Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

Montag, 27. Januar 2020 ZÜRICH UNDREGION 13


Die Geduldsprobe im Säuliamt hat ein Ende


AmMontagentscheidet der Zürcher Kantonsrat über den Zusatzkredit für den A-4-Zubringer Obfelden/Ottenbach


STEFANHOTZ


Als Philipp Metzler sich 2012 als Kampa-
gnenleiter für denA-4-Zubringer Obfel-
den/Ottenbach einsetzte, besuchte seine
Tochter den Kindergarten. Heute geht
sie in die zweite Sekundarklasse. Bis die
Strasse fertig gebaut istund die beiden
Dörfer im Knonauer Amt vomDurch-
gangsverkehr entlastet werden, wird sie
erwachsen sein. «Es war für uns eine
schwierige Zeit», sagt Metzler, der sich
heute in der «IG Sicherer Schulweg»
engagiert. Eine Interessengemeinschaft
aus Eltern und Anwohnernkönne nicht
ohne weiteres achtJahre lang die Moti-
vation aufrechterhalten.Dabei war im
September 2012 der kantonaleVolksent-
scheid klar: Über 62 Prozent und sämt-
liche Gemeinden des Kantons Zürich
stimmten demBaukredit zu.


Hürdenlauf durch Amtsstuben


Dennoch folgte für die Anwohner eine
wahre Geduldsprobe; in einem offenen
Brief an alle Mitglieder des Kantonsrats
schreibt die IG von einer Zumutung und
Überforderung für politischeLaien. Zu-
erst vergingen zweiJahre bis zur Plan-
auflage, auf die zwei weitereJahre für die
Behandlung von 77 Einwendungen folg-
ten, ehe das Projekt festgesetzt werden
konnte. Überdies gingen 5 Einsprachen
ein, von denen das ZürcherVerwaltungs-
gericht die letzte Ende 2018 erledigte.
«DasTüpfelchen auf dem i waren
dann der Zusatzkredit und die Erkennt-
nis, dass plötzlich alles wieder auf dem
Spiel steht. Denn eigentlich fieberten
wir alle demBaubeginn entgegen», sagt
Metzler. «Die Nerven lagen blank.»Tat-
sächlichreichen die vom Stimmvolkbe-
willigten 40 MillionenFranken nicht.Der
Regierungsrat musste im letzten März
um einen Nachschlag von knapp15 Mil-
lionen ersuchen.Über diesen entscheidet
der Kantonsrat am Montag.
Das Projektreicht von derReuss-
brücke an der Grenze zum Aargau bis
zum Anschluss Affoltern der A4. Otten-
bach erhält eine südliche Umfahrung,
im Obfelder Ortsteil Bickwil wird die
Strasse tiefergelegt und auf 250 Metern
Länge überdeckt.Weil dasVorhabenTeil
desAutobahnbaus im KnonauerAmt war


und ist, bezahlt der Bund 25 Millionen an
die Gesamtkosten.
Die Erhöhung von 65 auf gut 80 Mil-
lionen umfasst auch eine Altlastensanie-
rung und Unvorhergesehenes. Ironie der
Geschichte ist, dass auch derAusgaben-
posten fürLanderwerb wächst.Ursprüng-
lich sollte die Strasse zur Eröffnung der
A 4 fertig sein. Seither sind unter ande-
rem gerade wegen derAutobahn die
Bodenpreise im Säuliamt gestiegen.

Die Gemeinden sind bereit


Was würde ein Nein des Kantonsrats
zum Zusatzkredit bedeuten? «Ich darf
gar nicht daran denken», sagt Otten-
bachs Gemeindepräsidentin Gaby Noser
Fanger: «Für uns würde das heissen: zu-
rück aufFeld eins.» Ottenbach habe be-

