Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

Montag, 27. Januar 2020 GELD & FINANZEN 21


Keine Angst vor Schwellenländer-Anleihen


PolitischeEreignisse entscheiden 2020 über Gedeih und Verderb vonEmerging-Markets-Obligationen


ANNE-BARBARA LUFT


Investoren, die im vergangenenJahr auf
Anleihen aus Schwellenländern gesetzt
haben,konnten sich über zweistellige Er-
träge freuen. Neben der weiterhin expan-
siven Geldpolitik der Notenbanken in
den USA, Europa undJapanhaben
auch andereFaktoren dasRally an den
Bondmärkten der sogenannten Emer-
ging Markets gestützt. Nun beschäftigt
viele Marktteilnehmer dieFrage, ob es
im neuenJahr so weitergehen wird.


Attraktive Renditeaufschläge


DieRenditen von Schwellenländer-An-
leihen sind imVergleich zu denjenigen
an den Kapitalmärkten der entwickel-
ten Welt trotz der starkenKursentwick-
lung nach wie vor attraktiv. Hinzukom-
men zahlreicheFaktoren, die die Märkte
auch 2020 unterstützen – wie eine
lockere Geldpolitik der US-Notenbank
und der Europäischen Zentralbank
(EZB),eine Abkühlung des Handels-
konflikts zwischen China und den USA
sowie einrobustesWirtschaftswachstum
in China.Trotzdem müssen sich Anleger
in diesem Jahr auf neue Risiken einstel-
len und bei ihren Investments in Emer-
ging-Markets-Bonds selektiver werden.
Sie sollten vor allem die zahlreichen
politischen Ereignisse imAuge behalten,
die 2020 in den Schwellenländern anste-
hen. So spielt ein zunehmenderPopu-
lismus auch in den Emerging Markets
eine grosseRolle und stellt ein Risiko
für Investoren dar.
In diesemJahr stehen in vielen wich-
tigen SchwellenländernWahlen an, die
im schlechtestenFall zuVerwerfungen
an den jeweiligen Bondmärkten führen
können.Von grössterBedeutung wer-
den dieWahlen am 21. Februar in Iran
sein. Beobachter erwarten, dass die
Hardliner imParlament mehr Macht er-
hal ten. Seit bekannt wurde, dass irani-
sche Streitkräfte versehentlich einPas-
sagierflugzeug abgeschossen haben, gibt
es wieder wütende Proteste. Die US-
Sanktionen haben dasLand bereitsin
eine tiefeRezession gestürzt. Die Span-


nungen zwischen Iran und den USA
werden nach der Eskalation zuJahres-
beginn nicht sorasch abklingen und die
Region somit ein Krisenherd bleiben.
Im April wird in Südkorea ein neues
Parlament gewählt.Laut jüngsten Um-
fragenkönntedie DemokratischePartei
von Präsident MoonJae In wegenKor-
ruptionsvorwürfen undverschiedener
Rücktritte die Mehrheit verlieren. Das
würde Moonin seiner verbleibenden
Amtszeit erheblich schwächen. Wichtige
Reformenkönnen unter diesen ungüns-
tigenVoraussetzungen eher nicht mehr
durchgesetzt werden.
Regionalwahlen inRussland im Sep-
temberkönnten für das Geschehen an

den Märkten von Bedeutung sein. Sie
werden ein wichtiger Stimmungstest da-
für sein,was in Bezug auf dieParlaments-
wahlen imkommendenJahr zu erwar-
ten ist. Bei denRegionalwahlen im ver-
gangenenJahr hatte PutinsRegierungs-
partei bereits herbeVerluste verbucht.
Im Oktober müssen sich Brasiliens
PräsidentJair Bolsonaro und seine Ge-
folgsleute denWählern stellen. Die Zu-
stimmung seinerWähler hängt vor allem
vomVerlauf derWirtschaft ab, und diese
erholt sich nur sehr langsam von der
Rezession der letztenJahre. Miteinem
Wachstum von 1% im vergangenen und
geschätzten rund 2% in diesemJahr
wird Bolsonarokeine Begeisterungs-

stürme auslösen. Investoren fürchten
sich aber auch vor dem Ex-Präsidenten
Lula, der im November aus der Haft
entlassen wurde und nun die Opposi-
tion aufmischt.
Einen genauen Blickwerden die
Marktteilnehmer auch auf dieWah-
len in Ägypten richten, die stattfinden
werden, sobald dasParlament das neue
Wahlrecht verabschiedet hat. In Afrika
stehen noch weitereWahlen an, unter
anderem in Ghana, Côte d’Ivoire, Bur-
kinaFaso und Äthiopien. Dessen Minis-
terpräsident und Nobelpreisträger Abiy
Ahmed hat während seiner Amtszeit
politische und Wirtschaftsreformen
vorangetrieben. Ob dieser Pfad weiter-

verfolgt wird, hängt davon ab, ob seine
Prosperity-Partei in diesemJahr wie-
dergewählt wird. EinRegierungswech-
sel würde zuVerunsicherung unter den
Investoren führen.

