Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1

  1. JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6 STREIT 11


n unserer Familie gibt es ein uraltes Spiel:
Baumarten bestimmen. Kinder, die bei einem
Waldspaziergang fünf Baumarten erkennen,
bekommen einen kleinen Preis.
Ich komme aus einer Familie der Forst- und
Landwirte, wir bauen Getreide, Obst und Wein
an, inzwischen in der 27. Generation. Unser
Stammsitz ist in Baden-Württemberg, in Sach-
sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern
haben wir ebenfalls Betriebe.
Als ich aufwuchs, habe ich Rüben gehackt
und Wein geerntet, heute helfen meine Kin-
der mit. In unserer Familie war das Ernte-
dankfest immer ein Höhepunkt im Jahr.
Doch hat sich der Bauernberuf stark gewan-
delt. Für meinen Großvater war der Auftrag
noch klar: möglichst viele und billige Lebens-
mittel. Schließlich litten die Menschen nach
dem Zweiten Weltkrieg an Armut und Unter-
ernährung. Heute wird uns vorgeworfen, die
Natur zu zerstören. 2017 kürte der Nabu den
Bauernpräsidenten Joachim Rukwied mit dem
Preis »Dinosaurier des Jahres« zum besonderen
Quertreiber beim Umweltschutz. Gleichzeitig
sparen die Deutschen bei Lebensmitteln so stark
wie kaum sonst jemand in Europa – sie wollen
ökologisch hergestellte Produkte, die dürfen
aber möglichst nichts kosten. Geiz ist geil.
Bezeichnend dafür ist eine Plakataktion der
Supermarktkette Edeka in Niedersachsen:
»Essen hat einen Preis verdient: den niedrigs-
ten« lautete der Slogan. Auch wenn Edeka
später von einem Missverständnis sprach,
reagierten die Landwirte mit Wut und blockier-
ten nachts das Großlager bei Oldenburg. Es ist
nicht das erste Mal, dass sich die Bauern weh-
ren: gegen mangelnde Wertschätzung für ihre
Produkte und gegen Schuldzuweisungen, sie
seien Umweltsünder. Schon bei Traktor-Stern-
fahrten in den vergangenen Wochen, bei
Mahnfeuern und bei Protesten am Rande der
CSU-Klausurtagung haben sie klargemacht:
Wenn die Deutschen wirklich Biolandwirt-
schaft wollen, muss sich eine Menge ändern.
Sonst gehen wir Bauern am Spagat zwischen
Ökonomie und Ökologie kaputt.
Ich frage mich: Wieso spricht man ausge-
rechnet uns Land- und Forstwirten, die wir
seit Generationen von der Natur leben, das
Interesse an einer intakten Umwelt ab? Kaum
ein anderer Berufsstand bekommt Natur-
ereignisse doch so stark zu spüren wie wir.




    1. 1990, 26. 12. 1999, 18. 1. 2007: Die
      Daten der drei Epochen-Stürme »Wiebke«,
      »Lothar« und »Kyrill« haben sich mir einge-
      brannt wie die Geburtstage meiner Kinder.
      Zu Zeiten meines Großvaters gab es solche
      Orkane alle fünfzig Jahre, inzwischen ereig-
      nen sie sich etwa alle acht Jahre. Dazwischen
      liegen Dürresommer. Der Klimawandel ist
      für uns Bauern längst Realität.
      Dass ich, wie viele meiner Kollegen, die
      Maßnahmen der Bundesregierung zur Öko-
      landwirtschaft trotzdem kri-
      tisch sehe, liegt daran, dass den
      Gesetzen oft die wissenschaft-
      liche Grundlage, uns Bauern
      die nötige Unterstützung und
      Verbrauchern das Wissen fehlt.
      Herbizide, Fungizide und
      Insektizide in der Biolandwirt-
      schaft zu verbieten, finden die
      meisten Menschen erst einmal
      gut. Was viele dabei vergessen:
      Bei Schädlingsbefall müssen
      Ökobauern ihre Pflanzen ein-
      fach sterben lassen. Deshalb
      sind ihre Erträge geringer.
      Während wir also mit konven-
      tioneller Landwirtschaft 8 bis
      9 Tonnen Weizen pro Jahr und
      Hektar ernten, wären es mit
      Biolandwirtschaft 4 bis 5 Ton-
      nen. Das macht eine Umstel-




lung – zumindest aus wirtschaftlicher Sicht


  • für uns unsinnig, zumindest so lange, bis
    viel mehr Menschen in Deutschland Bio-
    produkte kaufen.
    Unseren Wein bauen wir in Baden-Würt-
    temberg seit elf Jahren trotzdem ökologisch an.
    Gleich im ersten Jahr waren die Trauben von
    Mehltau befallen, wir konnten nichts dagegen
    tun. Inzwischen haben wir eine empfindliche
    Rosensorte zwischen die Reben gesetzt. Sobald
    die unter Mehltau leidet, wissen wir, dass wir
    uns besonders um unsere Reben kümmern
    müssen, und können sie mit den wenigen im
    ökologischen Landbau zugelassenen Mitteln
    behandeln. Die haben aber nur eine sehr be-
    grenzte Wirksamkeit. Deshalb kommen Miss-
    ernten im Ökoweinbau doppelt so häufig vor

