandemie. Noch arbeiten viele, wenn
sie können, lieber von zu Hause aus.
Wer dennoch zur Arbeit will, ist
mit Kontrollen und Beschränkungen
konfrontiert. Inzwischen haben sich
die 100 Mitarbeiter von BHS Sontho-
fen an die Vorsichtsmaßnahmen ge-
wöhnt. Neben Einlasskontrollen und
Temperaturchecks werden die Räu-
me in der Firma jeden Tag mehrfach
desinfiziert. Die betriebseigene Kanti-
ne ist noch gesperrt. Mitarbeiter
müssen Masken tragen – manche
nehmen es gelassen, andere stört es.
„Sehr positiv haben wir wahrge-
nommen, dass die Behörden sehr be-
müht sind“, sagt Laux. „Sie fragen
nach, wo es noch Schwierigkeiten
gibt.“ Man merke, dass die Regierun-
gen die Unternehmen unterstützen
wollen. Entgegen anfänglichen Be-
fürchtungen klappt der inländische
Transport nach Angaben von Laux
reibungslos. Auch die chinesischen
Zulieferer hätten keine Probleme.

Viele Auflagen
Das ist jedoch nicht bei jedem Werk
der Fall. Als problematisch gelten
vor allem die vielen Kontrollen und
Auflagen, die dazu führen, dass eini-
ge Unternehmen weiterhin an Ar-
beitskräftemangel und Lieferketten-
unterbrechungen leiden. So beschul-
digte ein Editorial der staatlichen
Tageszeitung „China Daily“ einige lo-
kale Behörden, mit übertriebenen
Inspektions- und Genehmigungspro-
zessen die Rückkehr der Unterneh-
men zur Normalität unnötig zu er-
schweren. Stattdessen „sollten sie
Unternehmen dabei helfen, wieder
auf die Beine zu kommen. Das ist
jetzt nicht weniger wichtig als die
Bemühungen, das Virus einzudäm-
men“, heißt es darin.
Vor allem den kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen müsse
man jetzt helfen. Die negativen Aus-
wirkungen einer verzögerten ökono-
mischen Erholung könnte zu „weit-
verbreiteten Insolvenzen und zum
Verlust von Arbeitsplätzen führen,
was die soziale Stabilität gefährdet“.
Zudem ändern sich die Regeln je-
den Tag. So gab die Stadt Qianjiang in
der zentralchinesischen Provinz Hu-
bei noch am Dienstag bekannt, dass
alle Verkehrskontrollen aufgehoben
werden sollten – nur um diese am
Mittwoch wieder in Kraft zu setzen.
Chinas Behörden stehen vor einem
Dilemma. Auf der einen Seite soll die
vom Coronavirus angeschlagene
Wirtschaft wieder in Schwung kom-
men, auf der anderen Seite müssen
Neuerkrankungen vermieden wer-
den. Denn wenn nur ein Mitarbeiter
sich als infiziert herausstellt, muss
der gesamte Betrieb schließen.
Auch die Kontrollen in der Haupt-
stadt Peking wurden wieder angezo-
gen. Seit Mittwoch müssen sich alle
aus dem Ausland eingereisten Besu-
cher 14 Tage in Quarantäne begeben,
zuvor hatte diese Regel nur noch für
solche aus Krisengebieten wie dem
Iran und Italien gegolten. Zu groß ist
die Angst vor dem Reimport des Virus.
Nach offiziellen Angaben meldete
China am Donnerstag nur noch 15
Neuinfektionen, acht davon in Wu-
han. Sechs der sieben, die außerhalb
der zentralchinesischen Metropole
entdeckt wurden, sind auf das Aus-
land zurückzuführen. Damit liegt die
Zahl der Gesamtinfektionen in Fest-
landchina bei 80 796, die der Genese-
nen bei 62 808 und die der Todesop-
fer inzwischen bei 3 169.

> Kommentar Seite 19

China


Trügerische


Normalität


Fabriken öffnen wieder, Veranstaltungen werden geplant, es gibt


nur 15 neue Infektionen an einem Tag: Das Ursprungsland des


Coronavirus will die Krise hinter sich lassen.


Maschinenbau-
Werk in Harbin:
Immer mehr
Fabriken nehmen
in China die Pro-
duktion wieder auf.

imago images/Xinhua

Sehr positiv


haben wir


wahrgenom -


men, dass die


Behörden sehr


bemüht sind.


Sie fragen


nach, wo


es noch


Schwierig -


keiten gibt.