Wahlen inden USA


Ein weiterer wichtiger Wahltermin


  • ausserhalb der Schwellenländer –
    könnte in diesemJahr die Unsicherheit
    an den Märkten erhöhen und damit
    vor allem die Emerging Markets unter
    Druck bringen: die Präsidentschaftswahl
    in den USA im November. DerWahl-
    ausgang wird sowohl diePolitik der US-
    Notenbank als auch die Entwicklung
    des Dollars beeinflussen.
    Im Gegensatz zu den politischen Ein-
    flussfaktoren sprechen dieFundamen-
    taldaten für weitere Engagements in
    Emerging-Markets-Bonds. Die Aussich-
    ten für das globaleWachstum haben sich
    in den vergangenenWochen wieder auf-
    gehellt. Mit einerRezession in den USA
    rechnen nur noch wenige Ökonomen.
    Trotzdem weiten sich die Unterschiede
    im Wachstum zwischen denVolkswirt-
    schaften der Industrie- und der Schwel-
    lenländer in diesemJahr voraussichtlich
    aus. Das Wachstum der aufstrebenden
    Volkswirtschaften wird in diesemJahr
    etwa viermal grösser sein als jenes in
    der entwickeltenWelt, was unter ande-
    rem darauf zurückzuführen ist,dass sich
    die Emerging Markets in einer früheren
    Phase desKonjunkturzyklus befinden.
    Während dieRenditen in Europa
    und den USA extrem niedrig und in vie-
    len Ländern sogar negativ sind, bieten
    Schwellenländer-Bonds nochRendite-
    aufschläge – das alleinkönnte sicher-
    stellen, dass die Mittelflüsse in diesem
    Jahr positiv bleiben und ein wichtiger
    Grund fürKursgewinne dieser Zinstitel
    bleiben. Im vergangenenJahr haben sich
    die Renditeaufschläge von Schwellen-
    länder-Bonds in Hartwährung, sowohl
    für Firmen- als auch für Staatsanleihen,
    zwar eingeengt. ImVergleich zu frühe-
    ren Jahren erscheinen einige Obligatio-
    nen daher teuer, aber nicht imVergleich
    zu Bonds der entwickelten Märkte.


Anlegerwerden die politischen Entwicklungen, etwa inTaiwan, Südafrika oder Brasilien, imAuge behalten müssen.ILLUSTRATION JÖRN KASPUHL

Der Ausbruch des neuen Coronavirus könnte die Anleger


weltweit auf dem falschen Fuss erwischen SEITE 21


Die Vorsorgeplanung ist eine grosse Herausforderung –


erst recht in Patchwork-Familien SEITE 22


WELTWIRTSCHAFT UNDFINANZMÄRKTE


Ein gefährlicher Moment für den globalen Kapitalmarkt


Der Ausbruchdes Coronavirus t rifft den euphorischins neueJahr gestartetenKapitalmarkt auf sehr hohem Kursniveau– und weitgehendunvorbereitet


ANDREAS UHLIG


Die Finanzmärkte hatten einen
schwungvollen Einstieg ins neueJahr.
Solche Starts sind zwar nicht unge-
wöhnlich,aber diesmal war dasVolu-
men neuer Anleihen so hoch wie noch
nie, allein im Euro-Marktsektor wur-
den über 200 Mrd.€ pl atziert. Als bei-
spielhaft für die Euphorie und Sorg-
losigkeit der Anleger gelten die An-
leihen der Ukraine über 1,25 Mrd.$
mit einem Coupon von 4,75% und
die CoCo-Anleihe der Erste Bank
über 500 Mio. €, überzeichnet trotz
hohem Risiko und niedrigem Zins
von 3,375%.


