Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1

IRGENDWAS IST JA IMMER


Menschen, die das Zeug zur Lichtgestalt haben, treffen
auf ihrem Weg ins Helle irgendwo und irgendwann
auf jemanden, der, eher zufällig als geplant, zu ihnen
kommt, ideal zu ihnen passt – und dann bleibt: ihren
Schattenmann. Oder, wie im Fall von Angela Merkel
und Beate Baumann, ihre Schattenfrau. Diese Schat-
tenwesen verwachsen mit den Jahren oft symbiotisch
mit ihrer jeweiligen Lichtgestalt. Lange Zeit kennt die
Öffentlichkeit sie kaum, ihr Einfluss aber ist immens:
Sie sind wichtigster Organisator und zentraler Ideen-
geber, erster Sparringspartner und offenster Kritiker.
Wenn sich alle Türen hinter einer Lichtgestalt schlie-

ßen, bleibt der Schattenmann bei ihr. Sonst wäre er ja
nur ein gewöhnlicher Berater.
Wenn Schattenwesen, aus welchen Gründen
auch immer, plötzlich selbst ins Licht treten oder ge-
treten werden, sind sie irgendwann entweder Bun-
despräsident oder Trainer bei Bayern München.
Nicht immer, aber es passiert schon mal.
Bei Frank-Walter Steinmeier, dem langjährigen
Schatten von Gerhard Schröder, war Ersteres der Fall.
Bei Hansi Flick das Zweite, etwas Besonderes kommt
aber bei ihm noch hinzu: Flick war Schattenmann von
Jogi Löw, der zuvor seinerseits der Lichtgestalt Jürgen

Klinsmann auf Schritt und Tritt folgen musste. Auf
seinem Weg ins Helle hat der Schattenschattenmann
Flick zwar alles Unbeleuchtete verloren, nicht aber das
»i« am Ende seines Vornamens. Eine Lichtgestalt na-
mens Hansi? Gibt’s allenfalls in Österreich oder dem
Musikantenstadl, was aber mitunter dasselbe ist. Flick
muss schon Deutscher Meister werden und die
Champions League gewinnen, damit aus dem Hansi
doch noch ein Hans wird. Vielleicht.
Unsere Zuneigung gilt aber nicht den Ehrgeizlin-
gen unter den Schattenwesen, sondern jenen, denen
ihr Dasein im Dunklen eine so helle Freude ist, dass

LIEBE


Eine Lichtgestalt namens Hansi? Welche Schattenmänner besonders hell strahlen VON PETER DAUSEND


Peter Dausend
ist Politischer
Korrespondent
im Hauptstadt-
büro der ZEIT

Das ging aber daneben! Unser
Kolumnist Ulf Poschardt über
einen Twitter-Tiefpunkt der Woche

Es gibt eine Form von Rassismus und Islamhass,
die die jüdische Sache instrumentalisiert, um sie
über Bande fürs eigene Ressentiment zu nutzen.
Die AfD tut israelfreundlich und hat auch eine
jüdische Feigenblatt-Abteilung; aber sie duldet
offene und verdeckte Antisemiten. Björn Höckes
»erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad« ist
dabei ebenso Programm wie Gaulands »Vogel-
schiss« der Geschichte. Der Tweet des baden-
württembergischen Landtagsabgeordneten Stefan
Räpple zeigt, dass dieser undialektische Patriotis-
mus der AfD weder etwas vom Dichten und
Denken verstanden hat noch von der Verantwor-
tung, die uns die deutsche Geschichte und der
Zivilisationsbruch der Schoah aufgegeben haben.
Dass die Partei von Diplomatie nichts versteht,
sieht man daran, dass sie den dünnen Grat ver-
kennt, auf dem Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier bei seiner Rede in Jad Vaschem balan-
cierte. Wer von der Größe seines Landes auf die
kindliche Illusion einer Schuldfreiheit oder gar
Fehlerfreiheit schließt, verzwergt sich im Naiven.
Wer die Verantwortung für historische Schuld
»deutschen Selbsthass« nennt, darf in diesem Land
nie Verantwortung übernehmen und sollte von den
Schalthebeln der Macht Lichtjahre entfernt bleiben.
Die AfD ist keine konservative Partei, weil sie
kein Verständnis für die eigenen Geschichte hat
und auch keine Idee davon, was daran erhaltenswert
ist. Ihr Deutschsein ist ein schwarz-rot-goldenes
Make-up über der eitlen Fratze einer Person, die
ihren Pass mit einem Diplom verwechselt. Bei
ihrer Klientel mag das ankommen – in einer ak-
tuellen Umfrage wünschen sich fast drei Viertel
aller AfD-Wähler einen Schlussstrich unter die
Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen. Es
sind zittrige Patrioten, die eines nicht wissen:
Gerade unsere Fähigkeit, zu lernen und an histo-
rischem Verbrechen zu wachsen, ist Ausweis von
Souveränität und Selbstachtung.
Der Antisemitismus wächst nicht nur am
rechten Rand. Er wuchert links mit Israel-
Boykottierern und getarnt als »Israelkritik«. Er
wächst in islamistischen Freitagspredigten – und
in der Mitte, wie zuletzt mit einem skandalösen
Tagesschau-Kommentar, der unterstellte, die Is-
raelis würden das Gedenken an die Auschwitz-
Befreiung als »Privatparty« instrumentalisieren.
Deutschlands Barbarei zwischen 1933 bis 1945
war beispiellos. Wir machen uns zum zweiten
Mal schuldig, wenn wir Geschichtsrevisionismus
und Antisemitismus nicht als das bekämpfen, was
es ist: die Rückkehr in die Schande. Für uns alle.

