Ich möchte etwas über die Liebe unserer Tochter Juli zu bestimm-
ten Puppen schreiben. Aber zunächst eine Frage: Kennt noch je-
mand den Horrorfilm-Klassiker Die Körperfresser kommen von
1978? Der geht so: Außerirdische unterwerfen die Welt, indem
sie sich menschlicher Körper bemächtigen. In einer Schlüsselszene
stellt jemand eine seltsame Knospe in einem Wasserglas auf sei-
nen Nachttisch und schläft ein, nicht ahnend, dass in der Blüte
ein Alien-Organismus steckt, der über Nacht seinen Körper fressen
wird. Ein unheimlicher Film.
Juli also sagte mir eines Tages: »Ich möchte eine L.O.L.-Puppe.«
Ich wusste nicht, was eine L.O.L.-Puppe ist, Juli aber schon: »Eine
L.O.L. kann alles, die kann Wasser trinken, und die kann ihre Farbe
ändern, und sie hat ganz tolle Haare.« Ich dachte, dass Juli bald auf-
hören würde, von der Puppe zu sprechen. Sie hatte sich ja schon
einen Hund und ein Pferd gewünscht und sich auch damit abge-
funden, dass sie die nicht bekommen hatte. Aber Juli hörte nicht
auf, von »der L.O.L.« zu sprechen. In ihrer Klasse hätten alle Mäd-
chen L.O.L.-Puppen. Ich informierte mich im Internet und sah,
dass L.O.L.-Puppen eigentlich »L.O.L. Sur prise Dolls« heißen und
seit einiger Zeit das große Ding bei kleinen Mädchen sind. Es gibt
sie mit extra langen Haaren, große Puppen, kleine Puppen, man-
che können sogar die Hautfarbe wechseln. Es gibt auch ein L.O.L.-
Puppenhaus. Meine Frau und ich einigten uns darauf, dass wir Juli
eine L.O.L. zu Nikolaus schenken, statt Schokolade. Ich war sehr
überrascht, dass diese Puppen in großen Plastikkugeln überreicht
werden, die mit Folie verschweißt sind. Und allerlei Zubehör dabei-
haben, das wiederum in Folie verpackt ist. Alle Verpackungen sind
sehr, sehr rosa. Für Eltern, die sich aufgeklärt wähnen, ist es schwer
erträglich. Die Puppe an sich ist allerdings erstaunlich: ein Kopf,
breit wie ein Kürbis, mit Augen, groß wie Spiegeleier. Der Mund,
winzig klein, liegt zwischen den Augen. Der Körper darunter er-
innert an einen Wurmfortsatz. Ich habe gelesen, dass Eltern in den
USA protestiert haben, weil die männlichen L.O.L.-Puppen Penisse
haben. Der Hersteller verteidigte sich, die Puppen seien eben »ana-
tomisch korrekt«. Ich muss sagen, dass dies wohl der einzige anato-
misch korrekte Körperteil ist. Eigentlich sieht diese Puppe gar nicht
menschlich aus. Eher wie ein Alien.
Trotzdem beherrscht sie mittlerweile unseren Alltag. Die L.O.L. ist
überall dabei und wird ständig umsorgt. Manchmal weint Juli, weil
ein winziger Plastikschuh, fingernagelgroß, der bei der L.O.L. mit-
geliefert wurde, verloren ist. Dann hat die L.O.L. gar keine Schuhe
mehr, und die ganze Familie sucht mit einer Eile, wie man sonst nur
die Schuhe sucht, die Juli vor der Schule vermisst. Zwei Wochen
später hatte Juli eine weitere L.O.L., sie hat sie von ihren Geschwis-
tern geschenkt bekommen, dann kam noch eine L.O.L. dazu, ich
weiß nicht, woher. Dazu drei L.O.L.-Minipuppen. Vielleicht haben
die großen Babys bekommen. Wenn wir am Tisch sitzen und essen,
dann sind die L.O.L.s mit dabei. Jeden Abend, wenn Juli ins Bett
geht, müssen erst die L.O.L.s ins Bett gebracht werden. Jede einzeln.
Manchmal kann Juli schlecht schlafen und kriecht ins Bett der El-
tern. Dann kommen die L.O.L.s mit. Juli baut sie neben unserem
Bett auf. Vielleicht sind sie ja doch Aliens, denke ich dann. Und die
L.O.L.s starren mich mit großen Augen vom Nachttisch aus an und
warten, bis ich einschlafe. Zum letzten Mal.Prüfers Töchter MEINE 6-JÄHRIGEJuli ist 6 Jahre alt. Ihr Vater Tillmann Prüfer schreibt hier
im wöchentlichen Wechsel über sie und seine
anderen drei Töchter im Alter von 2 0, 14 und 12 Jahren»Ich will eine
L.O.L.-Puppe«
Illustration Aline Zalko45