Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

Montag, 27. Januar 2020 SPORT 31


Von Bullen und Teddybären


Der FC St. Gallen hält Kontakt zur Tabellenspitze – 3:1 gege n Lugano


MARCOACKERMANN,ST. GALLEN

«Olé, olé, olé!», hallte es noch lange nach
dem Schlusspfiff durch die St. Galler
Arena. DieFans des Heimklubs wollten
ihre Spieler nach dem 3:1 gegen Lugano
gar nicht mehr gehen lassen. Einer
wurde besonders gefeiert; der neueTor-
hüterLawrence Ati Zigi.Aus Hunder-
ten vonKehlen ertönte ein «Zigiiiiiii»,
mit langer Betonung auf dem letzten
Vokal. Der Ghanese ist nach dem ersten
Pflichtspiel bereits Publikumsliebling.
Die Goalie-Position war in derWin-
terpause der grösste Unsicherheitsfak-
tor im St. Galler Überraschungsteam.
Dejan Stojanovic hatte sich mit dem
Tr ansfer nach England einen Lebens-
traum erfüllt, und die Nummern 2 und 3
sind verletzt. Doch Zigikonnte die Be-
denkenrasch zerstreuen.An ihm lages
am wenigsten, dass die St. Galler in der
ersten Halbzeit Probleme hatten, um
ihre aufPower ausgerichtete Strategie
durchzusetzen. Derstatistisch besten Of-
fensive der Liga fehlte es an Esprit. Der
Tr ainerPeter Zeidler erzählte hinterher,
er habe seine Spieler in derPause ge-

fragt, wovor sie Angst hätten. Es schien
bereits so, als hätte der FC Lugano wie
der FCZ vorWeihnachten den St. Gal-
ler Erfolgs-Code entschlüsselt.
Zeidler war ein gewisses Risiko ein-
gegangen. Er setzte den Stürmer Boris
Babic auf die Ersatzbank und trennte
ihn damit von dessenkongenialemPart-
ner Ermedin Demirovic. Man muss wis-
sen, dass sich die beiden Spieler auf und
neben dem Platz so gut verstehen, dass
von einer «Bromance» dieRede ist. Sie
gaben einander sogarKosenamen, Babic
nennt Demirovic«Teddybär».
Doch dann schafften es die St. Galler,
sich in einen Flow zu kämpfen – und der
Teddybär schlug zu. Innerhalb von zwei
Minuten machte St. Gallen aus einem
Rückstand einenVorsprung, und es
folgte der grosseAuftritt desVictorRuiz.
Der Spanier fixierte im Stile einesTore-
ros dieAugen des gegnerischen Goalies,
und alssein Schuss im Netzeinschlug,
machte derTorhüterkeinenWank – 3:1.
Lugano war erledigt, dieser Gegner, der
in St. Gallen einrotesTuch ist, seit sich
Cedric Itten eine schwereKnieverlet-
zung gegen dieTessiner zugezogen hat.

Die Mühen der ersten Halbzeit
warenbei den St.Gallern schnellverges-
sen.Bald wurde mehr über den Spitzen-
kampf vom nächsten Sonntag inBasel
gesprochen. Lukas Görtler gab sich opti-
mistisch und wies darauf hin,dass sie in
dieser Saison schon vier Punkte gegen
den FCB geholt hätten. St. Gallen wird
jedoch auf seinen treffsichersten Stür-
mer verzichten müssen: DerTeddybär
Demirovic ist nach der vierten gelben
Karte gesperrt.
Solange die St. Galler weiter so fleis-
sigTalente ausgraben, brauchen sie aber
Absenzen kaum zu fürchten. Und die
Personalie Zigi führt einmal mehr vor
Augen,wiewichtig derTr ainer Zeidler
nur schon durch seineKontakte in die
wichtigstenTalentschmieden Europas
ist. Zigi war einst einer der ersten Spie-
ler, die imKonstrukt vonRed Bull aus
der Akademie inWestafrika in die Zen-
trale nach Salzburg zogen. Der frühere
Gymnasiallehrer Zeidler war damals im
Konzern eine Schlüsselfigur bei der Inte-
gration von fremdsprachigen Spielern.
Und er spürte früh, dass Zigi einguter
Bulle ist. St.Gallen danktes ihm heute.

