FEUILLETON 55
Wandelt nach fünf
Studioalben mit K.I.Z.
nun auf Solopfaden
und tief in sein Inneres:
Tarek Ebéné, hier in
in einem seiner
Musikvideos, geschnürt
in eine Designer-
ZwangsjackeFotos: Sharon Cronin; picture alliance (r.)Jetzt wird
niedergebrannt
Brachiale Beats und Liedtexte wie düstere Gemälde: Der Rapper
Tarek K.I.Z. veröffentlicht mit seinem Debüt »Golem« die Platte
der Stunde – oder sogar des Jahres VON JURI STERNBURGD
ie dringlichste Figur der
deutschen Musikland
schaft ist dieser Tage eine
jüdische Kreatur aus
Lehm. Der Golem, der
erstmals im Buch Sefer
Jetzira, einem wichtigen
Werk der Kabbala, erwähnte Superheld. Vom
Menschen wird er mit hebräischer Buchstaben
mythik als Leibwächter und Kettenhund be
schworen, der sich aus Träumen und Trauma
ta seines Herrn speist. In der Popkultur taucht
der Golem in der MysterySerie Akte X oder
bei den Simpsons auf, und auch in der Literatur
ist er allgegenwärtig. Von Gustav Meyrink bis
Terry Pratchett oder Marge Piercy nutzten
Autoren und Autorinnen das Motiv des ma
gischen Monstrums. Dabei ist der spannende
Aspekt des Golems stets, dass sich das Ge
schöpf gegen seinen Schöpfer wendet.
Im vorliegenden Fall heißt der Schöpfer
Tarek Ebéné, ein Rapper und Sänger, der seit
Jahren im Verbund mit seiner Band K.I.Z zu
den Erfolgreichsten und Einflussreichsten der
Branche gehört. Und zu den ultimativen Weg
weisern des ironisch versierten Deutschrap:
Mit Vorliebe zelebriert die Gruppe das Spiel
mit den Grenzen des Humors. Doch wenn der
erste Beat seines diese Woche erscheinenden
Soloalbums Golem einsetzt und man Tareks
vom AudioEffekt Autotune leicht verzerrte
Stimme singen hört: »Mein Kollege fragt
mich: Tarek, na wie geht’s? / Jede Menge
Rechnungen, und mein Vater hat Krebs«,
dann weiß man: Hier endet der IronieRaum,
in dem es sich bisher so gemütlich verweilen
ließ. Jetzt geht es an die Substanz.
Mit nicht einmal Mitte 30 sind Tarek
Ebéné und die anderen beiden Bandmitglie
der Nico Seyfrid und Maxim Drüner seit be
reits 20 Jahren gemeinsam als K.I.Z. unter
wegs. Einige sehen die Band in der Tra di tion
des verstorbenen Ak tions künst lers Christoph
Schlingensief. Andere drehen sich angewidert
weg, beispielsweise wenn Oliver Polak, Ko
miker und Sohn eines SchoahÜberlebenden,
die Hauptrolle in ihrem Video Ich bin Adolf
Hitler übernimmt, in dem es heißt: »Baby, du
weißt, wenn ich mit meinem Finger schnipse
/ Stehst du plus zwei auf Schindlers Liste«. In
ihren Texten wechseln sich marxistische Ana
lysen mit dadaistischem Nonsens ab. Bei ih
ren Konzerten vor mittlerweile 30.000 Leu
ten hält die Band, die ihren Anfang in den
besetzten Häusern Berlins fand, in militä
rischer Einheitskleidung und vor monströsen
Statuen ihrer selbst den Kritikern entgegen:
»Es liegt an eurem geistigen Fassungsvermö
gen / Wenn ihr bei K.I.Z nicht lacht, ihr
Amöben«. Weil sie sich in einem ihrer Songs
ausmalen, wie es wohl wäre, wenn Pippi
Langstrumpf auf so was wie die Rütlischule
ginge (»Ich rasiere mein Äffchen und lass es
anschaffen / Tret so lange auf dein’ Kopf, bis
vier und drei acht machen«), nennt sie die
Bild-Zeitung, wo man offensichtlich weder
lyrisches Ich noch Rollenprosa kennt, bevor
zugt »HassRapper«. Man kann nicht gerade
behaupten, dass dies der Band geschadet hat.
Ganz im Gegenteil: Mehrere Hundert Mil
lionen Mal wurden ihre Songs bei You Tube
und Spotify abgerufen.