reits viel Zeit und Geld in die Gestaltung
des neuen Dorfzentrums investiert. An
der Stelle der Strasse von derReuss her
ist ein Platz mit Gartenwirtschaft vorge-
sehen. Ein Spritzenhäuschen bleibt als
historisches Objekt stehen.
Für ihren Amtskollegen Thomas
Ammann in Obfelden wäre die Ableh-
nun g des Zusatzkredits ein «Schlag ins
Gesicht der Bevölkerung». Eine Lösung
sei auf die Eröffnung derA 4 hin verspro-
chen gewesen,das sei nun über zehnJahre
her. Mit der Projektierung des gewon-
nenenRaums auf der künftigen Über-
deckung in Bickwil sei die Gemeinde so
weit fertig. Mit der neuen Gestaltung der
Dorfstrasse in Obfelden befasse sich be-
reits eine Arbeitsgruppe.
Gesichert ist die Zustimmung des
Parlaments nicht. Ein Antrag der Grü-

nen, auf das Geschäft nicht einzutreten,
wird zwar nur von der AL unterstützt.
Gegen den Zusatzkredit ist auchkein
Referendum möglich, aber er unter-
steht derAusgabenbremse und benötigt
eine Mehrheit allerRatsmitglieder, also
91 Stimmen. DieFraktionen vonSVP,
FDP, CVP und EVP, die ihn befürwor-
ten,kommen zusammen auf 94 Stim-
men.Während der Grippesaison wird
das rasch einmal eng.
Aber es kann Entwarnung gegeben
werden.Laut Auskunft ihres Präsiden-
ten hat die SP-Fraktion Stimmfreigabe
beschlossen,und etwa die Hälfte der
Mitglieder werde den Zusatzkredit an-
nehmen. Die Grünliberalen werden
sich enthalten, aber mindestensRonald
Alder, Gemeinderat in Ottenbach,
dürfte wohl zustimmen.

Dass einTeil der SP, die 2012 klar
gegen die Strasse war, nun denVolks-
entscheidrespektiert und einlenkt, hat
vielleicht mit einem ähnlichen früheren
Fall zu tun.2010 verwarf eine unheilige
Allianz vonSVP, Grünen und GLP das
vomVolk bereits genehmigtePolizei- und
Justizzentrum (PJZ). Aber es gibt einen
Unterschied.Weil das PJZ in ein Gesetz
gekleidet war, legte dieRegierung den
Stimmberechtigten dessenAufhebung er-
neut vor. Als das Stimmvolk indirekt am
PJZ festhielt,gaben die Gegner nach.Ein
Nein am Montag wäre hingegen wohl das
Ende desA-4-Zubringers.

Eine bald 50-jährige Geschichte


Aber danach sieht es nicht aus. Damit
kommt eine lange Geschichte zu einem
Ende. Der Gemeinderat Ottenbach lud
schon1971 zu einem Orientierungsabend
betreffend die Gestaltung des Dorfplat-
zes ein.2007 strich sogar derRegierungs-
rat die zuvor versprochene Umfahrung
aus seiner Planung. Die Säuliämtler aber
liessen nicht locker, pochten darauf, dass
auch Ottenbach und Obfelden durch die
A 4 entlastet werden,undkonnten nach-
einanderRegierung, Parlament undVolk
überzeugen.
«Wir wollen, dass die Dorfzentren
wieder lebenswert werden und sicher
für unsere Kinder. Es soll wieder attrak-
tiv sein, sich zuFuss und perVelo auf der
Strasse zu begegnen», sagt Philipp Metz-
ler. Dabei seien derDurchgangs- und der
Schwerverkehr bis heute ein Hindernis.

In Bickwil (Obfelden) soll die Strasse tiefergelegt undauf 250 Metern Länge überdeckt werden. KARIN HOFER/ NZZ

1Kilometer

Ottenbach

ObfeldenObfelden

BickwilBickwil

Bickwiler Hoger

Reuss

A

A-4-Zubringer Ottenbach/Obfelden, wie er
geplant ist.

Muristrasse

Muristrasse

Affolternstrasse

Ottenbacherstrasse

Dorfstrasse

NZZ Visuals/cke.

