Handelsblatt - 13.03.2020

(backadmin) #1
Kevin Knitterscheidt Detmold

F


ür einen Manager eines Unternehmens
aus der Verbindungstechnik-Industrie
wirkt Volker Bibelhausen angesichts ei-
ner zunehmend kabellos funktionieren-
den Welt ziemlich gelassen. Im Januar
wurde der 55-Jährige vom Technologiechef beim
Detmolder Familienunternehmen Weidmüller zum
Vorstandssprecher befördert – und verbreitet im Ge-
spräch mit dem Handelsblatt standesgemäß Zuver-
sicht. „Als Kabelersatz sind Funktechnologien wie
5G vielleicht eine Bedrohung für die Kabelindus-
trie“, sagte der Manager. „Doch irgendwo muss die
Verbindung einmal losgehen – da kommen unsere
Technologien ins Spiel.“
Mit einem Jahresumsatz von zuletzt gut 800 Mil-
lionen Euro zählt Weidmüller zu den Großen in der
Branche. Die Firma, die in diesem Jahr ihren


  1. Geburtstag feiert, gilt als Erfinder der Reihen-
    klemme – also jener kleinen Plastikstromverteiler,
    die in zahlreichen Schaltschränken auf der ganzen
    Welt verbaut werden. Das Unternehmen ist in mehr
    als 80 Ländern aktiv und versucht derzeit, sich tech-
    nologisch neu zu erfinden.
    Mit Bibelhausen tritt nun ein technologiebegeis-
    terter Ingenieur an die Spitze, nachdem Vorgänger
    Jörg Timmermanns Weidmüller nach vier Jahren
    verlässt, um sich bei Kraft Maschinenbau selbst un-
    ternehmerisch zu betätigen. Sein Nachfolger will die
    bisherige Strategie, an der er in den vergangenen
    anderthalb Jahren als Technologiechef mitgearbeitet
    hatte, beibehalten – aber mit seinem neuen Team
    vor allem im industriellen „Internet der Dinge“ stär-


kere Akzente setzen. „Wir haben tolle Fähigkeiten in
der Verbindungstechnik und können an vielen Stel-
len Kompetenzen für die Digitalisierung beisteu-
ern“, sagte Bibelhausen.
Die fachliche Expertise dafür bringt der Manager
mit. Nach einer Ausbildung als Nachrichtentechni-
ker absolvierte der gebürtige Bremer ein Studium
der Elektrotechnik in Osnabrück – obwohl er sich
schon damals für Computer interessierte. „Ich hatte
in den frühen Achtzigern einen ZX-81, den man an
einen Röhrenfernseher anschließen musste“, erin-
nert sich der Manager. Dass er nicht Informatik stu-
dierte, habe vor allem an seiner Freundin gelegen:
Die studierte in Osnabrück. „Und dort gab es nur
Elektrotechnik“, erinnert sich Bibelhausen mit ei-
nem Augenzwinkern.
Nach dem Studium kehrte er zunächst nach Bre-
men zurück und startete seine Karriere beim Schiffs-
zulieferer Aqua Signal. Anschließend verbrachte er
einige Jahre beim früheren Kabelhersteller Felten &
Guilleaume, die ihn unter anderem nach Wien führ-
ten. 1997 begann dann Bibelhausens erste längere
berufliche Station: Für mehr als 15 Jahre arbeitete er
direkt in der Nachbarschaft – bei einem Rivalen von
Weidmüller, dem Lemgoer Elektrotechnik-Hersteller
Phoenix Contact.
Bei Phoenix durchlief Bibelhausen mehrere Sta-
tionen, bevor er verantwortlich für das Automati-
onsgeschäft war. 2013 verließ er das Unternehmen,
nachdem man sich dort nicht einig über die zukünf-
tige Ausrichtung war. „Auch ich wollte mich weiter-
entwickeln, aber an diesem Punkt trafen – wie so oft


  • unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen
    Vorstellungen aufeinander“, erinnert sich Bibelhau-
    sen. So wechselte er zum Stuttgarter Antriebs- und
    Steuerungstechnikunternehmen Bosch-Rexroth und
    übernahm dort eine führende Position im Vertrieb.
    Der Region Ostwestfalen ist Bibelhausen dabei
    treu geblieben – ebenso wie seiner Freundin aus
    dem Studium, die er geheiratet und mit der er drei
    mittlerweile erwachsene Kinder großgezogen hat.
    „Meine Kinder sind alle hier in Detmold aufgewach-
    sen“, so der Wahl-Ostwestfale. „Meiner Frau und
    mir gefällt die Region mit ihren vielen kleinen Städ-
    ten in der Umgebung mittlerweile sehr gut.“ Auch
    wenn seine Frau, die seinerzeit als Ingenieurin im
    Luftfahrtbereich bei Airbus arbeitete, anfangs etwas
    skeptisch war.
    Pläne für einen baldigen Umzug hat Bibelhausen
    also nicht. Warum auch: Von seinem jetzigen Wohn-
    ort ist die neue Zentrale von Weidmüller gerade ein-
    mal vier Kilometer entfernt. Erst im vergangenen
    Jahr hat der Mittelständler am Hauptstandort in Det-
    mold den Bau einer neuen Zentrale fertiggestellt,
    um die digitale Transformation von Weidmüller
    auch architektonisch aufzufangen. Die Räume sind
    luftig eingerichtet, modulare Bürokonzepte mit ver-
    schiebbaren Wänden sollen kollaboratives Arbeiten
    erleichtern.
    Den Bau hatte bereits Bibelhausens Vorvorgänger
    Peter Köhler in Auftrag gegeben. Doch auch dem
    neuen Vorstandssprecher sind solche Kulturfragen
    wichtig. Als er sein Amt als Technologiechef bei
    Weidmüller im September 2018 antrat, schenkte er
    jedem Mitglied der Führungsmannschaft ein Buch
    von Microsoft-Chef Satya Nadella. Als der an die
    Spitze des Redmonder Softwareunternehmens
    wechselte, begab er sich zunächst auf die Suche
    nach der Seele des Unternehmens.
    „Ich habe gesagt: Das machen wir hier auch“, so
    Bibelhausen. „Wir müssen uns stärker vom reinen
    Verbindungstechnikhersteller zum Anbieter von
    Connectivity-Lösungen entwickeln. Wir wissen, wie
    man exzellent Schaltschränke baut – und können
    deshalb beraten.“ Dabei soll der durch den demo-
    grafischen Wandel zunehmende Fachkräftemangel
    für Rückenwind sorgen. „Mit Automatisierung kön-
    nen wir helfen, die vorhandene Arbeitskraft effizien-
    ter einzusetzen“, sagte der Manager. Dabei betrat
    Weidmüller zuletzt auch völlig neue Geschäftsfelder.
    Zum Beispiel in der Softwareentwicklung: Mit Mi-
    crosoft wollte das Familienunternehmen bei der
    Hannover Messe im April eigentlich seine komplett
    in Eigenregie entwickelte Machine-Learning-Soft-
    ware präsentieren, die sich auch auf Microsofts Azu-
    re-Cloud nutzen lässt. Sie soll es vor allem kleinen
    und mittleren Unternehmen ohne eigenes Personal
    für Big-Data-Analysen ermöglichen, Algorithmen et-
    wa für die vorausschauende Wartung von Maschi-
    nen selbst zu entwickeln. Mehrfach wurde das Un-
    ternehmen dafür bereits ausgezeichnet, unter ande-
    rem mit dem Deutschen Exzellenz-Preis 2020.
    Doch nach dem Ausbruch des Coronavirus wurde
    die Messe in den Juli verschoben. „Obwohl wir uns
    sehr darauf gefreut haben, im April unsere Kunden
    zu treffen und unsere neuesten Innovationen auf
    der Hannover Messe zu präsentieren, verstehen und
    unterstützen wir die Entscheidung der Deutschen
    Messe AG“, erklärte Bibelhausen.
    Betroffen von der Pandemie ist Weidmüller aber
    auch im operativen Geschäft. Deshalb hat der Kon-
    zern eine Taskforce eingerichtet, die die wesentli-
    chen Einflussfaktoren für das Familienunternehmen
    identifizieren und abmildern soll. „Wir beobachten
    die Entwicklung sehr sorgfältig“, so der Vorstands-
    sprecher. „In einigen Regionen wie Südamerika se-
    hen wir weiterhin eine stabile Entwicklung. Wir wis-
    sen aber nicht, was mit den Lieferketten passiert.
    Das ist ganz schwer vorhersehbar.“


