Handelsblatt - 13.03.2020

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Corona und die Finanzmärkte


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WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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Geldhäuser können die in guten Zeiten aufgebau-
ten Kapital- und Liquiditätspuffer voll nutzen. Zu-
dem können künftig auch Kapitalinstrumente, die
bisher nicht als Kernkapital anerkannt werden, zur
Erfüllung von Kapitalvorgaben genutzt werden. Au-
ßerdem sollen die nationalen Aufseher den soge-
nannten antizyklischen Kapitalpuffer aufweichen.
Diese Maßnahmen bedeuteten eine erhebliche
Kapitalentlastung für die Banken. Außerdem deu-
tet die EZB an, dass sie flexibel reagieren wird,
wenn Banken Kreditbedingungen für unverschul-
det in Not geratene Kreditnehmer aufweichen wol-
len. „Die Banken müssen in der Lage sein, Haushal-
te und Unternehmen, die sich vorübergehend in
Schwierigkeiten befinden, weiter zu finanzieren“,
betonte der oberste Bankenkontrolleur der Noten-
bank, Andrea Enria.
Dafür erhält die EZB viel Lob von den Banken.
Marija Kolak, Chefin des Verbands der Genossen-
schaftsbanken, lässt sich sogar dazu hinreißen, von
einer „weisen Entscheidung“ zu sprechen, und die
Sparkassen räumen ein, dass die Notenbank „scho-
nend“ mit den Banken umgeht.
So viel Einigkeit könnte ein gutes Vorzeichen für
den Krisengipfel im Finanzministerium sein. Auch
dort dürfte das Thema Regulierung auf der Agenda
stehen. Rückendeckung bekommen die Geldhäu-
ser von Ökonom Hans-Peter Burghof: Er fürchtet,
dass die Regulatoren die Banken auf die falsche
Krise vorbereitet haben. Statt mit einer Wiederho-
lung der Finanzkrise müssen die Geldhäuser nun
mit einem exogenen Schock fertig werden: „Leider
ist das Finanzsystem durch ein Übermaß von Re-
gulierung nicht sicherer, sondern angreifbarer ge-
worden“, meint Burghof.
Ex-Bundesbanker Dombret versucht unterdes-
sen, nach der Aufregung der vergangenen Tage zu
beruhigen: „Die deutschen Banken mögen unter
einer schwachen Börsenbewertung und einer
schwachen Ertragslage leiden, aber sie sind solide
kapitalisiert, und darauf kommt es im Moment an.“
Tatsächlich gehen nicht nur die heimischen Ban-
ken sehr viel robuster in die Coronakrise als 2008.
Damals lag die Eigenkapitalquote der Deutschen
Bank bei sieben Prozent, heute sind es 13,6 Pro-
zent. Die Commerzbank stärkte ihre Kapitalpuffer
von 5,4 Prozent auf 13,4 Prozent. In Europa kom-
men die größten Banken nach Daten der Rating-
agentur Moody’s derzeit im Schnitt auf eine Eigen-
kapitalquote von knapp 14 Prozent.
Auch die Qualität der Kreditbücher hat sich in
den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Das
Verhältnis von faulen Darlehen zu allen Ausleihun-
gen sank in der EU bis zum Herbst 2019 auf 2,9