Golem ist nun das erste Soloalbum aus
dem K.I.ZKosmos, und es ist ein Paradebei
spiel für ein Werk, das sich irgendwann mit
voller Wucht gegen den Schöpfer richten
könnte. Ob in der dystopischen Eröffnungs
ballade Ticket hier raus, in der er lethargisch
zynisch über die kleinen Glücksmomente des
Alltags rappt (»Wieder mal springt irgendje
mand auf das Bahngleis / Und der Rest von
uns kann später zur Arbeit«), oder in Kaputt
wie ich, wo er feststellt: »Ich bin in schlechter
Gesellschaft, wenn ich alleine bin« – immer
wieder geht es um innere Dämonen und die
Flucht vor ihnen. Der ein oder andere Fan, so
konnte man es im Internet lesen, zeigte sich
Gudrun Pausewang
* 3. März 1928
† 23. Januar 2020Durch Romane wie »Die Wolke« und »Die
letzten Kinder von Schewenborn« wurde
Gudrun Pausewang zur deutschen Stimme
einer engagierten Jugendliteratur. In ihren letz-
ten Lebensjahren schrieb sie nicht mehr, gab
keine Interviews. Anlässlich ihres 90. Geburts-
tags beantwortete sie aber im Januar 2018
ZEIT-Redakteurin Katrin Hörnlein schrift-
lich einige Fragen für ein Porträt – dieses
Interview veröffentlichen wir hier erstmals.DIE ZEIT: Frau Pausewang, glauben Sie, dass
Bücher heute noch etwas verändern können?
Gudrun Pausewang: Ja! Und wie! Vorausgesetzt,
dass es weiterhin Bücher gibt ...
ZEIT: Warum sollten Kinder lesen?
Pausewang: Um die Welt kennenzulernen. Mit
all ihren Gefahren und Gegensätzen, aber auch
mit ihrer heiteren Seite. Ich habe als Kind sehr
abgeschieden gelebt, 1,5 Kilometer vom nächs
ten Dorf entfernt. Das meiste, was ich über die
Welt wusste, wusste ich aus Büchern.
ZEIT: Es gibt derzeit viele Jugendromane zu ak
tuellen politischen Themen: Flucht, Rassismus,
Klimawandel ...
Pausewang: Ich wün
sche mir noch viel
mehr Bücher über
die Themen der Ge
genwart. Sie müssen
aber auch spannend
sein und so geschrie
ben, dass sie von
Kindern verstanden
werden.
ZEIT: Sie selbst ha
ben warnende Bü
cher verfasst: gegen
den Krieg, für mehr
Umweltschutz. Frus
triert es Sie, dass diese Themen immer noch
aktuell sind?
Pausewang: Der Mensch ist eben so. Er lernt zu
langsam und ist unzuverlässig. Aber ich glaube,
dass einige begriffen haben, dass wir uns ändern
müssen, möglichst schnell.
ZEIT: Als Mädchen war Hitler für Sie eine Art
Vorbild. Welche Verführungen sehen Sie für
Kinder und Jugendliche heute?
Pausewang: Eine Bedrohung aus ungezügeltem
Materialismus und Medienkonsum. Das be
täubt uns, stumpft uns ab.
ZEIT: Und worum beneiden Sie die Jugend?
Pausewang: Um ihre Selbstständigkeit und all
die Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Gleich
zeitig ist aber ein wahnsinniger Leistungsdruck
entstanden, sie haben kaum Zeit zum Spielen.
Und das Gymnasium ist zum Statussymbol ge
worden. Ein Akademikervater mit einem
Hauptschulsohn? Kaum vorstellbar!
ZEIT: Wenn Sie doch noch ein letztes Buch
schreiben könnten, was wäre ein Thema?
Pausewang: Nie wieder Krieg! Ich würde es so
angehen: Ein Lehrer erzählt seiner Klasse von
Zehnjährigen: »Vor Hunderten von Jahren leb
ten auch schon Menschen auf der Erde. Und
wenn sie sich nicht einigen konnten, brachten
sie einander in Massen um.« – »Was?«, rufen die
Kinder entsetzt. »Sie brachten einander um?« –
»Meistens ziemlich brutal. Hauptsächlich Män
ner. Aber manchmal auch Frauen und Kinder.
›Wehe euch!‹, grunzten ihre Obersten den
Obersten ihrer Gegner zu. ›Tut, was ich euch
sage, sonst gibt’s Krieg!‹« – »Was ist das: Krieg?«,
fragt einer der Schüler. »Dieses Wort habe ich
noch nie gehört!« Er bekommt das Wort erklärt.
