ANZEIGE
Das Fischbrötchen-Prinzip
Zu gut ist auch schlecht. Es geht darum, die einfachen Dinge richtig zu machen
Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Francesco Giammarco, Alard von Kittlitz, Anna Mayr und Nina PauerN
eulich hatte ich einen Zwi-
schenfall mit einem Fischbröt-
chen. Meine Stammbude war
zu, und ich musste zur Kon-
kurrenz. Ich bestellte Matjes, weil Matjes
das beste Fischbrötchen ist (Matjes ist
einfach Hering vor der Geschlechtsreife,
sozusagen das Kalb unter den Fischen).
Und extra Zwiebeln, weil Zwiebeln
Matjes besser machen (egal was meine
Freundin sagt). Das Brot war zu lang,
der Fisch kaum zu sehen. Außerdem war
es außen mit Sesam bestreut und innen
mit Soße bestrichen. Und irgendein
Mit arbei ter ohne Gottesfurcht hatte
eine Gurke reingelegt. Ein Desaster.
Ich will Ihnen von einer meiner Theo-
rien erzählen. Ehrlich gesagt ist es die ein-
zige, die ich habe. Umso geehrter dürfen
Sie sich fühlen. Es handelt sich um die
sogenannte Theorie der kulinarischen
Mittelmäßigkeit™. Sie besagt, dass es Ge-
richte gibt, die schlechter werden, wenn
die Zubereitung zu ausgefeilt ist und die
Zutaten von zu hoher Qualität sind.
Fischbrötchen-Verkäufer versuchen oft,
ihre Fischbrötchen durch gutes Brot auf-
zuwerten, zum Beispiel Körnerbrot oderCiabatta. Aber das Brot beim Fischbröt-
chen darf nicht zu gut sein! Ein billiges
deutsches Aufbackbrötchen ist perfekt.
Der Matjes sollte über den Rand des
Brötchens hängen wie eine schlaffe rosa-
farbene Zunge, belegt ausschließlich mit
Zwiebeln. Und einem Salatblatt.
Es geht mir hier um Demut. Darum,
die einfachen Dinge richtig zu machen.
Burger zum Beispiel. Eines der größten
Probleme im Burgertum, das sagte schon
der leider verstorbene Fernsehkoch
Anthony Bour dain, sind überflüssige Zu-
taten und Variationen. Niemand braucht
Blauschimmelkäse auf dem Burger, selbst
Gouda ist zu viel. Man sollte amerikani-
schen Käse verwenden, diese gelbe, eigent-
lich nur käseartige Substanz, die wie flüs-
siger Kleber alles zusammenhält.
Außerdem muss der Burger klein sein.
Prätentiöse Burgerbuden erkennen Sie an
dem langen Zahnstocher, der in jedem
Burger steckt, damit er nicht aus ein an-
der fällt. Wieder mit Bour dain gesagt: »In
einer perfekten Welt sollte man in der
Lage sein, einen Burger mit einer Hand
zu essen und dabei einen repräsentativen
Teil aller Zutaten zu erhalten.«Die dargelegten Prinzipien sind auf
verschiedene Gerichte übertragbar: Pizza,
Döner, Hotdog. In etwa auf alle, die in
Verbindung mit dem Wort »Premium« ein
Oxymoron bilden (Premium-Hotdog ist
ein Widerspruch in sich). Und ja, ich
wurde bereits darauf hingewiesen, dass
man diese Gerichte gerne betrunken nach
der Kneipe auf dem Weg nach Hause isst.
Ich glaube aber nicht, dass dies das ver-
bindende Element meiner Theorie ist.
Sie lässt sich auf andere Lebensberei-
che anwenden. Auf Mode, Politik oder
auf Kolumnen. Denn Schreiben ist wie
Kochen, hat ein alter Chef von mir ge-
sagt. Erst holt man Zutaten, also Gedan-
ken und Informationen. Dann überlegt
man, was man gebrauchen kann. Wichtig
ist es, die Kolumne nicht zu überfrachten.
Der Leser denkt zwar, er wolle eine vor
Gedanken und Ideen nur so sprudelnde
Me lange, verfasst mit einer Prise Witz
und Esprit. Viel besser aber ist ein leicht
zu lesender Text, der schnell vorbei ist.