Sensibelreagierende Kurse


Die Bewertungen und die Risiken an
den Bondmärkten sind gegenwärtig ex-
trem hoch. Die Investoren gehen da-
von aus, dass dieNotenbanken ihre Zu-
fuhr von Liquidität fortsetzen und so
die hohe und exzessive Bewertung wei-
ter untermauern werden. Doch Anleihe-
kursereagieren sehr sensibel auf Ände-
rungen des Marktzinses. Steve Blumen-


thal, Chef der CMG Capital Manage-
ment Group, hat dies mit Beispielen aus
dem US-Treasury-Markt aufgezeigt.
Bei einerLaufzeit von 10Jahren ver-
ursacht ein Zinsanstieg um nur 1 Pro-

zentpunkt von einerRendite von 1,75
auf 2,75%rechnerisch einenKursver-
lust von 8,69%, bei einerLaufzeit von
30 Jahren ergeben sich bei einem An-
stieg von 2,375 auf 3,375%Kursverluste
von18,77%.
PotenzielleAuslöser eines spürba-
ren Renditeanstiegs sind nicht schwer
zu finden. Scott Minerd, Chefanleger

von GuggenheimPartners, stellt eine
rascheVerschlechterung der Qualität
des Marktes für Unternehmensanleihen
fest: Die Zahl der Defaults sei vergan-
genesJahr um 50% gestiegen.Setze sich
dieserTrend fort, werde irgendwann der
«TrippingPoint» erreicht, bei dem die
Investoren die Konkursgefahren zur
Kenntnis nehmen und höhereRendi-
ten verlangen.Sven Henrich von Nor-
thernTraders sieht eine versteckte Ge-
fahr, da der stete Zufluss von Noten-
bankliquidität dieKurse künstlich hoch-
treibe. Einreduzierter Zufluss – oder
ein Rückgang der Buyouts und der da-
mit verbundeneRückgang von Liquidi-
tät –könnte die Bewertungsblase zum
Platzen bringen.

Phaseder Sorglosigkeit


Praktisch aus dem Nichts ist nun ein
neues und an den Märkten anfäng-
lich wenig beachtetes Risiko aufgetre-
ten. DerAusbruch des neuen Corona-
virus in Chinakönnte aber ein Black-
Swan-Ereignis sein, das die Märkte un-
vorbereitet trifft. Bill Blain von Shard
Ca pital stellt einen anderen Vergleich

an. Er fragt mit Blick auf die erwähnte
Anleihe für die Ukraine, ob man erneut
den bereits zur Marktlegende geworde-
nen Ukrainian Chicken Farm Moment
(UCFM) erreicht habe.
Hintergrund von BlainsVergleich
ist eine 2006 begebene Anleihe von
250 Mio. $ eines damals unterAnlegern
praktisch völlig unbekannten «verti-
kal integrierten Produzenten von Ge-
flügelprodukten», Mironiwski Hlibo-
produkt (MHP). Der Coupon von über
10%reichte aus, dass es zueinem hefti-
gen Ansturm von Anlegern und zu einer
massiven Überzeichnung kam.
Kurze Zeit später brach allerdings in
Hongkong dieVogelgrippe aus. MHP
war nicht versichert, der Markt wertete
sofort die neuen Bonds ab, und dieAn-
leger erlitten praktisch über NachtVer-
luste von 30% und mehr. Seither gel-
ten die periodisch auftretenden Phasen
am Emissionsmarkt,in denenalles geht
und die Anlegerkeine Vorsicht walten
lassen wollen, eben als Ukrainian Chi-
ckenFarm Moment. Der Ausbruch
des Coronaviruskönnte in eine sol-
che Phase gefallen sein – mit entspre-
chenden Gefahren nicht nur für ein-

zelne Anleihen, sondern für den ge-
samten Markt.

Ausmasskönnte grösser sein


Allerdings sind einige Marktanalytiker
aufgeschreckt. Sie warnen davor, dass
die durch das Coronavirus ausgelöste
Krise bedeutend grösser seinkönnte, als
von den chinesischen Behörden bis jetzt
eingestanden und von den Märkten zur
Kenntnis genommen wird. Sie zitieren
Fachleute wie NeilFerguson vom Im-
perial CollegeLondon undandere bri-
tische und amerikanischeForscher, die
von einemVielfachen der Erkrankun-
gen ausgehen und befürchten, dass die
Sterberate gleich hoch wie bei der Sars-
Pandemievon 2002/03 sei.
Derweil melden Marktkommen-
tatoren, d ass die US-Notenbank, das
FederalReserveSystem, die Liquidi-
tätszufuhr fortsetzt.Sven Henrich be-
ziffert die Offenmarkt- und dieRepo-
Geschäfte seit Anfang Dezember auf
rund 400 Mrd. $. Die Bilanzsumme des
Fed ist allerdings in den letztenTa-
gen durchRückzahlungen leicht ge-
schrumpft.

Die Investoren gehen
davon aus, dass die
Notenbanken ihre
Zufuhr von Liquidität
fortsetzen werden.
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