OBERGERICHT


Nach de r Kündigung brannte die Firma


Ein 28-Jähriger wird wegen Brandstiftung amFirmengebäudeseines einstigen Arbeitgebers verurteilt


MICHAELVON LEDEBUR


Im Februar 2016 verbringen vier junge
Männer gemeinsam einen Abend. Sie
kaufenWhisky und Cola, hängen an
Tankstellenshops und auf einemPark-
pl atz herum – und irgendwann nimmt
die Idee Gestalt an, dasLager des ver-
hassten Arbeitgebers abzufackeln. An
einer Zapfsäule wird eine leereWasser-
flasche mit Benzin gefüllt, dann geht die
Fahrt in ein Industriegebiet im Bezirk
Dielsdorf im Zürcher Unterland.
Zwei der Männer warten imAuto,
die beiden anderen steigen aus und
schlagen Scheiben ein. Der eine hilft
dem anderen mit einerRäuberleiter
ins Gebäude. Dort besteigt dieser eine
Empore, verspritzt Benzin und setzt die
Flüssigkeit inBrand. Bald steht nicht
nur das Lokal des Arbeitgebers, son-
dern das gesamte Geschäftsgebäude in
Flammen. Es brennt bis auf die Grund-
mauern nieder. Der Schaden beträgt
1,65 MillionenFranken.


Täterund Opfer ausSri Lanka


Dass sich der Sachverhalt so zugetragen
hat , ist unbestritten, die Beschuldigten
haben ihn eingestanden. Die mutmass-
lichen Täter stammen alle aus SriLanka.
Der Geschädigte dürfte einLandsmann
sein. Der Name, unter dem dieFirma
im Zürcher Handelsregister eingetra-


gen ist, legt diesen Schluss nahe. Die
Firma vertreibt Nahrungsmittel und Ge-
tränke und «andere überseeische Spe-
zialitäten». Zwei der vier Männer waren
eine Zeitlang Angestellte des Unterneh-
mens. Das Arbeitsverhältnis war jedoch
getrübt. Dies warThema, als man sich
am Abend vor der fraglichenFebruar-
nacht traf.
Dem einen der Männer war kurz zu-
vor gekündigt worden, wobei es Streit
um angeblich nicht ausbezahlte Über-
stunden gegeben haben soll. Der andere
beklagte sich, sein Chef habe ihn kürz-
lich übel beschimpft, weil er zu spät zur
Arbeit gekommen sei.
Die Ermittlungen führten diePoli-
zei rasch zu den Tätern. ZumVerhäng-
nis wurde ihnen, dass ihre Mobiltelefone
eingeschaltet gewesen waren und sie so-
gar miteinanderkommuniziert hatten.
Dadurchkonnten die Ermittler ihren
Aufenthalt amTatort nachweisen.
Begehen mehrere Leute gemeinsam
ein Verbrechen, unterscheidet das hie-
sige Strafrecht genau, wer welcheRolle
gespielt hat. Ein Mitläufer wird sanf-
ter angepackt als einRädelsführer. Das
Bezirksgericht Bülach hatteim Herbst
2018 zwei der Männer als Täter iden-
tifiziert und beide mit Haftstrafen be-
legt. Ein Mann wurde freigesprochen,
weil er sich nicht beteiligt hatte. Ein
vierter Mann wurde als Gehilfe einge-
stuft und milder bestraft. Dieser hatte

