Frankfurter Allgemeine Zeitung - 19.02.2020

(ff) #1
Söder und derWeißwurstäquator
Die Magdeburger„Volksstimme“ schreibtzurRolle
des bayerischenMinisterpräsidentenimFührungs-
streit derUnion:
„MarkusSöder istein Gewinnertyp. Jedenfalls in der
eigenenWahrnehmung. Sein bestens entwickelter po-
litischer Instinkt sagt ihm, dassermomentan in der
Kanzlerkandidaten-Suppe kräftig mit herumrühren
kann. GegenFriedric hMerzetwawirkt Söder wie
eine Bastion des Liberalismus.Vergessen wird dabei
schnell,dasserbei Bedarfauchganz anders kann.
Wirmüssen endlichden Asyltourismus beenden,tön-
te er nochvor zwei Jahren im Asylstreit mit der CDU.
Das größteHindernis für eineKanzlerschaftdes
CSU-Grandenist aber,dassseine Heimat südlichdes
Weißwurstäquatorsliegt. DiefiktiveLinie nördlich
vonBayernist die mildeUmschreibung derKulturun-
terschiede zwischen Süd- undNord deutschland.Sö-

dersVorgänger nStrauß undStoiberist es bei ähnlich
guten Chancen nichtgelungen, überdie Wurst-Linie
hinaus insKanzleramtvorzustoßen. Weil dieseKopf-
grenze weit haltbarer istals ir gendwelche Brandmau-
ernder CDU.“

Grantiger bayerischer Löwe
Auch der „MünchnerMerkur“befasst sichmit der
PositionSöders:
„Ob CSU-Chef Söder mit seiner Skepsis hinsichtlich
einesUnions-Kanzlerkandidaten Merzauchfür die
Mehrheit seinerParteifreunde undWähler spricht,
darfzwarbezweifeltwerden. Richtig aber ist: Das
Wort des CSU-Chefshat Gewicht.Söder istkein
Merz-Fan; andersals Kramp-Karrenbauer istder zu
Alleingängen neigende Sauerländer aus München
kaum steuerbar.Für Söder,der sic hseit einigerZeit
zum neuen Machtzentrum in derUnion aufzubauen

versucht,wäre die Wahl des 64-Jährigenein Rück-
schlag. Dochganz abgesehenvonder Person Merz
kann kein CSU-Chef zulassen, dassdie CDU und ihre
Noch-Chefin AKK so tun, alskürten sie mit ihremPar-
teichef schon dengemeinsamenKanzlerkandidaten.
Deshalb istder ba yerische Löwe ge rade so grantig.“

Keine Lösung des Führungsproblems
Die „Rheinpfalz“ (Ludwigshafen)kommentiert die
Überlegungen zu einemTeam an der CDU-Spitze:
„Nein, dieTeamvorschlägelösen dasFührungspro-
blem nicht.Esdrängt sicheher einVerdacht auf. Der
nämlich, dassdiejenigen, die fürTeamlösungen plä-
dieren, entweder die innerparteilicheAuseinander-
setzungscheuen oder sichimHintertreffenwähnen.
Sie wollenZeit gewinnen. Das mag angesichts ihrer
Lagesogar plausibel sein, hilftder Partei aber nicht
weiter.“

VerkrampftimMittelmeer
Die„FrankfurterRundschau“schreibt zur Libyen-
Mission derEU:
„Eswar höchste Zeit,dassdie EU si ch einmischtinL i-
byen und nunstärkerals bishergegen denWaffen-
schmuggel für die Bürgerk riegsparteien vorgehen will.
DerEinsatzvonFlugzeugen undein paar Schiffen
wird dasProblem abernichtlösen .Waffenschmuggel
lässtsichnur unterbinden,wenn es auch denWillen
gibt,im Zweifel militärischgegen Schmugglervorzuge-
hen. Dochesist eher unwahrscheinlich, dass dieEU
dieswill. Außerdem is tdie neueMissionein fauler
Kompromiss.Die EU will Schiffe im östlichen Mittel-
meereinsetzen, alsoweitabder Routen ,die Flüchtlin-
ge nehmen,umvon Nordafrika nachEurop azugelan-
gen. Die EU will alsovermeiden ,dassihreSchiffe
Schif fbrüchigeaufnehmenmüssen ,wie es das interna-
tional eRecht vorschreibt. Daraufhaben Österreich

