Ja. Ich weiß noch, dass ich in dem Heft eine autobiogra-
fische Skizze hatte, da schrieb ich: »Ich bin ein hinter Pessi-
mismus schlau verborgener Optimist.« Das stimmt genau,
bis heute. Erstaunlich. Alles passiert nur dem, der es früh
erträumt hat, der versucht, es durchzuziehen, ohne immer
genau zu wissen, was er tut. Jedenfalls war es bei mir so.
Später habe ich manchmal darüber nachgedacht, woher
der Erfolg kam, den ich ja dann doch hatte – das waren
alles kindliche Vorstellungen von mir selbst. Man soll seine
eigene Kindheit nie verachten; Kinderträume werden oft
belächelt, dabei stimmen sie meistens. Ein Satz aus dem
Heft von damals fällt mir noch ein: »Ich bin ein Dichter,
und das will ich bleiben.«
Sie sind Autor geworden, haben für das Fernsehen und für
Zeitschriften gearbeitet und viele Bücher geschrieben. Ihr
aktuelles liegt vor Ihnen hier auf dem Tisch, »Liebe, Lust
und Abenteuer«.
Und auf diesen drei Dingen beruht mein Leben, verdammt
noch mal! Das war alles, was ich wollte.Sie sagen, dass Sie früh raus in die Welt wollten. Die
National sozialisten haben Sie dann gezwungen, das unter
dramatischen Umständen zu tun: Sie sind mit Ihrer Familie
1938 in die Tschechoslowakei geflohen, später nach Frank-
reich, dann in die USA.
Ich habe mehr und das auch noch früher erlebt, als ich es er-
wartet hatte. Mit 16 nachts mit einem Schmuggler über die
Grenze und von da an alles nur noch illegal, ohne Papiere.
Was ging Ihnen in dieser Nacht durch den Kopf?
Mutter hatte das Köfferchen gepackt, Hemden, Unterho-
sen. Plötzlich die Frage: Habe ich auch mein Lieblingsbuch
mitgenommen? Die letzten Tage der Menschheit von Karl
Kraus. Diese störrische, zynische Art, mit der man ja auch
andere Menschen betrachten kann, bevor man anfängt, sie
zu lieben – das habe ich von Karl Kraus. Eine meiner ersten
amerikanischen Freundinnen hat mich gefragt: »Musst du
denn immer so aggressiv sein?« Ich habe ihr geantwortet:
»Das bin nicht ich, das ist Karl Kraus!«
Wegen der Flucht mussten Sie alles hinter sich lassen.
Es war ein Schock, herausgerissen aus der Schule, weg von
den Freunden, man hat sich ja geliebt.
Ich habe gelesen, dass Sie in Wien einen antisemitischen
Deutschlehrer hatten, den Sie nie vergessen haben.
Professor Müller. Nach dem Krieg wohnte er in der russi-
schen Zone, er ging mit einer Mappe herum, ein russischer
Soldat sagte, er solle die Mappe aufmachen, aber ein deut-
scher Professor macht seine Aktenmappe nicht auf Befehl
auf. Da hat der Soldat ihn erschossen. Professor Müller
war aus dem Sudetenland, er hasste Juden und Tschechen
gleicher maßen und liebte die deutsche Literatur. Diese
Liebe hat er mir vermacht. Im Deutschunterricht, in Got-
tes Namen, wenn wieder niemand seine Fragen beantwor-
ten konnte – ich wusste die Antwort. Das hat ihn natürlich
befriedigt. Er sagte dann oft: »Sogar die Juden wissen das.«
Zum Abschied hat er mir die Hand geschüttelt und gesagt:
»Schade, schade, dass Sie nicht an der großen völkischen
Revolution mittun können. Ewig schade, lieber Troller.«
Eine wahnsinnige Szene.
Diese Idioten.
Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg anfangs zurück nach
Wien gegangen, aber schon 1946 haben Sie in den USA ein
Studium begonnen. Danach waren Sie nie wieder länger in
Österreich. War die Erinnerung an die Nazi-Zeit zu präsent?
Ich wäre gerne zurückgekehrt. Ich hatte doch Heimweh!
Die Leute dachten aber nach dem Krieg, man würde Öster-
reich jetzt hassen. Dabei habe ich es geliebt! Vielleicht mehr
als die Einheimischen! Aber nein, das durfte man nicht,
das wurde nicht akzeptiert. Jetzt erzähle ich Ihnen etwas,
was nicht in meinen Büchern steht. Eines Tages nach dem
»Anschluss« kam ein Mitschüler zu mir und sagte: »Troller,
wir können ja mal wieder Indianer spielen.« Wir gingen in
die Wohnung seiner Eltern, er band mich an einen Mar-
terpfahl, also einen Stuhl, und plötzlich öffnete er meinen
Hosenschlitz. Ich rief: »Was soll das?« Und er sagte: »Jetzt
wollen wir doch mal sehen, womit ihr Juden unsere christ-Neben Stapeln von Dokumenten lagertTroller auch eine Flasche Silvaner aus dem Elsass
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