Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1

Harald Martenstein


Über einen alten, kranken Hund und die Frage,


wann es Zeit ist, Abschied zu nehmen


Harald Martenstein


ist Redakteur des »Tagesspiegels«


Am Sonntag war in der Tierklinik ganz schön was los, ein Warte-
zimmer voller Hunde. Unserer kriegt kaum noch Luft, das Herz,
er ringt röchelnd um Atem. Wieder mal wurde ein Blutbild ge-
macht, er wurde geröntgt, kriegte Sauerstoff und ein paar Spritzen,
danach wurde es vorübergehend besser. Es kostete 400 Euro. Für
20.000 könnte man ihm eine neue Herzklappe einsetzen lassen,
das werde ich nicht tun. Ein Spezialist in Japan, erzählte der Tier-
arzt, soll die beste Erfolgsquote bei dieser OP haben, viele Stars
flögen mit ihren Hunden nach Japan. Auch die Hunde werden
immer älter, wie ihre Menschen, manche werden sogar dement.
Dann finden sie sich in der Wohnung nicht mehr zurecht und
suchen stundenlang ihren Fressnapf.
Haben Sie schon einmal getötet? Oder einen Tod in Auftrag ge-
geben? Ich werde es wohl bald tun müssen. Die wenigsten Leute,
die sich zum ersten Mal ein Haustier anschaffen, sind sich darüber
im Klaren, dass sie damit wahrscheinlich zum Richter über Leben
und Tod werden. Tiere tun ihren Besitzern selten den Gefallen,
einfach einzuschlafen. Sie leben länger, als es vorgesehen ist, in
der Natur wären sie längst zur Beute eines stärkeren Geschöpfs
geworden. Oder sie wären verhungert, weil sie selbst nicht mehr
stark genug sind zum Beutemachen.
Wann ist der richtige Moment? Wenn der Hund nicht mehr frisst,
sagte eine hundeerfahrene Freundin, hat er keinen Lebenswillen
mehr. Dann musst du es tun. Unser Hund frisst mehr als früher.
Der Hund ist eine Belastung. Man muss ihn alle zwei Stunden aus-
führen, ansonsten pinkelt er in die Wohnung. Ich bin oft unterwegs
und habe gut reden, aber meine Frau hält es nicht mehr aus, das
Kind ist ja auch noch da und kann noch nicht allein gelassen wer-


den, weil es dann Panik bekommt. Alle zwei Stunden setzt sich also
eine Karawane aus drei Lebewesen Richtung Straße in Bewegung,
von früh um sechs bis nachts um eins. Wir können nicht mehr rei-
sen, die Tier pen sion wäre sein Tod, zu kalt für ein so krankes Tier,
im Hotel würde er auf die Teppiche pinkeln. Zu Hause sind die
Böden auch nicht mehr das, was sie mal waren.
Wie viel Geld investiert man? Wie viel Zeit, auf wie viel gewohntes
Leben verzichtet man? Wie schwer wiegt das, was auf der anderen
Seite der Waage liegt, die Verantwortung, die man übernommen
hat, das Vertrauen des Hundes, die Gefühle? Eine »gute Lösung«
gibt es nicht, außer man redet es sich ein. Insofern geht es in diesem
Text gar nicht um Hunde, sondern um das Leben im Allgemeinen,
denn da gibt es ja immer wieder solche Situationen. Es kann um
Geräte gehen, die im Krankenhaus abgestellt werden, darum, ob
ein verwirrter Mensch gegen seinen Willen ins Heim kommt, um
Trennungen, um Schwangerschaften, in der Politik darum, ob man
einem Kriegseinsatz zustimmt, für und gegen den es Gründe gibt,
um Mi gra tion, alles Mögliche. Man kommt aus dem Leben nicht
mit sauberen Händen heraus, fürchte ich. Und ich gestehe, dass ich
eine leise Verachtung für diejenigen hege, die glauben, es könnte
anders sein. Wer sich nicht die Hände schmutzig machen will, über-
lässt die Drecksarbeit dem Zufall und der Zeit. Die ist manchmal
der grausamste Entscheider, im Falle des Hundes ganz bestimmt.
Der Hund wird zu Hause sterben, der Tierarzt kommt, der kleine
Junge, fünf, soll dabei sein. Es ist wichtig, das zu lernen. Ich hatte
mir jedes Mal, bei jedem Tier, geschworen, kein neues anzuschaffen.
Aber dann verging Zeit, und ich änderte meine Meinung. Das Ende
ist ein Preis, den man für jeden Anfang bezahlen muss.

Zu hören unter http://www.zeit.de/audio

Illustration Martin Fengel

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