und Ungarn bestanden.Wieder einmal führtder
Zwang zurEinstimmigkeit de rEUzuVerkrampfun-
gen. Es istZeit, das z uändern.“

Im Hamsterrad
Auch die „Fuldaer Zeitung“ sieht den Beschluss für
eine neue EU-Marinemission kritisch:
„Bezeichnend ist, dasssichmithilfedes Einstimmig-
keitsprinzips Länder wieUngarn und Österreich
durchgesetzthaben, denen migrationspolitische Er-
wägungen offenkundigwichtiger sind als einege-
meinsameAußen- und Sicherheitspolitik Europas.
Dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bleibt in
diesemFall einmal mehr die tragikomischeRolle ei-
nes Vermittlers, der für kleinste Fortschrittegroße
Anstrengungen unternehmen muss–und sicham
Ende dochnur in einem politischen Hamsterrad wie-
derfindet.“

STIMMEN DERANDEREN


Die Erwartungenwarennicht gerade groß
in Erfurt, als sichamMontagabend, dem
ersten Tagnachden Winter ferien, je vier
AbgeordnetevonLinken, SPD, Grünen
und der CDU im Thüringer Landtag zu ei-
nem Gesprächtrafen. Es sollteumeinen
Ausweg aus der Krisegehen, in die das
kleine Landgeratenwar,nachdem CDU
und FDPgemeinsam mit der AfD den
FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich
zum neuen Ministerpräsidentengewählt
hatten. In der Schockwelle, die das Ereig-
nis auslöste,hattedie Bundes-CDU ihre
Vorsitzende und Thüringen seinenRegie-
rungschefgleichwieder verloren. Zwar ist
Kemmerichnochgeschäftsführend im
Amt, unddie Arbeit erledigen dieStaatsse-
kretäreder rot-rot-grünen Vorgängerregie-
rung. Politische Entscheidungen für das
Land Thüringen aberwerden derzeit nicht
getrof fen, bei dervergangenen Bundesrats-
sitzung blieb die Bank desFreistaats leer.
In dieser Lageverlangte insbesondere
die Linke, die mit SPD und Grünenkeine
Mehrheit mehr hat, die CDU mögebei ei-
ner abermaligenWahl des Regierungs-
chefsimLandtag dochdiesmal gleichim
ersten Wahlgang aktiv fürRamelowstim-
men. DieUnion aber,die ebenfallskeine
Mehrheitsoption im Landtag hat, lehnte
das mitVerweis auf den sogenanntenUn-
vereinbarkeitsbeschlussab. DasTreffen
droht edamit bereits imVoraus ein aus-
wegloses Patt zu bleiben, als amAbend
überraschend BodoRamelow, der Alt-Mi-
nisterpräsident, persönlichinder Ge-
sprächsrunde auftauchte.Zuvorhatteer,

