WIR HABEN KÜNSTLICH BEFRUCHTET
Ich möchte in keiner Beziehung leben und bin seit
zehn Jahren Single. Trotzdem wollte ich Kinder
haben, darum bin ich in eine Kinderwunschklinik
gegangen. Ich hätte mich im Ausland mit anonym
gespendetem Sperma schwängern lassen können.
Aber dann habe ich meinem besten Freund, er ist
schwul, von meinem Wunsch erzählt. Und er
sagte, er würde gerne der Vater sein. Die künstliche
Befruchtung war ein Kampf. Vier Versuche
hat es gebraucht. Dann haben sich zwei befruchtete
Eizellen eingenistet, und ich habe im Dezember
Zwillinge bekommen. Gerade bin ich in
Mutterschutz, aber wenn ich wieder zu arbeiten
anfange, dann wird auch der Vater der Kinder
zu Hause auf sie aufpassen.
Anca Morindau, 36, AnästhesistinIch hatte krasse Vorurteile gegenüber
Kinderwunschkliniken. Dachte, da gehen nur
Leute hin, die echt verzweifelt sind. Und mein
Problem war ein anderes: Ich war nicht
unfruchtbar, sondern hatte bloß keinen Zyklus.
Ich habe versucht, es mir schönzureden.
Also war ich erst mal bei verschiedenen Ärzten,
die mir alle nicht helfen konnten, ehe wir
schließlich doch in die Klinik gegangen sind.
Meine Vorurteile habe ich abgelegt. Meine ältere
Tochter ist durch künstliche Befruchtung
entstanden. Bei meiner zweiten hat es mit
einer Hormontherapie geklappt. Ich rate allen,
die sich mit ihrem Kinderwunsch sicher sind,
gleich zu den Spezialisten zu gehen.
Melanie Croyé, 35, Journalistin und Autorin von
»Wenn der Storch nicht von alleine kommt«Meine Freundinnen wurden alle schwanger, nur ich
nicht. Ich wurde in eine Kinderwunschklinik
überwiesen. Dort bekam ich Tabletten, die meinen
Eisprung auslösen sollten. Es ging mir davon sehr
schlecht, körperlich und psychisch. In der Klinik gab
es aber nie Zeit, um mal in Ruhe mit der Ärztin zu
sprechen. Nach den Terminen saß ich oft weinend im
Auto, weil es nicht weiterging, aber ich wollte
niemandem etwas sagen. Nur die Familie und engste
Freunde waren eingeweiht. Ich wechselte dann die
Klinik und wurde schwanger. Doch ich verlor unser
Baby in der 17. Woche. Das riss mir den Boden un-
ter den Füßen weg. Irgendwann unternahmen mein
Mann und ich eine große USA-Reise, da konnte ich
zum ersten Mal wieder lachen. Wieder zu Hause,
merkte ich, dass ich schwanger war – auf natürlichem
Weg. Ich bin in der 33. Woche und freue mich sehr.
Julie K., 34, VertriebsinnendienstMan zahlt alles. Blutabnehmen kostet Geld.
Ultraschall kostet Geld. Die teuren Medikamente.
Mittlerweile haben wir neun Versuche hinter uns
und insgesamt um die 15.000 Euro gezahlt. Ich
finde es nicht unfair, dass man die Behandlungen
zahlen muss. Wenn ich zum Zahnarzt gehe und
20 Löcher habe, muss ich auch zahlen. Aber ich
finde es unfair, dass man verheiratet sein muss,
damit die Krankenkasse Kosten übernimmt. Ich
bin noch jung, deswegen habe ich gedacht, dass es
gleich klappen würde. Ob ich drei- bis fünf-
tausend Euro für die künstliche Befruchtung
ausgebe oder für eine schöne Hochzeit, war mir
anfangs egal. Aber da habe ich noch nicht ge-
wusst, dass es so lange dauern wird – jetzt schon
eineinhalb Jahre.
Luisa Geiser, 2 7, A r z t h e l f e r i nIch habe das Glück, auch ohne Eierstöcke
schwanger geworden zu sein. Ich war an
Brustkrebs erkrankt und bin genesen. Aber das
Risiko für Eierstockkrebs war hoch, deswegen
habe ich sie mir entfernen lassen. Am 28. Sep-
tember 2011 wurden mir Eizellen entnommen.
Einen Tag später fing die Chemotherapie an. Vor
der ersten Sitzung sagte mir der Arzt, dass sie
drei Eizellen mit dem Samen meines damaligen
Freundes befruchten und einfrieren konnten.
An diesem Tag habe ich Champagner getrunken.
2018 habe ich eine davon einsetzen lassen, ohne
Erfolg. Danach wurden die beiden letzten
eingesetzt. Meine Tochter ist jetzt elf Monate alt.