Prozent, Ende 2018 lag die Kennzahl noch bei 3,2
Prozent.
Und doch fühlen sich viele europäische Banken
alles andere als stark. „Jetzt passiert genau das,
was ich befürchtet habe: Wir laufen geschwächt in
eine neue Krise“, sagt ein deutscher Spitzenbanker
voraus. Die Kapitalquoten mögen robust sein, die
Gewinne sind es nicht. Deutsche Bank und Com-
merzbank stecken mitten in schmerzhaften Um-
bauten, die Finanzpläne beider Institute sind auf
Kante genäht, Rückschläge nicht vorgesehen. Bei
der Deutschen Bank türmen sich die Sanierungs-
kosten so hoch, dass 2019 unter dem Strich ein
Verlust von 5,7 Milliarden Euro stand.
Die Widerstandkraft vieler europäischer Banken
ist geschwächt, durch das Coronavirus kommen
neue Belastungen auf die Institute zu. Die Pande-
mie wird die Einnahmen drücken, weil sich die
Kunden zurückhalten, egal ob es um das Geschäft
mit Unternehmen, Privatkunden oder um das As-
set- und Wealth management geht. Außerdem dro-
hen Kreditausfälle, wenn Unternehmen in wirt-
schaftliche Probleme geraten. Das ist die größte
Sorge der Aufseher. Hinzu kommt, dass die Zinsen
wahrscheinlich noch länger niedrig bleiben wer-
den. Die Margen der Banken werden also noch
stärker als bislang unter Druck geraten.
Auf diese Gefahren reagiert ein wichtiges Stress-
barometer der Branche: der Markt für Kreditaus-
fallversicherungen. Mit sogenannten Credit Default
Swaps (CDS) können sich Investoren gegen einen
Zahlungsausfall absichern. In dieser Woche schoss
der iTraxx-Index für die CDS-Prämien für Anleihen
und Kredite europäischer Banken um mehr als ei-
nen halben Prozentpunkt auf 1,5 Prozent in die Hö-
he. Das ist ein enormer Sprung. Eine CDS-Prämie
von 1,5 Prozent bedeutet, dass Investoren, die sich
vor einem Zahlungsausfall der Banken schützen
wollen, dafür jedes Jahr 1,5 Prozent als Versiche-
rungssumme zahlen.
Besonders hart traf es die italienischen Banken,
bei Unicredit und Intesa Sanpaolo kletterten die
CDS-Prämien bis auf 1,9 Prozent. Die italienischen
Banken gelten damit als besonders gefährdet.
Nicht nur weil inzwischen das ganze Land Corona-
Sperrzone ist, sondern auch weil die Geldhäuser
einen Berg von faulen Krediten vor sich herschie-
ben. Im Herbst 2019 waren nach Daten der EZB
7,3 Prozent aller von italienischen Banken vergebe-
nen Darlehen notleidend, mehr als doppelt so viel
wie im EU-Durchschnitt.
Auch der Deutschen Bank schlägt das Misstrau-
en der Investoren entgegen. Vor Ausbruch der Kri-
se waren die CDS-Prämien noch deutlich gefallen.

Xinhua / eyevine / laif,

action press

Xi Jinping besucht Wuhan: Erstmals reiste Chinas Regierungschef in die
Stadt, in der das Coronavirus die ersten Menschen infizierte.


US-Präsident Donald Trump: Er spricht vom „aus-
ländischen Virus“. Abschottung soll Amerika schützen.

