Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1
jeden Tag auf die Welt neu einzugehen, auf die kleinsten
Dinge, das ist pure Poesie. Und er hat 50 solcher Bücher
geschrieben! Deshalb hat er den Preis verdient.
Sie meinen den Literaturnobelpreis?
Tja, und was er mit Serbien hat? Er hat Jugoslawien immer
geliebt, irgendwie verstehe ich ihn da sogar.
Politisch können Sie ihn nicht verstehen, nehme ich an.
Der Mann ist ein Zornbinkel, wie man in Wien sagt. Als
wir uns vor Kurzem getroffen haben, in einem Restaurant,
hatte ich trotz meines Hörgeräts Schwierigkeiten, ihn zu
verstehen. Ich fragte also ein paarmal: »Was sagst du?« Da
bekam er einen Wutanfall: »Ja, wenn du nichts hörst, dann
brauchen wir auch nicht zu reden!« So ist er. Ich habe den-
noch eine Schwäche für ihn. Aber dass er die Grabrede auf
Milošević gehalten hat, ist unverständlich.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Er hasst Journalisten, und alle Journalisten haben damals
Serbien kritisiert, deshalb musste für ihn das Gegenteil
wahr sein. Darf ich Ihnen noch eine Geschichte erzählen?

Als wir seinerzeit den Film über Peter Handke drehten,
hat er nach Drehschluss mit dem gesamten Honorar, das
er bekommen hat, das ganze Team ins teuerste Restaurant
von Paris eingeladen. Das hatte noch nie jemand gemacht


  • und es hat auch niemand nach ihm gemacht.
    Sie haben so viele Legenden porträtiert, zum Beispiel den
    Filmregisseur Orson Welles, der am Ende sogar den Beitrag
    über sich selbst filmen wollte.
    Ja, das fand ich so lustig. Er kümmerte sich während unseres
    Interviews auch um die richtige Ausleuchtung. Sie müssen
    sich das vorstellen: Er hat wirklich die eigenen Dreharbeiten
    an seinem Film Kafkas Prozess unterbrochen, damit unser
    Beitrag in seinen Augen etwas wurde. Köstlich.
    Romy Schneider bat vor dem Interview um Alkohol, um
    lockerer zu werden.
    Ja, sie sagte: »Ich kann nur Rollen spielen, aber ich kann
    mich selbst nicht darstellen.« Sie war anständig, und da-
    mals, so sagte man das wirklich, hatten anständige Mädchen
    nicht vor anderen Leuten über ihre Probleme zu sprechen.
    Muhammad Ali hingegen ist auf Sie zugerannt.
    Dem war alles recht. Wir haben ihn in seinem Trainings-
    camp in Pennsylvania besucht, er bereitete sich gerade
    auf einen Weltmeisterschaftskampf gegen Joe Frazier vor.
    Wir waren noch am Aufbauen, das Licht war noch nicht
    eingerichtet, da legte er schon los, hat einfach anderthalb
    Stunden geredet, über sich, über seinen Hass auf Rassen-
    vorurteile. »Vielleicht werde ich Professor in Oxford«, hat er
    gesagt. Beim Boxen geht es auch darum, eine menschliche
    Beziehung zum Gegner herzustellen, du musst den Gegner
    durchschauen, wie er funktioniert, und das konnte er, ganz
    intuitiv. Er konnte wunderbar mit anderen Menschen, aber
    er war auch ein Besessener. Wir haben ihn dabei beobach-
    tet, wie er einen Film über seinen letzten Kampf gegen
    Frazier anschaute, das gehörte zu seinen Vorbereitungen. Im
    linken Arm hielt er seinen kleinen Jungen, mit der rechten
    Hand boxte er live mit der Leinwand. Ich dachte, dass er
    dem Kleinen jeden Moment versehentlich eine runterhauen
    würde, aber es ist nichts passiert. Ich hingegen kann mich
    selbst nicht sehen. Ich zeige mich in meinen Beiträgen auch
    nie, daran bin ich nicht interessiert.
    Sie haben auch immer wieder die Modemacher von Paris
    interviewt, Coco Chanel, Christian Dior ...
    ... und Karl Lagerfeld, ja. Es ging oft schief, weil ich mich
    nicht genug für ihre Mode interessierte, ich habe wirklich
    keine Ahnung davon.
    Dabei haben Sie eine unverkennbare Frisur.
    Ich hatte lange Zeit einen Zopf, das war ja mal Mode. Aber
    irgendwann ging meine Stirn immer höher und höher, und
    da dachte ich, jetzt mache ich das Gegenteil und kämme al-
    les nach vorne. Na ja. In meinen Gesprächen bin ich ja im-
    mer auf die Person selbst eingegangen, und das behagte den
    Modeleuten nicht. Ich weiß noch, wie wenig Karl Lagerfeld
    es mochte, als ich ihn fragte, warum die Modemacher alle
    Männer waren, abgesehen von Coco Chanel, und warum es
    auch unter den berühmten Köchen keine Frau gab.


Troller hat in letzter Zeit zehn Kilo abgenommen,

deshalb muss er neue Löcher in den Gürtel machen


22

Free download pdf