Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

Dienstag, 18. Februar 2020 MEINUNG & DEBATTE 11


Begrenzung der Interessenvertretung


Löchriges Lobby-Verbot nützt nichts

Der neueWinkelriedkommt aus demWallis. Beat
Rieder, CVP-Ständerat aus dem Lötschental, legt
sich mitden dunklen Mächten an, die in Bundes-
bern angeblich das Sagen haben. Erwill die Macht
der Lobbys eingrenzen. Sein Plan:Wer in der Ge-
sundheitskommission sitzt, dürfte sich nicht mehr
in denVerwaltungsrat (VR) einer Krankenkasse
oder eines Spitals wählen lassen.Dasselbe gilt
analog für alle Bereiche. Wer zum Beispiel in der
Energie- oderWirtschaftskommission sitzt, darf
keine bezahlten Mandate vonFirmen oderVer-
bänden annehmen, wenn diese direkt vonRege-
lungen betroffen sind, die in jenenKommissio-
nen hinter verschlossenerTür aufgegleist werden.
RiedersVorschlag stösst auf breite Unterstüt-
zung. Die StaatspolitischeKommission des Natio-
nalrats hat denVorstoss amFreitag deutlich unter-
stützt. Nunkönnen die involvierten Ständeräte
eineVorlage für das geplanteVerbot erarbeiten.
Beat Rieders Idee leuchtet auf Anhieb ein. Gut
ist sie trotzdem nicht, vor allem aus drei Gründen.


DerVorschlag ist erstens nicht zu Ende gedacht.
Das Verbot würde nur dann greifen, wenn ein
Parlamentarier ein neues Ämtli übernehmen will.
Wenn er hingegen schonseitJahren Mitglied des
Verwaltungsrats eines Energiekonzerns ist, dürfte
er sich weiterhin in die Energiekommission wäh-
len lassen. EineAusnahme soll auch gelten, wenn
es sich beim Mandat um den Hauptberuf han-
delt. Beides leuchtet nicht ein.Warum soll der
eine dürfen, was dem anderen verboten wird?
Mit diesenAusnahmen will Rieder demVorwurf
begegnen, seinVorstoss zerstöre das Milizsystem.
Aber das macht ihn nicht besser. Ein solchesVer-
bot ist weder logisch noch fair. Zudem lässt sich
endlos darüber streiten, wanneineFirma oder ein
Verband direkt betroffen ist.
Zweitens:Das Problem wird aufgebauscht.
DieParlamentarier, die fürstliche Beträge ein-
streichen, weil sie in der «richtigen»Kommission
sitzen, bilden eine Minderheit. Zu findensind sie
vor allem imLager der Krankenkassen, für die
ein guter Draht insParlament wichtiger ist als für
die meisten anderen Unternehmen, weil ihr Ge-
schäft stark politisch beeinflusst ist.
Aber nicht einmal die Kassenlobby ist so stark,
wie sie gern dargestellt wird. Es istkein Zufall,
dass die Medien immer wieder dieselbenFälle
nennen: Josef Dittli (fdp.), Präsident des Kassen-

verbands Curafutura, Lorenz Hess (bdp.), Erich
Ettlin oderRuth Humbel (beide cvp.), die alle
imVerwaltungsrat einesVersicherers sitzen.Da-
neben gibt es mancheParlamentarier, die in Bei-
räten oder ähnlichen Gremien sitzen.Aber sie
werden wesentlich weniger gut entlöhnt und sind
damit auch weniger abhängig.
Wenn nicht alles täuscht, findet auch bei den
Krankenkassen ein Umdenken statt. Der Bran-
che ist nicht entgangen, dassdasPublikum heute
sensibler auf dasThemareagiert. EinzelneVer-
sicherer haben bei denWahlen «ihre»Parlamen-
tarier verloren. Es wird spannend sein, zu beob-
achten, ob sie diese imVerwaltungsrat erneut
durch National- oder Ständeräte ersetzen.Das
Reputationsrisiko ist für beide Seiten erheblich.
Und wenn derPolitiker deswegen in Gesund-
heitsdebatten lieber schweigt, bringt er seinem
Geldgeber auch nicht viel.
Vor allem aber hat es dasParlament drittens
selber in der Hand, für Klarheit zu sorgen. Die
Fraktionen sollen vorsichtiger abwägen, wen sie
in welcheKommission wählen. Und dasParla-
ment kann echteTr ansparenz befehlen: Die Liste
der Interessenbindungen müsste nicht nur die
Mandate umfassen, sondern auch die Höhe der
Bezüge. Das wäre wirkungsvoller als ein löchri-
gesVerbot.

