»Meine Freunde neiden mir mein Stipendium.
Wie kann ich damit umgehen?«
Sie haben ein Problem und würden gern darüber sprechen – aber es hat mal wieder keiner Zeit? Dann fragen Sie ELLA!
Liebe Ella,ich bin Studentin und komme aus
einer Hartz-IV-Familie. In den
19 Jahren bis zum Studium war ich
genau zwei Mal im Urlaub. Nach
dem Abitur bekam ich ein Sti pen-
dium, weil ich mich ehrenamtlich
engagiert habe und gute Noten hat-
te. Darüber hinaus war mir auch
schon sehr früh klar, dass ich mich
anstrengen muss, wenn ich etwas
erreichen will. Durch mein Sti pen-
dium habe ich mehr Geld zur Ver-
fügung als viele andere Studenten,
allerdings könnte meine Familie
mich auch weiterhin gar nicht un-
terstützen. Immer wieder gerate ich
mit Freunden in Streit, die arbeiten
müssen, um ihr Studium zu finanzie-
ren, weil sie kein Stipendium be-
kommen haben. Ich finde das eigent-
lich gerecht, ihre Noten sind ja auch
nicht so gut wie meine. Jedoch habe
ich immer wieder mit Neid zu
kämpfen, anstatt dass sich Leute für
mich freuen. Wie kann ich damit
umgehen?Eine enttäuschte StudentinLiebe enttäuschte Studentin,ich kann sehr gut verstehen, was Du
meinst. Ich selbst habe es während
meines Studiums sogar noch besser
getroffen als Du. Mein Vater war näm-
lich tot. Er war Staatsanwalt und starb,
als ich 13 war. In solchen Fällen unter-
stützt der Staat die hinterbliebenen
Kinder mit einer ehrlich gesagt ziemlich
großzügigen Halbwaisenrente, bis sie
ihre Ausbildung abgeschlossen haben.
Weil meine Eltern sich früh getrennt
haben und mein Vater im Vatersein
nicht wirklich gut war, hatten wir kein
besonders enges Verhältnis. Trotzdem
war ich immer verblüfft, wenn ich
Kommilitonen gegenüber erwähnte,
wie mein Stu dium finanziert wird, und
bemerkte, wie mühsam manche von
ihnen den Satz unterdrücken mussten,
der ihnen so offensichtlich auf der
Zunge lag: Du hast es ja gut!
Natürlich unterscheiden sich un sere
Geschichten. Du hast sehr viel getan,
um Dein Studium durch ein Stipendi-
um zu finanzieren, ich habe (einfach?
nur?) etwas verloren. Du hättest wenig
Möglichkeit gehabt, Dein Studium auf
andere Weise zu finanzieren, michhätte meine Mutter zumindest ein biss-
chen unterstützen können, und mit
einem Nebenjob hätte es dann be-
stimmt auch hingehauen. Nebenjobs
hatte ich übrigens trotzdem, halt im
Journalismus. Will sagen: Praktika,
Praktika, Praktika – die wurden damals
schon schlecht bis gar nicht bezahlt.
Mein Studium liegt jetzt fast
20 Jahre zurück. Schluck. Heute Nach-
mittag musste ich für eine Recherche
in die Deutsche Bibliothek und stellte
fest, dass die Fotokopierer abgeschafft
wurden. Man scannt jetzt. Es ist ziem-
lich kompliziert, und ich hab mich
gefragt, ob es nicht einfacher wäre, die
Seiten mit dem Smartphone zu foto-
grafieren, aber das hab ich mich irgend-
wie nicht getraut. Bibliotheken ma-
chen mich immer ein bisschen fertig.
Ich kann mir nur zum Teil ausmalen,
unter welchen Bedingungen Ihr heute
studiert. Durch mein soziales Umfeld
weiß ich, dass Ihr weit weniger Zeit
habt als wir früher. Dass der Druck zu-
genommen hat und Euch weniger
Raum lässt, andere Dinge nebenher zu
machen. Geld verdienen zum Beispiel.
Deine Freunde, die neidisch sind,
weil Du mehr Geld zur Verfügung hastals sie, sehen nicht, dass Du dafür hart
gearbeitet hast. Sondern nur, dass Du
es besser hast als sie. Und weil es unbe-
quem ist, sich selbst oder die Verhält-
nisse infrage zu stellen, lassen sie ihre an
sich berechtigte Unzufriedenheit an Dir
aus. Okay ist das natürlich nicht (und
außerdem gibt es doch Bafög).
Ich habe gerade eine Probemitglied-
schaft in einem Fitnessclub am Start.
Januar, gute Vorsätze und so. In mei-
nem TRX-BBP-Kurs (frag nicht) ist
eine Frau, die Oberarme wie Michelle
Obama hat. Ich will auch so Oberarme.
Ich will aber auch weiterhin Rotwein
trinken und nachts Käsebrote mit
Butter drunter essen. Also sitze ich hier
in meiner Küche, schreibe Dir, trinke
Rotwein, esse Käsebrote, habe brutal
Muskelkater und finde die Frau mit
den Obama-Armen unsympathisch. Sie
hat auch so laut gelacht.