Zu gut darf eine Kolumne auf keinen Fall
sein. Ich nenne das meine Theorie der
kolumnistischen Mittelmäßigkeit™. Guck
an, ich hab ja doch noch eine!FRANCESCO GIAMMARCO ENTDECKTIllustration: Oriana Fenwick für DIE ZEITAls Jugendliche stand ich
einmal mit meiner Reitlehrerin
vor einer Box mit Pferden.
Da sah ich Gironimo, einen
Hengst mit Fransen in der
Stirn. Ich sagte: »Ich brauche
keinen Führerschein, nur dieses
Pferd.« Ich bin Erzieherin
geworden und oft mit Kindern
zu den Pferden gefahren.
Einmal war ein spastisch
gelähmter Junge dabei,
den habe ich vor mir aufs
Pferd gesetzt – und plötzlich
war der ganz entspannt.
Ein Schlüsselerlebnis. Heute
biete ich therapeutisches
Reiten an. Dass so ein starkes
Tier sich ihnen zuwendet,
macht die Kinder stolz.
Kim Michel, 3 7,
ist Erzieherin und
Reitpädagogin und
wohnt in Reichenberg
Victoria Jung porträtiert
hier Menschen, die ihr im
Alltag begegnen.
Protokoll: Cosima Schmitt
WER
S I N D
SIE
?
ENTDECKEN
64
- Februar | Hannover
»Hinter der Geschichte« LIVE
Ein Abend, drei Reporter, drei Recherchen, die einen
ganz besonderen Blick auf die Welt erlauben. In dieser
Ausgabe soll es um Geschichten aus dem Irak, um die
Hintermänner der Neuen Rechten und um die Elbphil-
harmonie gehen.- Februar | Berlin
»UNLOCK Film by ZEITmagazin«
Im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele, der
70. Berlinale, versammelt das ZEITmagazin Künstler und
Entscheider der TV-, Film- und Medienbranche. - März | Frankfurt
»Hinter der Geschichte« LIVE
Frauen haben dieselben Chancen im Beruf und erobern
die Chefposten. Warum das häufig nur ein Wunsch
bleibt und weit weg ist von der Arbeitsrealität, davon
erzählt die Wirtschaftsautorin Kerstin Bund in Frank-
furt auf der Bühne. Ihr Kollege Alard von Kittlitz bringt
seine Beobachtungen aus der Szene der Verschwö-
rungstheoretiker im Internet mit. Und in einem dritten
Vortrag soll es um die Frage gehen, wie der Abschied
vom Beruf funktioniert. - März | Zürich
Redaktionsbesuch im Schweizer Büro
der ZEIT - März | Berlin
Redaktionsbesuch im Hauptstadtbüro
der ZEIT
Fotos: © Christian Hüller (großes Foto), Ina Mortsiefer, Kunsthalle EmdenRedaktionsbesuch bei der ZEIT im Osten
Blicken Sie einen Abend lang hinter die Kulissen der Redaktionsarbeit in Leipzig, und diskutieren Sie mit ZEIT-Redakteuren und anderen
Abonnentinnen und Abonnenten. Büroleiter Martin Machowecz berichtet dann etwa von seinen Recherchen über den Juwelenraub
im Grünen Gewölbe, Redakteur Josa Mania-Schlegel erzählt über die Ausschreitungen in der Silvesternacht in Connewitz und
ZEIT-Autorin Valerie Schönian über ihr Buch »Ostbewusstsein«, das Ende März erscheint. Daneben soll es am Abend noch viel Raum
für Ihre Fragen zum Zeitungmachen geben.Für alle
ZEIT-Abonnenten
Werden Sie Freund der ZEIT, und profitieren
Sie von exklusiven Vorteilen – egal ob als
Probe-, Print- oder Digitalabonnent.
Treffen Sie unsere Redakteure, und
erleben Sie den Journalismus
Ihrer Zeitung ganz neu.- März | Leipzig
Jetzt anmelden:Aktuelle
Veranstaltungen
Kunsthalle Emden
Die Kunsthalle liegt an einer Gracht und gilt als eines
der schönsten Museen Norddeutschlands. In 2020 geht
es um den künstlerischen Blick auf aktuelle Themen
wie die Idee der »Sehenswürdigkeit« oder das Verhält-
nis zwischen Mensch und Tier.
ZEIT-Abonnentinnen und Abonnenten erhalten bei allen
Ausstellungen einen ermäßigten EintrittZEIT Kulturkarte:
Empfehlung der Woche
108001_ANZ_10800100021034_25599577_X4_ONP26 1 27.01.20 15:45