Olympiajahr 2020


Japan greift nach ei nem Stro hhalm

InJapans Nachkriegsgeschichte markiert dasJahr
1964 eine Zäsur. Nach demWegräumen der physi-
schen und psychischenTr ümmer beanspruchte das
Land wieder einen Platz auf derWeltbühne. Die
Inselnation machte klar, dass sie sich nach dem
Wiederaufbau nicht länger vor den grossen Mäch-
ten verstecken wollte. Symbol dieserAufbruch-
stimmung war nicht nur die Inbetriebnahme des
Hochgeschwindigkeitszuges Shinkansen.Imglei-
chenJahr führteTokio – als ersteasiatischeMetro-
pole überhaupt – auch die Olympischen Sommer-
spiele durch. Die Kapitaleerfuhr dank diesem An-
lass einen eigentlichen Modernisierungsschub.
Diesen Sommer finden inTokio erneut Olym-
pische Sommerspiele statt. Und auch von die-
sem Ereignis versprechen sich einigePolitiker
eineRevitalisierung.Doch die Unterschiede zu
damalskönnten kaum grösser sein.Das benach-
barte China –1964 noch ein ökonomischer Non-
valeur – hatJapan längst dieRolleals zweit-


grössteWirtschaftsnation abspenstig gemacht.
Und in denKöpfen vieler Beobachter verfestigt
sich die Überzeugung, dass der Inselstaat seit dem
Platzen der SpekulationsblaseimJahr1989 nicht
mehr wirklich vom Fleck gekommen ist. Der Be-
griff derJapanifizierung gilt als Fluch, alsSyn-
onym für Lethargie und Hoffnungslosigkeit.
Gar so trüb ist dieLage zwar nicht. Doch
Japan präsentiert sich zu Beginn des Olympia-
jahres in angespannterVerfassung. Das zeigen die
jüngstenWachstumsdaten. So ist dieWirtschaft
im vierten Quartal 20 19 gegenüber demVor-
jahresquartal um 6,3 Prozent geschrumpft. Die-
serWert ist deutlich schlechter als erwartet, und
er markiert das grösste Minus seit über fünfJah-
ren. Optimisten sehen darin nur einen einmali-
genAusrutscher. Sie verweisen auf den negati-
ve n Effekt, den die Mehrwertsteuererhöhung im
Herbst auf denKonsum hatte, und auf dieKos-
ten eines schwerenTaifuns. Sowohl die Steuer-
erhöhung als auch der heftige Sturm seienAus-
nahmeereignisse.
Gut möglich, dass derkonjunkturelle Ein-
bruch nurvonkurzerDauer sein wird. Doch viele
Augurenrechnendamit, dass die japanische Wirt-
schaft auch im ersten Quartal 2020 schrumpfen
wird. Mit zweiQuartalen negativenWachstums

inFolge befändesich die drittgrössteVolkswirt-
schaft dann in einerRezession.Ankonjunktur-
dämpfenden Ereignissen herrscht tatsächlich
kein Mangel.Vor allem das neuartige Corona-
virus steht einer Erholung imWeg. Erstens macht
sich dasVirus inrasch sinkenden Einnahmen im
Tourismussektor bemerkbar. Zweitens sind viele
japanischeKonzerne eingebunden in Liefer-
ketten aus China; und niemand weiss, wie lange
die Lieferunterbrüche nochanhalten werden.
Die Behörden stehen der Entwicklung hilflos
gegenüber. Das von derRegierung im Dezember
geschnürte Stimulierungspaket, das dieFolgen
der Mehrwertsteuererhöhung hätte abfedern sol-
len, hat nicht im erhofften Mass gewirkt. Und die
Notenbank hat ihr Pulver grösstenteils verschos-
sen und verfügt kaum noch über Munition, um
dieKonjunktur anzukurbeln. Derweil steigt die
Schuldenlast desLandes weiter, was ausgaben-
politischen Programmen enge Grenzen setzt,
wie der InternationaleWährungsfonds jüngst
warnend hervorhob.Zu strukturellen Refor-
men fehlt derRegierung derweil der Mut.Auch
in dieserPerspektivenlosigkeit spiegelt sich der
grosse Unterschied zu1964:Damals griffJa pan
nach den Sternen, heute sucht man einenretten-
den Strohhalm.