Liebe enttäuschte Studentin, ich
will Dir zwei Dinge sagen. Erstens: Du
hast Dir die finanzielle Beinfreiheit
total verdient! Zweitens: Vielleicht
musst Du Deinen Kommilitonen
nicht ganz so direkt damit kommen,
dass sie halt Slacker sind und sich nicht
genug angestrengt haben. Hör Dir an,aus welchen Gründen sie in Schwierig-
keiten sind. Erklär ihnen, was Du
unternommen hast, welchen Preis Du
gezahlt hast, um zu Deinem Stipendi-
um zu kommen. Wenn Du sie gern-
hast: Hilf ihnen dabei, sich auch nach
Möglichkeiten umzutun. Wenn sie
nicht zuhören, sondern lieber weiter
über Deine vermeintlichen Privilegien
lästern wollen: Dreh Dich um, und
geh weg. Haters gonna hate, Neiders
gonna neid. Ich geh morgen ins Fit-
nessstudio. Oder übermorgen. Wenn
ich wieder laufen kann.Deine Ella- JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6 69
Sie haben Mist gebaut? Sie wären gern
anders, aber wissen nicht, wie?
Ella lässt sich was für Sie einfallen. Ella ist
ZEIT-Redakteurin mit abgebrochenem
Psychologiestudium und vielen Stunden
Tresentherapie-Erfahrung. Schreiben Sie
ihr offen und angstfrei unter einem
Pseudonym Ihrer Wahl, per Mail an
[email protected] oder über
Instagram unter @zeit_ellaEin
Gehirn
Doris Dörrie sammelt
auf Reisen seltsame Dinge.
Diesmal im IranI
ch war in den Iran eingeladen, um Filme zu zei-
gen und zu unterrichten. Aber ich hatte politisch
große Vorbehalte und traute meinem eigenen
Gehirn nicht über den Weg, denn es ist gewohnt,
nicht nur denken zu dürfen, was es will, sondern
auch Gedanken laut zu äußern. Die Veranstalter rede-
ten mit Engelszungen auf mich ein, man dürfe doch
den Dialog gerade in politisch schwierigen Zeiten
nicht aufgeben, und man solle doch bitte ein ganzes
Volk nicht nach seiner Regierung beurteilen, und über-
haupt: Man freue sich auf mich. Besonders als Frau.
Ha, damit hatten sie mich. Die Reise wusch mir
gründlich den (ängstlich vorschriftsmäßig verhüllten)
Kopf. Ich staunte über die Offenheit und das riesige
Interesse, die Ironie und den kreativen Umgang (vor
allem der Frauen) mit all den Einschränkungen, Vor-
schriften und der staatlichen Willkür, ich saß fassungs-
los vor einer sinnentleerten, zensierten Fassung meines
Films und freute mich über das Zischen des Publikums
an den durch rabenschwarze Dunkelheit markierten
Fehlstellen. Ich diskutierte scheinbar frei, im nächsten
Augenblick schüttelte ich einem Mann auf der Bühne
überschwänglich und gedankenlos die Hand und ris-
kierte damit seine Entlassung. Immer, wenn so viel
möglich erschien, war im nächsten Augenblick gar
nichts mehr möglich. Kein Klischee über den Iran
stimmte, aber das Gegenteil stimmte auch nicht. Mein
Gehirn platzte fast. Als ich im Schaufenster eines La-
dens für medizinische Lehrbücher das Modell eines
menschlichen Gehirns sah, schien es mir die Situation
perfekt zu illustrieren. Ich erstand es und trug es la-
chend unter dem Arm aus dem Laden. Jeder machte
Witze: Das Gehirn müsste dringend gewaschen wer-
den. War es ein amerikanisches Hirn, weil doch sehr
klein? Oder ein iranisches, weil so tief gewunden?
Weiblich, weil so hübsch rosa? Männlich, weil so un-
befleckt? Es wurde ein sehr lustiger Tag mit sehr bitte-
ren Untertönen. Am Abend saß ich erschöpft in mei-
nem mit Sicherheit verwanzten Hotelzimmer und
prostete mit Traubensaft statt Rotwein aus der Mini-
bar dem Gehirn zu, dieser knuddeligen, unschuldigen
Masse, die wir mit uns herumtragen und die wir mit
so vielen wunderbaren und schrecklichen Ideen füllen,
mit so viel Liebe und so viel Hass. Jetzt steht es auf
meinem Schreibtisch.
Doris Dörrie, 64, ist Regisseurin und
Schriftstellerin. Ihre Kolumne erscheint im Wechsel
mit »Das gehört nicht ins Feuilleton«AUS MEINEM
HANDGEPÄCK (42)ANZEIGE
Illustration: Sergio Membrillas für DIE ZEIT; kl. Fotos: Doris Dörrie; Dieter Mayr (u.)Ta hitiMoorea
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