der kein Parteiamt innehat, eine Beteili-
gung abgelehnt, aberVerständnis für die
Zwangslagegezeigt, in der dieUnion und
damit Thüringen derzeitstecken. Ohne
die CDU istimLandtagkeine Mehrheit
mitund gegenAfD oderdieLinkezuerrei-
chen, mit beidenaber darfsie auchnicht
kooperieren.
Ramelowaber präsentierte nicht nur
für die CDU,sondernauchfür dieAbge-
ordne tenvon Rot-Rot-Grün seinenüberra-
schenden Auswegaus de rKrise: Auflö-
sung des Landtags im März, danacheine
Übergangs-Regierung unter derFührung
seinerVorgängerin, der CDU-Politikerin
Christine Lieberknecht, diegemeinsam
mit drei Ministern vonLinken, SPD und
GrünendieGeschäfteführtundNeuwah-
len wievonder Verfassungvorgeschrie-
ben binnen 70Tagenorganisiert. AlsRe-
gierungsmitglieder schlug Ramelowdie
bisherigeFinanzministerin HeikeTaubert
(SPD), Justizminister DieterLauinger
(Grüne) und seinen bisherigenStaatskanz-
leichef Benjamin Hoffvor,der auchdas
Agrar- und Infrastrukturressortführt. Da-
mit, soRamelow, solltedie Handlungsfä-
higkeit der „technischenRegierung“ge-
währleistetsein.
Die CDU-Abgeordne ten, die ohne ih-
renauf demRückzug befindlichen Chef
MikeMohring in derRunde saßen,reagier-
tenmindestens soverdutzt wie SPD und
Grüne.Ramelowverzichtetauf das Minis-
terpräsiden tenamt,um es einerCDU-Poli-
tikerin zu überlassen? So ziemlichallen
warsofor tklar,dassdas zwar ein Ausweg
aus der Krise, aber auchein ganz undgar

nicht uneigennützigerVorschlagwar. Bei
schnellen Neuwahlen würde die Linke
mutmaßlichammeistenprofitieren, und
Ramelowkönnteauf diesemWegdirekt
wieder in die Staatskanzlei einziehen.
Dasserwieder antreten will, hat er bereits
angekündigt.
Als Ramelownach vierStunden ohne
Sakkound imRollkragenpullovervor die
Presse trat, begründete er seinen Vor-
schlag mit einem Zitat aus seinerRegie-
rungserklärungvomDezember,als er an-
gesichts derkomplizierten Mehrheitsver-

hältnisse nach derWahl alle Beteiligten
aufgeforderthatte, „vertrautePfade der
Regierungsbildung zu verlassen, Politik
neu zu denken und auchanderszuorgani-
sieren“. Man müsse jetzt endlich„mehr
Demokratie undwenigerParteibuchwa-
gen“, wiederholteder Linken-Politiker
und gabsichdabei so dezidiertstaatsmän-
nisch, dassihn einigeCDU-Abgeordnete
am liebstensofor tmit absoluter Mehrheit
abgewählt hätten.
Für dieUnion is tdas ein furchtbares A n-
gebot. Siekann Christine Lieberknecht

bei aller Antipathie, die einigeind er Uni-
on auchgegen sie hegen,kaum ablehnen,
zugleichaber würde diePartei bei schnel-
len Neuwahlen absehbarverlieren. „Nein,
das nehmen wir nicht an!“,teilen einige
Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand
mit, verweisen aber auf „die Gremien“ am
Dienstag. GleichamMorgentagt die
CDU-Fraktion dreiStun den lang ohne Er-
gebnis. Eigentlichwolltesichdie Union
nachdem Mittag schon wieder mit Lin-
ken, SPD und Grünen treffen, dochdaraus
wirdnichts. AmNachmittag tagt die CDU
weiter,hin- und hergerissen zwischen
staatspolitischerVerantwortung und eige-
nen Interessen.Ramelows Vorschlag habe
die CDU „mit Interesseaufgenommen“,
äußertMikeMohring in einerSitzungspau-
se. „Ergreiftjedochzukurz“; wirderam
spätenNachmittag sagen. Da istklar:Die
CDU stimmt, nachdem sie selbstmit Lie-
berknechtgesprochen hat,Ramelows Vor-
schlag nur bedingtzu: Lieberknecht soll
eine voll arbeitsfähigeRegierung aus Ex-
pertenführen, die bis zurVerabschiedung
des Haushalts für 2021 im Amt bleibt.Erst
danachsoll es Neuwahlengeben.
Linken-Chefin Susanne Hennig-Well-
sow, derenFraktionRamelows Vorschlag
bereits am Vormittag einstimmig zuge-
stimmt hat, hattejedochschon zuvor klar-
gestellt,worum es ihrerPartei geht.„Für
uns steht an erster Stelle eine Auflösung
des Landtags und erst dann einetechni-
sche Regierung mit Christine Lieber-
knecht“, sagtesie. Die Linkenwollen –ge-
nau wie die Bundes-CDU–Neuwahlen so
schnell wie möglich. In diesemFall will