GrosserAuftritt vorHeimpublikum:Der St. GallerVictor Ruiz (Mitte) er zielt zweiTore in der zweiten Halbzeit.GIAN EHRENZELLER/KEYSTONE

INSIDE/OFFSIDE


Im Tessin kommt


der Nowos-Exit


Michele Coviello· Man sagt der Schweiz
nach, besonders sensibel auf jegliche Art
vonVerhaltensauffälligkeiten zureagie-
ren. DenKompost am Sonntag entsor-
gen, die WG-Party um 22 Uhr 15 noch
im Gang? Obacht.Jemandkönnte schon
die 117 gewählt haben.
Aber in einem Bereich hatte man bis-
her viel Nachsicht. Ging es umFussball-
funktionäre, schaute niemand genau hin.
Die durften wüten, Tr ainer desavouie-
ren, Spieler suspendieren undVereine in
den Abgrundreiten. DieWestschweiz ist
leidgeprüft. Und auch dasTessin musste
in sämtlichen Spitzenklubs Erniedrigen-
des erleben.Aus diesem Grund ist in
der Nachwuchsförderung imJahr 2 008
dasTeamTicino entstanden, ein siche-
rer Hort fürTalente. Sollte wieder ein-
mal einer ihrer Stammklubs hopsgehen,
wäre da immer noch dieVereinigung in
Tenero,wo sich die Besten gesondert
entwickelnkönnen.
In den letztenzweiJahren stand die-
sesSystem aber auf dem Prüfstand. Der
ru ssische Unternehmer Leonid Nowo-
selski wollte als Präsident des Nach-
wuchses des FC Lugano dasTeamTicino
nach seinem Gutdünken verändern.
Die Macht sollte in den Händen der
Luganesi sein, Bellinzona und Chiasso
weniger Mitspracherecht bekommen.
Sein Argument:Wieso sollten die bes-
ten Luganesi nach der Philosophie des
TeamsTicino ausgebildet werden und
nicht nach derjenigen ihres Klubs?Das
warkein abwegiger Einwand. Zudem
bewies NowoselskiVernunft, als er den
FC Lugano hätte aufkaufenkönnen,
aber dieFinger davonliess, weil erkeine
zusätzlichenPartner für ein zehnjähriges
Projekt gewinnenkonnte.
Tr otzdem führte Nowoselskis Geba-
ren zuWiderstand. DerKosmetikunter-
nehmer mitWohnsitz am Luganersee
krempelte dieJugendabteilung im Cor-
naredogegen dieVorschriften des SFV
um. Dem Klub wurden mehrmalsFör-
dergelder gestrichen. Das liess imTeam
Ticino aufhorchen, und derVorstand
wehrte sich gegen Nowoselskis Ideen.
Mit Erfolg. Lugano überlässt die U-14-
bis U-18-Auswahlen wieder demTeam
Ticino. Und deshalb wird Nowoselski
seinen Beitrag an den Nachwuchs Luga-
nosvon bisher 1 Million jährlich auf die
Hälftereduzieren.
Der «Corriere delTicino» schrieb
jüngst von einem Nowos-Exit.Aber
noch besitzt derRusse 40 Prozent der
Anteile, und ein Comeback als Käufer
des gesamtenPakets ist laut dem heu-
tigen Lugano-Präsidenten AngeloRen-
zetti nicht ausgeschlossen. Obacht.

MATCHBLATT


Ausgeprägte


Jugendschau


Idriz Voca ist ein junger Spieler


des FC Luzern – einer von vielen


bir.· Nach derentwürdigenden Entlas-
sungseinesVorgängers Thomas Häberli
ist der neue Luzern-TrainerFabio Celes-
tiniauf guteResultate angewiesen. Die
beruhigen. Das war am Samstag im
Letzigrund von jedem Luzerner Gesicht
abzulesen. Nach dem am Ende hart er-
kämpften 3:2-Erfolg in Zürich lässt sich
der 22-jährige Mittelfeldspieler Idriz
Voca gar nicht erst auf gefährlicheVer-
gleiche ein, weil er im Gespür zu haben
scheint, wierelativ alles sein kann.
Im November 20 19 hatten die Luzer-
ner gleichenorts 0:3 verloren. «Damals
waren wir früh zu zehnt», sagtVoca,den
damaligen Platzverweis Blessing Elekes
erwähnend,«das warheute nicht so.» Als
er gefragt wird, ob jetzt ein neuerTeam-
Spirit zu spüren sei, wehrt er ab. Im
November trafen sie zum Beispiel nur
die Querstange. Am Samstag trafen sie
ins Schwarze. Voca drosch in der 13. Mi-
nute einenBall, den der FCZ nicht weg-
brachte, kurzerhand insTor – 1:1.
Der 22-jährigeVoca bildete mit dem
ebenfalls 22-jährigen Tsiy Ndenge das
zentrale Mittelfeld in einem jugend-
lichenTeam.Wie bereits Häberli hat
auch Celestinikeine andereWahl, als
aufJunge zu setzen. Mit AshvinBalaru-
ban (Debüt) sowieDarian Males waren
sogar zwei18-Jährige im Einsatz.
Voca passt perfekt ins Schema.Das
Eigengewächs spielt für daskosovari-
sche Nationalteam underhält von Celes-
tini gute Noten,weil erwenigBällever-
liert und «für sein Alter vielPersönlich-
keit mitbringt». Dass sich im Letzigrund


