Handelsblatt - 13.03.2020

(backadmin) #1

Wochen


ende


Corona und die Finanzmärkte


1

WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
44


Moment/Getty Images, mauritius images / Anton Petrus / Alamy, Moment/Getty Images, Picture Press/XYZ PICTURES [M]

18


BILLIONEN


Dollar – auf diese Summer
beläuft sich der Verlust des
Börsenwerts aller Konzerne
weltweit seit dem
18.2.2020 - ein Minus von
20 Prozent.

Quelle: HRI

nig über die Gefahr aus, die von ihnen ausgeht. Es
kommt auf die Qualität des Schuldners an, so wie
2008 – als sogenannte „Subprime“ oder von der
Bonität minderwertige Hypotheken in den USA das
Weltfinanzsystem herausforderten.
Hohe Ausfälle werden die Banken belasten, das
steht schon jetzt fest. Können die Institute die neu-
erliche Krise aushalten?

1.


Die Banken


sind stabiler


Die Finanzwelt ist zurück im Krisenmodus. Für vie-
le Veteranen fühlt sich das inzwischen an wie „Leh-
man reloaded“. „Die Angst ist da, und sie ist sehr
real“, sagt ein deutscher Spitzenbanker. „Krisen
haben ihre eigene Dynamik, die kaum vorherseh-
bar ist“, warnt Hans-Peter Burghof, Bankenprofes-
sor an der Uni Hohenheim.
Auch in Aufseherkreisen ist von „großen Sorgen“
die Rede. Die Furcht wächst. Noch fragen Kontrol-
leure bei den Banken nicht flächendeckend die Ri-
sikokennziffern ab. Noch genügt es ihnen, sich bei
einigen Banken mindestens wöchentlich über die
Liquiditätssituation und mögliche Kreditausfälle zu
informieren. Das betreffe in Deutschland bereits ei-
ne mittlere zweistellige Zahl an Instituten, große
wie kleine, heißt es aus Finanzkreisen.
Am Freitag treffen sich im Bundesfinanzministe-
rium Topmanager der Deutschen Bank, der Com-
merzbank, der deutschen Unicredit-Tochter HVB,
der staatlichen Förderbank KfW sowie der Verbän-
de von Sparkassen, Volksbanken und Privatbanken
zum Coronagipfel. Sie wollen darüber reden, wie
die Banken Unternehmen und Privatkunden helfen
können, die durch Corona in Not geraten sind. Ein
weiterer wichtiger Gesprächspunkt wird sein, wie
Politik und Aufseher verhindern können, dass die
Banken selbst in Not geraten.
Auch wenn die Banken nicht wie 2008 die
Schuld an der Misere tragen, sondern selbst zu den
Leidtragenden gehören, ändert das nichts an der
wachsenden Sorge um die Stabilität des Finanzsys-
tems. In welche Richtung es beim Krisengipfel im
Finanzministerium gehen könnte, hat sich bereits
am Donnerstag gezeigt. Es war ein historischer
Tag, als sich Notenbanker und Bankenaufseher zu
einer konzertierten Aktion verabredeten. Die Euro-
päische Bankenaufsicht Eba verzichtet auf ihren ge-
planten Stresstest. Wozu auch einen Test durchfüh-
ren, wenn der Stress nun ganz real ist?
Außerdem räumen die Aufseher der EZB den
Banken eine Reihe von Erleichterungen ein. Die

Corona und die Finanzmärkte


1

WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
45

Unruhige Zeiten:
Die Börsenkurse
weltweit befinden
sich im
Abwärtstrend.

Börsen-Crash


2020


Das Coronavirus trifft die Wirtschaft hart. Überall auf der Welt stürzen die


Aktienkurse ab. Es geht die Angst um, dass das Virus


eine Kettenreaktion auslösen könnte. Die entscheidende Frage


lautet deshalb: Wie stabil sind die globalen Finanzmärkte?