  • was wir nur verkraften, weil sich unsere Wei-
    ne gut vermarkten lassen. Für besondere Gele-
    genheiten kaufen Menschen auch einmal einen
    Wein zu einem höheren Preis.
    Aus unserem Getreide werden dagegen All-
    tagsprodukte hergestellt – und da achten die
    Deutschen extrem aufs Geld. Für Lebensmittel
    wendeten sie einer Eurostat-Erhebung zufolge
    im Jahr 2018 nur 10,8 Prozent ihrer Konsum-
    ausgaben auf, damit sind sie eines der Schluss-
    lichter Europas. Trotzdem hat Deutschland
    besonders strenge Ökobestimmungen. Im
    Supermarkt steht neben dem deutschen Bio-
    produkt oft ein billigeres Konkurrenzerzeugnis
    aus dem Ausland. Und statt einer einheitlichen
    EU-Regelung, die wir Bauern dringend bräuch-
    ten, hat Brüssel ein Freihandelsabkommen mit
    Mercosur-Staaten wie Brasilien geschlossen –
    Länder, in denen mit Selbstverständlichkeit
    Pestizide und Herbizide verwendet werden.
    Das »Greening«, um ein weiteres Beispiel
    kontraproduktiver Agrarpolitik aus Brüssel zu
    nennen, verspricht uns Bauern eine Prämie,
    wenn wir fünf Prozent unserer Fläche brach
    liegen lassen oder dort nach Ernte der Haupt-
    kultur »Zwischenfrüchte« anbauen. Doch mehr
    Artenvielfalt ist mit Zwischenfrüchten kaum
    zu erreichen. Und auch Brachen helfen wenig,
    denn oft wählen Bauern dafür entlegene Flä-
    chen ihres Ackers mit schlechtem Boden aus.
    Insekten aber brauchen keine isolierten Bio-
    tope, sondern Strukturen, die sich wie ein
    Spinnennetz über die Landschaft ausbreiten.
    In Deutschland verliert zudem eine fünf
    Jahre nicht bearbeitete Fläche ihren Ackerstatus
    und wird nach dem geltenden Gesetz zu Dau-
    ergrünland. Die Folge ist eine starke Wertmin-
    derung. Im Norden unseres Landes kostet ein
    Hektar Ackerland 40.000 Euro, ein Hektar
    Grünland dagegen nur 10.000 Euro. Deshalb
    verwandeln die meisten Bauern ihre Brachen
    schnell in Ackerland zurück, zumal bei uns
    etwa 60 Prozent der landwirtschaftlich ge-
    nutzten Flächen nur gepachtet sind. Wer will
    schon einen Schadensersatzprozess am Hals
    haben, weil er Land zurückgibt, das durch
    blanken Idealismus viel weniger
    wert ist als zuvor.
    Der Berufsalltag von Land-
    wirten ist voller Regeln mit oft
    zweifelhaftem Sinn. In der 2017
    erlassenen Düngeverordnung
    etwa sind rote Gebiete ausge-
    wiesen, in denen die Nitrat-
    belastung im Grundwasser sehr
    hoch ist. Teile unseres Betriebs
    in Mecklenburg-Vorpommern
    liegen in so einem Areal. Die
    Folge: Auf einem Fünftel der
    Ackerfläche dürfen wir kaum
    noch Stickstoffdünger verwen-
    den. Auch ich bin für den
    Schutz des Grundwassers! Und
    natürlich muss man gegen
    Überdüngung vorgehen! Doch
    die Messstelle, aufgrund derer
    wir im roten Gebiet liegen, ist