Firmen-Exodus aus Winterthur


Die Steuern müssen rasch runter

Die einst stolze IndustriestadtWinterthur hat
harteTage hinter sich: Innert dreiWochen kün-
digten gleich drei Grossfirmen an, Stellen abzu-
bauen und ihre Sitze aus der zweitgrösstenStadt
des Kantons Zürich teilweise abzuziehen. Nach
dem MaschinenbauerRieter und dem Medtech-
Unternehmen Zimmer Biomet hat jetzt der fin-
nische SchiffsmotorenherstellerWärtsilä nachge-
zogen. Insgesamt gehen inWinterthur über 350
zumTeil hochqualifizierte Arbeitsplätze verloren.
Die kurz gestaffelten Hiobsbotschaften soll-
ten denWinterthurer Behörden zu denken ge-
ben. Doch hört man dem Stadtpräsidenten
MichaelKünzle (cvp.) zu, dann tönt es anders.
Die Abgänge scheinen ihn nicht mit Besorgnis
zu erfüllen. Er spricht von «Einzelfällen». Win-
terthur zähle 73 000 Beschäftigte. Die verlorenen
Arbeitsplätze müsse man dazu insVerhältnis set-
zen. Alles halb so schlimm, so sieht es anschei-
nend der Stadtvater.


Eine solche Haltung ist fatal. Gerade als Stadt-
präsident und Präsident der Standortförderungs-
organisation «House of Winterthur» müsste
Künzle um jeden Arbeitsplatz und jeden Steuer-
franken, der daran hängt, kämpfen wie einLöwe.
Allein derWegzug von Zimmer Biometkönnte
in der Stadt und dem Kanton zu Steuerausfällen
in zweistelliger Millionenhöhe führen. Das sind
keine Brosamen. Neben den Steuererträgen und
den Arbeitsplätzen sind dieWegzüge auch für
kleinereZulieferfirmen aus derRegion ein Pro-
blem; ihnen fehlen in Zukunft wichtigeAufträge.
Die Abgänge als «Einzelfälle» abzutun, greift
ebenfalls zu kurz. Zumindest bei Zimmer Biomet
undWärtsilä ist es offensichtlich, dass die hohe
Steuerbelastung im Kanton Zürich ein wichtiger
Grund für den Umzugsentscheid war. Wer mag
es ihnen verübeln?Der Kanton steht bei denFir-
mensteuern schlecht da. Mit Bern und demWallis
befindet er sich auf den letzten Plätzen. In Zug,
LuzernundauchBasel-Stadt zahlen Unterneh-
men nur etwa halb so viel Gewinnsteuern.
Die so hoch gelobten Standortvorteile von
Zürich – die Nähe zu den Hochschulen und zum
Flughafen, die hohe Lebensqualität, der gut ausge-
baute öffentlicheVerkehr – mögen wichtigeFak-
toren für den Standortentscheid vonFirmensein.

Letztlich müssen diese aber auf ihrPortemonnaie
schauen.Wenn dieRechnung nichtaufgeht, zie-
hen sie weg. Es zeigt sich nun sehr deutlich: Der
harte Steuerwettbewerb, der im Abstimmungs-
kampf zurReform derFirmensteuern beschworen
wurde, warkeine Phantasie oderAngstmacherei,
wie dies Gegner glauben machen wollten, sondern
er istreal – und er fordert nun Opfer.
Wärtsilä ziehtnachFrauenfeld, das vonWin-
terthur aus in 11 Minuten mit dem Zug zu errei-
chen ist und wo mit einem Gewinnsteuersatz von
13,4 Prozent paradiesische Zuständeherrschen.
Der Europasitz von Zimmer Biomet liegt künftig
in Zug: 11,9 Prozent Gewinnsteuern, 22 Minuten
vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt.Das sind
Fakten, mit denen sich nicht nur dieWinterthu-
rer Standortförderer auseinandersetzen müssen.
Umso wichtiger ist es, dass Zürich seine Ge-
winnsteuern nach einem ersten Schritt im Septem-
ber bald um einen weiteren Prozentpunkt senkt.
MitTiefsteuerkantonen wie Zug wird Zürich zwar
auch dann noch nicht mithaltenkönnen, aber die
Unterschiede wären angesichts der unbestrittenen
Standortvorteile weniger eklatant.WennKünzle
«seinem»Winterthur etwas Gutes tun will, dann
sollte er seine ganze Energie darauf verwenden,
dass diese SenkungraschRealität wird.