Ronny Laux
Geschäftsführer des
chinesischen Werks
von BHS Sonthofen

Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
16

Vermögen

Deutschland wird


ungleicher


Star-Ökonom Piketty warnt
vor der großen Konzentration
von Reichtum in Deutschland.
Martin Greive Berlin

D


er Immobilienboom in
Deutschland schafft Gewin-
ner und Verlierer. Während
für viele der Traum von den eigenen
vier Wänden wegen der galoppieren-
den Preise in immer weitere Ferne
rückt, profitieren die, die bereits eine
Immobilie besitzen, enorm von der
Preisentwicklung. Die steigenden Im-
mobilienpreise sind ein wesentlicher
Grund dafür, warum in Deutschland
die Schere zwischen Arm und Reich
immer weiter auseinandergeht. Zu
diesem Schluss kommt eine Studie
des Exzellenzclusters „ECONtribute“
der Universitäten Köln und Bonn, die
am Donnerstag im Bundesfinanzmi-
nisterium vorgestellt wurde.
Seit der Wiedervereinigung wurde
die obere Mittelschicht demnach
deutlich reicher – während die Ar-
men arm blieben, schreibt ein Auto-
renteam um den Bonner Wirtschafts-
professor Moritz Schularick. Der Ver-
gleich reicht zurück bis ins Jahr 1895.
Die gute Nachricht: In einem großen

Teil dieses Zeitraums ging die Vermö-
genskonzentration zurück. So ist ge-
genüber dem Jahr 1895 das Vermö-
gen des reichsten Prozents der Be-
völkerung bis heute von 50 auf 25
Prozent gesunken. Die schlechte
Nachricht: Seit der Wiedervereini-
gung ist wieder ein gegenläufiger
Trend zu beobachten. War 1993 das
Durchschnittsvermögen der reichs-
ten zehn Prozent noch 50-mal grö-
ßer als in der unteren Hälfte der Ver-
mögensverteilung, so ist es inzwi-
schen wieder auf das 100-Fache
gestiegen. Der Grund dafür sind ne-
ben den teils explodierenden Immo-
bilienpreisen stark gestiegene Aktien-
kurse.
„Sozialer Zusammenhalt kann nur
gelingen, wenn alle am Wachstum
und Erfolg unserer Gesellschaft teil-
haben“, sagte Bundesfinanzminister
Olaf Scholz (SPD), der der Vorstel-
lung der Studie beiwohnte. Der eben-
falls anwesende französische Star-
Ökonom Thomas Piketty sagte, die
Studie zeige, dass die hohen Wohl-
standsunterschiede sogar noch zu-
nähmen. „Die große Konzentration
von Reichtum sollten Deutschland
und Europa insgesamt Sorgen berei-
ten“, sagte er.

Coronagipfel bei Merkel

Sozialpartner


fordern Hilfen


Der Staat müsse helfen,
wirtschaftliche Folgen der
Corona-Epidemie abzufedern,
mahnen Wirtschaft und
Gewerkschaften.

Frank Specht Berlin

V


or einem Corona-Krisentref-
fen mit den Sozialpartnern
im Kanzleramt an diesem
Freitag fordern Wirtschaft und Ge-
werkschaften rasche Hilfen von der
Politik. „So wie die Regierung einst
mit der Abwrackprämie der Auto-
branche geholfen hat, muss sie jetzt
mit Konsumschecks den Handel stüt-
zen“, sagte Verdi-Chef Frank Werne-
ke dem Handelsblatt. Er erwarte ein
klares Signal, dass der Konsum ge-
stärkt werde, wenn das Infektionsge-
schehen abnehme. „Viele Händler
leiden in der aktuellen Lage unter
sinkenden Kundenfrequenzen und
deutlich zurückgehender Nachfrage“,
sagt dazu der Hauptgeschäftsführer
des Handelsverbands HDE, Stefan
Genth. Passiere nichts, drohten
schwere Folgen bis hin zur Insolvenz.
Für Handwerkspräsident Hans Pe-
ter Wollseifer steht – neben einem

Belastungsmoratorium – die Siche-
rung der Liquidität der Betriebe im
Vordergrund: „In der gegenwärtigen
Lage müssen wir solche wirtschafts-
und finanzpolitischen Maßnahmen
ergreifen, mit denen wir verhindern,
dass an sich gesunde Unternehmen
und Betriebe wegen krisenbedingter
Liquiditäts- und Kapazitätsprobleme
in die Insolvenz geraten und Arbeits-
plätze verloren gehen“, sagte er dem
Handelsblatt.
Denkbar seien eine pauschale
Stundung von Steuerzahlungen oder
die Verrechnung aktueller Verluste
mit Steuernachzahlungen für das
letzte Jahr, ergänzte der DIHK-Präsi-
dent Eric Schweitzer. Ein wichtiger
Punkt sei aber auch die geltende Ban-
kenregulierung. „Viele zukunftsfeste
und tragfähige Unternehmen stecken
in einem akuten finanziellen Eng-
pass“, sagte Schweitzer dem Han-
delsblatt. Nach den geltenden Regeln
drohe ihnen, dass Banken die Kredite
kündigen, statt eine Überbrückungs-
finanzierung zu ermöglichen. Diese
Fälle müssten durch vorübergehende
staatliche Garantien und eine Aus-
weitung der Kreditlinien bei Haus-
banken und Förderinstituten aufge-
fangen werden.

Viele zukunfts -


feste und


tragfähige


Unternehmen


stecken in


einem akuten


finanziellen


Engpass.


Eric Schweitzer
DIHK-Präsident





 




 



 


  


 




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