Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

32 SPORT Montag, 27. Januar 2020


Tennys Sandgren, der nächste Gegner RogerFederers,


hat eine bewegte Vergangenheit SEITE 29


YB gewinnt das Topspiel gege n Basel – nur Sekunden


nach seiner Einwechslung schiesst Hoarau das 2:0 SEITE 30


Yule erobert den Ganslernhang


ErsterTriumph eines Schweizers im SlalomvonKitzbühel seit 52Jahren−mit der Coolness des Seriensiegers


REMO GEISSER, KITZBÜHEL


Zum dritten Mal in dieser Saison ge-
winntDaniel Yule, zum vierten Mal
in seiner Karriere – nie zuvor war ein
Schweizer Slalomfahrer derart erfolg-
reich. Und derWalliserspielt bei sei-
nen Fahrten eine Coolness aus, wie man
sie selten sieht. InAdelboden flog er
vor der Einfahrt in den Steilhang fast
von der Piste, in Kitzbühel rutschte er
in der Mitte deszweiten Durchgangs
aus. Beide Male zog er sein Ding ein-
fach durch und liess sich am Ende als
Sieger feiern. SeinTeamkollegeRamon
Zenhäusern schüttelte im Zielraum von
Kitzbühel grinsend denKopf. «Das muss
sein schottisches Blut sein», sagte er, «so
viel Unerschrockenheit ist unschweize-
risch.»Yule hat britische Eltern.
Als vor drei Jahren die jungen
Schweizer Slalomfahrer in Richtung
Spitze drängten,wurde derTrainer Mat-
teo Joris gefragt, wer von ihnenzuerst im
Weltcup gewinnen werde. Joris zögerte
keinen Moment:«LucaAerni!» Der
Berner wurde wenig späterWeltmeister
in derKombination,er erreichte als Ers-
ter dieser vielversprechenden Genera-
tion im Slalom einenPodestplatz. Aber
der erste Sieg in dieser anspruchsvollen
Disziplin, er gelangDaniel Yule. Jetzt
triumphierte er auch in Kitzbühel, wo
als zuvor letzter und einziger Schwei-
zer Slalomfahrer1968 Dumeng Giova-
noli gesiegt hatte.
Als er vor diesemWinter auf die
Aussage von Joris angesprochen
wurde, reagierteYule überhaupt nicht
überrascht.Er s ei nicht der technisch
beste Slalomfahrer, er habe nicht den
schnellsten Schwung, sagt er. Aber er
habe dieFähigkeit, auf einem einmal
erarbeiteten Niveaukonsta nt zu fah-
ren. «Wenn ich einmal gewinne, ist bei
mir dieWahrscheinlichkeit gross, dass
ich es auch zehnmal schaffe.» Noch sind
es nicht zehn Erfolge, aber drei Siege
in fünfRennen bestätigenYules Aus-
sage: Der 27-Jährige hat aufTopniveau
eine Konstanz erreicht,die derzeit allen
anderen fehlt.
Dass sichYule von einem Plateau
aufs nächste vorarbeitet, zeigt ein
Blick in die Statistiken.Seit er 2012 in
den Weltcup kam, hat er in jeder Sai-
son einen Schritt nach vornegetan. Im
vergangenenWinter siegte er erstmals
und belegte den 3.Rang in der Diszi-
plinenwertung. Es war fast zu erwar-


ten, dass er in dieser Saison zu den
Anwärtern auf die kleine Kristallkugel
gehört. Momentan liegt er im 2.Rang,
17 Punkte hinter dem Norweger Henrik
Kristoffersen.Yule ist sich bewusst,dass
er denWinter als bester Slalomfahrer
beenden kann, doch er schaut nicht auf
den Punktestand. Nur wer sich stets voll
auf das nächsteRennenkonzentriere,
fahre mit Spitzenrängen viele Punkte

ein, sagt er. Sich fokussieren zukönnen,
gehört zuYules Stärken. Er fahre unter
Druck besonders gut, sagter. «Das ist
mein Charakter. Ich schrieb schon in
der Schule lieber Prüfungen, als dass
ich dafür lernte.»
DassYule in Kitzbühelreüssierte, hat
er auch derArbeitseinerTrainer zu ver-
danken.Vor einemJahr fand er auf dem
eisigen Ganslernhangkeinen Grip, er

rutschte herum und beendete dasRen-
nen im18. Rang. Nun liess der Slalom-
chef MatteoJoris den Slalomhang von
Wengen vereisen, dieFahrer trainier-
ten dort in der vergangenenWoche an
zweiTagen und suchten das perfekte
Set-up. In Kitzbühel war augenfällig,
mit welcher SelbstverständlichkeitYule
auf dem Eis vom erstenTon an den
Schwung perfekt traf.