Banken sind stabiler aufgestellt
Nettoergebnis in Mio. Euro

Commerzbank

Deutsche Bank

UBS

Credit Suisse

Barclays

BNP Paribas

Unicredit

3
644
-3 835
-5 390

5 510
3 734
3 021
8 173
4 012
3 373

-5 183
3 074

-13 478
3 845

2008

Risikovorsorge im Kreditgeschäft in Mio. Euro

Kernkapitalquote in Prozent CET 1 nach Basel 3 in Prozent
2008 2019

HANDELSBLATT Quelle: Bloomberg

2019

Commerzbank

Deutsche Bank

UBS

Credit Suisse

Barclays

BNP Paribas

Unicredit

1 855
620
1 076
723

6 814
2 171
3 435
3 203
3 582
3 382

513
291

1 897
70

2008 2019

Commerzbank

Deutsche Bank

UBS

Credit Suisse

Barclays

BNP Paribas

Unicredit

5,4

7,0

5,6

5,4

5,9

8,6

7, 4

Commerzbank

Deutsche Bank

UBS

Credit Suisse

Barclays

BNP Paribas

Unicredit

13,4

13,6

13,5

12,1

13,1

12,7

13,7

Corona und die Finanzmärkte


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WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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Doch seit Mitte Februar schnellten die Prämien
von um die 0,8 Prozent auf 1,2 Prozent hoch. Das
sind weit mehr als abstrakte Größen. Hohe CDS-
Spreads können zu steigenden Refinanzierungskos-
ten führen, viele Kunden orientieren sich an die-
sem Maßstab, wenn sie entscheiden, mit welcher
Bank sie welche Geschäfte machen. Trotz aller Tur-
bulenzen sendet der CDS-Markt auch eine beruhi-
gende Nachricht. Nach der Lehman-Insolvenz ex-
plodierten die Risikoprämien auf 3,6 Prozent und
lagen damit fast dreimal so hoch wie heute.
Solche Durchschnittszahlen sollten allerdings
nicht als Entwarnung gewertet werden, betonen
die Experten der Ratingagentur Scope. Wie hart
die Krise die einzelnen Geldhäuser treffen wird,
„hängt entscheidend, davon ab, von welchem
Punkt aus sie starten“, meint Marco Troiano, ver-
antwortlich für die Finanzbranche bei Scope. „Das
Coronavirus ist eine zusätzliche Herausforderung
für europäische Banken, die bereits heute unter
schwachen Erträgen und einer geringen Profitabi-
lität leiden.“ Und: „Deutsche Banken sind wegen
ihrer geringen Profitabilität besonders verwund-
bar, wenn es zu einem Anstieg der Risikovorsorge
kommt, die in den zurückliegenden Quartalen na-
he null war.“ Die deutsche Industrie gehe bereits
geschwächt in die Krise und werde wegen des
rückläufigen Welthandels noch stärker unter Druck
geraten. Folglich sei hierzulande die Gefahr von
Kreditausfällen und damit das Rückschlagpotenzial
für die Banken besonders groß.





Notenbanken


helfen


Christine Lagarde steht schneller als erwartet vor
ihrer ersten großen Bewährungsprobe als Präsi-
dentin der EZB. In den vergangenen Tagen forder-
te die Französin immer wieder von den Regierun-
gen eine „ehrgeizige und koordinierte“ Reaktion
auf die Krise. Ihre eigenen Vorstellungen in der
Pressekonferenz nach der EZB-Sitzung am Don-
nerstag wirkten aber alles andere als überzeugend,
was auch an dem beschleunigten Absturz der Ak-
tienkurse abzulesen war.
Zum einen verzichtete die EZB auf eine Zinssen-
kung. Zwar hatten viele Ökonomen im Vorfeld da-
rauf hingewiesen, dass mit den Zinsen nichts Sinn-
volles auszurichten sei, aber die Märkte hatten
trotzdem mit einer Absenkung um 0,1 Prozent-
punkte gerechnet.

Zum anderen fiel negativ auf, dass Lagarde bei
der Frage nach möglichen Hilfen für Italien sagte:
„Wir werden unsere Mittel flexibel einsetzen, aber
unsere Aufgabe ist nicht, Risikoaufschläge zu sen-
ken.“ Frederik Ducrozet von der Schweizer Bank
Pictet twitterte: „Das wird einen riesigen Rück-
schlag geben. Das ist das Gegenteil von ,Whatever
it takes‘.“ Mario Draghi hatte mit dieser Formel
2012 angedeutet, dass die EZB alles tun werde,
um gefährdeten Euro-Ländern zu helfen.
Wie erwartet werden bestehende Kreditpro-
gramme für die Geschäftsbanken ausgeweitet.
Aber die Konditionen dafür werden erst ab Juni
gesenkt, auf im günstigsten Fall minus 0,75 Pro-
zent – für Kredite, die speziell kleineren und mitt-
leren Unternehmen zugutekommen sollen. Dieser
Schritt könnte vor allem italienischen Banken hel-
fen, die bisher häufig an Grenzen gestoßen sind.
Zusätzlich soll es weitere Erleichterungen geben,
etwa bei der Wahl von Sicherheiten, die die Ban-
ken bei der EZB einreichen können.
Außerdem will die EZB bis Ende des Jahres für
120 Milliarden Euro zusätzlich Anleihen kaufen.
Dabei ließ Lagarde viele Details offen, deutete

