Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

22 GELD & FINANZEN Montag, 27. Januar 2020


VORSORGE UNDVERMÖGENSPLANUNG


Neue Familienformen mit alten Problemen


Für Patchwork-Gemeinschaften wird die Vorsorgeplanung zu einer grösseren Herausforderung, als sie es im «Normalfall» schon ist


WERNER GRUNDLEHNER


EineFrau und ein Mann lernen sich in
jungenJahrenkennen, heiraten, haben
Kinder und leben glücklich bis an ihr
Lebensende zusammen. Dies ist im Mär-
chen meist so, in derrealenWelt immer
weniger. Esgibt zahlreiche Alleinerzie-
hende, die später nochmals eineFamilie
gründen, viele Ehen werden geschieden,
und es werden neueVerbindungen ein-
gegangen.Heutebringen vielePartner
Kinder aus früheren Beziehungen in eine
neuePartnerschaft mit. Es ist erfreulich
für dieFamilien, dass es neue, flexible
Formen des Zusammenlebensgibt.Doch
die Sozialversicherungen, die ehe- und
erbrechtlichen Bestimmungen sowie das
St euerrecht haben mit der gesellschaft-
lichenRealität nicht Schritt gehalten.
Bereits heute wächst jedes fünfte
Schweizer Kind in einer nicht ehelichen
oder einer anderen nicht traditionel-
lenPartnerschaft auf. Und auch zukünf-
tig werden alternativeFormen wie Ein-
eltern-,Fortsetzungs- oderRegenbogen-
familien weiter zunehmen. Es lässt sich
be reits anhand des Namens vermuten:
EinePatchwork-Familie gleicht selten
der anderen.Jede hat ihre eigeneVorge-
schichte– und entsprechendkomplex ist
zumeist dierechtliche Situation. Kinder
in derPatchwork-Konstellation haben
eine Mischung aus leiblichen sowie nicht
leiblichen Eltern und Geschwistern. Oft
haben die Elternteile bereits eine fami-
liäreVorgeschichte mit den entspre-
chendenVerpflichtungen.


30 000Regenbogenkinder


AlsRegenbogenfamilie geltenFamilien,
in welchensich mindestens ein Eltern-
teil als LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual
and Transgender)versteht. Die Kinder
können aus vorangegangenen hetero-
sexuellen Beziehungen stammen oder
in eine lesbische oder schwule Bezie-
hung hineingeboren, adoptiert oder
als Pflegekinder aufgenommen wor-
den sein. GemässSchätzungen wach-
sen in der Schweiz bis zu 30 000 Kinder
inRegenbogenfamilien auf. «Bezüg-
lichVorsorge gibt es noch wenig Berüh-
rungspunkte mit lesbischenPaaren und
Regenbogenfamilien», sagt eine Spre-
cherin derFrauenzentrale Zürich.Rund
20 bis 30%der Anfragen würden sich
jedoch um dasKonkubinat drehen. Sie


leiteten diesePersonen meistens an die
eigene juristische Beratungsstelle wei-
ter, die auch beimAufsetzen desKon-
kubinatsvertrages helfe.
«Rechtlich sind Ehe und eingetra-
genePartnerschaft bezüglichVorsorge
wiePartizipation an AHV undPen-
sionskasse sowie beim Nachlass gleich-
gestellt», sagt dieVorsorgeberaterin Sil-
viaVillars. VielePaare, die imKonku-
binatlebten, müsse sie auf die Lücken
in derVorsorge aufmerksam machen–
etwa, dass mankeinen Anspruch auf
diePensions- und AHV-Guthaben des
Partners habe und man bei einerTren-
nung nach vielenJahren punktoVor-
sorge mit leeren Händen dastehe. «In
derRegel ist es dieFrau, die gar nicht
oderTe ilzeit arbeitet und sich um die
Erziehung der Kinder kümmert.» Bei
einerTrennung nach zwanzigJahren
gibt es da riesige Lücken in derVor-
sorge. Das sogenanntePensionskassen-