ganze 5,3 Kilometer von unserem Hof entfernt


  • und 500 Meter von einer früheren DDR-
    Schweinemastanlage. Die Ursache für den hohen
    Nitratgehalt liegt also in einer Altlast der Ver-
    gangenheit – und auch wenn wir nun nicht mehr
    mit Stickstoff düngen: An der Nitratbelastung
    wird sich dadurch kaum etwas ändern.
    Landwirtschaft ist kompliziert; einfache
    Lösungen gibt es nicht. Eine einzige Entschei-
    dung auf dem Feld führt zu Kettenreaktionen
    in Boden, Wasser, Klima, Luft. Deshalb sollten
    wir differenzierte Diskussionen führen und
    sachkundige Lösungen finden, anstatt uns in
    emotionalen Debatten voller Vorurteile und
    Pauschalverdächtigungen zu verlieren.
    Eine weitere unbequeme Wahrheit lautet:
    Künftig wird in Deutschland wegen des bevor-
    stehenden Glyphosatverbots weniger Raps an-
    gebaut. Ohne Glyphosat wird es für Bauern
    schwierig, die bei der Ernte ausgefallenen Raps-
    körner im Sommer zu beseitigen, damit sie im
    September Weizen aussähen können, ohne dass
    erneut Raps keimt. Und gerade Raps ist aufgrund
    seiner Blühkraft die Lebensgrundlage von etwa
    der Hälfte aller Wildbienen in unserem Land.
    Dass es 1975 noch 900.000 landwirtschaft-
    liche Betriebe in Deutschland gab, heute laut


Statistischem Bundesamt nur noch 266.000 und
Prognosen zufolge 2040 bloß 100.000 übrig sein
werden, hat nicht nur wirtschaftliche Gründe. Es
liegt nicht nur an den niedrigen Preisen, die Land-
wirte in der Discount-Nation Deutschland für
Milch, Fleisch und Mehl bekommen. Es ist auch
der Eindruck fehlender Achtung, medialer Ver-
unglimpfung und wachsender Stadt-Land-Ent-
fremdung, der Landwirte den Mut verlieren lässt.
Ich wünsche mir, dass wir Bauern Teil der
Lösung sind. Zum Beispiel könnten wir gemein-
sam mit Forschern festlegen, wann der Einsatz
von Pflanzenschutzmitteln erlaubt ist, anstatt sie
ganz zu verbieten. Wir könnten Betriebe nach
ihrer CO₂-Bilanz zertifizieren. Sogar der CO₂-
Fußabdruck von Mehl und Schinken ließe sich
berechnen – und einpreisen! Produkte mit mi-
serabler CO₂-Bilanz wie Rinderfilet aus Argenti-
nien oder Flugmangos aus Chile sollten teurer
sein als Oktoberäpfel aus der Hohenloher Ebene.
Außerdem sollten wir über Aufforstung nach-
denken. Manche Böden in Nordostdeutschland
sind so sandig und trocken, dass sie sich eh kaum
für Landwirtschaft eignen. Wie wäre es, Bauern
dort nicht jahrzehntelang zu subventionieren,
sondern ihnen eine hohe Entschädigung zu zah-
len und ihre Flächen dafür aufzuforsten? Früher

war Deutschland voller Wald, und Landwirtschaft
ist, egal wie ökologisch, immer ein Eingriff in die
Natur. Und Wälder sind grandiose CO₂-Speicher.
Aber vor allem eine Frage treibt uns Land-
wirte um: Was genau erwartet ihr von uns?
Wenn wir künftig den Auftrag erhalten, für
Biodiversität und CO₂-Bindung, Artenvielfalt und
Gewässerschutz, Tierwohl und Insektenschutz zu
sorgen, sagen wir: Kein Problem, das kriegen wir
hin! Man sollte uns nur nicht in einen erratisch
geregelten Ökomarkt drängen, dem die wichtigs-
te Komponente fehlt: die Kunden. Zwar steigt der
Anteil der Menschen, die Bioprodukte kaufen –
aber nicht so, dass wir davon leben könnten. Bio-
produkte sind in Deutschland ein Nischenpro-
dukt, ihr Marktanteil lag 2018 bei rund fünf
Prozent. Selbst wenn dieser heute etwas gewachsen
sein mag, müssen die Konsumenten umdenken.
Eine Einpreisung ökologischer Folgekosten bei
Lebensmitteln könnte sowohl den Tieren als auch
den Bauern und dem Klima helfen.
Die Umwelt – und darüber brauchen wir
gesellschaftlichen Konsens – lässt sich nicht
zum Nulltarif retten. Wir Bauern können Bio,
aber unsere Leistung hat auch einen Preis.

Aufgezeichnet von Verena Friederike Hasel

Kraft Prinz zu
Hohenlohe-Oehringen ist
Landwirt in 27. Generation.
Er betreibt im Hohenlohe-
kreis bei Heilbronn, in
Sachsen-Anhalt und Meck-
lenburg-Vorpommern land-
und forstwirtschaftliche
Betriebe und Weinbau

LASS MICH AUSREDEN


Geiz


schmeckt


nicht geil


Die Deutschen wollen möglichst viele Bio-Lebensmittel –
und möglichst wenig dafür bezahlen. Das geht nicht.
Deswegen auf die Bauern zu schimpfen ist verlogen
VON KRAFT PRINZ ZU HOHENLOHE-OEHRINGEN

I


Grafik: DZ; Foto: privat

Am16.Januar2020verstarbunsere

StellvertretendeChefredakteurinderSpotlight-Redaktion

ClaudineWe ber-Hof


imAltervon49Jahren.

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