Ich habe ihr den Namen Yuna gegeben, das
bedeutet »die Erwünschte«.
Nat a lie K riw y, 40, FotografinAls ich mich bei der Arbeit krankmeldete, sagte
ich bloß: »Ich habe einen Eingriff.« Dabei bin ich
sonst total offen. Vielleicht hatte ich Angst, dass
mich die Kollegen mit anderen Augen sehen.
Keiner ist perfekt, aber als Frau fühlt es sich
komisch an, wenn so etwas nicht funktioniert.
Ich habe immer versucht, möglichst stressfrei zu
leben. Doch so eine Prozedur ist komplett
unnatürlich. Schon die Hormonbehandlung zog
sich über Jahre hin. Am Ende kam ich mir vor
wie ein Mastschwein. Gerade starten wir die
dritte und letzte In-vitro-Befruchtung. Es ist ein
gutes Gefühl, das zu wissen. Das lange Auf
und Ab war nervig. Klappt es mit dem Kind:
Yay! Wenn nicht, auch okay. Wir haben
jetzt schon ein gutes Leben.
Nora Hirschfeld, 36, PressesprecherinMein Mann ist sozusagen der Verursacher.
Er kann zwar Kinder zeugen, aber nicht auf
natürlichem Weg. Es hat vier Jahre gedauert, bis
wir das herausgefunden haben. Wir hatten dann
drei künstliche Befruchtungen, einmal war ich
schwanger bis zur 6. Woche, ein anderes Mal bis
zu 9. Danach hab ich meinen Job in die Tonne
geklopft, um gut für mich zu sorgen. Beim vierten
Versuch wurden wir zeitgleich in den OP
geschoben, ich zur Eizellentnahme, er zur Biopsie.
Daraus ist unser Sohn entstanden. Manchmal
denke ich: Wie bekloppt ist man, dass man an
dem Kinderwunsch so krass festhält? Wir haben
deswegen geheiratet, sonst hätte die Versicherung
nicht gezahlt. Es ist verrückt: Wenn Menschen,
die seit zehn Jahren zusammen sind, urplötzlich
heiraten, dann wissen Sie eigentlich, was los ist.
Jutta Wilden, 36, HeilpraktikerinWir haben unser Kind mit der Ropa-Methode
bekommen. Ich bin die sogenannte biologische
Mutter. Die genetische ist meine Frau. Ihr
wurden die Eizellen entnommen, ich habe unser
Kind ausgetragen. Das Sperma kam von
einem anonymen Spender. Diese Methode ist in
Deutschland nicht erlaubt, deswegen mussten
wir nach Spanien fahren. Ich finde dieses Verbot
traurig, denn es bewirkt genau das: dass
Menschen ins Ausland gehen. Die Methode ist so
nah dran an einer gewöhnlichen Schwangerschaft,
wie es für ein lesbisches Paar eben geht. Doch
für uns ist es komplizierter: Obwohl wir
verheiratet sind und meine Frau die genetische
Mutter des Kindes ist, musste sie es adoptieren.
Jenny W., 36, GrafikerinEs gab eine Zeit, da habe ich Schwangere
regelrecht bedauert, so negativ war das Thema
für mich besetzt. Da hatte ich schon vier
künstliche Befruchtungen und drei Fehlgeburten
hinter mir. Mich quälten Panikattacken, und ich
fühlte mich zum ersten Mal mutlos. Ein Coach half
mir dann, mich wieder zu finden und meinem
Körper zu vertrauen. Ich habe ein hohes genetisches
Risiko für Fehlgeburten, mein Mann ist Träger des
Mukoviszidose-Gens, was die Schwankungen in
seinem Spermiogramm erklärt. Aber wir geben
nicht auf. Jede dieser Diagnosen bringt uns ein
Stück weiter. Wir haben auch schon über eine
Eizellenspende oder eine Adoption nachgedacht,
versuchen es aber erst mal weiter.
Mira Magin-Germann, 31, LandschaftsarchitektinMein Mann und ich versuchten es viermal
erfolglos, bis ich 2014 beschloss, kinderlos zu
bleiben. Vielleicht hätte ich noch vier oder fünf
Versuche gebraucht. Doch ich konnte nicht mehr.
Eigentlich bereue ich keine meiner Entscheidungen.
Vor ein paar Monaten sind bei mir die ersten
Zeichen der Menopause aufgetreten, das ist sehr
früh mit 42. Da musste ich daran denken. Es
trifft mich gelegentlich, aber hindert mich nicht,
ein glückliches Leben zu führen. Wir sind eine
Patchworkfamilie; ich bin Stiefmutter von zwei
Mädchen. Wenn wir gefragt werden, warum
wir als Paar keine eigenen Kinder haben, dann
gehe ich offen damit um. Wir hatten einen
Kinderwunsch. Er ist nicht in Erfüllung gegangen.
