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Pressefoto Baumann
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ußball ist ein Kontaktsport. Mitunter sind
die Kontakte zwischen Spielern so brutal,
dass es zu Verletzungen kommt. Wenn sie
Pech haben, können Fußballer nach Tritten
oder Grätschen von Gegenspielern monate-
lang nicht spielen. Würde man jemanden
auf der Straße auf solche Weise attackieren, müsste
man sich auf ein Verfahren wegen Körperverletzung
gefasst machen. Aber können auch Fußballer für Foul-
spiele juristisch verfolgt werden?
»Der Teilnehmer an einem Fußballspiel nimmt
grundsätzlich Verletzungen, die auch bei regelgerech-
tem Spiel nicht zu vermeiden sind, in Kauf«, schreibt
der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil von
- »Daher setzt ein Schadensersatzanspruch gegen
einen Mitspieler den Nachweis voraus, dass dieser sich
nicht regelkonform verhalten hat.« Dieser Nachweis ist
nicht einfach. Weder die Schwere der Verletzung noch
die Strafe des Schiedsrichters für das Foul – Freistoß,
Gelbe oder Rote Karte – können herangezogen werden,
um die Schwere des Regelverstoßes zu beurteilen. Ob
ein Haftungsanspruch besteht, entscheiden die Fuß-
ball-Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ins-
besondere die Regel 12: Bei »fahrlässigem« Verhalten
scheidet ein Haftungsanspruch aus, bei »rücksichtslo-
sem« meistens auch. Nur bei »übermäßig hartem« Ver-
halten entsteht fast immer ein Anspruch.
Die Abgrenzung zwischen leichtem Regelverstoß
und grober Unsportlichkeit ist bei einem »Tackling«,
dem seitlichen Hereingrätschen in den Lauf des Gegners
oder des ballführenden Spielers, besonders schwierig.
»Wird der Ball getroffen und der Gegner trotzdem ver-
letzt, handelt es sich nur um einen geringen Regelver-
stoß. Die Haftung ist ausgeschlossen«, erklärt der
Rechtswissenschaftler Peter Heermann von der Uni-
versität Bayreuth. Wenn ein Spieler aus Spieleifer, Un-
überlegtheit, technischem Versagen oder Übermüdung
geringfügig gegen Regeln verstoße und einen Gegen-
spieler verletze, hafte er ebenfalls nicht. Auch nicht,
wenn zwei Spieler im Tackling die gleiche Chance hat-
ten, den Ball zu erreichen, so Heermann. Grätsche ein
Spieler dagegen mit beiden Beinen in den Gegner, sei
das ein grober Regelverstoß, »denn das stellt eine nicht
zu rechtfertigende Härte dar, in die der Geschädigte
nicht eingewilligt hat.« Gleiches gelte für das Tackling
eines Gegenspielers, wenn der Ball nicht in der Nähe sei.
Maximilian Richter, Rechtsanwalt in der Münchner
Kanzlei Dollinger, vertritt Fußballer in Haftungsfällen
- Täter und Opfer gleichermaßen. Vor drei Jahren erlitt
ein Mandant nach der Grätsche eines Gegenspielers in
einem Achtligaspiel einen Schien- und Wadenbein-
bruch. Die Aussagen der Teamkameraden, Trainer und
Fans beider Clubs gingen vor Gericht weit aus ein an der.
Auch Videoaufzeichnungen zweier Handykameras
konnten die Sache nicht aufklären. Schließlich einigten
sich die Anwälte beider Parteien auf einen Vergleich:
Richters Mandant bekam 3000 Euro. Oft klagt auch
gar nicht der Verletzte selbst, sondern seine Kranken-
kasse: auf Erstattung der Behandlungskosten im Sinne
des Zivilrechts. Strafrechtlich werden solche Fälle nicht
verfolgt. »Die Höhe der Summe hängt von der Schwere
der Verletzung und den mit ihr verbundenen Konse-
quenzen ab«, sagt Rechtsanwalt Richter. 2012 sprach
das Oberlandesgericht Hamm einem Kreisligaspieler
50.000 Euro zu. Ein Gegenspieler hatte ihn mit einem
Tritt so schwer am Knie verletzt, dass er seinen Beruf
als Maler und Lackierer nicht mehr ausüben konnte.
Im Profifußball sind solche Haftungsklagen die Aus-
nahme, gerade in Deutschland. Marcell Jansen, ehema-
liger Spieler des HSV und heute dessen Präsident, galt
in seiner Karriere als verletzungsanfällig. Wenn Profis
ausfallen, bekommen sie sechs Wochen ihr normales
Gehalt. Dann springt die gesetzliche Unfallversicherung
ein, die meist deutlich weniger zahlt. »Im Fußball sind
natürlich Emotionen im Spiel«, sagt Jansen. Es komme
vor, dass man zu ungestüm in einen Zweikampf gehe.
»Böswilligkeit habe ich meinen Gegenspielern aber nie
unterstellt.« Kein Profifußballer wolle einen anderen
absichtlich verletzen.
In England ist das Haftungsrecht »opferfreundlicher«
als hierzulande, sagt der Rechtsanwalt und Spielerbe-
rater Michael Becker, der auch den deutschen Spieler
Michael Ballack beriet. Im englischen Pokalfinale 2010
wurde Ballack, damals Spieler von Chelsea London,
von Kevin Prince Boateng rüde gefoult. Wegen der Ver-
letzung verpasste er die Weltmeisterschaft 2010 in
Südafrika. Michael Ballacks Berater Becker stellte fest,
dass Boateng – und auch dessen Arbeitgeber FC Ports-
mouth – für die Verletzung nach englischem Recht
haftbar seien: »Boateng hat die Sorgfaltspflicht verletzt,
die er seinen Gegenspielern schuldet. Dadurch ist für
Ballack ein Schaden entstanden: die Verletzung sowie
entgangene finanzielle Prämien, etwa für die verpasste
WM-Teilnahme.« Sein Mandant Michael Ballack sah
trotzdem von einer Klage ab.
Im schlimmsten Fall erholen sich Fußballer gar nicht
mehr von einer Verletzung, die ihnen ein Gegenspieler
zugefügt hat. Ben Collett gehört dazu. Der Engländer
war einst ein hoffnungsvolles Talent, spielte in der Ju-
gend von Manchester United. Sein Trainer Sir Alex
Ferguson hatte dem »großartigen Collett« eine riesige
Laufbahn prophezeit. Dann, im April 2003, wurde er
als 18-Jähriger von Gary Smith, Spieler des FC Middles-
brough, brutal gefoult. Colletts Bein brach doppelt, er
fand nie wieder zu seiner Form zurück. Er zog vor Ge-
richt – und gewann fast 4,6 Millionen Pfund. Allein
3,8 Millionen Pfund wurden ihm als Ersatz für die Ein-
nahmen, die ihm wegen der verpassten Profikarriere
entgangen waren, zugesprochen. Ein einziger Tritt be-
endete Colletts Karriere, bevor sie begonnen hatte. —
Im nächsten Heft: Der tödliche Pass