zwar bei derAusführung direkt mitge-
wirkt, hatte aber nach Einschätzung
des Gerichtskein Motiv und war stark
alkoholisiert.
Bei den Haupttätern handelt es sich
um die beiden einstigen Angestellten
der Firma. Doch nur einer von ihnen
hatte dieTat ausgeführt und das Ge-
bäude angezündet. Der andere war im
Auto geblieben. Letzterer war es auch,
der denFall weitergezogen hat, wäh-
rend die anderen ihre Strafe akzeptier-
ten. Deshalb kam es am Donnerstag zu
der Verhandlung vor dem Obergericht.
Der 28-jährige Mann, der seit 2011 in
der Schweiz lebt, stellte den Sachverhalt
so dar, als wäre erkomplett schuldlos in
die Situation geraten. Er schob dieTat
vollständig seinemeinstigen Arbeits-
kollegen zu.
Er habe nicht geahnt, was seinKol-
lege vorhabe, sagte der Beschuldigte.Auf
Nachfrage des Richtersräumte er ein,
man habe imAuto über einen Brand-
anschlag gesprochen, aber an dieser Dis-
kus sion habe gerade er sich nicht betei-
ligt. Ohnehin habe man lediglich allge-
mein über dasThema gesprochen, nicht
über ein spezifischesVorhaben. Weshalb
er denn überhaupt zu dem Geschäfts-
gebäude gefahren sei, wollte der Rich-
ter wissen. Er habe Angst vor seinem
Kollegen gehabt, dieser habe ihn unter
Druckgesetzt, antwortete der Beschul-
digte. «Ich hattekeine andereWahl.»

Worin dieser Druck bestanden haben
soll,konnte der Beschuldigte auch bei
der dritten Nachfrage des Richters nicht
darlegen. Schliesslich sagte der Mann, er
habe angenommen, seinKollege wolle
den Arbeitgeber schädigen, indem er ihm
Salz in denTank schütten würde. «Hätte
er gesagt, er wolle ein Gebäude in Brand
setzen, wäre ich nicht dorthin gefahren.»
Schwer fiel es dem Mann, eine glaub-
würdige Erklärung dafür zu finden, dass
er es war, der an derTankstelle eine Fla-
sche mit Benzin auffüllte. «Das warrei-
ner Zufall», so der Beschuldigte. Zur
Tankstelle sei er nur gefahren, weil ge-
rade in diesem Moment das Benzin
ausgegangen sei.Während desTankens
habe dann einKollege die leere Flasche
durchsFenster gereicht, die er ohne wei-
teres Nachdenken aufgefüllt habe. «In
über vierzigJahren alsAutolenker habe
ich nie eine Mineralwasserflasche mit
Benzin gefüllt», entgegnete der Richter.
Dies sei umso erklärungsbedürftiger, da
ja keiner der drei übrigen Insassen ein
Auto besitze. Der Mann vermochte den
Widerspruch nicht aufzulösen und wie-
derholte einsilbig, es habesich alles zu-
fällig so ergeben.
Aus dem Urteil derVorinstanz er-
gibt sich freilich ein ganz anderes Bild.
Gemäss diesem handelte der Beschul-
digte gezielt. Er kaufte das Benzin und
fülltees in dieFlasche. Selbst den Alko-
hol habe er mit dem Ziel erworben, die

Hemmschwelle der Beteiligten zu sen-
ken. Schliesslich war er der Einzige, der
ein Fahrzeug besass. Wä re er an diesem
Abend nicht zu demFabrikgebäude ge-
fahren, wäre es nicht zu der Brandstif-
tung gekommen.

«PassiveMari onette»


DerVerteidiger forderte vor Ober-
gericht einen Freispruch und even-
tualiterein e bedingte Strafe von 14
Monaten wegen Gehilfenschaft: Sein
Mandant sei, im Gegensatz zum zwei-
ten Täter, keineswegseine treibende
Kraft gewesen, sondern sei als passive
Marionette zu betrachten.Das Ober-
gericht bestätigte aber das Urteil von
42 MonatenFreiheitsstrafe unbedingt
wegen Brandstiftung auf der ganzen
Linie. Das identische Strafmass hatte
die Vorinstanz übrigens auch über den
zweiten Täter verhängt.
Neben der dreieinhalbjährigen Ge-
fängnisstrafekommenauf denMann
enorme Schadenersatzforderungen
zu, die das Gericht im Grundsatz be-
stätigte. DieForderungen verschiede-
ner Versicherungen liegen total bei fast
zwei MillionenFranken. Sein Anteil von
45 Prozent wurde vom Obergericht be-
stätigt.Das Abstottern dieser Summe
dürfte ihn ein Leben lang belasten.

SB 190 236-O, noch nicht rechts kräftig.
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