die Linkeauchgeschlossen für Lieber-
knechtstimmen.Über das Angebotder
CDU für spätereNeuwahlen müssen die
Parteien nun in eine neueVerhandlungs-
runde gehen. Ausder CDU heißt es, dass
Neuwahlen die Spaltung des Landesver-
tiefen, dieRänder explodieren und die Mit-
te implodieren ließen. Sokönne man das
Landnicht einen,weshalb eskeine Zustim-
munggebe, den Landtag sofortaufzulö-
sen.
Auch die Frage, ob Lieberknecht ange-
sichts des Unvereinbarkeitsbeschlusses
ihreWahl mitStimmen der Linken dann
überhauptannehmen dürfte, wirdam
Dienstag in Erfurtdiskutiert. Die SPD-
Fraktion, die als einzigenocham5.Febru-
ar Neuwahlengeforderthatte, findetRa-
melows Idee gut. „Es istein sehr ausgewo-
gener Vorschlag, und dasssichRamelow
aus dem Spiel nimmt, istdas richtigeZei-
chen“, sagteFraktionschef MatthiasHey
dieser Zeitung. Die Grünen, diegegen
Neuwahlenwaren, weil ihnen derRaus-
wurfaus dem Landtag droht, sperren sich
nicht mehr.„Es is tein Wegaus derRegie-
rungskrise“, sagteFraktionschefDirk
Adams. UndChristine Lieberknecht? Sie
ließ übermitteln, sicherstdann zu äußern,
wenn es in ihrer eigenenPartei Ein verneh-
men zuRamelows Vorschlag gibt.Rame-
low, der Lieberknecht langekennt und
schätzt, habe sie eigenen Angaben zufolge
erst am Dienstagmorgen angerufen. Sie
habe keine Ambitionen auf das Amt, soll
sie gesagt haben.Aber wenn sie helfen
könne, den gordischen Knotenzuzerschla-
gen, wolle sie das tun.

E


twas mehr als einViertelaller
Mitglieder der nordrhein-westfä-
lischen CDU sindFrauen.Wür-
de Politik ausschließlichden Ge-
setzen der Mathematikgehorchen, sprä-
chevieles dafür,dassvon vier Bewerbern
aus Nordrhein-Westfalen für denVorsitz
der Bundes-CDU einerweiblichen Ge-
schlechtswäre.Ist aber nicht so. Bisher
gabesdreiMänner ausNordrhein-Westf a-
len, die im begründetenVerdachtstehen,
sichumdie Nachfolgeder jetzigen Chefin,
AnnegretKramp-Kar renbauer,bewerben
zu wollen: Friedric hMerz, Armin Laschet
und Jens Spahn. Am Dienstagkam ein
vierter hinzu.
AllerdingswollteNorbertRöttgen, der
Vorsitzendedes Auswärtigen Ausschusses
im Bundestag, sic hkeineswegs alsNum-
mer vier bezeichnen lassen, als er amVor-
mittag im Saal der Bundespressekonfe-
renz überraschend seine Bewerbung auf
den Tischlegte. Schließlichsei er bislang
der Ersteund Einzige, der seineKandida-
tur erklärthabe. Damit hatteerr echt.Die
anderen drei bemühen sich–der eine mit
mehr,der anderemit weniger Erfolg –, vor
der offiziellen Bewerbung eine interne
Einigung herbeizuführen. Am Dienstag
etwa sprachder frühereVorsitzende der
Bundestagsfraktion Friedric hMerzmit
der CDU-Vorsitzenden, die dieses Amt
aufgebenwill. Höchstvertraulich, aber im-
merhin sagteMerzimAnschluss, das Ge-
sprächsei „sehr gut“gewesen. Sein Spre-
cher teiltenochmit, Merzwerde sichnun
mit allen anderen Beteiligten abstimmen.
Fürdie nächstenTagesind Treffen
Kramp-Karrenbauersmit dem nordrhein-
westfälischen Ministerpräsidenten Armin
Laschetgeplant und mit Bundesgesund-
heitsminister Jens Spahn. Man willge-

