Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

Montag, 27. Januar 2020 WIRTSCHAFT 17


Wenn Detailhändler überleben wollen, müssen ihr


Online- und Offlinehandelineinandergreifen SEITE 19


Anleihen aus Schwellenländern sind weiter attraktiv –


wenn man die politischen Risiken einkalkuliert SEITE 21


WIRTSCHAFT IM GESPRÄCH


«Schweizer Uhren werden ja auch nicht in China gefertigt»


Für den Canada-Goose-CEO Dani Reiss war es nie ein Thema, die Produktion seiner Daunenjacken von Kanada nach Asien zu verleg en


PHILIPP HUFSCHMID,TORONTO


Nach dem Studium der englischen
Literatur wollteDaniReiss eigentlich
Schriftsteller werden.Umetwas Geld
für eineReise zu verdienen, fragteersei-
nenVater1996, ob er für einige Monate
in dessenFabrik arbeitenkönne. Dabei
entwickelte er auch ein paar Ideen, wie
das Geschäft verbessert werdenkönnte.
SorealisierteReiss etwa die ersteWeb-
site für dasFamilienunternehmen, das
sein Grossvater, ein polnischer Einwan-
derer, 1957 gegründet hatte. Heute ist
der 46-Jährige Präsident und CEO von
Canada Goose. Unter seiner Leitung
ist aus einem Kleinbetrieb, der haupt-
sächlich imAuftrag von anderenFir-
menDaunenjacken fertigte, ein börsen-
kotiertes Unternehmen geworden, das
für seine gegen extreme Kälte schützen-
denDaunenparkas bekannt ist.
AlsReiss 20 01 die Leitung derFirma
übernahm, stellte er dieAuftragsfertigung
komplett ein und setzte ausschliesslichauf
den Markennamen «Canada Goose», der
zuvor nur in Europa undJapanverwen-
det worden war. Weil das Geld für teure
Werbekampagnen fehlte, musste er alter-


native Marketingstrategien verfolgen. Er
statteteForscher, Abenteurer undFilm-
teams, die an die kältesten Orte der Erde
reisten, mitParkas aus, die dann inMaga-
zinen undFilmen auftauchten. So kam es
auch, dass das Model Kate Upton 2013
auf dem Cover derBadeanzug-Ausgabe
von «Sports Illustrated» überdemBikini
eine Canada-Goose-Jacke trug.

Partnerschaft mit derRegierung


Auch dank solchen Marketing-Coups
ist das Unternehmen jüngstrasant ge-
wachsen. 20 16 wurden in NewYork und
Toronto die ersten eigenenLäden eröff-
net, inzwischen sind es 21 weltweit. 20 17
erfolgte der Börsengang. Im vergange-
nen Geschäftsjahr erzielte Canada Goose

einen Umsatz von 830 Mio. kan. $ (
Mio. Fr.) und einenReingewinn von 144
Mio. kan.$.
Am Anfangstand freilich blossReiss’
Überzeugung, dass es eine Nachfrage
nach hochwertiger Oberbekleidung
«made in Canada» gebe.«Wir wollen
unsere Produkte an dem Ort herstel-
len, der dafür am besten geeignet ist»,
erklärtReiss im Gespräch am Haupt-
sitzin Toronto. Für sein wichtigstes Pro-
dukt, dieParkas, sei das Kanada. Eine
Verlagerung der Produktion inkosten-
günstigereLänder etwa in Asien sei für
ihn nie einThema gewesen.«Schweizer
Uhrenwerden ja auch nicht in China ge-
fertigt», sagtReiss. Dass die Zahl poten-
ziellerKunden stark eingeschränkt ist,
weil die in Kanada gefertigtenParkas
für die meisten Menschen unerschwing-
lich sind, nimmt er in Kauf.
4600 der rund 50 00 Mitarbeitervon
Canada Goose befinden sich in Kanada,
wobei gerade in derFertigung sehr viele
Zuwanderer aus allerWelt beschäftigt
werden. Kanada verfolge eineklareEin-
wanderungspolitik,erklärtReiss. «Wir
sind deshalb einePartnerschaft mit der
Regierung eingegangen und stellen viele

Neu-Kanadier ein.»Das interneAusbil-
dungsprogramm durchliefen aber auch
Menschen, die in ihrem Berufkeine
Stelle mehr fänden und deshalb eine
Umschulung machen wollten. «Allein im
letztenJahr haben wir in der Produktion
über 10 00 Mitarbeitereingestellt.»

