Handelsblatt - 13.03.2020

(backadmin) #1
„Die Ausbreitung des Coronavirus hat die
Wachstumsaussichten der
Weltwirtschaft und der Wirtschaft der
Euro-Zone stark erschüttert und die
Marktvolatilität erhöht.“
Christine Lagarde, EZB-Präsidentin

Worte des Tages


Autoindustrie


Die Branche


kann Krise


W


enn Volkswagen, Audi
und BMW kommende
Woche ihre Zahlen vorle-
gen, dann wird die Coronakrise das
beherrschende Thema sein. Nach
China trifft die Pandemie nun auch
den Rest der Welt, und alle Progno-
sen sind damit Makulatur. In den
kommenden Monaten wird es zu
herben Absatz- und Produktionsein-
brüchen kommen. Die Frage ist
nicht mehr, ob die Krise die Autoin-
dustrie erwischt, die Frage ist viel-
mehr, wie stark die Branche in Mit-
leidenschaft gezogen wird.
So tief der Einbruch auch wird:
Die deutschen Autobauer haben in
der Finanzkrise 2009 gelernt, wie
sich eine solche Situation beherr-
schen lässt. Produktion und Beleg-
schaften sind flexibel, die Absätze
über die ganze Welt gut verteilt, so-
dass sich regionale Unwuchten eini-
germaßen ausbalancieren lassen.
VW, BMW und Daimler verfügen
über große Liquiditätspolster. Ge-
lingt den Unternehmen gemeinsam
mit Gewerkschaften und Politik ein
ähnlich gutes Krisenmanagement
wie 2009, dann könnte der ökono-
mische Schaden beherrschbar blei-
ben.
Das ist auch nötig, denn die grö-
ßere Herausforderung bleibt die
Transformation in die Digitalisie-
rung und die Elektromobilität. Hier
tut sich die Branche schwer. Nach
Jahren des Zögerns und Zauderns
kommen die Elektromodelle auf
den Markt. Doch der erste Auf-
schlag ist ernüchternd: Der Merce-
des EQC verkauft sich schleppend.
Die Produktion des Audi Etron
stockt, weil es an Batterien mangelt.
Nun schlägt VW-Betriebsratschef
Bernd Osterloh Alarm. Die Produk-
tion des Golf 8 kommt wegen gra-
vierender Software-Probleme nicht
in die Gänge. Das Gleiche gilt für
das Stromauto ID.3, auch hier wa-
ckelt wegen Problemen mit der
Elektronik die Auslieferung.
Absatzkrisen zu managen gehört
in das inzwischen gelernte Reper-
toire der Automobilindustrie, die
Transformation in neue Technolo-
gien nicht. Wie lange die Coronakri-
se auch dauern mag, Elektroantrieb
und Digitalisierung bleiben die grö-
ßere Herausforderung.


Den Coronaschock wird die
Industrie managen. Sie hat
Erfahrung aus der Finanzkrise,
glaubt Markus Fasse.

Der Autor ist stellvertretender
Ressortleiter Unternehmen &
Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