meinsamversuchen, nachKramp-Kar ren-
bauersplötzlichemVerzicht aufVorsitz
und Kanzlerkandidatur denganzen Vor-
gang nichtvollends ins Chaotische abglei-
tenzulassen und sichauf eingeordne tes
Vorgehen zu einigen.
Auch mit Röttgen, sowaraus der CDU
zu hören, will die designierte Ex-Chefin
der Partei in den nächstenTagen unter
vier Augenreden. Berichtet wurde zudem,
dassneben demVorsitzenden desAuswär-
tigenAusschusses zweiweitereCDU-Mit-
glieder ihren Hut in den Ringgeworfen
hätten. DerenNamen sollten so lange
nicht mitgeteilt werden, wie sie sichnicht
selbstäußerten. Amkommenden Montag
werdeKramp-KarrenbauerPräsidium
undVorstand über denStand der Dingein-
formieren, anschließend die Öffentlich-
keit.Obinden Gremien schon am Mon-
tag über einkonkretes Verfahren zur Be-
stimmung des neuenVorsitzendengespro-
chen werde, sei nochoffen. DieParteivor-
stände vonCDU und CSU seien in engem
Austausch. In „absehbarer Zukunft“wolle
man einegemeinsame Sitzung einberu-
fen.

Röttgen dagegen machteklar,dasser
dasbisherigeVerfahren,indemesdarum
gehe, dassdrei„Aspiranten“ zufriedenge-
stellt würden, damit am Ende „Friede,
Freude, Eierkuchen“ herrsche, nicht gut
findet. Er teiltesein Vorhaben derNoch-
Vorsitzenden am Dienstagper E-Mail mit,
anschließendnochineinemTelefonat.
Mit Merz, Laschetund Spahn sprachRött-
genzumindest bis zu seinem öffentlichen
Auftri tt nicht. Solltenochjemand Zweifel
gehabt haben, ob Röttgen neben dem
Schreibtischvon Kramp-Karrenbauer
auchdenjenigenvonBundeskanzlerin An-
gela Merkelhaben will, so räumteers ie
umgehend aus demWeg. Ein CDU-Vorsit-
zender habe den ersten Zugriff auf die
Kanzlerkandidatur.Aufgestelltwerdeein
gemeinsamerKanzlerkandidat dann mit
der CSU,ließ er wissen. Dassnicht alle
Parteifreunde so begeistertvon Röttgens
Idee sind wie dieser selbst, ließ derVorsit-
zende des niedersächsischen CDU-Lan-
desverbands, Bernd Althusmann, durchbli-
cken. Mit „Bewerbungen imWochentakt“
sei der CDU nichtgeholfen, schrieb er in
einer Mitteilung. „Wir habengewählte

