Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

10 MEINUNG & DEBATTE Dienstag, 18. Februar 2020


SIDNEY LÉA LE BOUR

FOTO-TABLEAU

Weisse Hölle


im Herzen Ägyptens 2/


Die «weisse Hölle» werden die Kalksteinbrüche in
der ägyptischen Provinz Minya genannt; seltsam quer
zum Namen steht die verblüffende Schönheit dieser
Gegend, die auch die französischeFotografin Sidney
Léa Le Bour in ihrenBann zog. «Der Staubaus den
Steinbrüchen bedeckt alles. So entsteht eine makellos
reineLandschaft, eine Mondlandschaft, blendend,
ohneVegetation, ohne von Menschenhand errichtete
Bauten», schildert sie ihren Eindruck. Es ist nicht der
einzige Ort, an dem sie einen solchen fast irrealen
Zauber fand: 20 18 fotografierte sie in einer Schwefel-
mine in Indonesien, die im KratereinesVulkans liegt,
nahe bei einem türkisblauen See:«Zusammen mit
dem gelben Schwefel und demRauch desVulkans
wirkte das wie dieLandschaft eines fremden
Planeten.» Aber nicht nur die aussergewöhnliche
Szenerie eint die Orte – an beiden arbeiten Menschen
unter verheerenden Bedingungen. Im indonesischen
Kawah Ijen schleppen dieTr äger mehrmals täglich
Ladungen von bis zu hundert Kilo Schwefel aus der
Tiefe desVulkans herauf; dabei sind sie ähnlichen
Gefahren und Gesundheitsrisiken ausgesetzt wie die
Männer in den ägyptischen Steinbrüchen. Letztere
sind wenigstens unter sich; die Arbeiter in Kawah
Ijen dagegen müssen sich seit einiger Zeit damit
abfinden, dass begeisterteTouristengruppen sie bei
ihrer täglichen Plackerei ablichten.

Internationale Zusammenarbeit 2021–


Investitionen ermögl ichen

Gastkommentar
von TONISTADLER

Klimawandel, irreguläresAuswandern und das
unzimperlicheVorgehen Chinas in Afrika las-
sen die klassischeAuslandhilfe alt aussehen.Will
internationale Zusammenarbeitrelevant bleiben,
muss sie sich alsTeil der LösungvonProblemen
anbieten, die uns heute beschäftigen. Der Ent-
wurf der Botschaft 2021–2024, der im vergange-
nen Sommer in dieVernehmlassung ging, weist
in die richtige Richtung. Doch imTextkommt zu
kurz, welches die wichtigsten zweiReformpunkte
sind:Es geht darum, die fossilfreie Modernisie-
rung voranzutreiben und dieWirtschaftsentwick-
lung ins Zentrum zu stellen.
«Sollte es gelingen, die einkommensschwache
Hälfte der Menschheit von Armut zu befreien,
würde dies zu einer Umweltkatastrophe führen.»
Über dieses fast banal klingende Dilemma wurde
selbst im Entwicklungskomitee der OECD nie
wirklich diskutiert. Ohne plausible Antwort dar-
auf wirdAuslandhilfe zum Klimazerstörer – und
Entwicklungsarbeit wird bedeutungslos. Nehmen
wir Afrika: Zurzeit ist dort nur einKernkraftwerk
in Betrieb (im südafrikanischenKoeberg). Zwei
Drittel der Elektrizität für eine Bevölkerung von
1,3 Mrd. Menschen werden durchVerbrennen von
Erdgas, Erdöl undKohle erzeugt. Zwar entsorgen
armeLänder weniger alseineTonneTr eibhausgas
proKopf, aber Bevölkerung undWirtschaft wach-
sen. Die Mittelschicht will klimatisierteWohnun-
gen, dieBauern – meist noch immer ohne Strom–
möchten mindestens eine Steckdose im Haus.
Wer der Armut entflieht, kauft sich als Ers-
tes eineWaschmaschine,als Zweites einAuto.
DieVerkehrsstaus in Afrikas Hauptstädten sind
legendär, der Bedarf an elektrischen Bussen,
Tr ams, Bahnen ist schier unbegrenzt. Der Ener-
gieverbrauch nimmt zu. Ein Anstieg auf achtTon-
nen CO 2 pro Einwohner, wie er in China bereits
Tatsache ist, darf weltweit nicht stattfinden. Also
müsste der Entwicklungssprung direkt in Rich-
tung fossilfreier Elektrizität erfolgen. Etwa mit
Wasserstoff aus Sonnenenergie oder einer neuen
Generation von Atomkraftwerken, finanziert
durch die Entwicklungsbanken.
Im Botschaftsentwurf findet sich derRahmen-
kredit«Wirtschaftliche Entwicklungszusammen-
arbeit». Darin geht es um 300 Mio. Fr. proJahr
(insgesamt 1,2 Mrd.Fr.) für die Seco-Wirtschafts-
entwicklung in dreizehnLändern mit mittleren
Einkommen: Ägypten, Albanien, Ghana, Indo-
nesien, Kirgistan,Kolumbien,Peru, Serbien,Süd-
afrika,Tadschikistan,Tunesien, die Ukraine und
Vietnam. DieVolkswirtschaft jedesLandes – ob
reich oder arm – schafft produktive Arbeitsplätze,
ermöglichtSteuereinnahmen, bestimmt denWohl-
stand und den Grad der Armut. Nur eine funktio-