Splitting gilt nur für Eheleute oder für
gleichgeschlechtlichePaare in eingetra-
generPartnerschaft.Das ist auch beim
AHV-Splitting so.
Trennt sich ein Ehepaar oder eine
eingetragenePartnerschaft mit gemein-
samen Kindern, erhält die Ehefrau, falls
sie sich etwa vor allem um die Kinder-
betreuunggekümmerthat, allenfalls
persönliche Unterhaltszahlungen. In
einemKonkubinat würde sie dagegen
nur Unterhaltszahlungen für die Kin-
der erhalten.Dazu gehört seit Einfüh-
rung des neuen Unterhaltsrechts, sofern
nötig, jedoch auch ein Betreuungsunter-
halt. Dieser steht zwar den Kindern zu,
dient aber dazu, das persönliche Exis-
tenzminimum derBetreuungsperson ab-
zusichern,soweit sie das mit ihrem Ein-
kommen nicht selbst schafft.Das ist vor
allem beiFrauen mitTe ilzeitbeschäfti-
gung und kleinen Kindern so. In einem
Konkubinatsvertrag können dagegen

Abfindungen im Sinne von Unterhalts-
zahlungen vereinbart werden.

KompliziertesVertragswerk


Mit demKonkubinatsvertrag liesse sich
vielregeln, es sei jedoch sehrkompli-
ziert, sagtVillars. In diesemVertrag wird
das Zusammenleben derPartner ge-
regelt. Zum Beispiel dieWohnverhält-
nisse, Festlegung des Haushaltgeldes,
wer wann wie viel in dieVorsorge von
wem einzahlt usw. Dazu gehören auch
Regeln imFalle einerAuflösung des
Konkubinats. Wenn es umWohneigen-
tum oder das Sorgerecht von gemeinsa-
men Kindern geht, wird dasAusarbei-
ten eines solchenVertrages nochkom-
plizierter. Auf dem Internet finden sich
Musterverträge. Doch empfiehlt es sich,
einen Experten (Anwalt oder Notar)
beizuziehen. Eigentlich gründen die bei-
denPartner gemässVillars eine einfache

Gesellschaft. «Zudem ist daskeine ein-
maligeAufgabe – derVertrag muss alle
drei, vierJahre überprüft werden, da
sich vielleicht dieAusgangslage verän-
dert hat.» DieVorsorgelücke könne da-
gegen auch mit einer Lebensversiche-
rung, diezugunsten desPartners abge-
schlossen wird, geregelt werden.
Irgendwann im Beratungsgespräch
schlage sie dann denKonkubinatspart-
nern schon einmal vor, zu heiraten oder
diePartnerschaft eintragen zu lassen, sagt
Villars. «Man kann sich auch verheiratet
noch ganz modern und frei fühlen.»Wenn
man nicht heirate, sei es aber sehr wich-
tig, dass man sich bei denPensionskassen
gegenseitig begünstige. «Wenn man das
nicht macht,kommen vielleicht andere
Personenin den Genuss des Vorsorge-
kapitals, etwa Eltern oder Geschwister.»
Doch nicht nur auf dieVorsorge
sollte die Flickwerkfamilie einAuge
werfen.Denn auch das Erbrecht ist noch
nicht aufPatchwork-Familien ausgerich-
tet.Ausser Ehepartnern undAdoptiv-
kindern haben nur Blutsverwandte
einen gesetzlichen Erbanspruch. Stief-
und Pflegekinder gehen folglich leer aus,
wenn sie nicht in einemTe stament oder
einem Erbvertrag begünstigt wurden.
Auch hier vereinfacht sich dieLage
dramatisch, wenndiePartner heiraten


  • oder sich eintragen lassen – und die
    Kinder adoptieren.Damit erhalten sie
    dieselbenRechte wie die leiblichen Kin-
    der. Für denFall einer Krankheit oder
    eines Unfalls der erwerbstätigenPer-
    sonen in einerPatchwork-Familie kann
    eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung
    angebracht sein. An diese Absicherung
    sollte man aber frühzeitig denken, denn
    solche Lösungen werden mit zunehmen-
    dem Alter teurer. LiegenbereitsFolgen
    von Unfällen oder Krankheit vor, kann
    eine solche Versicherung womöglich
    nicht mehr abgeschlossen werden.


Viele Sc hwei zer Gesetze sehenFamilien, die nicht demtra ditionellen Bild entsprechen, noch nicht vor. ILLUSTRATION CHRISTINE RÖSCH

ALTERSVORSORGE
Dies ist die achteFolge einer
elfteiligen Serie zumThema «Vorsorge
und Vermögensplanung», die jeweils am
Montag erscheint.KommendeWoche
geht es um dasThema Scheidung
und Vorsorge.

nzz.ch/finanzen

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