Gremien, die einenrealistischenZeitplan,
das Verfahren und einen Personalvor-
schlag zügigerarbeiten, damit wir uns end-
lichwieder auf politische Sachfragenkon-
zentrierenkönnen.“
Einmal hat sichNorbertRöttgen bereits
erfolgreichumeinen Parteivorsitz bewor-
ben. Dochauf dem Sieg lagkein Segen.
2010 setzteRöttgen sich–ausgerechnetge-
genLaschet, einen der aktuell möglichen
Kandidaten für dieNachfolgeKramp-Kar-
renbauers–im Ringen um denVorsitz der
nordrhein-westfälischen CDU durch.Von
ihrer Weltanschauung ähneln sichder aus
BonnstammendeRöttgen und der inAa-
chen geborene Laschet. Beide sind über-
zeugteEuropäer.Beide arbeiteten alsTeil
der legendären Pizza-Connectionfrüh dar-
an, Kontakte zu den Grünen zu knüpfen.
Beim Zweikampf mit Laschetumden
Vorsitz der nordrhein-westfälischen CDU
ging esRöttgen 2010vorallem auchdar-
um, sicheine Hausmacht für den erhoff-
tenbundespolitischen Aufstieg zu schaf-
fen. Dasssein Fokusimmer in Berlin lag,
zeigtesichimMärz2012. Das Scheitern
der rot-grünen Minderheitsregierung un-

terMinisterpräsidentin Hannelore Kraft
(SPD) schienRöttgen gänzlichzuüberra-
schen. In aller Eile musstesichder damali-
ge Bundesumweltminister zum Spitzen-
kandidaten seinerPartei wählen lassen.
Die Rolle bereiteteihm keine Freunde.
Undauchseine Partei hattekeine rechte
Freude an ihm. Eindringlichbaten ihn sei-
ne Unterstützer, sichsogleichdazu zu be-
kennen, nun auf jedenFall in die Landes-
politi kzuwechseln,also auch alsOppositi-
onsführer. DochRöttgen wolltedas nicht
und vermied eineFestlegung,was–wie
Nachwahlanalysen er gaben –maßgeblich
zur Demobilisierung der eigenen Anhän-
gerschaftführte:Gingen derUnion bei
der Landtagswahl 2010 mit Ministerpräsi-
dent JürgenRüttgersdie Wechselwähler
verloren, soverspielteRöttgen zwei Jahre
später auchnochdas Vertrauen einesbe-
trächtlichenTeils derStammwählerschaft.
Die 26,3 Prozent, auf die dieUnion am 13.
Mai 2012 unter derFührungRöttgens
kam, sind der bisher schlechtesteWert in
der Geschichte der nordrhein-westfäli-
schen CDU.DassMinisterpräsidentin
Kraf taus ihrem Minderheitsexperiment
mit einemTriumph für die Sozialdemokra-
tie hervorging, hattesie auchder ef fekti-
venCDU-Schrumpfung durch Röttgen zu
verdanken.

R


öttgen trat nachdem Wahldeba-
kelzwarals Vorsitzenderdes
größten CDU-Landesverbands
zurück, bundespolitischwollte
er aberweiterarbeiten wiegehabt.Als gro-
ße SchmachdürfteesRöttgen empfunden
haben, dassihn die Bundeskanzlerin am


  1. Mai 2012 aus seinemMinisteramtent-
    ließ. AusParteikreisen heißt es, man habe
    viel Energie aufwendenmüssen, um Mer-
    kelspäter davonzuüberzeugen, dassder
    begabteRöttgen wenigstens Vorsitzender
    des AuswärtigenAusschusses werden kön-
    ne.
    Ironie der Geschichte: Erst nachdem
    Röttgen-Debakel2012konnteArmin La-
    sche tmit seinempolitischenAufstieg be-
    ginnen. Zunächs twurde Laschetnoch
    Chef desgrößten CDU-Landesverbandes,
    späterübernahm Laschet auchden Vorsitz
    der CDU-LandtagsfraktioninDüsseldorf.
    Damit begann sic hauchbei seinen Skepti-
    kern die Einsicht durchzusetzen, dassLa-
    sche tder –wie viele in der CDUglauben –
    wenig aussichtsreiche Spitzenkandidat der
    CDU für die Landtagswahlwerden würde.
    Die SPD-Kandidatin, Ministerpräsidentin
    Kraft, ging denWettstreit jedochohne den
    erforderlichen Siegeswillen an. Laschet
    konntedie Wahl für sichentscheiden und