D


ie Börsenkurse haben den Halt verlo-
ren. Die Hoffnung, Notenbanken oder
Regierungen könnten Vertrauen bei
den Investoren schaffen, wird immer
wieder enttäuscht. Gegen die Panik
scheint kein Kraut gewachsen zu sein, auch wenn es
an einzelnen Tagen Gegenreaktionen gibt. Was kann
jetzt noch helfen?
Vielleicht ist die Frage falsch gestellt – jedenfalls
was die Kapitalmärkte angeht. Die Börsenkurse spie-
geln in erster Linie die wirtschaftliche Realität wider,
wie sie sich jeden Tag deutlicher abzeichnet. Dage-
gen helfen keine Beruhigungspillen, sondern nur ge-
zielte Hilfen der Regierungen und Notenbanken für
Unternehmen und Bürger in Not. Aber auch das ver-
hindert nicht, dass Wachstum und Gewinne zu-
nächst einmal in weiten Teilen ausradiert werden –
und das können die Märkte nicht ignorieren.
Inzwischen zeigt sich, dass frühe Warner wie der
US-Ökonom Mohamed El-Erian recht behalten. Die
Krise ist überall, sie bringt die Wirtschaft ins Stocken
und wird wahrscheinlich auch mittelfristig noch Be-
lastungen zurücklassen.
Wenn die Kurse vor allem von Realismus geprägt
sind, werden markttechnische Überlegungen zweit-
rangig. Man stellt die Frage, was es bedeutet, dass
die Börsen in einen Bärenmarkt abtauchen, also
mehr als 20 Prozent vom Höhepunkt abgerutscht
sind. Aber dies ist ein von außen erzwungener Bör-
senabsturz, er ist nicht aus der Eigendynamik von
Märkten und Konjunktur entstanden – vielleicht be-
deutet es deswegen gar nicht so viel.
Was bedeutet das mittel- und langfristig? Die kom-
menden Monate werden schwierig bleiben. Möglich
ist aber, dass die Kurse sich irgendwann auf einem
sehr niedrigen, lustlosen Niveau festpendeln und
man später feststellt, dass dies der geeignete Ein-
stiegskurs gewesen wäre.
Was ist zu erwarten, wenn die Krise überwunden
ist? Was sagt der Blick in die berühmte Glaskugel,
die leider niemand hat?
Es gibt eine große Wahrscheinlichkeit, dass die ex-
trem niedrigen Zinsen noch länger als ohnehin
schon erwartet so niedrig bleiben. Einige Unterneh-
men werden noch länger unter den Nachwehen der
Epidemie leiden, andere von Aufholeffekten profitie-
ren. Wenn man davon ausgeht, dass die Börse dann
wieder in die Zukunft schaut, könnte die Aussicht
auf Erholung in Verbindung mit sehr niedrigen Zin-
sen Aktien wieder einen Schub geben. Das ist das
Wunschszenario – aber nicht unwahrscheinlich.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Weltwirt-
schaft in eine Deflation abrutscht, also in eine Phase

sinkender Preise. Wenn das Wachstum schwächelt
und die Notenbanken im vergeblichen Kampf gegen
die Krise ihr Pulver verschossen haben, ist diese Ent-
wicklung alles andere als unwahrscheinlich. Dann
kann sich zeigen, dass scheinbare Minuszinsen real,
also nach Abzug der – negativen – Inflationsrate, ren-
ditemäßig gar nicht so schlecht sind. Für die Aktien
wäre eine solche Phase eher unerfreulich.
Kann umgekehrt auch eine Inflation drohen? Die
scheint zurzeit weit weg, aber ganz ausschließen
lässt sich das Szenario nicht. Möglich wäre jedoch,
dass Staaten und Notenbanken mit einer sehr gro-
ßen Geldflut – etwa mit großzügigem „Hubschrau-
bergeld“ in Form von direkten Überweisungen an
die Bürger – die Krise bekämpfen und damit eine In-
flation anheizen.
Eine Kernfrage, die immer wieder auftaucht, lau-
tet: Wie sicher ist das Finanzsystem? Als Antwort
heißt es häufig, dass heute die Aufsicht über die Ban-
ken viel strenger ist und dass die Geldhäuser bessere
Kapitalpolster haben. Das ist allerdings wenig tröst-
lich, wenn es zu massenhaften Kreditausfällen
kommt. Die besten Polster sind in einer echten Fi-
nanzkrise zu klein, und die ausgefeiltesten Abwick-
lungsmechanismen helfen nur, wenn einzelne Geld-
häuser aus einzelnen Gründen abstürzen, nicht in ei-
ner allgemeinen Krise.
Sorgen bereitet auch, dass einzelne Staaten, vor al-
lem Italien, schwer von der Krise getroffen werden
und ohnehin schon unter hohen Schulden und nied-
rigem Wachstum leiden.
Die gute Nachricht dabei lautet: In der Krise fallen
wahrscheinlich viele Tabus. Die größte Gefahr bei
der Wiederholung einer konventionellen, aus dem
Innersten des Finanzsystems aufsteigenden Krise
wäre gewesen, dass Regierungen und Notenbanken
nicht angemessen reagieren, weil sie den Zorn der
Bürger fürchten, wenn den Banken geholfen wird.
Nach der Finanzkrise 2008 hat die Welt eine Menge
Mühe darauf verwendet, Mechanismen zu entwi-
ckeln, damit bei einer Wiederholung nicht noch ein-
mal Steuergeld eingesetzt werden muss. Wie zu er-
warten, haben wir uns damit auf die falsche Krise
vorbereitet. Jetzt, wo die Bedrohung von außen
kommt, dürften schnelle Staatshilfen bis hin zur Ver-
staatlichung von Geldhäusern viel leichter zu be-
werkstelligen sein. Auch finanzielle Hilfen oder Ga-
rantien für Staaten in Not sind wahrscheinlich ak-
zeptabler als bei einer politisch verursachten Krise.