W


as für ein Auftritt: Mit dünner
Stimme trägt Christine Lagar-
de am Donnerstag die Maß-
nahmen der Europäischen
Zentralbank (EZB) vor, mit de-
nen das Institut die wirtschaftlichen Folgen des Co-
ronavirus bekämpfen will. Lagarde wirkte verunsi-
chert, sprach zunächst aus Versehen von 100 Mil-
liarden statt von 120 Milliarden Euro, die in ein
neuerliches Ankaufprogramm für Staats- und Un-
ternehmensanleihen fließen sollen. Es war nicht
die einzige Ungenauigkeit der Französin, die seit
Kurzem an der Spitze der EZB steht. Die Anleger
zeigten sich enttäuscht, die internationalen Börsen
kannten weiter nur eine Richtung: nach unten. Of-
fenbar wurde vielen Investoren bewusst, wie hilf-
los die EZB angesichts der Coronagefahr agiert.
Christian Kopf, Anleihechef bei Union Investment,
sprach mit Blick auf die EZB von „mangelnder
Kreativität“.
Ein Vergleich mit der großen Finanzkrise 2008
drängt sich geradezu auf. Auch damals gab es his-
torische Kursverluste. 2020 sind die Zahlen kaum
weniger dramatisch: Mehr als 18 Billionen Dollar
Marktkapitalisierung ging an den Weltbörsen in
den vergangenen drei Wochen verloren. Das ent-
spricht in etwa der jährlichen gesamtwirtschaftli-
chen Leistung der Europäischen Union. Allein am
Donnerstag fielen die Aktien von Commerzbank
und Deutscher Bank um rund 14 Prozent (siehe
Seite 49).
Kehrt der Crash aus dem Jahr 2008 zurück? Wie
stabil ist das Weltfinanzsystem? Wer einfache Ant-
worten auf diese Fragen gibt, macht sich unglaub-
würdig. Zu komplex sind die Sachverhalte, auch
weil Antworten auf wichtige medizinische Fragen
derzeit noch nicht gegeben werden können.
Die Krise hat die Politik weltweit aufgerüttelt.
England gibt 35 Milliarden Euro an Wirtschaftshil-
fen aus, Italien 25 Milliarden Euro, Japan knapp 13
Milliarden Euro. Auch in Deutschland bewegt sich
die Politik wieder und investiert zwölf Milliarden
Euro. „Wir werden das, was notwendig ist, tun“,
sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen
Tagen und beendete ihr wochenlanges Schweigen
zum Thema Corona. Für die Hilfsmaßnahmen dür-
fe jetzt sogar über die „schwarze Null“ nachge-
dacht werden, also über das politische Prinzip, oh-
ne Neuverschuldung auszukommen.
Immerhin: Die Banken befinden sich in einem
besseren Zustand als in der Finanzkrise, sie verfü-
gen über mehr Kapitalreserven. „Anders als 2008
liegen die Gründe für die Krise nicht im Finanzsys-
tem“, sagt der ehemalige Bundesbankvorstand An-
dreas Dombret, der heute als Global Senior Advi-
sor für die Unternehmensberatung Oliver Wyman

arbeitet. „Damals entstanden die Risiken inner-
halb des Bankensystems. Dieses Mal sind die Insti-
tute nicht die Ursache der Krise, sondern gehören
zu den Betroffenen der durch das Coronavirus
ausgelösten Verwerfungen“ (siehe Interview auf
Seite 51).
Diese „Verwerfungen“ gleichen immer mehr ei-
nem Trümmerfeld. Nach Informationen der Deka-
bank richtete das Coronavirus bislang weltweit ei-
nen Schaden von 750 Milliarden Euro an, Tendenz
stark steigend. Es ist ein doppelter Schock für die
Weltwirtschaft. Zum einen auf der Angebotsseite:
Firmen droht eine Zwangspause, wenn Lieferket-
ten unterbrochen werden. Zum anderen auf der
Nachfrageseite: Arbeitnehmer werden in Quaran-
täne geschickt, meiden Restaurants, fahren nicht
mehr in Ferien und kaufen keine Kinokarten. Erst
kürzlich senkte die Beratungsfirma Oxford Econo-
mics ihre Prognose für das Weltwirtschaftswachs-
tum um 0,5 Basispunkte auf zwei Prozent für die-
ses Jahr. „Wir stehen am Rande einer Weltrezessi-
on“, fasst Ulrich Kater, Chefvolkswirt der
Dekabank, die Zahlen zusammen.
Wie dramatisch sich die Entwicklung noch zu-
spitzt, hängt jetzt stark davon ab, wie schnell sich
medizinische Erfolge im Kampf gegen das Virus
abzeichnen. Wie rasch fallen die Infektionsraten?
Wird bald ein Impfstoff gefunden?
In der Zwischenzeit stellt sich die Frage, ob der
Börsenabsturz nicht eine Kette von Finanzreaktio-
nen auslösen könnte – eine Art Dominoeffekt wie
2008, als sich verschiedene negative Effekte gegen-
seitig verstärkten und eine Schneise der Verwüs-
tung durch die globalen Finanzmärkte schlugen.
Die entscheidende Schwachstelle der Weltwirt-
schaft liegt in der hohen Verschuldung begründet.
Nach Jahren mit Niedrigzinsen sind die roten Zah-
len in nie gekannte Dimension gestiegen.
imago/Schöning, Die Höhe der Schulden allein sagt aber noch we-

mauritius images/Ascannio/Alamy,
Free download pdf