Volker Bibelhausen


Suche nach der Firmenseele


Der frühere Bosch-Manager ist neuer Vorstandssprecher von Weidmüller. Er soll die Digitalisierung


bei dem Verbindungstechnikhersteller vorantreiben – und setzt dabei auf drahtlose Technologien.


Volker
Bibelhausen:
Neuer Vor-
standssprecher
bei Weidmüller.

Weidmüller

Wir wissen


nicht, was


wegen Corona


mit den


Lieferketten


passiert.


Das ist ganz


schwer


vorhersehbar.


Volker Bibelhausen
Vorstandssprecher
von Weidmüller

Familienunternehmen


des Tages


WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
60

Holger Raithel

Kultmarke Kahla in Nöten


V


or einem Monat noch war
Kahla-Retter Günther Raithel
auf der Frankfurter Ambien-
te-Messe für sein Lebenswerk ausge-
zeichnet worden. Der 79-Jährige be-
kam den renommierten Preis vom
„Tableware International Magazine“.
Nach der Wende hatte der ehemalige
Rosenthal-Vorstand 1994 die insol-
vente und marode Porzellanfabrik
Kahla in Thüringen gekauft und sa-
niert. Es gelang Raithel, Kahla Porzel-
lan zu einer internationalen Marke
aufzubauen, die mehr als 100 Design-

preise einheimste. „Design oder
Nichtsein“ – lautete seine Strategie.
Nun hat die ostdeutsche Kultfirma,
bekannt für ihr schlichtes weißes De-
sign, erneut Insolvenz anmelden
müssen. Holger Raithel, 48, der 2005
die Nachfolge seines Vaters antrat,
bleibt als Geschäftsführer an Bord
und soll die Sanierung in Eigenver-
waltung vorantreiben. Kai Dellit ist
als vorläufiger Sachwalter bestellt.
Grund für die finanzielle Schieflage
soll ein geplatzter Großauftrag für ei-
nen anderen Hersteller sein. Dafür
hatte die Porzellanfirma, die aus-
schließlich in Deutschland fertigt, ex-
tra neue Maschinen angeschafft, die
jedoch Probleme bereiteten. Seit der
Übernahme hat die Familie rund 35
Millionen Euro in die Firma investiert
und den Umsatz verdoppelt.

Der zuletzt kommunizierte Umsatz
lag 2016 bei 22,5 Millionen Euro. Kah-
la Porzellan schrieb 2017 jedoch ei-
nen Verlust von 2,9 Millionen Euro,
zeigt der Jahresabschluss im „Bun-
desanzeiger“. Kahla-Chef Raithel
schätzt indes die Sanierungschancen
als sehr gut ein. Alle 250 Mitarbeiter
sollen gehalten werden. „Unser Auf-
tragsbestand ist gut und liegt etwa 60
Prozent über Vorjahr“, sagte der Di-
plom-Physiker, der früher als Berater
tätig war. Unabhängig von dem finan-
ziellen Engpass werde Kahla als inno-
vatives Unternehmen wertgeschätzt.
Die deutsche Porzellanbranche
steht seit Jahrzehnten unter Druck.
Billiganbieter aus Asien überschwem-
men den Markt. 2009 war bereits
Wettbewerber Rosenthal aus Selb in-
solvent, auch weil der britische Eig-

ner Waterford Wedgwood pleiteging.
Im selben Jahr wurde Rosenthal an
den italienischen Besteck- und Koch-
topfhersteller Sambonet Paderno
verkauft. Die Staatliche Porzellanma-
nufaktur Meissen macht seit Jahren
Millionenverluste. Sie musste Ende
2019 ein Drittel von mehr als 600
Stellen abbauen. Katrin Terpitz

Gerd Chrzanowski: Er folgt auf
Schwarz-Chef Klaus Gehrig.