Marktturbulenzen


Ein Zeichen von


Realismus


Die Börsen stellen
sich der Tatsache,
dass die
Coronakrise die
Wirtschaft für
längere Zeit ins
Stocken bringt,
meint Frank
Wiebe.

Börsenkurse


spiegeln in


erster Linie


die wirt -


schaftliche


Realität wider,


wie sie sich


jeden Tag


deutlicher


abzeichnet.


Der Autor ist Leiter Geldpolitik.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
28


„Wir sind heute viel besser als
noch vor einem Jahr für eine
schwierige Phase an den
Finanzmärkten aufgestellt.“
Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender
Deutsche Bank

„RWE ist nun wieder ein
Wachstumsunternehmen, und
das Wort international heißt nicht
mehr europäisch, sondern global.“
Rolf Martin Schmitz, Vorstandsvorsitzender RWE

I


ch habe gelesen, dass Intelligenz zwar teilwei-
se genetisch bedingt, aber nicht ohne Weiteres
erblich ist. Es liegt daran, dass es kein Intelli-
genz-Gen gibt. Stattdessen tragen verschiede-
ne genetische Konstellationen zur Intelligenz bei.
Und diese werden von Generation zu Generation im-
mer wieder neu gemischt.
Wer intelligent ist, der kann also einige Faktoren
vererben, andere vielleicht nicht. Das führt dazu,
dass Eltern mit eher durchschnittlicher Intelligenz
hochintelligente Kinder haben können. Gleichzeitig
können hochintelligente Eltern an ihrem minderbe-
gabten Nachwuchs verzweifeln. Dies geschieht wohl
immer öfter, denn der IQ nimmt zurzeit mit jeder
neuen Generation ab. Diesen Befund mag die junge
Generation anmaßend finden, er ist aber reine Wis-
senschaft.
Während die Intelligenz im vergangenen Jahrhun-
dert stetig zugenommen hat, stagniert sie nun und
geht sogar leicht zurück. Das deckt sich eigentlich
mit allen Annahmen, dass kein unbegrenztes Wachs-
tum möglich ist. Die Menschen können nicht einfach
noch intelligenter und noch intelligenter werden. So
wie sie nicht einfach immer größer und größer wer-
den können.
Es gibt offenbar aber auch gesellschaftliche Fakto-
ren. Während das 20. Jahrhundert davon geprägt
war, dass aufgrund der Wohlstandsentwicklung viele
Menschen neue Bildungsmöglichkeiten hatten, stieg
die Intelligenz rasch an. Nun ist eine gewisse Plateau-
Phase in der Bildung eingetreten, die durch den Ge-
brauch von Smartphones nicht gerade besser ge-
macht wird. Das Problem ist: Wenn man weniger im
Kopf rechnen muss, weil man eine Taschenrechner-
App hat und sich auch keine Telefonnummern mer-