aber an, dass ein relativ großer Anteil davon auf
Unternehmensbonds entfallen könnte. Außerdem
sagte sie immer wieder: „Das Programm kann fle-
xibel eingesetzt werden.“ Das heißt: Die Käufe
werden getätigt, wenn es nötig erscheint, und
nicht unbedingt mit festen Raten pro Monat. Am
Ende sollte die Aufteilung der Käufe nach dem
Kapitalschlüssel der EZB, also nach Bevölkerung
und wirtschaftlicher Größe der einzelnen Länder,
erreicht werden. Offenbar hat die EZB aber nicht
darüber diskutiert, Regeln zur Beschränkung der
Käufe einzelner Länder aufzuweichen.
Die Maßnahmen wurden von den Investoren
nicht positiv bewertet: Der Dax sackte nach der
Ankündigung um bis zu vier Prozent ab. Auch die
Zinssenkung der Fed kam vergangene Woche an
der Börse nicht gut an. Ökonomen kritisieren die
außerplanmäßige Zinssenkung. Aus ihrer Sicht
hat die Fed die Panik an den Märkten verstärkt.
Historisch hat die Fed selten außerplanmäßig die
Zinsen gesenkt, in den vergangenen 25 Jahren nur
insgesamt neun Mal. An den Märkten wurde der
Schritt offenbar so aufgefasst, dass die Lage be-
sonders ernst ist, die Börsenkurse fielen.
Inzwischen hat die Fed bereits weitere Schritte
unternommen. So hat sie in dieser Woche das Vo-
lumen für sogenannte Repos, also kurzfristige Fi-
nanzierungsgeschäfte für die Banken, deutlich
ausgeweitet. In diesem Segment hatte es während
der Finanzkrise Probleme gegeben. Außerdem
verzichtet die Notenbank auf die Rückführung ih-
rer Käufe von kurzfristigen Staatsanleihen, die sie
eigentlich in Aussicht gestellt hatte.
Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass
die Fed in den nächsten Tagen und Wochen noch
weiter nachlegen wird. Commerzbank-Experte
Bernd Weidensteiner rechnet damit, dass die US-
Notenbank auf ihrer nächsten Sitzung am 17. und


  1. März die Zinsen um weitere 0,5 Prozentpunkte
    senken wird. Damit wäre sie nicht mehr weit von
    den Tiefpunkt während der Finanzkrise entfernt,
    als die Zinsen bei null bis 0,25 Prozent lagen.
    Der Devisenchef der US-Großbank Citi, Ebra-
    him Rahbari, hält auch eine Wiederaufnahme
    groß angelegter Anleihekäufe (QE) für möglich. In
    der Finanzkrise hatte die Fed zeitweise für mo-
    natlich 85 Milliarden US-Dollar amerikanische
    Staatsanleihen gekauft, um die langfristigen Zin-
    sen zu senken. Im Vergleich zur Finanzkrise sind
    heute allerdings die Renditen für US-Staatspapie-
    re deutlich niedriger. Die Frage ist also, ob sie da-
    mit noch ähnlich viel bewirken kann. Als weitere
    Option sieht Rahbari den gezielten Kauf bestimm-
    ter Wertpapiere, wie etwa von hypothekenbesi-


AFP
Kanzlerin Angela Merkel neben Gesundheitsminister Jens Spahn:
Ökonomen kritisieren die Zögerlichkeit der Regierung.

Notenbanken
Leitzins in Prozent

Euro-Zone
0,0 %

USA: 1,25 %

HANDELSBLATT

1.1.2008 11.3.2020
Quelle: Bloomberg

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