nierendePrivatwirtschaft kann jungen Afrikanern
in ihremLand Arbeitsplätze bereitstellen.
Jede Entwicklungszusammenarbeit beginnt
mit derFörderung vonRechtssicherheit für Men-
schen und Unternehmen.Dazukommt die Pro-
fessionalisierung des Kreditwesens, damit lokale
und ausländischeBanken in derLage sind, die
Spargelder der Bevölkerung in KMU zu inves-
tieren. Finanzministerien benötigen Exper-
tenwissen für dieReform ihrer Steuersysteme,
denn afrikanischeLänder finanzieren einen zu
geringen Anteil ihrer Entwicklung selbst. Vieles
von dem tut die SchweizerWirtschaftsentwick-
lung, allerdings inkeinem der ärmstenLänder
derWelt, von denen die meisten in Afrika lie-
gen. DieParallelexistenz von«Wirtschaftsent-
wicklung» und «Privatsektorförderung» zur tra-
ditionellen Entwicklungszusammenarbeit hat zu-
dem zu einem Deza/NGO-System geführt, dem
in den ärmstenLändern dieWirtschaftskompe-
tenz fehlt. EineRückführung dieser wichtigen
Arbeit ins Zentrum derLandesprogramme der
Deza (im Botschaftsentwurfvage als Möglich-
keit angetönt) ist überfällig.
Im Zuge derVernehmlassung kam es zu einer
Kontroverseumdie Abwertung des Begriffs
«Armutsreduktion». Es wird befürchtet, das Set-
zen der Schwerpunkte «Arbeitsplätze», «Klima-
wandel», «Migration» und «Investitionsförde-
rung»sei eigennützig und verdränge das zen-
trale Anliegen der Armutsbekämpfung. Nun ist
aber Armut nicht Ursache, sondernFolge von
dysfunktionalen Staatsapparaten und schlechter
Wirtschaftsführung. Das weiss zwar jeder Öko-
nom, dennoch wird weiterhin um die Erhaltung
der «Armutsreduktion» gekämpft – weil die Idee,
Notleidenden ausTausenden von Kilometern
Entfernungdirekt zu helfen, menschlich ist und
das Spenden fördert.
Für einenKonsens über die internationale
Zusammenarbeit braucht es eine wirklichkeits-
nähere und vor allem positive Begründung,
etwa: «Die Schweiz fördert fossilfreie Entwick-
lung in den ärmstenLändern, damit sie amFort-
schritt teilhaben und ihrenJungen eine Alterna-
tive zurAuswanderung nach Europa bietenkön-
nen.» Am Prinzip derAuslandhilfe ändert das we-
ni g.In Kriegs- und Katastrophengebieten bleibt
direktes Helfen von Geber zu Empfänger rich-
tig. Langfristige Entwicklungszusammenarbeit da-
gegen muss via private oder staatliche Institutio-
nengehen,welche dieWirkung der Unterstützung
aus demAusland vervielfältigen,Investitionen er-
möglichen und dadurch Arbeitsplätze schaffen.

Toni Stadlerist Historiker und Publizist. Erarbeitete 25
Jahreinder internationalenZusammenarbeit, für das
IKRK, die Uno, imEntwicklungs-und Umweltkomitee der
OECDsowie imSchweizer Aussendepartement.