VERTWITTERT

Super, Ma r io!


Ex-EZB-Chef Draghi erhält das Bundesverdienstkreuz – und zwar völlig zu Recht VON MARK SCHIERITZ


Tatort Mettenheim, Oberbayern. Einen Aufruf zum Angrapschen sahen Kritiker in diesem
Kommunalwahl-Plakat der Jungen Union. Es verschwand schnell wieder. Die Kreisvorsitzende der
JU kommentierte ihm hinterher: »Mir wäre ein knackiger Männerhintern lieber gewesen.«

Foto (Ausschnitt): Markus Honervogt

@StefanRaepple

Wenn #Steinmeier nicht die Sprache der #Deutschen
sprechen will, soll er sich auch nicht von den deut-
schen #Steuerzahlern
alimentieren lassen.
#Deutsch ist die #Sprache der #Dichter und #Den-
ker!
Dieser #deutsche #Selbsthass ist zerstörerisch!

getwittert am 26. Jan. 2020 um 13.20 Uhr

60
ZEILEN
...

D


Ulf Poschardt ist
Chefredakteur
der Welt- Gruppe.
An dieser Stelle
schreibt er im
Wechsel mit
Anja Reschke,
der Moderatorin
der ARD- Sendung
»Panorama«

Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit

sie gar nicht ans Licht drängen müssen. Unsere Zu-
neigung gilt Personen wie Gerd Hoofe.
Vor 17 Jahren, 2003, trat Hoofe ins Arbeitsleben von
Ursula von der Leyen – und von dort auf kürzestem Weg
in ihren Schatten. Er wurde ihr Staatssekretär im Sozial-
ministerium in Hannover und folgte seiner Lichtgestalt
ins Familien-, ins Arbeits- und ins Verteidigungsressort
in Berlin. Nun ist aber das Licht so schnell nach Brüssel
gerast, dass der Schatten nicht mehr hinterkam. Hoofe
räumt nun auf, was von der Leyen liegen ließ. Das hat
Größe. Schade nur, dass man Schattenmänner nicht
mehr sieht, wenn das Licht aus ist.

as Bundesverdienstkreuz ist eine
Auszeichnung für diejenigen, »de-
ren Wirken zum friedlichen Auf-
stieg der Bundesrepublik Deutsch-
land beiträgt«. So steht es in einem
von Theodor Heuss und Konrad
Ade nau er formulierten Erlass aus
dem Jahr 1951. Was da nicht steht:
Das Bundesverdienstkreuz erhält,
wer dafür sorgt, dass die Sparer
möglichst hohe Zinsen bekommen.
Womit wir beim Thema wären. Denn seit klar
ist, dass Mario Dra ghi – bis zum Herbst des vergan-
genen Jahres Präsident der Europäischen Zentral-
bank – am Freitag dieser Woche den höchsten deut-
schen Verdienstorden erhalten soll, reißt die Kritik
nicht ab. Der FDP-Finanzexperte Florian Toncar
hält die Entscheidung für »nicht nachvollziehbar«.
Und aus der Sicht von CSU-Generalsekretär Markus
Blume ist die Auszeichnung kaum »das richtige Si-
gnal an die deutschen Sparer«.
Das mag so sein. Aber Dra ghi wird nicht für seine
Leistungen als Sparkassendirektor geehrt, sondern
für sein Wirken als Notenbankchef. Der wiederum
ist für das Wohlergehen der gesamten Wirtschaft zu-
ständig. Und da liefert Dra ghis Bilanz gerade aus
deutscher Perspektive durchaus Anlass zur Ehrung.
Der Italiener führte die EZB von 2011 bis 2019. In
dieser Zeit ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt

