Jakob Blume Frankfurt
E
s scheint paradox: An den globalen Ak-
tienmärkten herrscht Panik. Die US-
Börsen sind innerhalb weniger Wo-
chen um 20 Prozent eingebrochen.
Der deutsche Leitindex Dax hat über
30 Prozent verloren. Doch ausgerechnet die Kri-
senwährung Gold kann davon kaum profitieren.
An Tagen, an denen die US-Börsen um fünf Pro-
zent oder mehr abgestürzt sind, ist auch der Gold-
preis unter Druck geraten. Allein am Donnerstag ist
der Goldpreis in der Spitze um über drei Prozent
gesunken. Ist Gold doch kein sicherer Hafen?
Martin Siegel, Goldfondsmanager und Chef der
Investment-Boutique Stabilitas, zieht bereits einen
Vergleich zur Finanzkrise: „Die Situation ist ver-
gleichbar mit 2008. Überall wird liquidiert.“Gold
habe zuletzt gute Jahre gehabt. Vielen Investoren
falle es leichter, Positionen mit Gewinn zu schlie-
ßen und Verlustbringer offen zu halten. Der Crash
am US-Aktienmarkt habe eine Flucht in Bargeld
ausgelöst, sagt auch Joe Forster, Goldfonds-Mana-
ger und Edelmetallexperte beim US-Vermögensver-
walter Van Eck. „Sichere Häfen wie Gold, Goldak-
tien und der US-Dollar sind in diesem Chaos eben-
falls gefallen.“
Ein Grund sind Fondsmanager Forster zufolge
zusätzliche Sicherheiten, die zahlreiche Profiinves-
toren angesichts heftiger Kursverluste bei ihren
Brokern hinterlegen mussten. In der Finanzbran-
che wird dieses Phänomen als „Margin Call“ be-
zeichnet. Um Cash für diese Sicherheiten zu ha-
ben, hätten sich Investoren daher von ihren Gold-
Investments getrennt, so Forster. Daher gerät der
Goldpreis ausgerechnet dann unter Druck, wenn
es an den Aktienmärkten stark runtergeht.
Suche nach Sicherheiten
Um nicht selbst auf den Verlusten sitzen zu blei-
ben, verlangen Banken und Aktienbroker bei stark
fallenden Kursen von ihren Kunden zusätzliches
Bargeld. Das gilt insbesondere dann, wenn sich
spekulative Investoren Geld von Banken leihen, um
höhere Wetten auf bestimmte Kursentwicklungen
einzugehen. Daten von der Aufsichtsbehörde der
US-Rohstoffbörse CFTC unterstützen die „Margin
Call“-These: Anleger müssen der Behörde melden,
wenn sie am Terminmarkt Gold kaufen oder mit-
tels Leerverkäufen auf einen Fall des Goldpreises
wetten. Derzeit liegt die Zahl der Terminkontrakte,
mit der spekulative Finanzinvestoren auf steigende
Goldpreise wetten, auf einem sehr hohen Niveau.
Doch in der Woche zwischen Ende Februar und
Anfang März, dem jüngsten verfügbaren Daten-
punkt, haben die Finanzinvestoren einige dieser
Wetten auf einen steigenden Goldpreis aufgelöst.
Zeitlich fällt das mit heftigen Tagesverlusten am
US-Aktienmarkt zusammen. Daher sagt Fondsma-
nager Siegel: „Solange die Liquiditätspanik anhält,
wird auch der Druck auf Gold bestehen bleiben.“
Doch das Phänomen der Margin Calls kann die
Goldpreisschwäche nicht vollständig erklären, sagt
Carlo Alberto de Casa, Chefanalyst beim Onlinebro-
ker Active Trades. „Es kommen verschiedene Fak-
toren zusammen.“ Zum einen habe die Ausbrei-
tung des Coronavirus in den für den Schmuck-
markt wichtigen Ländern China und Indien die
Nachfrage einbrechen lassen. Zum anderen hat
auch die Goldnachfrage der Notenbanken zuletzt
etwas nachgelassen. „Die Ankäufe sind zwar weiter
positiv, aber nicht so stark wie im vergangenen
Jahr“, sagt de Casa. Einer der stärksten Käufer war
zuletzt die russische Notenbank. Doch das Land
kämpft derzeit mit einem rapiden Preisverfall von
Rohöl. Sollte die Situation weiter anhalten, könnte
die russische Notenbank gezwungen sein, den Ru-
bel zu stabilisieren. Dafür könnte sie sich auch von
Goldreserven trennen.
Stabile Edelmetallpreise
Vor diesem Hintergrund seien Preisprognosen, die
ein neues Allzeithoch bei Gold in den nächsten Mo-
naten vorhersagen, verfrüht, sagt de Casa. „Es fällt
mir schwer, mir vorzustellen, dass Gold sehr bald
über die Marke von 1800 Dollar pro Unze steigt.“
Allerdings erwartet er auch keine nennenswerten
Rücksetzer. Denn die Investment-Nachfrage nach
dem Edelmetall ist riesig. Ende Februar ist das ver-
waltete Vermögen von goldgedeckten Indexfonds
auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Das zeigen
Daten des World Gold Council. Mittlerweile verwal-
ten Gold-Indexfonds rund 3000 Tonnen, das ent-
spricht einem Wert von 150 Milliarden Dollar.
