Meine Nachtträume sind sehr intensiv und sehr konkret. In ihnen verarbeite ich, was ich am Tag erlebt habe. Das ist sehr anstrengend, vor allem wenn ich mitten in Dreharbeiten stecke. Entspannen, abschalten, das fällt mir im Alltag schwer. Oft sind meine Träume nur eine Verlängerung des Tages, die Anspannung begleitet mich bis in den Schlaf: Ich bin mit den Kollegen am Set, verhandele mit dem Regisseur. Immer bin ich dabei die Schauspielerin, nie die Figur, die ich spiele. Anscheinend brauche ich diese Form der Verarbeitung. Die Atmosphäre am Set, die vielen Menschen, die unterschied-lichen Beziehungen, die unterschwelligen Fragen: Wo fängt die Figur an, und wo höre ich auf? Wer von uns beiden ist gerade gemeint? All das ist intensiv und fordernd, aber da ich mich auf meine Arbeit konzentrieren muss, kommt die Auseinandersetzung mit diesen Dingen am Tag wohl zukurz. Daher muss ich im Traum so viel abarbeiten. Erholsam sind solche Nächte nicht. Deshalb mache ich im-mer lange Pausen zwischen meinen Projekten. Solche Ruhe-phasen sind existenziell wichtig für mich – auch um andere Träume haben zu können. Wenn die Anspannung nachlässt, werden meine Träume abstrakter und bunter. Diese Träume genieße ich sehr.Ich bin eigentlich ein Kopfmensch, ich neige dazu, alles ra-tional ergründen zu wollen. Vielleicht träume ich gerade des-halb von einer Gesellschaft, in der sich nicht alles um Ratio, Leistung, Erfolg oder Attraktivität dreht; in der es nicht nur für Arbeit Anerkennung gibt, sondern auch dafür, Blumen zu pflücken oder in den Himmel zu schauen; in der alle Aus-drucksformen möglich sind und ich eine Frage auch mit einem Tanz, einem Lied oder einem Gedicht beantworten kann; in der wir freier sind, weniger festgelegt und eingeschränkt von den unterschiedlichen Etiketten, die an uns kleben.Kürzlich habe ich in der Straßenbahn ein Kind gesehen, das scheinbar ohne Anlass laut gelacht hat. Täten wir das als Erwachsene, würden wir merkwürdig beäugt, als gestört oder zumindest als seltsam abgestempelt werden. Ich träu-me davon, dass es in unserer Gesellschaft mehr Raum für so etwas gibt.Sicher, ich könnte mir diese Freiheit einfach nehmen, unge-achtet der Reaktionen. Aber wie den meisten ist es mir nicht egal, was andere von mir denken und wie sie mich bewerten. In uns allen ist die Angst, nicht zu genügen, nicht geliebt zu werden. Das führt dazu, dass wir Bestätigung von außen su-chen statt in uns selbst, gerade auch in meinem Beruf. Es istwie bei einem löchrigen, tropfenden Tank, in den wir immer weiter Benzin nachschütten, statt das Loch zu flicken. Ich wünsche mir für mich und andere, dass wir erkennen: Wir sind einzigartig, und es spielt keine Rolle, wie andere uns be-werten oder was sie von uns erwarten.»Im Traum muss ich viel abarbeiten. Erholsam sind solche Nächte nicht«
Liv Lisa Fries, 29, ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Als Schauspielerin wurde sie mit Foto Bettina TheuerkaufAufgezeichnet von Jörg BöckemZu hören unter http://www.zeit.de/audio
zahlreichen Film und Fernsehpreisen ausgezeichnet,unter anderem mit einem GrimmePreis für ihreLeistung als Hauptdarstellerin in »Babylon Berlin«.
Die dritte Staffel dieser Serie ist ab dem 24. Januar
auf Sky zu sehen, im Herbst auch in der ARD