mit zunehmender Spieldauer zuweilen
die Organisation etwas auflöste, ist der
mangelndenReife geschuldet. Gesetzt
ist im zentralen Mittelfeld niemand.
Wenn Marvin Schulz zurück ist, werden
dieKarten neu gemischt.Vocaschien
nach dem Match jedenfalls bei sich zu
sein. Übermut drang einzig durch,als
er vom nächsten Spiel zuredenbegann:
«Gegen YB ist alles möglich, die haben
wir schon 4:0 besiegt.» Es kann schnell
nach oben gehen, auch gedanklich.


«Gegen YB ist
alles möglich –
die haben wir
schon 4:0
besiegt»
IdrizVoca
Nachwuchsspieler
PD des FC Luzern

Nebel, Rauch und Tore


Der FC Zürich zeigt unterschiedlicheGesichter und verliert gege n den FC Luzern 2:3


PETERB.BIRRER, ZÜRICH


AmFreitag hatte Ludovic MagninAuf-
trieb. Kurz nachdem derVertrag des
FCZ-Tr ainers vorzeitig bis 2022 verlän-
gert worden war, schienen dieWorte
noch etwas schneller aus seinem Mund
zu sprudeln als gewohnt. Er sagte zum
Beispiel: «Fabio Celestini gewinnt
immer.» Magnin bezog die übertriebene
Aussage nicht auf die wechselhafteTr ai-
nerkarriere Celestinis, sondern auf des-
sen Bilanz gegen ihn.
ImJuli 20 19 eröffnete derFCZ die
Saison im Letzigrund gegen den FC
Lugano und dessen damaligen Coach
Celestini. 0:3 nach45 Minuten, 0:4 am
Ende. Die Zürcher verloren im zweiten
halbenJahr 20 19 das eine oder andere
Mal krass, wie etwa kurz vor derWin-
terpause im eigenen Stadion gegen den
Servette FC 0:5.
Am Samstag begann das nationale
Fussballjahr 2020. Der FCZ ging gegen
den FC Luzern zwar früh 1:0 inFührung,
aber noch bevor die erste halbe Stunde
vorbei war, lautete das Zwischenresultat
1:3. Magnin schwante Böses – 1:4? 1:6?
Schliesslich stand sein Schreckgespenst


Celestini, neu alsTr ainer des FC Luzern,
am Spielfeldrand. Doch diesmal liess
sich der FCZ nicht vorführen. Er sackte
auch nicht in sich zusammen. Aber er
verlor 2:3 und deutete mit dem Nega-
tiv-Erlebnis an, dass derWeg zu mehr
Stabilität und nach oben zum Spitzen-
trio der Liga wahrscheinlich doch be-
schwerlicher ist, als einige Protagonis-
ten angenommen haben.«Wir hatten
einen Blackout», sagt Mirlind Kryeziu
überdie 3 Gegentorein 14 Minuten.
Magnin drückt sich so aus:«Wir hielten
uns diesmal im Spiel und kriegten nicht
5 oder 6Tore.» Man sah eine Magnin-
Mannschaft im verschwommenen Grau-
bereich, weder schwarzund nahe dem
Untergang noch weiss und nahe der
Glückseligkeit.
Optimistischer als auch schon dürfte
denTr ainerdieTatsache stimmen, dass
er lange verletzte Spieler wie Mimoun
Mahi undAdrianWinter einwechselte
und Hekuran Kryeziu auf der Ersatz-
bank Platz nahm. Erhat mehr Optionen
als auch schon und spricht von «einem
gesundenWettbewerb».
Das Publikum sah einen unterhaltsa-
men Super-League-Match, der Lust auf