Aktienkurstrotzt Tierschützern


DieVerwendung vonDaunen undKo-
jotenpelzen für dieParkas hat dem
Unternehmen wiederholt scharfe Kri-
tik vonTierschutzorganisationen ein-
getragen.Reiss begründet dieVerwen-
dung vonDaunen damit, dass diese das
beste natürliche Isoliermaterial seien
und als Nebenprodukt der Nahrungs-
mittelindustrie ohnehin anfielen. Er
verteidigt auch die zum Schutz des Ge-
sichts mitPelz gesäumten Kapuzen der
Parkas. Pelz sei das einzige Material, das
bei extremer Kälte schütze und trotz der
Feuchtigkeit des Atems wirksam bleibe.
Verwendet würden ausschliesslichPelze
vonKojoten, die zur Bestandesregulie-
rung gejagt würden.
Dem Aktienkurshat die Kritik der
Tierschützer bisher kaum geschadet.

Eingebrochen ist dieser dagegen nach
der Verhaftung der Huawei-Finanz-
chefin MengWanzhou durch die kana-
dischen Behörden Ende 2018. Obwohl
sich Befürchtungen,Chinakönnte in der
Folge kanadische Marken wie Canada
Goose boykottieren, nicht bewahrheite-
ten, hat der Aktienkurs dieEinbusse bis-
her nicht wettmachenkönnen.
AlsVater von zwei Kindern istReiss
Nachhaltigkeit wichtig. «Vor allem in
Nordamerika, aber auch weltweit hat
sich eineWegwerfmentalität ausgebrei-
tet», kritisiert er. Seine Eltern hättenihm
aber «europäischeWerte» vermittelt.
Das heisse zum Beispiel, dass man be-
reit sei,etwas mehr Geld für eine Sache
auszugeben, wenn diese länger halte.
«Auf unsereParkasgeben wir deshalb
eine lebenslange Garantie.»
Reissräumtaberein, dass es bei Ca-
nada Goose in Sachen Nachhaltigkeit
noch Handlungsbedarf gebe. «Jedes
Unternehmen sollte wissen, wie gross
sein CO 2 -Abdruck ist, und sich Ziele set-
zen, um die Emissionen zu verringern.»
Ein Bericht mitkonkreten Emissions-
zahlen undReduktionszielen für Canada
Goose sei in Arbeit.

Dani Reiss
Seit 2001 CEO
BLOOMBERG von Canada Goose

Das Wohnparadies für alle ist eine Illusion


Günstige Wohnungen lösen das Problem des knappen Wohnraums in den Grossstädten nicht – es braucht andere Massnahmen


ANDREA MARTEL


Die Initiative «Mehr bezahlbareWoh-
nungen» verlangt, den Anteil gemein-
nützigerWohnungen schweizweit auf
10% zu erhöhen. Um herauszufin-
den, ob das eine gute Idee ist, hilft es,
mit einem Gedankenexperiment den
Extremfall zu simulieren:Was geschähe,
wenn man das Ziel der Initiative auf die
Spitze triebe?Würden die Probleme auf
demWohnungsmarkt gelöst, wenn die
öffentliche Hand zumindest in den Städ-
ten, woWohnraum knapp ist, denWoh-
nungsmarktsukzessive übernähme und
selber (oder via die Unterstützung ge-
meinnützigerWohnbauträger) für alle
günstigeWohnungen bereitstellte?


Am Schluss bleibtdie Warteliste


Die DenkfabrikAvenir Suisse hat dieses
Szenario in ihrer Publikation«Was wäre,
wenn.. .» durchgespielt undkommt zu
einem klaren Schluss:Wenn dieWoh-
nungen dankstrikterKostenmiete auf


breiterFront deutlich günstiger wer-
den, wird dadurch dieVersorgung mit
Wohnraum nicht etwa besser, sondern
schlechter. Erklären lässt sich das wie
folgt: Heute hält sich die Nachfrage nach
erstklassigen urbanenLagen in Gren-
zen, weil viele Leute es sich nicht leisten
können, so zu wohnen.Wenn aber der
MietpreiskeineRolle mehr spielt, weil
Wohnen überall «bezahlbar» ist, wollen
natürlich plötzlich viel mehrPersonen
an besterLage wohnen.
Für die Zuteilung derWohnungen
müssen dann andere Mechanismen als der
Preis herangezogen werden. Sokönnte
diePolitik vorgeben, dass dieVermieter
jene bevorzugen, die bereits im Quar-
tier wohnen, oder versuchen, auf diesem
Weg politische Ziele durchzusetzen, in-
dem etwa nur Interessenten berücksich-
tigt werden, die auf einAuto verzichten.