ken muss, werden diese Fähigkeiten nicht mehr trai-
niert. Das ist kein Problem – bis man eben mal einen
Intelligenztest ausfüllen muss.
Es wurde nun schon öfters versucht, mangelnde
Intelligenz bestimmten gesellschaftlichen Gruppen
zuzuweisen. Dabei verbuchen jene, die sich auf die
abendländischen Traditionen berufen, gerne für
sich, intelligenter zu sein. Es gibt allerdings auch For-
schungen, die gegenteilige Schlüsse nahelegen: So
hat der Psychologe Satoshi Kanazawa etwa ermittelt,
dass Konservative einen geringeren IQ haben. Der
Forscher von der London School of Economics and
Political Science hatte eine Befragung von US-ameri-
kanischen Jugendlichen ausgewertet, bei der sie die
eigene Religiosität einschätzen sollten. Die Jugendli-
chen, die sich selbst als progressiv einschätzten, hat-
te mit 106 den höchsten Intelligenzquotienten, die
sehr konservativen hatten durchschnittlich einen IQ
von 95. Nun muss man sagen, dass 106 auch kein IQ
nahe der Hochbegabung ist.
Derselbe Forscher hat übrigens auch ermittelt,
dass Leute, die Alkohol trinken, intelligenter sind als
Antialkoholiker. Was tröstlich für alle ist: Der IQ ist
eigentlich ziemlich egal. Denn das Einzige, was sta-
tistisch mit einem höheren IQ zusammenhängt, ist
die Chance auf einen besseren Schul- oder Studien-
abschluss. Ansonsten hängt der Intelligenzquotient
weder mit Karriere, Kreativität noch mit Erfolg in
der Liebe zusammen. Solange wir also erfolgreich,
glücklich und kreativ bleiben, muss uns nicht stören,
dass wir stetig verdummen.

Prüfers Kolumne


Was heißt schon intelligent?


Tillmann Prüfer
stellt fest, dass uns
das ganze Gerede
von der
Verdummung nicht
weiter aufregen
sollte.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des
„Zeit-Magazins“. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

REUTERS, dpa, imago images / Rupert Oberhäuser

Illustration: Max Fiedler

K+S


Radikaler


Schnitt


V


or elf Jahren kaufte der Kas-
seler Düngemittel- und Salz-
hersteller K+S die US-Firma
Morton Salt, um als neuer Welt-
marktführer für Salz die Volatilität
in seinem Düngemittelgeschäft aus-
zugleichen. Jetzt will K+S das nord-
und südamerikanische Salzgeschäft
verkaufen und den Fokus wieder
auf die Düngemittel legen. Das sieht
nach Zickzackkurs aus, auch wenn
es nicht einen Verantwortlichen für
beide Entscheidungen gibt. Denn
inzwischen hat das Management ge-
wechselt.
Dennoch ist der Verkauf der Salz-
sparte jetzt der richtige Schritt, da-
mit das Unternehmen seine Schul-
den von mehr als drei Milliarden
Euro signifikant abbauen kann und
wieder Spielraum für Wachstumsin-
vestitionen bekommt.
In der Rückbeschau hatte K+S
sich zu viel vorgenommen: den
Kauf von Morton Salt für 1,2 Milliar-
den Euro und die Erschließung der
neuen Kalimine Bethune in Kanada
für mehr als drei Milliarden Euro.
Plus 800 Millionen Euro für eine
umweltschonendere Entsorgung
seit 2013.
Bei einem höheren Kalipreisni-
veau wären diese Investitionen und
der damit verbundene Schuldenab-
bau wohl zu stemmen gewesen.
Tatsächlich aber haben sich die
Durchschnittspreise seit 2012 merk-
lich nach unten bewegt.
Allerdings scheint es riskant,
wenn K+S seine Zukunft als eher
kleinerer Spieler im oligopolistisch
strukturierten Kalimarkt bestreiten
will. Die Voraussetzungen dafür
sind jedoch besser als noch vor Jah-
ren: Denn das neue Werk in Kanada
produziert sehr viel kostengünsti-
ger als die Werke in Deutschland.
Die Kanadamine ermöglicht eine
insgesamt profitablere Mischkalku-
lation bei der Herstellung des Stan-
dardprodukts Kaliumchlorid. Und
in die deutschen Standorte kann in-
vestiert werden, um die weniger
preissensiblen Spezialitäten kosten-
günstiger zu produzieren.
Jetzt muss noch die Konkurrenz
mitspielen. Sie darf keine Überka-
pazitäten aufbauen und K+S damit
einen Strich durch die Rechnung
machen.

Der Verkauf der Salzsparte ist
nötig, damit der Rohstoffkonzern
wieder Handlungsspielraum
bekommt, meint Maike Telgheder.

Die Autorin ist Korrespondentin in
Frankfurt.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


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