Asita Rademacher, 42, Gehaltscoach für FrauenWenn ich Probleme mit dem Hören habe,
bekomme ich ein Hörgerät. Wenn der
Kinderwunsch nicht klappt, hole ich mir auch
medizinische Hilfe. Nach dieser erschreckenden
Rede von Sibylle Lewitscharoff, in der sie
Kinder, die nach einer künstlichen Befruchtung
zur Welt kommen, als Halbwesen bezeichnet
hatte, haben mein Mann und ich beschlossen,
dass wir offen damit umgehen wollen. Das beste
Mittel gegen Angst ist Wissen, also reden wir
darüber. Wenn wir unserem fünf Jahre alten Sohn
erklären, wie Kinder gemacht werden, erwähnen
wir auch, dass einige Menschen dabei Hilfe
brauchen. Irgendwann wird er fragen, wie es bei
ihm war. Dann sagen wir ihm die Wahrheit.
Sandra Z., 37, StudentinMeinem Mann und mir war klar, dass wir auf
natürlichem Weg nicht so einfach Kinder
kriegen können. Trotzdem mussten wir es
ein Jahr lang so versuchen. Sonst gibt es
keinen Zuschuss für die künstliche
Befruchtung. Es war eine Erleichterung, als
uns endlich bescheinigt wurde, was wir schon
lange wussten. Ich arbeite als Lehrerin und
war der Schulleitung gegenüber offen. Statt
abgelehnt zu werden, wurde mir der Rücken
gestärkt. Es war nie ein Problem, wenn ich mal
wieder ins Krankenhaus musste. Wir hatten
das Glück, vor fünf Jahren Zwillinge zu
bekommen. Oft werden wir gefragt, ob das
in der Familie liegt. Nein, es liegt an der
Behandlung. Das sage ich dann so offen. Ich
möchte, dass dieses Thema enttabuisiert wird.
Jessica Bock, 38, LehrerinErst dachte ich: Vielleicht liegt es an meinem
Mann. Dann stand eine Bauchspiegelung an. Der
Befund: Endometriose. Ich musste erst mal
googeln, so schnell ging der Arzt darüber hinweg.
Meine Eileiter sind nicht durchgängig, und ich
hatte viele Entzündungsherde im Bauch. Im
Kinderwunschzentrum kam endlich Hoffnung auf- gefolgt von einem Tiefschlag nach der ersten
In- vitro-Befruchtung. Danach wurde ich per
Spritze in künstliche Wechseljahre versetzt; das soll
die Krankheit eindämmen. Zugleich stimuliere ich
für einen neuen Versuch. Mein Mann ist
gelassener als ich, er muss auch körperlich weniger
ertragen. Manchmal sagt er, halb im Scherz,
»Na ja, dich muss ich ertragen.« Während der
Stimulation bin ich anstrengend.
Nadine Hofmann, 28, Technische
Sterilisationsassistentin
In der Genlotterie habe ich eine Niete gezogen.
Durch einen genetischen Defekt kann ich auf
normale Art keine Kinder bekommen. Wir brauchten
vier Jahre und fünf Versuche, bis ich schwanger war.
Oft hörte ich den Satz: »Bei euch wird’s aber mal
Zeit.« Wenn ich darauf sagte, dass ich schon mehrere
künstliche Befruchtungen hatte, kippte die
Stimmung. Themenwechsel, Schweigen. Einmal habe
ich im Kinderwunschzentrum einen Kollegen
getroffen. Eigentlich hätten wir uns austauschen
können. Stattdessen auch hier Schweigen.
Als es zum vierten Mal nicht klappte, habe ich
nur noch einer Freundin davon erzählt. Ich wollte
neben meiner eigenen Traurigkeit nicht auch noch
die Last der anderen Menschen tragen.
Kristina Walden, 40,
Referentin für interne KommunikationVor 20 Jahren war es für lesbische Paare schwierig,
Kinder zu bekommen. Ich war damals 38 Jahre alt.
Meine damalige Lebenspartnerin hatte mit diesem
Wunsch abgeschlossen. Ich konnte sie jedoch davon
überzeugen, dass jede von uns ein Kind bekäme.
Wir suchten lange einen Spender. Aber weil wir
die Männer nicht aus der Unterhaltspflicht für
das Kind befreien konnten, willigte keiner ein.