Internationale Steuerpoli tik


Vom gläserne n Bürger

zum gläserne n Konz ern

Gastkommentar
von PETERBAUMGARTNER


Während verbreitet dieVerschlechterung der
internationalen Zusammenarbeit oder gar das
Ende der Globalisierung beklagt wird, findet im
Steuerbereich das Gegenteil statt. Mit Unterstüt-
zung der G-20 legt dieOrganisationfürwirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
inrascherFolge neue Standards vor. Die Staa-
ten sind gehalten, diese umzusetzen. Andernfalls
drohen Sanktionen.Das ist erstaunlich, galt der
Steuerbereich dochlange als Bollwerk staatlicher
Souveränität. Die OECD umfasst 36 Industrie-
staaten. Im Zuge der Globalisierung suchte sie
jedoch die aktive Zusammenarbeit mit Schwel-
len- und Entwicklungsländern. Dies mit dem Ziel,
ihren Standards weltweite Geltung zu verschaf-
fen. Im Steuerbereich fand sie ein fruchtbares Be-
tätigungsfeld. Die Staaten klagtenwegender Glo-
balisierung über massive Steuerverluste und bo-
ten gerne Hand zur Erarbeitung vonRegeln, mit
denen die internationale Steuervermeidung ein-
gedämmt werdenkonnte.
Nach derJahrtausendwende lag derFokus
auf der Schaffung vonTr ansparenz. Die Steuer-
behörden wollten wissen, wo die Bürger ihr
Geld versteckten und wer sich hinterTr usts und
komplexen Strukturen verbarg. DieFolgen sind
bekannt. Die Schweiz musste 2009 den globa-
len Standard zumAustausch von Steuerinfor-
mationen übernehmen. Dann folgte der auto-
matischeAustausch vonBankkundendaten.
Die Schweiz tauschte 20 19 mit 75Ländern sol-
cheDaten aus. Um den weltweiten Steuerwett-
bewerb in die richtigeBahn zu lenken («fair
tax competition»), wandte sich die OECD den
international tätigenKonzernen zu. Zusam-
men mit interessierten Staaten erarbeitete sie
einen Aktionsplan zur Eindämmung der Steuer-
verkürzung und Gewinnverlagerung derKon-
zerne (Base Erosion and Profit Shifting, Beps).
2015 hiessen die G-20 14 Massnahmen gut. Mit
einem multilateralen Abkommen gelang es, die
neuen Standards ins weltweite Netz der bila-
teralen Doppelbesteuerungsabkommen einzu-
bringen. Die Schweiz musste ihre für internatio-
naleFirmen vorteilhaften Besteuerungsregeln
beseitigen. Für grosseKonzerne tratenRegeln
zum automatischenAustausch von länderbezo-
genenDaten in Kraft (Country-by-Country
Reporting).
Seit kurzem zeichnet sich ab, wie die letzte im
Beps-Aktionsplan vorgesehene Massnahmekon-
kretisiert werden soll. Es geht um die politisch


wie technisch schwierige Neuregelung der Be-
steuerung von digitalen Geschäften. EndeJa nuar
einigten sich 122 Staaten imRahmen der OECD
(InclusiveFramework on Beps) über die Grund-
züge der künftigenRegeln. DerVorschlag enthält
zwei Elemente, die nicht nur für Internetfirmen,
sondern für alle grossenKonzerne gelten sollen:
neue Besteuerungsregeln für die digitalisierte
Wirtschaft (Pfeiler 1) und eine Mindestbesteue-
rung der imAusland erwirtschafteten Gewinne
(Pfeiler 2). Beide sollen der Bekämpfung der
Steuervermeidung dienen. Es geht aber um viel
mehr, nämlichletztlich um eine Neuverteilung der
Steuererträge der grossenKonzerne. Jeder Staat
soll seinen «fair share» erhalten.
Unbestritten ist, dass sich die geltenden Be-
steuerungsregeln bei digitalen Geschäftsmodel-
len umgehen lassen. DieseRegeln stellen als An-
knüpfungspunkt für eine Besteuerung imAus-
land auf eine Präsenz vor Ort ab. Typischerweise
ist eine solche für digitale Geschäfte aber gerade
nicht erforderlich. Neu soll deshalb neben dem
Sitzstaat auch der Marktstaat ein (beschränktes)
Besteuerungsrecht für Gewinne aus demVerkauf
von Gütern und Dienstleistungen erhalten. Be-
gründet wird das Besteuerungsrecht ziemlich dif-
fus mit der Bedeutung der Markterschliessung
undder NutzungvonKonsumentendaten.Poli-
tisch geht es aber darum, Alleingänge bei Inter-
netsteuern zu verhindern und denForderungen
grosser Schwellenländer nach gerechteren Steuer-
regeln entgegenzukommen.Für einzelne Sekto-
ren (Rohstoff-,Finanzbereich, andere?) sollen die
neuenRegeln nicht gelten.
Bei der Mindestbesteuerung (Pfeiler 2), auf
der namentlichFrankreich und Deutschland be-
harren, geht es um eineVergrösserung des glo-
balen Steuerkuchens. Falls die Gewinne imAus-
land nicht wenigstens mit dem Mindestsatz be-
lastet sind, soll der Staat der Muttergesellschaft
dasRecht erhalten, die Differenz nachzubesteu-
ern. Mit dem(politischvorgegebenen) Mindest-
satz lässt sich derWettbewerb bei den Steuer-
sätzen einschränken. Der Schweiz drohen sub-
stanzielle Steuerausfälle. Wie hoch sie sein wer-
den,hängt bei beiden Pfeilern von derkonkreten
Ausgestaltung ab. Ein Novum für die betroffenen
Konzerne stelltdieanvisierte Umsetzung dar. In
Ergänzung zu den bisherigenRegelnsoll neuein
aufKonzernzahlen basierenderVerteilungsschlüs-
sel verwendet werden. Die Anwendung wird da-
durch hochkomplex.Willkommen in der schönen
neuen Steuerwelt.

Peter Baumgartneristehem.Direktorvon Swissholdings.
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