mehr macht.Unddies, obschon dieRah-
menbedingungen nicht einladendwaren.
Es war kalt und hatte Nebel, der sich in
der Startphase mitRauch mischte, weil
beideFankurven Pyromaterial zünde-
ten und die Luzerner dazu ein veritables
Feuerwerk samt Knallpetarden in die
Luft und teilweise sogar unter dasDach
des Letzigrundstadions jagten. Spiel-
unterbruch wegen fehlender Sicht. Es
ist immer wieder erstaunlich, wie solche
Vorkommnisse selbst auf der Medien-
tribüne mit einem Schulterzucken quit-
tiert werden. Alltag.
Der Schiedsrichter hatte zuvor so
lange mit dem Spielbeginn gewartet, bis
die Zentralschweizer alleRaketen ab-
gefeuert hatten. Schade nur, dass der-
leiVerhalten die sehenswerten und von
Aufwand zeugendenTatender Fan-
kurven buchstäblich vernebelt. Die
Zürcher gedachten ihrer in den letz-
tenWochen und Monaten verstorbenen
Helden mit einer übergrossen Choreo-
grafie und denWorten: «En Gruess vo
une ufe a alli, wo vo obe abe lueged.»
Damit schmückten sie die Gedenk-
minute für den früheren FCZ-Stürmer
FritzKünzli aus.

Endlich Gut-Behrami


Dritte im Super-G v on Bansko – Shiffrin mit dem 65. Sieg


(sda)· LaraGut-Behrami hat im Super-G
vonBansko zum ersten Mal in die-
semWinter einePodestklassierung er-
reicht. DieTessinerin wurde Dritte hin-
ter Mikaela Shiffrin und MartaBassino.
Während anderemit den Umständen
haderten, machte sich Gut-Behrami die
speziellen Gegebenheiten in Bulgarien
zunutze, um exakt einJahr nach der letz-
tenTop-3-Klassierung Selbstvertrauen
zu tanken. «DieserPodestplatz nach
einer dochrecht langen Zeit ist beson-
ders schön», sagte dieTessinerin. Letzt-
mals war Gut-Behrami im Super-G
von Garmisch-Partenkirchen eben-
falls Dritte geworden.Vierte wurde am
Sonntag Corinne Suter, vor der Liech-
tensteinerinTinaWeirather im 5.Rang.
Mikaela Shiffrin zeigte inBansko
eine starkeReaktion auf den für ihre
Verhältnisse bescheidenen Start ins
neueJahr und fuhr dieWeltcupsiege 65
und 66 der Karriere heraus. Die 24-jäh-
rige Amerikanerin, deren grösstes Ziel
in der Zwischensaison der erstmalige
Gewinn des Abfahrts-Weltcups ist, liegt
damit nocheinen Erfolg hinter Marcel
Hirscher. Nur Ingemar Stenmark (86)
und LindseyVonn (82) gewannen öfter.

Im Gegensatz zu den Abfahrten
derVortage provozierte der Super-G
imLager derFahrerinnen kaum nega-
tiveReaktionen. Shiffrin fand durchaus
Gefallen daran: «Irgendwie war das ein
verrücktesRennen. Aber ich mag den
Kurs.» Gut-Behrami, die auch mit den
Abfahrten nicht gehadert hatte, gefiel er
sogargut: «So sollteein Super-G sein.»
KeineFreude hingegen hatte wie-
derum Michelle Gisin, die sich auch im
Super-G überhaupt nicht zurechtfand.
Nach demAusfall und Platz29 in den
Abfahrten war sie auch am Sonntag als
28. mit mehr als drei SekundenRück-
stand weit von ihren Ansprüchen ent-
fernt. «EinWochenende zumVerges-
sen mit dem Sonntag alsTiefpunkt»,
kommentierte Gisin. «Ich muss über
die Bücher.»Auch Corinne Suter hatte
in Bulgarien ihre Probleme. Ein wilder
Rittführte sie am Sonntag gleichwohl
auf den 4. Platz. «Mein Gefühl hier war
katastrophal.Ich blieb aber positiv und
versuchte, das Beste aus der Situation zu
machen», erklärte die Schwyzerin.Wei-
tergeht es für die Speedspezialistinnen
amWochenende mit denRennen auf
den Olympiapisten von Sotschi.
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