Aber selbst solcheRestriktionenkönnten
die Nachfrage nur beschränkt dämpfen,
weilWohnungen auf derBasis derKos-
tenmiete schlicht zu attraktiv sind.
Wenn die Zahl der Mietinteressenten
ungebrochen steigt, bleibt am Schluss
nur eine Möglichkeit, die Situation zu
beherrschen: die Warteliste. In Stock-
holm, wo die meistenWohnungen in
kommunalem Besitz stehen, ist genau
das derFall.Laut einer Studie der Cre-
dit Suisse war dort 20 17 fast eine halbe
Million Menschen auf derWarteliste.
Das Knappheitsproblem wird zusätzlich
verschärft,daauch die Bereitschaft der
bestehenden Bewohnersinkt, aus ihren
günstigenWohnungen wieder auszu-

ziehen – selbst wenn dieWohnung den
eigenen Bedürfnissen gar nicht mehr
unbedingt entspricht. Zu hoch wäre das
Risiko, wiederJahre auf eineneue Woh-
nung warten zu müssen.
Unabhängig vomPortemonnaie sind
die Leidtragenden jene, die aufWoh-
nungssuche sind – dieJungen, die Ge-
schiedenen, die Mobilen. Sie sind nunmit
erheblichen Suchkostenkonfrontiert.Je
«bezahlbarer» dieWohnungen, desto
höher die Suchkosten.Auch hierfür lie-
fert StockholmAnschauungsmaterial:
DieWartezeiten betragen in der Innen-
stadt bis zu 30Jahre. Nun kann man argu-
mentieren,Wartelisten seien besser, als
mit dem kalten, unpersönlichen Markt

konfrontiert zu werden. Gutverdie-
nende, die es im Leben sowieso leichter
haben,sollen nicht zusätzlich bevorzugt
werden, indem sie sich auch die besten
Wohnungen schnappenkönnen. Aber
irgendwannkönnte lautAvenir Suisse
die Schmerzgrenzeerreichtsein und die
Frage auftauchen, ob langeWartezeiten
nicht genauso ungerecht sind wie hohe
Mieten. Im Markt haben jene einenVor-
teil, die über mehr Einkommen verfügen;
dochWarteschlangen bevorteilen jene,
die viel Zeit haben.
Auch auf die Bodennutzung kann sich
diePolitik der bezahlbarenWohnungen
negativ auswirken:Wenn wertvolleRes-
sourcen unterWert angeboten werden,

muss man damitrechnen, dass sie ver-
schwendet werden. Private Eigentümer
reagierenrasch auf dieVerknappung des
Baulandes:Wenn es dieBauvorschrif-
ten erlauben,leiten sie eineVerdich-
tung ein, weil sie damit dieRentabilität
ihrer Investitionen erhöhenkönnen.In
der Stadt der bezahlbarenWohnungen
müsste hingegen dieVerdichtung über
den politischen Prozess laufen. Die be-
stehenden Mieter, die auchWählersind,
haben jedochkeinen Anreiz, einer höhe-
ren Verdichtung zuzustimmen. Sie tragen
schliesslich derenKosten, erzielen dar-
aus aber wenig Nutzen.

Bessere Rahmenbedingungen


Als Handlungsalternative, um die Situa-
tion auf den knappen städtischenWoh-
nungsmärkten zuentschärfen, empfiehlt
Avenir Suisse folgendenWeg. Politik und
Behörden sollten untersuchen, warum
dasWohnen in «ihrer» Stadt besonders
teuer ist.WelcheRegulierungenerhöhen
dieBaukosten, welche verhindern, dass
mehrWohnungen gebaut werden? Es
gibt zigVorschriften, die denWohnungs-
bau in den Städten bremsen: von Dich-
tebeschränkungen und Mindestabstän-
den überLärmschutzvorschriften und
Regeln zum Schattenwurf bis hin zu rigi-
den Denkmalschutzauflagen.Auch die
Zonenplanungkönnte mehr Flexibili-
tät vertragen. Abschreckend auf Inves-
toren wirken schliesslich langwierige
Baubewilligungsprozesse und unkalku-
lierbare Einsprachemöglichkeiten.
Wenn diese Hemmnisse abgebaut sind
und danach trotz einer höherenWohn-
bautätigkeit in den Zentren dieWohn-
ausgaben gewisser Einwohnergruppen
immer noch als zu hoch beurteiltwerden,
sollte als Alternative die Subjektförde-
rung in Betracht gezogen werden.Da-
bei werden nicht günstigeWohnungen
für alle gebaut, sondern die Haushalte,
die es nötig haben, erhalten eine Sub-
ve ntion (das«Wohngeld»), die sie für die
Miete einer von ihnen gewähltenWoh-
nung frei einsetzenkönnen.Damit lies-
sen sich die meisten bisher erwähnten
negativen Effekte vermeiden.

Greift der Staat beimWohnungsbau zu stark ein, wird das Angebotnicht besser, sondern schlechter. CHRISTIAN BEUTLER/KEYSTONE

Mehr bezahlba re Wohnungen


Eidgenössische Abstimmung
vom 9.Februar 2020

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