FABIAN SCHÄFER

SEITENBLICK


Der Showdow n


zwischen Old und


New Banking naht


Von MILOSZMATUSCHEK

Banken stehen gerade unter Druck.Das
klassische Geschäftsmodell bricht aufgrund
der Negativzinsen zunehmend weg, die
Banken verdienen immer weniger mit
Einlagen oder Kreditgeschäften. Und agile
Fintechs ohne grossen Apparat machen den
Big PlayernKonkurrenz. DenBanken droht
es o zu gehen wie einstKodak: Der einstige
Fotopionier hielt zu lange an der analogen
Fotografie fest und ignorierte die digitale.
Als dann auch noch Hochleistungskameras
in Smartphones und damit in jedeTasche
wanderten, war es endgültig vorbei.Kodak
ging 2012 pleite und gilt seitdem als Muster-
beispiel für verschlafene Innovation.
Der grösste Angriff aufBanken und
Zentralbanken droht aber durch die Block-
chain-Technologie. Wer internationale Über-
weisungen mittels Kryptowährungen vor-
nimmt, zahlt einen Bruchteil der beiBanken
oder Dienstleistern wieWestern Union
anfallendenKosten und weiss zudem, dass
dieTechnologie alle Nutzergleich behandelt.
Statt einKonto hat man einWallet mit
vollständigem Zugriff auf dasVermögen, wie
ein geheimes Schliessfach; Zahlungen über das
Bitcoin-Netzwerk kannkeineinzelner Akteur
vereiteln. Kredite gibt es von Nutzer zu
Nutzer, Zinsen lassen sich mit ein paar
Mausklicks verdienen.Das NewBanking ist
eine Abzweigung vom OldBanking, es bringt
dieAufspaltung eines Monopols – jenes des
Handels mit Geld.Aus liberaler Sicht sind
Monopole schädlich. Sie töten Innovation und
zentrieren Macht, die zu Machtmissbrauch
einlädt. Wenn die HamburgerWarburg-Bank
der Cum-Ex-Geschäfte überführt wird, aber
die Behördenes verpassen, 47 Millionen Euro
zurückzuverlangen, braucht es neben dem
überfälligenRücktritt desFinanzministers
Olaf Scholz auch eine Neukalibrierung der
Verbindung von Staat undBankensektor.
Hinzukommt für dieBanken derWettbe-
werb im Bereich der Zahlungsmittel. Staat-
liches Geld steht privat geschöpften Krypto-
währungen gegenüber. Auch wenn der Sektor
nochverhältnismässig klein ist, macht er sich
in den Bilanzen bemerkbar. Alleineine
Kundeneinlage von 10 000 Euroauf dem
Girokonto bedeutet für eine europäische
Bank, dass sie Kredite in Höhe von einer
Million Euro vergeben kann.Wer heute also
einen Bitcoin imWert von knapp 10 000 Euro
(vor einemJahr: zirka 3300 Euro) kauft,
entzieht seiner Hausbank ein Kreditvolumen
von einer Million Euro. DiesenVerlust wird
auch ein Krypto-Euro nicht aufhaltenkönnen.
Hinter den Umwälzungen in derBanken-
welt steht eine Neusortierung desThemas
Vertrauen.Dank der Blockchain-Technologie
beruht dasVertrauen heute nicht mehr auf
einemVersprechen oderTr adition, sondern
ist durchKontrolle und Nachprüfbarkeit
eines unkorrumpierbaren, kryptografisch
gesicherten Zahlungsverfahrens ersetzt
worden. Dieses muss zwar erst noch massen-
tauglich einfach zu bedienen sein, aber
das habenVinyl-Liebhaber bei CD und
MP3 auch hinbekommen.
Historisch schliesst sich hier ein Kreis:
Die Medici haben vor gut 500Jahren dem
Bankensektor mit der doppelten Buchführung
zur Blüte verholfen. Mit der Blockchain kam
vor elfJa hren die Erfindung der dreifachen
Buchführung hinzu. Schonvor den Medici
habenTempelritter dasBankengeschäft
gestaltet und sogar ein eigenes kryptografi-
sches Zahlungsmittel anstelle vonBargeld
und Gold verwendet, noch ohne Blockchain.
Die Schweiz hat gut daran getan, denTempel-
rittern im 13.Ja hrhundert dieTüren zu öffnen;
diese etablierten denBankensektor mit.
Ebenso ebenso offen sollte sie heute gegen-
über Kryptofirmen sein.Dann ist die Zukunft
desBanking in der Schweiz golden.

Milosz Matuschekist stel lvertr etender Chefredaktor
des «Schweizer Monats».
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