Daniel Yule: «Wenn icheinmal gewinne, ist dieWahrscheinlichkeit gross, dass ich es auchzehnmalscha ffe.» VALDRIN XHEMAJ / EPA

Was sind denn


schon ein paar


Hundertstel?


Beat Feuz verpasst den erst en Sieg
in Kitzbühel nur knapp

reg.· Wir erleben derzeit ein spannen-
des Phänomen im alpinenWeltcup. Es
ist einWinter der knappen Abstände,
und das betrifft diverse Disziplinen.Im
Super-G amFreitag in Kitzbühel be-
trug die Marge des Siegers KjetilJans-
rud 16 Hundertstel auf zwei zeitglei-
che Fahrer. In der Abfahrt vom Sams-
tag war derVorsprung des Siegers Mat-
thias Mayer mit 22 Hundertsteln nur
unwesentlich grösser, auch ihm sassen
zwei zeitgleiche Athleten im Nacken.
Vor einerWoche inWengen kam man
mit einer SekundeRückstand gerade
noch in den 10.Rang, in der Abfahrt
von Kitzbühel lag der Zehnte 0,9 3
Sekunden zurück.
Das ist ein Ergebnis des schnee-
armenWinters. Die Organisatoren hat-
ten wochenlang Zeit, einekompakte
Unterlage zu präparieren,die auch nach
vielenFahrten noch nahezu perfekt ist.
Dadurch wurde füreinmal fassbar, wie
hoch das Niveau in diesem Sport ist,wie
wenig die Nummer 1 derWelt von der
Nummer 20 trennt. Es geht umWim-
pernschläge – ein kurzes Zögern hier,
ein leichtesRutschen da.
Wie wenig es braucht, um statt des
grossen Glücks bloss eine tiefe Befrie-
digung zu erleben, hat BeatFeuz auf
der Streif nun schon zum vierten Mal
erlebt. Seit 2016 wurde er hier vier-
mal Zweiter, addiert man seineRück-
stände, so ergibt sich einTotal von 99
Hundertsteln.Das ist nur wenig mehr,
als derVorsprung betrug, mit dem der
Berner 2017 über die Hausbergkante
schoss. Damals riskierte er auf derJagd
nach dem Sieg zu viel und flog ins Netz.
Nicht nurzwischen Sieg und Nieder-
lage könnenWimpernschläge entschei-
den, sondern auch zwischenTriumph
und Tragödie.
Feuz weiss das, weil er es erlebt hat.
Er kann deshalbeinen weiteren zweiten
Rang in Kitzbühel mit einem Schulter-
zucken abtun.Vor einerWoche gewann
er inWengen, zum dritten Mal. Und in
jeder Abfahrt diesesWinters stand er
auf demPodest. Das sind Dinge, die
schw er wiegen, wenn es darum geht,
eine Rennfahrerkarriere einzuord-
nen.Feuz gehört auch ohne Sieg auf
der Streif zu den Grossen in der Ge-
schichte der Abfahrt, nur wenige haben
eine Epoche so geprägt wie er die letz-
ten drei Saisons. Und Kitzbühel?Viel-
leicht klappt es ja 2021.

Einer der Grössten der Geschichte


Die Basketball-Legende Kobe Bryant kommt im Alter von41 Jahre n bei einem Helikopterabsturz ums Leben


ROMAN SCHUPPLI


Die Basketball-Welt ist in Schockstarre.
Als am Sonntagabend in den sozialen
Netzwerken die Meldung die Runde
machte, dassKobe Bryant bei einem
Helikopterabsturz in Kalifornien ums Le-
ben gekommen war, glaubten viele zuerst
an einen schlechten Scherz. Doch dann
bes tätigte die örtlichePolizei, dass sich
Bryant in der Maschine vomTyp Sikor-
sky S-76 befand, der am Sonntagmor-
gen bei nebligemWetter in der Nähe von
Los Angeles abstürzte. Alle fünf Insassen
kamen ums Leben,offenbar war darunter
auch Bryants ältesteTochter, die 13-jäh-
rige Gianna. Eine Pressekonferenz der
Behörden zum Unglück fand nachRe-
daktionsschluss dieserAusgabe statt.
Mit Kobe Bryant, 41, verliert der
Basketball einen der Grössten der Ge-
schichte. Kobe, das war für viele nach
Michael Jordan der zweitbesteBas-
ketballer – wenn nicht sogar der beste.