Zwar gilt: Wenn es wirklich ans Eingemachte
geht, ist Cash immer noch die erste Wahl. Doch in
der Finanzkrise habe sich gezeigt: Gold und Aktien
von Goldminen hätten sich schneller von der
Marktpanik erholt, als der breite Aktienindex, sagt
Goldfondsmanager Forster. „Während der Aktien-
markt zwei Jahre gebraucht hat, um sich von dem
Schock zu erholen, haben Goldaktien schon nach
kurzer Zeit wieder Gewinne eingefahren.“ Forsters
Kollege Siegel ergänzt. „Mittlerweile gibt es Minen-
werte mit über vier Prozent Dividendenrendite.“
Sorgen um die Dividende müssten sich Anleger
nicht machen. „Selbst wenn der Goldpreis etwas
sinkt, bleiben die Gewinnspannen der Minen
gleich. Sie profitieren von dem niedrigen Ölpreis.“
Hinzu kommt: Fundamental spricht aus Sicht
der meisten Rohstoffexperten vieles dafür, dass der
Trend zu weiter steigenden Goldpreisen mittelfris-
tig anhält. So haben die Notenbanken weltweit zu-
letzt deutlich die Zinsen gesenkt. Niedrige Renditen
von Staatsanleihen gelten als eine wichtige Unter-
stützung für Goldpreise. In den USA sind die Ren-
diten nach Abzug der Inflationsrate bereits negativ,
und auch für die Nominalzinsen scheint die Nullli-
nie in Reichweite. In Europa werfen viele sichere
Anleihen bereits heute hohe negative Renditen ab.
Gold, das keine Zinsen abwirft, jedoch als Inflati-
onsschutz gilt, ist in diesem Umfeld für viele Inves-
toren eine Alternative.
Warum der Goldpreis
trotz Börsencrash fällt
An Tagen mit hohen Verlusten am Aktienmarkt ist zuletzt auch der Goldpreis
gesunken. Ist das Edelmetall noch ein sicherer Hafen für Anleger?
Börsencrash und Gold
27.2.2020
Dow Jones
11.3.2020
Dow-Jones-Index in Punkten und Goldpreis in US-Dollar je Feinunze
(ausgewählte Tagesverläufe)
Prozentuale Veränderung
seit 27.2.2020
1 639
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15:30* 22:15 Uhr*
* Mitteleuropäische Winterzeit • Quelle: Bloomberg
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Gold
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1 625
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Dow Jones
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23 553
14:30* 21:15 Uhr*
27 000
26 000
25 000
24 000
23 000
Gold
1 700
1 675
1 650
1 625
1 600
Gesamter Zeitraum
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Dow Jones
27.2.2020 12.3.
+5 %
±0 %
-5 %
-10 %
-15 %
-20 %
-3,17 %
Gold
Private
Geldanlage
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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Geschmolzenes Edelmetall: Gold kann von der Panik an den Aktienmärkten
kaum profitieren.
REUTERS
EuGH-Urteil
Doppelte
Entschädigung
Susanne Schier Frankfurt
F
luggäste haben einen Anspruch auf doppel-
te Entschädigung, wenn ihr Flug wegen
technischer Probleme gestrichen wurde und
der Ersatzflug aus ähnlichen Gründen erhebliche
Verspätung hatte. Das hat der Europäische Ge-
richtshof (EuGH) am Donnerstag entschieden (Az.
C-832/18). In dem Fall wollten die Passagiere mit
Finnair von Helsinki nach Singapur fliegen. Den ge-
buchten Direktflug musste die Airline absagen. Da-
raufhin akzeptierten die Fluggäste einen Alternativ-
flug am darauffolgenden Tag mit Zwischenstopp in
China. Wegen einer ausgefallenen Servolenkung
für das Steuerruder der Maschine kam dieser Flug
mit deutlicher Verspätung am Zielort an.
Finnair gewährte den Fluggästen zwar eine Aus-
gleichszahlung von je 600 Euro für den Ausfall des
ersten Flugs. Die Gesellschaft weigerte sich aber, ei-
ne weitere Entschädigung für den verspäteten Er-
satzflug zu zahlen. Sie berief sich darauf, dass die
Passagiere laut der EU-Fluggastrechteverordnung
keinen Anspruch auf eine zweite Ausgleichszah-
lung hätten. Zudem sei der Ausfall der Servolen-
kung ein außergewöhnlicher Umstand, der von
Finnair nicht beherrschbar war und die Gesell-
schaft daher von einer Ausgleichszahlung befreie.
Das Gericht in Helsinki, das mit dem Rechtsstreit
befasst ist, hat den EuGH um Klärung gebeten. Die
Richter urteilten nun, dass es in der Verordnung
keine Bestimmung gebe, die die Rechte von Flug-
gästen bei einem Ersatzflug beschneidet. Wenn die-
ser Flug mehr als drei Stunden später am Zielort
ankommt, gebe es auch hier einen Anspruch auf
Entschädigung. Darüber hinaus könnten „techni-
sche Mängel, die sich bei der Wartung von Flugzeu-
gen zeigen, grundsätzlich keine außergewöhnli-
chen Umstände darstellen“, teilte das Gericht mit.
Die Frage, was ein außergewöhnlicher Umstand
ist und was nicht, beschäftigt die Gerichte häufiger.
Auch das Coronavirus könnte zu Streitigkeiten füh-
ren. Ob Passagieren eine Entschädigung bei einer
kurzfristigen Absage eines Flugs durch die Airline
zusteht, dürfte in vielen Fällen unklar sein. Grund-
sätzlich liegt die Pandemie außerhalb der Kontrolle
der Unternehmen. Das Fluggastrechteportal Flight-
right macht Passagieren in bestimmten Fällen den-
noch Hoffnung auf eine Ausgleichszahlung. „Bei
gestrichenen Flügen, die in Risikogebiete gehen
sollten, können Reisende wohl nicht mit einer Ent-
schädigung rechnen“, sagt eine Firmensprecherin.
Anders sehe es aber aus, wenn ihr Flug nur aus be-
triebswirtschaftlichen Gründen ausgefallen ist.
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Private Geldanlage
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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