Frau Randall, Sie sind 2009 bei der Esa
im Auswahlverfahren als Astronautin
gescheitert. 2016 haben Sie sich bei der
privat finanzierten Initiative »Die As-
tronautin« beworben und wurden erst
auch nicht genommen. Wie haben Sie
die Ablehnungen verkraftet?
Bei der ersten Auswahl habe ich die Tests
auf die leichte Schulter genommen, des-
wegen war ich nach der ersten Runde
schon raus. Ich habe gedacht, dass ich
es entweder schaffe oder eben nicht. Im
Nachhinein hat mich das sehr geärgert,
aber nicht aus der Bahn geworfen. Es war
eine verpasste Chance. Beim zweiten Mal
habe ich gar nicht damit gerechnet, weit
zu kommen. Es hatten sich 400 Frauen
beworben, und plötzlich war ich unter den
letzten sechs. Von denen mussten zwei aus-
gewählt werden, und ich war eben nicht
dabei. Das war hart, weil ich so nah an
meinem Kindheitstraum dran gewesen
war. Ich habe damals erlebt, wie in der
Sekunde, als die ausgewählten Trainees
bekannt gegeben wurden, alle Kameras
umschwenkten und ich von einer Sekunde
auf die nächste nicht mehr wichtig war.
Mit der Entscheidung umzugehen war
schwer, obwohl ich gesehen habe, dass es
viele Gründe dafür gab.
Haben Sie eine Krise erlebt?
Ich hatte echte Albträume danach. Fast
noch schlimmer war, dass mich alle ständig
gefragt haben, was denn schiefgelaufen sei.
Das war zwar nett gemeint, aber auch wahn-
sinnig zermürbend. Ich wollte eigentlich
nur mit der Sache abschließen und wurde
die ganze Zeit wieder damit konfrontiert.
Da habe ich mir gesagt: Ich muss hier raus
und weg von allen, die davon gehört ha-
ben. Ich bin ganz spontan mit einem guten
Freund für ein paar Wochen nach Viet nam
in Urlaub gefahren, um nicht verschlungen
zu werden. Es war meine Rettung, dass ich
dadurch wirklich Abstand gewinnen konn-
te. Als ich wiedergekommen bin, ging es
wieder halbwegs, weil ich die Zeit gehabt
hatte, es zu verarbeiten. Ich konnte mir
dann auch sagen, dass ich als Finalistin der
Auswahl immerhin den Stempel bekom-
men hatte: »als Astronautin geeignet«.
Und dann sind Sie nachgerückt, weil
eine der zwei ausgewählten Kandida-
tinnen ausgestiegen ist. Was empfanden
Sie, als Sie davon erfahren haben?
Mein erster Gedanke war, dass das hoffent-
lich kein Witz ist. Ich hatte sechs Monate
gebraucht, um mit der Ablehnung fertig-
zuwerden, und mich nach Japan versetzen
lassen. Dort saß ich in einem Großraum-
büro, als auf einmal die E-Mail mit der
Nachricht kam. Ich habe vor Freude ge-
jauchzt, sodass mich alle angestarrt ha-
ben. Dabei war zu dem Zeitpunkt noch
gar nicht sicher, ob ich tatsächlich doch
in das Programm aufgenommen würde.
Es hat noch mal fünf oder sechs Wochen
gedauert, bis ich die Gewissheit hatte. In-
zwischen habe ich so viel Übung mit der
Unsicherheit, dass mich das nicht mehr so
aus der Bahn werfen kann. Wenn es so sein
sollte, dass ich am Ende doch nicht fliege,
werde ich damit auch fertigwerden.Nur eine der zwei Ausgewählten darf
fliegen, Sie könnten die erste deutsche
Frau im All sein. Warum hat Deutsch-
land bislang elf Männer im Weltraum
gehabt, aber noch keine einzige Frau?
Es gibt im internationalen Vergleich in
Deutschland einfach wenige Frauen in
naturwissenschaftlich-technischen Berufen.
Das muss an den Rollenmodellen liegen,
aber wohl auch daran, dass wir keine
positive Diskriminierung hinbekommen.
Die Nasa hatte in den letzten beiden Aus-
wahlverfahren 50 Prozent Frauen, einfach
deshalb, weil sie das vorgegeben hat. Es
braucht Frauen, die auf unkonventionel-
lem Weg oder eben über eine Quote in die
eta blier ten Strukturen hineinkommen.
Als Doktorandin waren Sie in Mont-
real und sind dort auch in eine reine
Männer welt hineingeraten. Wie waren
damals Ihre Erfahrungen?
Montreal war schwierig, so zial gesehen.
Ich war nicht nur die einzige Frau, son-
dern ich war auch die Einzige, die nicht
von dort kam und nicht besonders gut
Französisch sprach. Und ich war da in
einem französischsprachigen Büro, wo
eben fünf Kerle saßen, die mich nicht
ernst nahmen. Es kamen immer wieder
halb scherzhafte Bemerkungen nach dem
Motto: Was will die denn hier? Ich hatte
Glück mit meinem Doktorvater, der über-
haupt nicht so war und mich immer sehr
aufgebaut hat. Mit der Promotion habe
ich dann auch gezeigt, was ich kann. Seit-
dem habe ich viel weniger das Gefühl,
mich beweisen zu müssen.
Glauben Sie, dass Sie den absoluten Biss
für das haben, was Sie erreichen wollen?
Wenn es darauf ankommt, kann ich mich
zusammenreißen. Ich möchte aber niemals
verbissen auf ein Ziel hinarbeiten und ver-
suche immer im Blick zu behalten, dass es
nicht das Ende des Lebens ist, wenn etwas
nicht klappt. Ich habe Sachen gemacht,
von denen ich niemals geglaubt hätte, dass
ich sie mal mache, und versuche, nicht alles
im Hinblick darauf zu sehen, ob es mir da-
bei hilft, in den Weltraum zu fliegen. FotoHerlinde KoelblDie angehende Astronautin trat eine Reise an, um eine Niederlage verkraften zu können
Das war meine Rettung SUZANNA RANDALL
Suzanna Randall, 40, ist Astrophysike-
rin an der Europäischen Südsternwarte
(ESO) und absolviert gerade das
Training zur Astronautin in einer privat
finanzierten Stiftung. 2 021 könnte
sie als erste deutsche Frau ins All fliegenDas Gespräch führte Herlinde KoelblIm nächsten Heft: Der Bestsellerautor Peter Wohlleben über seine Hoffnungen trotz Klimakrise.
Und unser Fotokolumnist Jake Reinhart über das Schicksal des Stahlwerks in Pittsburgh, in dem sein Großvater arbeitete
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