Kobe, das war einSynonym für Eleganz
und «Hard work pays off», den Grund-
satz, wonach im Leben mit harter Arbeit
alles erreicht werden kann.Kobe stand
für Schweiss, Blut,Trainingseinheiten um
3 Uhr morgens und das Geräusch, wenn
der Basketball, ohne dieKorbanlage zu
berühren, durch das Netz saust,«Swish».
Kurz: fürPerfektion. Der NameKobe
wurde zu einer Chiffre für grenzenlosen
Erfolg und dieRealisierung des amerika-
nischenTraums. Noch heute, beinahe vier
Jahre nach seinemRücktritt, gehören
seine Spielertrikots mit den Nummern 8
und 24 und die von ihm designten Schuhe
zu einem beliebtenAccessoire aufFrei-
plätzen und inTurnhallen.
Kobe Bryant gewann in seiner zwan-
zig Jahre währenden Karriere mit den
illustren Los AngelesLakers und dem
Team USA alles, was es imBasket-
ballsport zu gewinnen gibt: fünf NBA-
Championships, zwei Goldmedaillen an
Olympischen Spielen, eineWeltmeister-

schaft.Er erhielt unzähligeAuszeich-
nungen: zum wertvollsten Spieler der
Finalserie und derregulären Saison,zum
bestenVerteidiger. Er war verschiedent-
lich Topskorer der Liga. Einmal erzielte
er 81 Punkte in einem Spiel – Bryants
damaligePerformance ist eine Stern-
stunde desBasketballs.
Trotz oder gerade wegen seines Er-
folges istKobe Bryant immer ein we-
nig ein Sonderling und Einzelgänger
geblieben. Wer sichihm nicht unter-
ordnen wollte oder nicht seinen unbe-
dingten Siegeswillen teilte, der hatte

es schwer. BryantkonnteTeamkolle-
gen zusammenstauchen wiekein ande-
rer. Shaquille O’Neal, mit dem Bryant
bei denLakers einst einkongeniales
Duo bildete, verliess Los Angeles nach
einem verlorenen Machtkampf flucht-
artig. Bryantscheute sich nicht, anzu-
ecken, sich mit dem gegnerischen Publi-
kum anzulegen.Pfiffe hatten eine stimu-
lierendeWirkung auf ihn.
Kobe Bryant war jedenfalls nicht
immer der Strahlemann, als der er in
Erinnerung bleiben wird. Eine Zeitlang
schien es, als würde er die Gunst der
Fans unwiederbringlich verlieren. Als
ihn imJahr 2003 eine Hotelangestellte
in den USA derVergewaltigung beschul-
digt e, nahm sein Image grossen Schaden.
Auf dem Court fiel er durch flegelhaf-
tes Benehmen auf. Sponsoren beendeten
die Zusammenarbeit. Obwohl das Ge-
richtsverfahrenJahre später eingestellt
werden sollte, war Bryant lange ein Buh-
mann, schliesslich hatte er seine Ehefrau

betrogen, die gerade ein Kind von ihm
erwartete. Doch Bryant, für denAuf-
geben nie eine Option war, spielte sich in
die Herzender Amerikaner zurück und
kämpfte sich wieder nach ganz oben.
Nach demRücktritt imFrühling 20 16
ist Bryant demBasketball verbunden ge-
blieben. Immer wieder gab es Gerüchte,
wonach Bryant bald die Los Angeles
Lakers übernehmen wolle. Er wollte
von dem vorerst nichts wissen. Er ge-
noss seineFreiheiten, betätigte sich als
Geschäftsmann undFilmproduzent und
gewann einen Oscar. Am meisten je-
doch schien ihn dieAufgabe als Coach
der Mannschaft seiner 13-jährigenToch-
ter Gianna zu erfüllen,die beim Ab-
sturz ebenfalls ums Leben gekommen
sein soll.Wenn Bryant in Interviews auf
diese Tätigkeit als Coach zu sprechen
kam, strahlte er und erzählte, wie auch
er täglich dazulerne. Kobe Bryant hin-
terlässt eineFrau, drei weitere Kinder–
und eine bestürzte Sportwelt.

Kobe Bryant
Verstorbene
IMAGO Basketball-Legende
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