Schließlich kauften wir Sperma von einer dänischen
Samen bank. Ich hatte 23 Inseminationen und
wurde trotzdem nicht schwanger. Unsere zwei
Kinder, sie sind jetzt 14 und 16, hat meine
Partnerin zur Welt gebracht. Vor acht Jahren haben
wir uns getrennt. Trotz aller Bemühungen schaffte
ich es nicht, einen geregelten Umgang mit den
Kindern zu erreichen. Das ist die Tragik an der
Geschichte: die biologische Mutter hat alle Rechte.
Manuela Torelli, 58, PsychoanalytikerinWieso hast du so lange gewartet, war dir deine
Karriere zu wichtig? Diese Schuldzuweisung
ist gemein. Ja, ich hatte lange Angst davor,
schwanger zu werden, weil ich sah, dass alle, die
Kinder hatten, aussteigen mussten aus dem Job.
Die schlechte Kombinierbarkeit von Beruf und
Familie macht es den Frauen nicht leicht, rechtzeitig
Kinder zu bekommen. Ich hatte drei Fehlgeburten,
bevor ich mich mit 39 künstlich befruchten
ließ. Ich glaube, es hat bei mir auch lange nicht
funktioniert, weil ich Angst davor hatte, ein Kind
zu verlieren. Als mir das bewusst wurde, kamen
unsere Zwillinge. Sie waren Frühchen. Heute denke
ich mir: Ihr hattet alle Chancen zu sterben, ich
weiß, ihr wollt leben. Und so ziehe ich sie groß.
Franziska Rubin, 51, Moderatorin, Autorin (»Von null
auf drei. Vom Kinderwunsch zum Wunschkind«)Wir sind katholisch. Künstliche Befruchtung ist
für uns eine Grauzone. Aber der Wunsch nach
einem zweiten Kind ist so groß, dass wir uns
dafür entschieden. Unser Sohn kam vor sieben
Jahren auf natürlichem Weg zu uns. Danach
wurde bei mir das Polyzystische Ovarsyndrom
diagnostiziert, eine hormonelle Störung, die es
sehr schwer macht, schwanger zu werden. Wir
haben mit der Ärztin besprochen, nur so viele
Eizellen befruchten zu lassen, wie wir auch
einsetzen wollen, also zwei. Befruchtete Eizellen
nicht zu verwenden können wir nicht mit
unserem Glauben vereinbaren. Damit möchte
ich niemanden angreifen. Ich weiß nicht, was wir
täten, wenn wir noch kinderlos wären.
Sandra Swiontek Brzezinski, 31, Hausfrau
(Instagram: mami_running)Nach der Hochzeit 1994 wollte ich gleich ein
Kind. Untersuchungen ergaben dann, dass
ich auf natürlichem Weg keines bekommen
kann. Ich wollte die künstliche Befruchtung
so schnell wie möglich durchziehen. Es gab
damals niemanden, mit dem ich mich
austauschen konnte. Auch mein Ex-Mann
empfand es nicht als ein so prickelndes Thema.
Beim ersten Transfer habe ich mir drei
Eizellen einsetzen lassen. Als es nicht klappte,
war ich ein bisschen erleichtert. Drillinge hätte
ich nicht gewollt. 1998 kam meine Tochter
zur Welt. Lange Zeit wusste niemand von der
künstlichen Befruchtung. Ich würde es jedem
empfehlen. Aber man sollte seine Versuche
begrenzen, irgendwann eine Entscheidung fällen.
Monika B., 5 7, Te a m a s s i s t e n t i nMit 22 bin ich schwanger geworden. Damit war
der Kinderwunsch erst mal erfüllt. Bis ich Ende
zwanzig war; dann wollten wir noch mehr. Als ich
hörte, ich sei steril, habe ich wochenlang geweint.
Die Kinderwunschklinik machte uns wieder
Hoffnung. Unsere Tochter kam 2013 auf die
Welt. Beim nächsten Mal dauerte es länger, dafür
wurden wir doppelt belohnt. 2016 wurden
unsere Zwillinge geboren. 2019 versuchten wir,
das fünfte Kind zu kriegen. Ich habe lange mit mir
gehadert. Ich hatte ein schlechtes Gewissen
gegenüber Frauen, die kinderlos bleiben müssen.
Es endete mit einer Fehlgeburt, doch ich schaffte
es, das zu verdauen. Bald steht unser nächster
Versuch an. Alle Hormone sind wieder startklar.
Katharina S., 36, Chemielaborantin
(Instagram: bildlich.gesprochen)Protokolliert von Vivian Alterauge, Matthias Kreienbrink, Dorothée Stöbener und Stefanie Witterauf; einige Frauen wollten nicht ihren vollen Namen in der Zeitung lesenFotos: privat (14); Julia Steinigeweg für DIE ZEIT; Natalie Kriwy für DIE ZEIT; Gina Bolle für DIE ZEIT; Jennifer Fey; Jürgen Freymann; Michael Wilfing; Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT
- JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6 63