um knapp 30 Prozent gestiegen, die Zahl der Be-
schäftigten um dreieinhalb Millionen, das Lohn-
niveau um knapp 20 Prozent. Die staatliche Schul-
denquote dagegen ging um 18 Prozentpunkte zu-
rück, der Haushalt ist ausgeglichen und die Inflati-
onsrate heute niedriger als zu Zeiten der D-Mark.
Der überwiegenden Mehrheit der Deutschen geht es
wirtschaftlich betrachtet besser als vor acht Jahren.
Gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen
dürfte der Aufschwung am Arbeitsmarkt erheblich
wichtiger sein als die Flaute auf den Sparkonten. Die
ärmsten 40 Prozent der Bundesbürger haben näm-
lich praktisch kein Vermögen, das sie sparen könn-
ten. Um ein Zitat von Helmut Schmidt abzuwan-
deln: Fünf Prozent mehr Lohn sind da wichtiger als
fünf Prozent mehr Zins.
Der Aufschwung ist natürlich nicht allein das Ver-
dienst von Mario Dra ghi. Aber klar ist auch: Wenn er
sich nicht mit viel billigem Geld gegen die Krise ge-
stemmt hätte, dann wäre die deutsche Wirtschaft in
einem schlechteren Zustand. Man kann jedenfalls nicht
einerseits Dra ghi für das Leid der Sparer verantwortlich
machen und andererseits argumentieren, seine Politik
habe keinen Einfluss auf die ökonomischen Rahmen-
bedingungen in Deutschland.
Nun ist der von Mario Dra ghi eingeschlagene
Kurs des Nullzinses und der Anleihenkäufe sicher
nicht frei von Risiken – welche politische Richtungs-
entscheidung ist das schon. Vielleicht entpuppt sich

der Boom irgendwann als gewaltige Blase, die platzt.
Bislang gibt es dafür allerdings wenige Indizien. Eher
deutet vieles darauf hin, dass die Europäer die
schwerste Wirtschaftskrise ihrer Geschichte hinter
sich gelassen haben und ökonomisch besseren Zeiten
entgegensehen. Selbst in Griechenland geht die Ar-
beitslosenquote inzwischen zurück.
Diese Wende hat Mario Dra ghi maßgeblich her-
beigeführt, indem er auf dem Höhepunkt des Schla-
massels im Jahr 2012 die hypernervösen Finanzmärk-
te mit der Ansage beruhigte, er werde »alles« tun, um
die Wäh rungs union zu retten. Dra ghi musste damals
eingreifen, weil sich die Regierungen der Euro-
Länder nicht auf entschlossene Maßnahmen zur Ab-
wehr der Krise verständigen konnten, was übrigens
nicht zuletzt am Widerstand von CSU und FDP lag,
die glaubten, ihren Anhängern dies nicht vermitteln
zu können. Wenn Dra ghi das Notwendige nicht ge-
tan hätte, dann gäbe es die Wäh rungs union heute
wahrscheinlich nicht mehr. Gegen die ökonomischen
und geostrategischen Verwerfungen, die das Schei-
tern eines der zentralen europäischen Integrations-
projekte mit sich gebracht hätte, sind die Zinseinbu-
ßen der deutschen Sparer – Verzeihung! – Peanuts.
Man muss nicht alle Entscheidungen gut finden,
die Mario Dra ghi bei der EZB getroffen hat – aber
dass er »zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik
Deutschland« beigetragen hat, daran besteht kein
Zweifel. kl. Fotos: Martin U. K. Lengemann/WELT; Urban Zintel für DIE ZEIT (u.)

In dem Artikel »Ein bisschen Mutter geht nicht«
in der vorigen Ausgabe hieß es, das Kind eines
lesbischen Ehepaares komme in »staatliche
Obhut«, sollte der gebärenden Mutter etwas
zustoßen. Das ist falsch. Das Kind bekäme einen
staatlichen Vormund. Wir bedauern den Fehler.

Berichtigung


12 STREIT 30. JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6

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