bildete eine weitgehend reibungslos arbei-
tende Koalition mit der FDP.Seithergilt er
in derUnion als möglicher Aspirant auf
den Bundesvorsitz. Dochnun kommt ihm
schon der dritteambitionierte Partei-
freund aus dem eigenen Landesverbandin
dieQuere. Andersals Laschet, und mit Ein-
schränkungen auchandersals Merzund
Spahn,verfügt RöttgeninNordrhein-West-
falen aber nicht über nennenswerteeigene
„Truppen“. Schon beiseinem landespoliti-
schen Zwischenspielvon2010 bis 2012
warauffällig,wie wenig Wert Röttgen auf
eigene Seilschaftenlegte, beim basisdemo-
kratischen Ringen umden nordrhein-west-
fälische nLandesvorsitz setzte Röttgen vor
allem auf seine Gabe derRede.
Mit Merzund Spahn scheintRöttgen
das Gefühl zuverbinden, Laschetüberle-
genzusein. AufLaschet,der allesdarange-
setzt hatte, eineKampfabstimmung um
den CDU-Bundesvorsitz zu vermeiden,
nimmtRöttgen nunkeine Rücksicht. Viel-
mehrnimmtRöttgen inKauf,dassder Ein-
druc kentsteht, Laschet habe seinen La-
den, dengrößten CDU-Landesverband,
nicht im Griff.Tatsächlichstellt si ch bei
der Riegemöglicher Aspiranten für die
Nac hfolg evon Kramp-Karrenbauernun
die Frage, ob dasvonLasch et angestrebte
Team allein aus Männernder nordrhein-
westfälischen CDU bestehen soll. Hinzu
kommt, dassnach den Erfahrungenvon
2012kaum jemandin der CDU Röttgen zu-
trauendürfte,einigendindie Parteihinein-
zuwirken.
Röttgen wirdzwarunisono als kluger
Kopf beschrieben.Umso rätselhafterist
seine Kandidatur: Geht es um die Bewälti-
gung seinesEntlassungstraumas? Oder
zielt Röttgen garnicht wirklichauf den
Vorsitz, will er sichmit seinerKandidatur
womöglichnur für einenKabinettsposten
in derNach-Merkel-Zeit in Stellung brin-
gen? Schon istinder CDU dieVermutung
zu hören, erwerdeindem Moment auf sei-
ne Kandidaturverzichten,wenn erZusa-
genfür di eweitereVerwendung in derZeit
danachhabe.
Ausdem Süden und demNorden derRe-
publik wirdangesichtsvonsoviel Durch-
einanderanjene Person erinnert, die im-
mer nochfür geordne te Führung in der
Union steht.Der CSU-Vorsitzendeund
bayerische Ministerpräsi dent MarkusSö-
der warntindiesen Tagengerne voreinem
Bruc hmit der Ära Merkel. VonKielaus
schalt etesichder schleswig-holsteinische
CDU-Ministerpräsident DanielGünther
in die Debatteein:„Mit Angela Merkelan
unsererSeitehaben wir als CDU auchalle
Chancen,ein seh r, sehr ordentlichesErgeb-
nis be ider Bundestagswahl zu holen.“

Ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst


WieBodo Ramelowmit Christine Lieberknecht alsÜbergangs-Regierungschefin die CDU unter Drucksetzt /VonStefanLocke,Dresden


Erster!NorbertRöttgen am Dienstag in Berlin FotoReuters

Wegaus der Krise?Ramelowund Hennig-WellsowamDienstag Fotodpa

Männlich, katholisch, aus Nordrhein-Westfalen


Alsobinder CDU


nichtschon genug


durcheinanderginge,


will nunauchnoch


Norber tRöttgen


Vorsitzenderwerden.


VonReiner Burger,


Düsseldorf, und


Eckart Lohse, Berlin


SEITE 2·MITTWOCH, 19.FEBRUAR2020·NR.42 FPM Politik FRANKFURTERALLGEMEINEZEITUNG

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