Da wird er ganz blass, schüttelt sich und ruft:
»Was mussten das für Monster sein!«Ein letztes Interview mit der Jugend
buchautorin Gudrun Pausewang»Der Mensch
lernt zu langsam«
enttäuscht, als die ersten Singles und dazuge
hörigen Videos erschienen. Zu viel Gesang,
zu viel Autotune, zu wenig »Auf die Fresse«
Rap. Vielleicht sogar zu viel Gefühl.
Dabei findet sich auch auf den K.I.Z Alben
seit je der ein oder andere Song, in dem der
hervorragende Rapper zeigt, dass er ganz ne
benbei auch noch ein exzellenter Sänger ist.
Wenn diese Fähigkeit, gepaart mit den oft
brachialen Beats, auf gnadenlose Lyrik prallt,
dann entstehen einzigartige Tracks, etwa über
die Misshandlung der Mutter durch den
Stiefvater: »Sie trägt langärmlig, denn alles ist
blau / Bald bin ich groß genug, und dann halt
ich ihn auf« schreit er in die Welt hinaus.
Song um Song bohrt sich das nach außen ge
kehrte Innere vom Gehörgang in die Magen
grube. Wie war das noch mal mit der Tren
nung von Werk und Autor? Bilder dringen in
uns vor, die man sich nicht in eine Zahnarzt
praxis oder ein lichtdurchflutetes Loft in
BerlinMitte hängen kann – es sind vielmehr
in dunklen Kellern entstandene Gemälde, ge
dacht für einsame Nächte. Wenn Tarek in
Liebe, einer Art Moritatenlied, davon berich
tet, wie selbstzerstörerisch und zart zugleich
ebenjene Liebe sein kann, dann gehört das zu
den stärksten Momenten dieser Platte. Wer
nichts fühlt bei Zeilen wie »So lernten wir die
Liebe kenn’ / Wir zwei können erst etwas füh
len, wenn / Alles um uns beide niederbrennt«,
der ist vermutlich längst verloren. Für die
Liebe und auch für die Revolution.
Tareks Golem bekam über die Jahre viele
Gesichter. Einst konzipiert als PunkAlbum,
marodierte er mit Irokesenschnitt und Nieten
gürtel durch anarchistisch anmutende Lied
texte, doch Schöpfer und Werk fühlten sich
zu unbeweglich in der Nonkonformisten
uniform. Statt in den Charts landete das
Werk im Giftschrank. Über die Zeit entstan
den für Golem auch Songs und Skizzen, die
sich am Alter Ego des Musikers, dem von
seinen Fans verehrten »Skin head Black«,
orien tier ten. Einer Kunstfigur, die nachts
über Friedhöfe schleicht und bereits 2007 in
dem K.I.ZSong Neuruppin zur absoluten
Vollkommenheit reifte, als der Kinderschreck
rappte: »Durch die Trauerweiden am Straßen
rand rauscht das Lied von deinem Ende / An
jeder Haustür ein Talisman, jeder im Dorf
kennt die Legende«. Und natürlich greift er
nun vereinzelt in Songs wie Wenn du stirbst
den Blick des Psychopathen wieder auf. Mit
Songs wie Freak oder Nubischer Prinz zeigt
Tarek, dass er sowohl Experimentelles wie
auch Altbewährtes kann, dass seine Stimme
und sein Humor auf FunkBeats wie
Gitarren riffs gleichermaßen funktionieren.
Und dennoch wird man das Gefühl nicht
los, dass viele der Lieder auf Golem nur Ab
gabelungen sind auf diesem finsteren Pfad
zum letzten Song der Platte, in dem er das
Leben und den Tod seines Vaters besingt.
Frühlingstag ist dabei nicht nur Vermächtnis
und Huldigung für jenen Mann, dem er – ba
nal, aber so ist es ja – nicht weniger als das
Leben verdankt. Der Tod des Vaters war für
Tarek gleichzeitig der Moment, in dem der
Sohn erkannte, wie wertvoll die eigene Exis
tenz ist, was jetzt, na klar, erst einmal kitschig
und klischeebeladen klingt. Doch nur weil
Thomas Brasch einst Vor den Vätern sterben
die Söhne titelte, ist es umgekehrt nicht weni
ger schmerzhaft.
Denn nun steht Tarek plötzlich ganz al
lein im Scheinwerferlicht und muss parieren,
dass jemand, der einen Song über den Tod
seines Vaters schreibt, reflexhaft von Journa
listen und Journalistinnen, von Fans und
Künstlerkollegen zu diesem Verlust verhört
wird. Dass jemand, der über ehemalige
Drogen probleme und den Verlust von Freun
den durch selbige schreibt, jetzt berichten
soll, wie das so war damals. Gut, wenn man
da einen Golem neben sich weiß, der stark
genug ist, das alles zu erzählen.ANZEIGE
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