Duale Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn

Die Porzellanfirma aus
Thüringen ist insolvent, weil
ein Großauftrag wegbrach.
Der Chef sieht indes gute
Chancen für eine Sanierung.

Gerd Chrzanowski

Der neue starke


Mann bei Schwarz


Generationswechsel bei der
Lidl-Mutter. Der Chef der
Schwarz-Gruppe Klaus Gehrig
arbeitet ab sofort seinen
Nachfolger ein.

L


änger als ein Jahr war der
Wechsel vorbereitet worden.
Jetzt ist klar, wer Klaus Gehrig,
dem mächtigen Komplementär der
Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland),
nachfolgt: Gerd Chrzanowski, derzeit
noch Vorstandschef von Schwarz
Dienstleistungen, steigt an die Spitze
von Europas größtem Händler auf.
Der 71-jährige Gehrig arbeitet seinen
bisherigen Stellvertreter ab sofort
ein. Die Gesellschafter der Schwarz-
Gruppe stimmten diesem Weg ein-
stimmig zu, teilte das Unternehmen
am Donnerstagnachmittag mit.
Chrzanowski, Ende 40, ist ein Ei-
gengewächs des Familienkonzerns
aus Neckarsulm. In rund 20 Jahren
hat er sich in der Schwarz-Gruppe
hochgearbeitet. Seine Karriere starte-
te er Ende 2000 beim Discounter

Lidl. 2008 zog er in den Vorstand der
Handelskette ein. 2014 bekam er die
wichtige Aufgabe, die gruppenüber-
greifenden Dienste zusammenzule-
gen.
Im Frühjahr 2019 wurde Chrza-
nowski zum neuen Kronprinzen aus-
erkoren. Der Gesellschafterkreis rund
um Patriarch Dieter Schwarz bestell-
te ihn zum Stellvertreter Klaus Geh-
rigs. Das galt damals als Kulturbruch.
Denn Gehrig war es dank seines en-
gen Drahts zu Inhaber Schwarz ge-
wohnt, alles weitgehend allein ent-
scheiden zu können.
Der mächtige Komplementär Geh-
rig, der gern mit seinem Spitznamen
„Killerwal“ kokettiert, hat bereits vie-
le Topmanager im Konzern verschlis-
sen. Chrzanowski gelingt es nun,
Gehrig zu beerben. Offenbar hat er
sich das Vertrauen von Firmenpatri-
arch Dieter Schwarz erarbeitet.
Chrzanowski übernimmt von Geh-
rig ein gut bestelltes Haus, das aller-
dings einige offene Baustellen hat.
Die Gruppe machte 2018 mit
430 000 Mitarbeitern weltweit einen
Umsatz von 104 Milliarden Euro. Der
Marktführer wird jedoch von der
Konkurrenz verstärkt angegriffen.
„Wir hauen uns im Discount die Prei-
se um die Ohren, die Preisschlachten
sind kaum mehr zu toppen“, erklärte
Gehrig im vergangenen Mai. Zugleich
verliere das Unternehmen Kunden
an Rewe und Edeka, weil sie näher
am Kunden seien. Auch die Unter-
nehmenskultur hat Modernisierungs-
bedarf. „Wir haben den Menschen
das selbstständige Denken abge-
wöhnt“, lautete Gehrigs harsche
Selbstkritik damals.
Nachfolgerin von Chrzanowski an
der Spitze von Schwarz Dienstleistun-
gen wird Melanie Köhler, Ende 20,
seine bisherige Stellvertreterin. Eine
weitere Frau rückt im Schwarz-Reich
nach oben: Stephanie Griesbaum
wird stellvertretende Vorstandsche-
fin von Kaufland. Katrin Terpitz

Kahla-Chef Holger
Raithel: Der Unter-
nehmer will die Por-
zellanfirma aus der
Krise führen.

picture alliance / ZB

Familienunternehmen des Tages


WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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